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# taz.de -- WAHNSINNS-WARNUNG: Sex, Wolllust und Raserei
> Herbert Fritsch, aktueller Oberguru der deutschen Schauspielregie,
> inszeniert mit Jaques Offenbachs "Banditen" erstmals eine Oper - und
> bringt das Bremer Publikum damit um den Verstand
Bild: Wie Muppets tauchen die vermonsterten Köpfe der Banditen aus dem Loch.
Sorry, aber – das lässt sich ja gar nicht rezensieren. Ein Vollrausch, ein
gelebter Wahnsinn ist von seinen TeilnehmerInnen nicht mit den Mitteln der
Kunstkritik zu fassen. Und Jacques Offenbachs Opéra Bouffe „Die Banditen“
macht, so wie sie jetzt in Bremen Premiere hatte, besoffen, und zwar
komplett: Es ist ein Wunder, dass niemand umkippt und mit Blaulicht
abtransportiert wird, schwere Musikvergiftung, Schauspielhirn-Trauma,
akuter Farb-Abusus, totgelacht.
Kurz, diese sogenannte Inszenierung eines Stücks, das wegen, ach, so
aktueller Finanzweltbezüge derzeit häufig gespielt und an seriösen Häusern
wie Zürich und zuletzt gar Münster sehr zuverlässig in die allerschönste
Schläfrigkeit gehüllt hatte, diese sogenannte Inszenierung ist gefährlich.
Sie gehört polizeilich verboten und Regisseur Herbert Fritsch muss
ergriffen und wegen der Bildung einer Vereinigung zur Verübung von grobem
Unfug und zur Schädigung der Volksgesundheit abgeurteilt und ins Loch
gesteckt werden – aber lesen Sie das jetzt ja nicht als Zote: Ein Loch
sprengt dieser Fritsch in seiner Funktion als Bühnenbildner gleich zu
Beginn der Aufführung in die Bühne.
Eine wuchtige Knallgasexplosion, deren Hitze und Druckwelle bis weit in den
Zuschauerraum rollt, zerschneidet das Schwarz und überdröhnt den
Paukenschlag mit dem die Ouvertüre beginnt. Dieses Loch ist der Schoß der
abnorm-farbigen Fritsch-Welt. Und es definiert, neben einer
goldpapierverkleideten Schräge, die aus dem Schnürboden herabragt, baulich
bereits die gesamte Szenerie, dient als Falle für Gesandtschaften,
Weinkeller, um die Gendarmen wegzusperren, und als Unterschlupf, aus dem,
wie Muppets, die vermonsterten Köpfe der Banditen auftauchen,
schauspielernde SängerInnen, mitsingende SchauspielerInnen, tauchen aus dem
Krater auf, klettern über eine aus dem Himmel hängende Strickleiter hinab,
ein ständiges, ein einziges Rein und Raus halt, sinnlos, albern, schön und
– yeah, so schamlos vulgär.
Das letzte Wort des Abends wird der Ausruf „Ficken!“ sein: Florian Anderer
als dem korrupten Schatzmeister Antonio entfährt’s wie ein Schreckensfurz,
als ihm Hyojong Kim als Herzog von Mantua die Anweisung erteilt, der
nunmehr als Polizei eingestellten Räuberbande ein Vierteljahr im Voraus das
Gehalt anzuweisen, aber pronto. Dabei hat der doch mit dem Staatsschatz
seine Sexsucht befriedigt – dem armen Schwein bliebe nur der Suizid, wenn
ihn nicht eine genial instrumentierte Mitklatsch-Applausordnung retten
würde, der Saal tost wie im Rausch, jubelt wie wahnsinnig, klatscht, ein
Tollhaus.
Fritsch, der in den vergangenen Jahren durch seine exaltierten,
hochmusikalischen Bühnenwelten von kompromissloser Künstlichkeit zum
absoluten Oberguru des aktuellen Schauspiels in Deutschland avanciert ist,
hat eigentlich immer irgendwie Musiktheater gemacht – aber noch nie im
engeren Sinne Oper. Und als Neuling im Fach schmeißt er einfach deren
unantastbarste Konvention in Klump: Die Partitur war doch sonst noch stets
die heilige Schrift und Offenbarung. Er aber zwingt die Leute zu kieksen
und planmäßig daneben zu singen. Aber auch die Swingarrangements von
Duetten und Chören, und dieser brachiale Zugriff, wie Titus Engel diese
radikalen Brüche dirigiert, das hätte so was von in die Hose gehen können!
Und ist jetzt purer Sex und Wolllust und Raserei, Jacques Offenbach, dieser
bezwickerte Satyr, hätte sich vor Glück gewälzt.
## „Die Banditen“: nächste Termine 28. 10., 15.30 Uhr, 29. 10. , 2. und 9.
11., 19.30 Uhr, Theater Bremen
22 Oct 2012
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Komische Oper Berlin
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