| # taz.de -- Schauspielerin über E.T.A Hoffmann: „Er ist unglaublich modern“ | |
| > Viele Facetten: Ein Abend in Hamburg widmet sich dem Schriftsteller, | |
| > Komponisten und Beamten E.T.A. Hoffmann. | |
| Bild: Interessiert an den Abgründen: Ein Porträt des Dichters Ernst Theodor A… | |
| taz: Frau Hartmann, haben Sie einen Lieblings-Hoffmann? | |
| Maria Hartmann: Ich müsste eigentlich zwei nennen. Ich finde nach wie vor | |
| die „Kreisleriana“ ganz großartig, die frühe, aus den „Fantasiestücken… | |
| Wegen der Ironie, und weil es eine Betrachtung unseres Berufes ist, eine | |
| Betrachtung des Künstlers und der Kunstwelt, auf feine, ironische und auch | |
| ziemlich, ja: kräftige Art. Das gefällt mir. Auf der anderen Seite finde | |
| ich „Prinzessin Brambilla“ ganz toll, ein spätes Werk, 1820 erst | |
| geschrieben, zwei Jahre vor seinem Tod. Das deckt so eine ganz andere Art | |
| auf: dieses Grundthema Hoffmanns, die fließende Grenze zwischen | |
| [1][Fantasie] und Realität. Das wird da auf eine wunderbare Art nicht ins | |
| Auge, sondern in die Feder gefasst. | |
| Bei einem derart schillernden Menschen könnte es einen „Lieblings-Hoffmann“ | |
| ja auch auf andere Weise geben: Ist es der Autor E.T.A Hoffmann, der | |
| Komponist, gar der Beamte? | |
| Der ganze Druck lastete auf dem Komponistendasein; da wollte er unbedingt | |
| Erfolg haben, ist als aber oft zurückgewiesen worden. Sein erfolgreichstes | |
| und heute noch bekanntesten Werk ist die [2][Oper] „Undine“. Die | |
| Schriftstellerei geschah fast nebenbei. Den „Sandmann“ zum Beispiel, eine | |
| großartige Erzählung, hat er zum Teil während einer juristischen Sitzung | |
| skizziert. Erstaunlich wiederum ist: So chaotisch er war, so genau und wohl | |
| auch hoch geschätzt war er als Jurist. Das war auch wie eine Art | |
| Doppelleben. Wie das so ineinander greift, das ist unglaublich; wie er das | |
| auch alles in einem Leben untergebracht hat. | |
| Hoffmann ist 1822 gestorben, 2022 ist ein [3][Jubiläumsjahr]. Hat das etwas | |
| zu tun mit dem Zustandekommen Ihres Abendprogramms? | |
| Ja, die E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft hat das [4][Renaissance-Theater] in | |
| Berlin gebeten, ein Begleitprogramm [5][zu einer Ausstellung] zu erstellen. | |
| Und das Theater hat wiederum mich gebeten; das waren insgesamt neun | |
| Veranstaltungen, darunter meine drei, Hoffmann aus drei Blickwinkeln. In | |
| Hamburg ziehe ich das nun sozusagen zusammen in eine einzige Veranstaltung | |
| – gar nicht so einfach! | |
| Wegen der Fülle an Texten? | |
| Jeder glaubt irgendwie, Hoffmann zu kennen, hat in der Schule oder so von | |
| ihm gehört. Aber ihn wirklich kennen? Der ist ja unheimlich komplex durch | |
| die ständigen Ebenenwechsel: Realität, Traumwelt, manchmal reißen Stränge | |
| ab, dann kommen sie irgendwo wieder. Das ist keine leichte Kost – was ich | |
| ja super finde. Er ist unglaublich modern in der Art, wie er eigentlich | |
| schon die Psychoanalyse vorwegnimmt, wie er Abgründe im Menschen beschreibt | |
| – und was zum Menschen alles dazugehört. Wie er als Jurist dafür war, dass | |
| man das man jemanden relativ lange selbst für seine Taten zur Verantwortung | |
| zieht, also auch für strafwürdig erachtet. Da könnte man sich doch | |
| vorstellen, so jemand würde das eher in die Krankheitsschiene schicken oder | |
| in die der psychischen Labilität. Aber er empfand auch diese Zustände als | |
| [6][Teil der Normalität]. | |
| Sie bezeichnen ihn als „Taktgeber der Moderne“, also nicht nur als deren | |
| Vertreter. | |
| Zentral ist daran die Frage der Identität: Woraus setzt sich ein Mensch | |
| überhaupt zusammen? Gibt es so was wie ein eindeutiges Ich oder sind das | |
| nicht immer viele Facetten; also gerade keine Einheit? Bei anderen | |
| Romantikern war eine Sehnsucht ein großes Thema, die radikale Subjektivität | |
| eines Ichs. Aber das Ich selbst, von dem viele Romantiker als Zentrum | |
| ausgingen, das stellt Hoffmann in Frage. Es gibt bei ihm keine strenge | |
| Einteilung in Gut und Böse im herkömmlichen Sinne; diese Dinge gehören | |
| zusammen. Abgründe gibt es, ja, innere Gespenster, aber nicht im | |
| Moralisierenden Sinne. Der Mensch hat viele Facetten, viele verborgene | |
| Winkel. Abgesehen davon haben sich ja auch viele auf ihn bezogen, es gibt | |
| viele Spuren, die er in der Literatur hinterlassen hat, stilistisch, aber | |
| eben auch thematisch. Dieses Menschenbild, diese Art von psychologischem | |
| Weitblick, diese Vision Hoffmanns: Das würde ich als einen Teil der Moderne | |
| bezeichnen. | |
| 6 Dec 2022 | |
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| [3] https://etahoffmann.staatsbibliothek-berlin.de/etah2022/ueber-das-projekt/ | |
| [4] https://renaissance-theater.de/ | |
| [5] https://deutsches-romantik-museum.de/ausstellungen/-/unheimlich-fantastisch… | |
| [6] /Eine-moderne-Geschichte-der-Psychiatrie/!5133816 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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