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# taz.de -- Eine Villa für Johannes Brahms: In der Jugend ein Feuerkopf
> Das Lübecker Johannes-Brahms-Institut erforscht, dokumentiert und
> erschließt das Oeuvre des Komponisten. Der war gar nicht so konservativ
> wie gedacht.
Bild: Ort für Forschung, Ausstellung und Konzert Die Villa Brahms
Lübeck taz | Johannes Brahms hat dieses Haus nie betreten. Hat es
vielleicht mal von Ferne gesehen, wenn er als junger Komponist [1][an die
Trave ging.] Aber stilistisch passt sie zu ihm, die klassizistische Villa
auf dem Lübecker Jerusalemsberg vor dem Burgtor. 1880 als Landhaus erbaut,
war sie einst Stammsitz der Lübecker Musikhochschule, stand später lange
leer und wurde in den 1990ern restauriert. Seit 2002 residiert dort das
Brahms-Institut, als An-Institut der Universität angegliedert.
Wie es dazu kam? 1991 hatte [2][Lübeck] die weltweit größte private
Brahms-Sammlung des Hamburger Ehepaars Hofmann erworben. Sie umfasst
Handschriften, Stichvorlagen, Erstdrucke und Briefe. Es ist eine wertvolle
Sammlung, die nicht nur deutsch-österreichische Musikgeschichte des 19.
Jahrhunderts abbildet, sondern auch den Konflikt zwischen „konservativen“
Komponisten wie Brahms und der „Neudeutschen Schule“ um Richard Wagner und
Franz Liszt.
„Natürlich erwirbt man eine so bedeutende Sammlung nicht allein fürs
Archiv“, sagt Wolfgang Sandberger, Professor für Musikwissenschaft an der
Lübecker Musikhochschule und Leiter des achtköpfigen Teams des
Brahms-Instituts. „Die Idee war vielmehr: Wenn wir so eine Sammlung im
Schulterschluss von Land, der Kulturstiftung der Länder und einer privaten
Stiftung erwerben, gründen wir zugleich ein Institut und richten an der
Musikhochschule eine Forschungsstelle für Brahms und seine Zeit ein“, sagt
er.
„Lübeck war und ist der perfekte Standort dafür, mit der einzigen
Musikhochschule Schleswig-Holsteins, wo Forschung und musikalische Praxis
exzellent zusammenspielen.“
## Digitaler Knotenpunkt
Bis 1999 hat das Ehepaar Hoffmann das bis 2002 in der Lübecker Königstraße
ansässige Institut ehrenamtlich geleitet. Danach übernahm Sandberger,
managte den Umzug in die Villa Eschenburg, die heutige Villa Brahms.
Da Brahms nie dort gelebt hat, ist es kein authentischer Ort. Aber man
bemühte sich und rekonstruierte Brahms’ Musikzimmer, in dem heute Vorträge
und Konzerte stattfinden. Man hat ein Brahms-Handbuch herausgegeben, mit
der Digitalisierung der Sammlung begonnen. Erst kürzlich, im August,
startete ein neues Projekt zur Vernetzung der Digitalisate. Man will sie
noch attraktiver präsentieren und weltweiter digitaler Knotenpunkt zu
Brahms werden.
Auch der Ausstellungsraum der Villa sei ein wichtiges Tor zur
Öffentlichkeit, sagt Sandberger. „In der aktuellen Schau können Sie viel
erfahren über den jungen Brahms, der eine große Leseratte war, und
romantische Literatur von [3][Eichendorff] und E.T.A. Hoffmann verschlang.
Er war ein Feuerkopf, der gar nicht dem heutigen Klischee vom gesetzten
bärtigen Melancholiker entspricht“, sagt der Wissenschaftler. Auch spiele
die Literatur in seinen frühen Werken „eine viel größere Rolle als bisher
vermutet. Es stimmt eben nicht, dass Brahms der,absolute' Musiker war, der
allein in Tönen gedacht hat, während Wagner das,Gesamtkunstwerk' schuf.“
Auch Brahms’ Gesamtwerk sei weniger konservativ als oft behauptet. „Er hat
zwar – was Wagner und Liszt antiquiert fanden – noch Sinfonien und
Kammermusik komponiert, aber seine Tonsprache war höchst modern“, sagt
Sandberger. Bei der Erstellung eines Briefverzeichnisses habe er sogar
Brahms’ einzigen Brief an den vermeintlichen Konkurrenten Liszt gefunden.
Über „Brahms und Liszt“ wird Sandberger demnächst auch bei der Hamburger
[4][Brahms-Gesellschaft] referieren. Auch mit anderen Brahms-Instituten –
etwa der Kieler Forschungsstelle oder der Gesellschaft der Musikfreunde in
Wien – funktioniere der Austausch sehr gut. Und auch wenn die Lübecker
Sammlung nicht die weltgrößte sei: Das Zusammenwirken von Forschung, Museum
und musikalischer Praxis sei einzigartig, sagt Sandberger.
23 Oct 2022
## LINKS
[1] /Rapperin-Pilz-aus-Luebeck/!5877419
[2] /Grabungen-am-Luebecker-Stadtrand/!5869369
[3] /Lesung-aus-Essay-Verfluchte-Neuzeit/!5841501
[4] /Hamburg-zeigt-seine-Komponisten/!5506436
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Lübeck
Klassische Musik
Komponist
Konzert
Ausstellung
Literatur
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Musik
Klassik
Vögel
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