# taz.de -- Barenboim spielt Beethoven: Von der Oper befreit | |
> Daniel Barenboim führt im Berliner Schillertheater Beethovens „Fidelio“ | |
> auf. Harry Kupfer lässt seinen alten Freund in Ruhe spielen. | |
Bild: Die Gefangenen treten in Reih und Glied an, um ihr berühmtes Lied zu sin… | |
Es scheint Tradition zu werden, dass die Berliner Staatsoper ihre Saison am | |
Tag der deutschen Einheit eröffnet. Letzes Jahr waren schwarz-rot-goldene | |
Meistersinger zu sehen, pathetisch aber inhaltslos verteilt auf zwei Tage. | |
Jetzt war Beethovens einzige Oper „Fidelio“ dran. Auch ein Stück mit | |
schweren ideologischen Lasten, das die Freiheit besingt, aber diesmal ging | |
es gut aus, ohne Festspielpomp, ruhig und bescheiden. | |
Zwei alte Freunde haben sich getroffen, um sich zu erzählen, was ihnen | |
geblieben ist seit jenen wilden Tagen von 1988, als sie zusammen in | |
Bayreuth „Wagners Ring des Nibelungen“ aufgeführt hatten. Daniel Barenboim, | |
akutueller Generalmusikdirektor der Staatsoper in Berlin, und Harry Kupfer, | |
ehemaliger Chef der Komischen Oper in Berlin. | |
Barenboim fängt an mit der Ouvertüre, die Beethoven für die Urfassung | |
seines Werkes von 1805 geschrieben hat. Die Staatskapelle spielt den Satz | |
einer Symphonie, die nie fertig wurde. Ungeheuer intensiv, zarteste Lyrik | |
steht neben schroffster Dramatik, und sie spielt so, wie man es inzwischen | |
von ihr erwartet: makellos durchsichtig bis zu jeder Mittelstimme und | |
trotzdem voller Energie. Im Saal kommt danach der erste Applaus auf. | |
## Er will uns Geschichte zeigen | |
Kupfer antwortet mit Hans Schavernoch, seinem Bühnenbildner, der damals in | |
Bayreuth auch schon dabei war. Er führt uns in den großen Saal des Hauses | |
der Wiener Musikfreunde. Touristen stehen und sitzen darin herum. Offenbar | |
bewundern sie die goldene Pracht von 1870. Beethoven hat sie nie gesehen, | |
er starb 1827. | |
Aber das macht nichts, Kupfer will uns Geschichte zeigen. Deshalb fällt das | |
Bild sofort in sich zusammen und enthüllt die schwarze Schandmauer eines | |
Gefängnisses aus der Nazi-Zeit. Schüchtern hat jemand mit Kreide „Freiheit�… | |
darauf geschrieben. Die Buchstaben sind sehr klein, an einer anderen | |
Stellte ist auch noch das Wort „Paix“ zu erkennen. | |
## Wo bleibt die Freiheit? | |
Davor steht ein schwarz glänzender Konzertflügel mit Beethovens Büste in | |
strahlend weißem Gips. Es ist die bekannte, völlig unrealistische Version | |
des wilden Lockenkopfs mit dem romantisch titanischen Blick. Also zurück zu | |
Beethoven, und dabei bleibt es bis zum Ende, an dem Schavernoch den | |
goldenen Saal der Wiener Musikfreunde wieder entrollt und uns entlässt mit | |
Beethovens Lobgesang auf die Gattenliebe. Der schneidet sich unter | |
Barenboims Fortissimo wie ein glühendes Messer ins Gehör, aber wo bleibt | |
die Freiheit am Tag der deutschen Einheit? | |
Nun ja, die Gefangenen treten in Reih und Glied an, um ihr berühmtes Lied | |
zu singen. Frei sind sie sicher nicht, und auch der gute Minister des guten | |
Königs stellt ihnen höchstens eine mögliche Revision ihres Falles in | |
Aussicht. Es gibt da nichts zu feiern, und die beiden alten Freunde habe | |
sich darauf geeinigt, einfach nur Beethoven zu spielen. | |
Kupfer hört zu. Er hat das Stück nun schon fünf Mal inszeniert, zuletzt an | |
der Komischen Oper, die er noch über die Wende hinaus geleitet hat. Es ist | |
nun mal kein besonders gutes Theater. Eine Frau verkleidet sich als Mann, | |
um als Gefängnisdiener ihren Gatten zu befreien. Die einzig interessante | |
Figur ist der Kerkermeister Rocco, für den die Staatsoper noch einen alten | |
Mann verpflichtet hat: Matti Salminen, der mit müdem Bass, aber reifer | |
Schauspielkunst einen rührseligen Spießer und Strammsteher so beängstigend | |
glaubhaft spielt, dass man sich verwundert fragt, woher eigentlich | |
Beethoven den autoritären Charakter von Adorno kennen konnte. | |
## Neun Jahre Arbeit am Schmerzenswerk | |
Eine Nebenfigur ist Salminen trotzdem. Nach dem kompletten Durchfall der | |
ersten Fassung von 1805 hat sich Beethoven neun Jahre lang bemüht, aus der | |
Figur der Ehefrau Leonore eine Oper zu machen. 1815 war sein mehrfach | |
umgearbeitetes Schmerzenswerk dann doch noch ein Erfolg. Hören konnte er es | |
schon nicht mehr, aber es wird seither ständig irgendwo gespielt. Die | |
Regisseure verzweifeln regelmäßig an seiner dürftigen Dramaturgie. Kupfer | |
hat es zuletzt nur noch als Opernprobe auf die Bühne gebracht, die auch | |
scheitern durfte, und jetzt ist endgültig Schluss damit. | |
Fidelio ist keine Oper. Punkt. Fidelio ist ein tief aufrührendes, | |
hochdramatisches Stück für großes Orchester und Singstimmen, ein zentrales | |
Hauptwerk des Meisters Ludwig van Beethoven. | |
Kupfer zeichnet mit wenigen, souveränen Strichen die Charaktere der | |
Figuren, und lässt Barenboim spielen. Der legt los, endlich befreit vom | |
Zwang, eine Oper mit plausibler Handlung und Botschaften an die Gegenwart | |
aufführen zu müssen. Alles ist Musik, die weit mehr fesselt, als es jedes | |
Theater auf der Bühne kann. | |
## Besser geht nicht | |
Die Architektur der Ensembles wird fühlbar, ihre innere Spannung, die | |
subtile Kunst der Kombination von Motiven. Camilla Nylund mit ihrem klaren, | |
schlanken Sopran und Andreas Schager mit seinem schockierend harten Tenor | |
lassen sich hinein führen in diese Welt absoluter, musikalischer Dramatik, | |
die man noch heute als so revolutionär erkennen kann, wie sie es in ihrer | |
Zeit ja wirklich war. | |
Besser kann man Beethoven wahrscheinlich nicht spielen. Auch Evelin Novak | |
als Roccos Tochter Marzelline, Falk Struckmann als (böser) Don Pizarro und | |
Roman Trekel als (guter) Don Fernando stimmen perfekt mit ein in sein | |
Universum musikalischer Visionen. | |
Dennoch blieb der Premierenapplaus eher zurückhaltend und in der Pause war | |
vernehmliches Murren zu hören, dass hier nichts Neues zu sehen sei. Man hat | |
wohl eine Oper erwartet und bekam nur Beethoven. Reicht das nicht? Doch, es | |
reicht. Und es reicht weiter als der Tag der deutschen Einheit. | |
4 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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