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# taz.de -- Komische Oper „Der Barbier von Sevilla“: Endlich lustige Salafi…
> Kirill Serebrennikov inszeniert an der Komischen Oper Rossinis „Der
> Barbier von Sevilla“. Mit Handys, Selfies und Concita Wurst.
Bild: Dominik Köninger als Figaro und Tansel Akzeybek als Almaviva
Es geht los noch bevor Antonella Manacorda den Taktstock hebt. Manacorda
ist von der Kammerakademie Potsdam ausgeliehen und soll hier Rossini
dirgieren. Kann er aber nicht, obwohl für die Ouvertüre extra der Boden des
Orchestergrabens hochgefahren wurde, damit alle Musiker auch im Parkett zu
sehen sind. Denis Milo und Tansel Akzeybek fallen ihm in den Arm, weil sie
unbedingt Selfies machen und chatten müssen.
Milo ist ein Russe, der noch zur Schule geht, nämlich im Studio der
Komischen Oper. Respekt vor ewigen Werten steht dort offenbar nicht im
Lehrplan. Rossinis 200 Jahre alter Longseller gefällt ihm nicht. „Gehts
nicht schneller?“ tippt er ins Handy. Akzeybek, der Berliner Türke, weiß es
besser. Das dauert nun mal. Er legt sich schlafen.
So kriegt Manacorda die Ouvertüre doch noch zu Ende. Tatsächlich klingt sie
ein wenig langsamer, gewichtiger als gewöhnlich, als ginge es um mehr als
nur den Auftakt für einen geilen Grafen und den Friseur, der einen
grabschigen Alten übers Ohr haut. Es geht wirklich um sehr viel mehr,
werden wir am Ende wissen, aber jetzt ist eher weniger zu sehen.
Die Bühne ist mit einer weißen Wand verschlossen, auf der ständig Facebook
läuft. Dominik Köninger klettert vom ersten Rang herab, mit Männerdutt „di
qualitá“. Akzeybek soll ein Lied singen, live auf YouTube, mit elektrischer
Gitarre. Ziemlich krasser Rossini ist das und sieht super aus auf der
Rückwand.
## Fanatiker der Genauigkeit
Sie haben Spaß mit ihren Laptops und Handys, und auch die Kohle stimmt. Die
Überweisung von 25.000 Euro ist online zu sehen, To: „Figaro“, From: „Co…
d'Almaviva“. Das Orchester ist inzwischen im Graben versunken, etwas
kleiner als am Anfang zu sehen, denn die letzte Reihe hinten war nur die
Begleitung des Grafen auf Brautschau. So steht es im Textbuch. Kirill
Serebrennikov hat Filme gedreht, Theater und Opern inszeniert und gehört zu
den kreativsten Köpfen der russischen Kunstszene, die sich zumindest in
Moskau noch über Wasser halten kann.
Er ist ein Fanatiker der Genauigkeit und der Einzelheiten. Seine
Facebookwelt schielt keineswegs didaktisch nach dem Beifall Jugendlicher.
Sie ist eine bezwingend präzise Übersetzung der Handlung in das Medium der
Gegenwart. Ständig ging es schon in Beaumarchais Theaterstück um heimliche
Botschaften, Verstellung und Verkleidung. Jetzt wird getippt und virtuell
kommuniziert bis niemand mehr durchblickt – und so ganz nebenbei die
Illusion der angeblich sozialen Netze zerbricht.
Die leere Wand des Dauerchats öffnet sich. Sie besteht aus zwei schmalen,
hohen Segmenten die im Innern Treppen enthalten. Der Künstler Alexey
Tregubov hat sie entworfen. Die symmetrischen Skulpturen werden zum
universellen Spielraum für eine Komödie, die nun ihrerseits die mediale
Oberfläche durchbricht. Im Zentrum steht jetzt Philipp Meierhöfer.
Er spielt den Doktor Bartolo, einen vornehmen, alten Mann, der mit
Antiquitäten handelt. Er ist allein, eingeschlossen in Möbeln und Lampen.
Sein Mündel Rosina liebt er wahrscheinlich wirklich. Nicole Chevalier zeigt
ein etwas schüchternes Mädchen, das verzweifelt heftige Liebesbotschaften
in sein Handy tippt, weil es endlich raus möchte zu den virtuellen Jungs.
## Rossinis Werk kann seine Größe entfalten
Meierhöfer kann nur traurig zuschauen. Er versteht nichts von dieser
modernen Welt. Bei Serebrennikov wächst sie ihm so sehr über den Kopf, dass
Rossinis Werk seine volle Größe entfalten kann. Akzeybek kommt als bärtiger
Salafist in die stille Wohnung und führt sich dort mit seiner Truppe so
auf, wie man es erwartet. Brutal und arrogant. Alles gehört ihm, vor allem
das Mädchen.
Akzeybek kann ordentlich singen, noch besser aber kann er spielen. So
lustig waren Salafisten noch nie. Bartolo holt die Polizei, Rosina hält ein
Transparent in die Höhe, auf dem „Refugees wellcome“ steht.
Nach den sozialen Netzen also die Flüchtlingskrise, und Serebrennikov ist
noch lange nicht am Ende seiner Ideen. Nach der Pause versucht Akzeybek als
Concita Wurst sein Glück als Eroberer, in der größten Szene aber schweigt
die Welt der digitalen Bilder. Meierhöfer nimmt Nicole Chevalier im
Brautkleid bei der Hand und führt sie wie in einem Traum über die
Balustrade vor dem Orchester, in unwirklich weißes Licht getaucht.
Sie ist einverstanden, ihn zu heiraten. Natürlich fliegt danach alles auf.
Rosina und der Graf fallen sich in die Arme. Auch das Orchester darf zum
Applaus wieder aus dem Graben aufsteigen. Komisch ist diese Oper aber nur,
weil es diesen alten Mann gibt. Rossini macht sich nicht lustig über ihn
und Serebrennikov erst recht nicht. Wenn der letzte Akkord verklungen ist,
dreht er noch eine Weile die Kurbel eines verstimmten Leierkastens. Das ist
dann das ganz große Theater.
10 Oct 2016
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Kirill Serebrennikov
Russland
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Komische Oper Berlin
Deutsche Oper
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Daniel Barenboim
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