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# taz.de -- Händel an der Komischen Oper Berlin: Cäsar und Cleopatra in Bruta…
> Lydia Steier und Konrad Junghänel haben „Giulio Cesare in Egitto“ von
> Georg Friedrich Händel für die Komische Oper Berlin neu einstudiert.
Bild: Warten auf Cäsar in Lydia Steiers Barockägypten.
Dieses Orchester muss alles können. Am Freitag die West Side Story von
Bernstein, am Samstag die Carmen von Bizet, am Sonntag Cäsar in Ägypten von
Händel - Premiere. So steht es auf dem Spielplan und das Orchester der
Komischen Oper Berlin kann das tatsächlich alles, und auch noch so gut,
dass es gar nicht mehr auffällt. In Wirklichkeit ist es ein Wunder.
Wie schwer es ist, in dermaßen weit auseinander liegende musikalische
Welten einzutauchen, war am Sonntag sehr wohl zu hören. Orchester und
Chorsolisten mussten sich unter Konrad Junghänels Leitung erst finden,
klangen unsicher, ein wenig grob auch. Aber nicht lange, zwei Arien zum
Einstimmen, dann begann Händel zu leben und zu wachsen bis hinauf zu seiner
vollen Größe.
Und das ist schon wieder ein Wunder. Denn zu hören ist an der Komischen
Oper ein fast 300 Jahre altes Stück Musik so wie es heute klingt, wenn wir
es nachspielen und nachsingen mit unseren Erfahrungen. Dazu gehören gewiss
auch die Erfahrungen mit den historisch rekonstruierten Techniken der so
genannten Alten Musik. Aber sie spielen an der Komischen Oper eine
untergeordnete Rolle.
## Händel von heute
Konrad Junghänel kennt sich gut aus in dieser Szene und hat zwei Cembali,
eine Theorbe und eine Barockharfe mitgebracht, um die Klangfarben zu haben,
die für diese Musik typisch sind. Das war dann aber auch schon alles.
Großartig ist seine Interpretation des dreieinhalb Stunden langen Werkes,
weil er sich nicht um die historische Rekonstruktion, sondern
ausschließlich um den Ausdruck und die Stimmung kümmert. Jede einzelne der
etwa 40 Nummern gewinnt damit individuellen Gehalt und Sinn.
Nicht alle sind Meisterwerke, sehr viele aber schon, und wenn Valentina
Farcas die zwei größten Arien der Cleopatra im zweiten und dritten Akt
singt, wird es sehr still im Saal, denn es ist ergreifend schöne Musik.
Händel von heute eben. Er selbst hatte seine Oper immer wieder neu
eingerichtet, weil sie von Anfang an so gefiel, dass sie endlos oft
wiederholt werden musste am King‘s Theatre in London, mit immer wieder
anderen Kastraten, vor allem in der Titelrolle, die es heute nicht mehr
gibt.
Mutig hat Junghänel darauf verzichtet, ersatzweise den Cäsar mit einem
Countertenor oder sogar einer Mezzosopranistin zu besetzen. Meilenweit
entfernt vom mutmaßlichen Originalklang singt Dominik Köninger mit seinem
voll tönenden Bariton den römischen Feldherrn als überaus komplizierten,
ein wenig tragischen Mann, der am Ende nur noch ein versteinertes Standbild
auf seinem Schlachtross ist.
## Mitunter wirklich schockierend
Auf dieser soliden musikalischen Grundlage gelingt es der Regisseurin Lydia
Steier, eine Welt des Barock auf die Bühne zu bringen, die ebenso von heute
ist, wenn auch ganz anders als Händels Musik. Wo Händel herzergreifend
klagen lässt, zeigt Steier eine brutale Gesellschaft von Schlächtern,
verkleidet in die Gewänder der Kostümbildnerin Ursula Kudrna, die manchmal
barock sind, öfter nur zeitlos üppig und luxuriös. Das Spiel beginnt mit
einer Fressorgie, später wird geköpft und vergewaltigt wie es grad passt.
Die täglichen Nachrichten über die Dschihadisten des IS sind
vergleichsweise harmlos.
Das ist mitunter wirklich schockierend und erzeugt eine Dramatik zweiter
Ordnung, die bis zum Ende fesselt. Denn Händels Musik ist darauf angelegt,
inne zu halten und den Personen Gelegenheit zu geben, ihr Inneres
auszusprechen. Das gilt auch für die Schurken, auch sie verdienen Gehör.
Deshalb ist „Giulio Cesare in Egitto“ zu Recht schon immer als großes Drama
geschätzt worden. Aber es vollzieht sich in statischen Schritten, allein
schon die fast allgegenwärtige Da-Capo-Struktur der Arien verhindert, dass
die Handlung im Singen fortschreiten kann.
## Das barocke Drama ernstnehmen
Steier treibt sie trotzdem mit enormem Tempo voran. Ihre Bühnenbildnerin
Katharina Schlipf hat drei, wiederum zeitlos barocke, ziemlich
verschlissene Prachtsäle gebaut, die sich quer über die Bühne verschieben
lassen. Die wiederholten Texte der Arien erhalten damit wechselnde
Schauplätze und enden in Szenen, die ihnen widersprechen.
Auch das ist großes Theater von heute, weil es das barocke Drama sehr ernst
nimmt, nicht zerstört, nur auffächert und ergänzt durch die Erfahrungen,
die wir heute im Theater haben. Es ist immer noch die alte Geschichte von
Cäsar und Cleopatra. Um Liebe geht es nicht. Es ist der Machtkampf einer
Frau in einer sehr bösen Welt. Weil wir das gut kennen, ist der Applaus
schon in der Premiere groß und - fast - einstimmig.
1 Jun 2015
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Komische Oper Berlin
Oper
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