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# taz.de -- Saisonbeginn der Komischen Oper Berlin: Der Dichter spricht selbst
> Barrie Kosky liebt Jacques Offenbach so sehr, dass er für seine letzte
> Oper „Les Contes d‘Hoffmann“ einen neuen Text geschrieben hat
Bild: Als wäre Reich-Ranicki auferstanden: Uwe Schönbeck als Dichter E. T. A.…
Das neue Metropol-Theater an der Behrensstraße in Berlin macht Pause. Die
Bühne bleibt leer und schwarz, ein schiefgestelltes Quadrat aus
Stahlplatten beherrscht den Raum. Mal ist es nach vorne geneigt, mal
waagrecht, aber immer definiert es abstrakt und streng das Spielfeld für
diese viel gespielte Oper, von der wir bisher glaubten, sie handle von den
Träumen eines gefühlvollen Dichters, der sich nach der reinen Liebe sehnt.
Das ist nicht wahr. Warum hätte sich ausgerechnet Jacques Offenbach, der
Großmeister der musikalischen Satire, die letzten Jahre seines Lebens mit
einem Mann beschäftigen sollen, der von Frauen immer nur träumt? Nein,
Offenbach war fasziniert nicht von der sentimentalen Spielart der Romantik,
sondern von ihrer Phantastik, ihren Gespenstern und übernatürlichen
Erscheinungen, die das literarische Werk des preußischen Juristen Ernst
Theodor Amadeus Hoffmann prägen.
Er war in Frankreich sehr viel populärer als in Deutschland. Zwei
Theaterautoren (Jules Barbier und Michel Carré) hatten einige seiner
Erzählungen zu einem überaus erfolgreichen Theaterstück umgearbeitet, das
dann Offenbach zur Vorlage für sein Projekt einer Oper nahm.
Es war seine letzte, und fertig geworden ist sie nie. Jede Aufführung ist
eine Bearbeitung, und Barrie Kosky hat sie besonders gründlich vom Kopf auf
Füße gestellt, auf denen sie endlich wirklich gehen kann. Er ließ sich
nicht täuschen durch die Theaterfigur des „Hoffmann“, wie sie im Textbuch
steht. Um diesen ewig betrunkenen Schwätzer und seine Traumfrauen geht es
nicht. Es geht allein um die schwarze Gespensterromantik des wirklichen
Dichters E. T. A. Hoffmann.
Noch bevor die Musik beginnt sitzt er da, mitten auf dem Spielquadrat,
umgeben von leuchtenden, leeren Schnapsflaschen. Uwe Schönbeck, vom Berner
Stadttheater ausgeliehen, spielt ihn so, als sei Marcel Reich-Ranicki noch
einmal zurückgekehrt und erzähle uns mit der ihm eigenen Leidenschaft von
einer Sängerin, die da gerade so ganz und gar unvergleichlich die Donna
Anna aus Mozarts „Don Giovanni“ singe. Man hört sie dann von einer alten
Schellack-Platte krächzen.
Der Text ist original aus Hoffmanns Erzählung „Don Juan“ entnommen, die
auch als Rahmenhandlung des französischen Theaterstücks dient. Kosky löst
die Figur des Dichters aus der dramaturgischen Konstruktion heraus und hält
sie fest als Porträt des Intellektuellen Hoffmann, der ebenso Musiker und
Zeichner war.
## Phantastisches & Performance-Akte
Ein alter, von Geistesarbeit gebeugter, an Kunst und Leben entzündeter Mann
wird mit Witz und Ironie zum Zentrum eines Theaters, das sich nun völlig
frei von allen Zwängen einer Handlung in alle Richtungen entwickeln kann.
Auch der „Hoffmann“ des Textes kann jetzt auftreten, gesungen zuerst vom
Bariton Dominik Köninger, dann vom Tenor Edgaras Montvidas (so komplex ist
die Quellenlage wirklich). Hoffmann, der Dichter, schüttelt den Kopf über
ihn und lacht höhnisch. Natürlich ist er eine seiner Phantasien. Soll man
ihn ernst nehmen? Nein, ernst nehmen kann (und muss) man nur die Kunst.
Davon gibt es nun reichlich zu sehen. Hochkonzentrierte, in alle Feinheiten
ausgearbeitete Einzelszenen des Phantastischen entstehen, die manchmal
übergehen in Performance-Akte der bildenden Kunst. Olympia, die Puppe,
steckt in einem Kasten mit Schubladen für Arme und Beine, in der Mitte eine
Klappe für den Unterleib.
Aus dem Bauch der Sängerin zieht der Rollen-Hoffmann endlose,
braunglänzende Haarsträhnen heraus, die schließlich seinen ganzen Körper
bedecken. Nicole Chevalier gibt dazu ein paar Proben ihres Talents für
extreme Stimmakrobatik. Als lyrisch tragische Antonia wird sie später zu
Tode gegeigt von einem Dutzend weißhaariger Frauen in schwarzen Gewändern,
bewaffnet mit gespannten Geigenbögen.
Stefan Blunier dirgiert dazu das Orchester, das einen einen durchsichtig
klaren Offenbach spielt. Mehr ist nicht nötig. Kosky hat auch die Musik vom
Korsett der Handlung befreit, die jetzt mit ihrer wundervollen melodischen
Substanz und Eleganz der Komposition das Unheimliche und Gespenstische
jeder einzelnen Szene ausleuchten kann.
## Der glücklichste Tod
Was soll man noch zur „Barcarole“ sagen, diesem ewigen Ohrwurm? Kosky hat
bei E. T. A. Hoffmann eine Stelle gefunden, die sie tatsächlich beschreibt.
Eine Art „Windhauch“ und ein „Duft“ sei das, ereifert sich der Dichter,…
auf Antionas Sarg sitzt, allein auf der schwarzen Bühne.
Am Ende liegt er selbst in diesem Sarg. Den letzten Akt hat Offenbach nur
in Skizzen hinterlassen. Kosky lässt ihn weg. Stattdessen singt Karoline
Gumos, als Mozart kostümiert, mit dem sterbenden Dichter zusammen „Reich
mir die Hand, mein Leben“ aus „Don Giovanni“. Einen glücklicheren Tod ka…
man Hoffmann nicht wünschen, der seinen dritten Vornamen nur Mozarts wegen
von „Wilhelm“ in „Amadeus“ geändert hatte.
Trotzdem waren beim Premierenapplaus am Freitag ein paar vereinzelte
Buhrufe zu hören, als Barrie Kosky vor den Vorhang trat. Seine
Rekonstruktion entfernt das Stück sehr weit von den Konventionen, die es so
beliebt gemacht haben. Keine Frauenschwärmer und keine Schunkelparty
nirgends, stattdessen abstrakte Kunst und Literaturgeschichte. Dazu
Offenbach pur: Das eben ist die Komische Oper heute.
5 Oct 2015
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Komische Oper Berlin
Oper
Literatur
Daniel Barenboim
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