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# taz.de -- Premiere in der Deutschen Oper Berlin: Die Nullnummer
> Die Deutsche Oper Berlin wollte die Oper „Faust“ von Charles Gounod neu
> inszenieren. Das Resultat ist etwa so bewegend wie eine
> Dauerwerbesendung.
Bild: Krassimira Stoyanowa als Marguerite in „Faust“ von Charles Gounod
Mitten auf der Bühne steht der Sockel einer Säule, Albert Speer könnte sie
für Germania entworfen haben. Natürlich passt sie nicht in das schöne Haus
von Fritz Bornemann an der Bismarckstraße. Sie ist so monströs groß, dass
nur der unterste Teil mit einer rundum laufenden Treppenstufe zu sehen ist.
Das Orchester beginnt. Es spielt so schlecht, dass der Dirigent eigentlich
nach den ersten paar Takten abbrechen müsste für eine ziemlich energische
Ansprache: „Meine Damen und Herren, wir spielen Gounod, denken Sie bitte
daran...“ Aber Marco Armiliato dirigiert weiter und lässt die Damen und
Herren geigen und tuten wie sie wollen. Sie verpassen seine Einsätze
sowieso fast immer.
Aus dem Säulenschatten rollt ein Gerät zur künstlichen Lebenserhaltung
komatöser Intensivpatienten herein. An Schläuchen und Kabeln hängend singt
Teodor Ilincai mit seiner edlen Tenorstimme davon, dass der Tod ihn
„meide“. Dass ihn die Ärzte nur mit knapper Not davor bewahrt haben, weiß
er offenbar nicht und ruft nach dem Teufel. Ildebrando D‘Arcangelo kommt
hinter der Säule hervor. Er ist ein wunderbarer Bariton, das Problem ist
nur die Drehbühne. Es gibt hier sowieso keinen Platz zum Theaterspiel und
der schmale Streifen vor der Monstersäule dreht sich auch noch ständig im
Kreis.
## Das rotierende Fitnessrad
Manchmal springen Männer und Frauen mit Kleinkindermasken auf die
rotierende Fitnessmaschine auf, manchmal mit Fahrrädern oder in
Soldatenuniformen. Weihnachtsbäume und ein verrosteter Wohnwagen rollen
vorbei. Es fängt an zu schneien, ein Teil der Berliner Mauer stellt sich
quer und am Ende spritzen amerikanische Gefängniswärter Krassimira
Stoyanowa auf der Hinrichtungsliege tot.
Krassimira Stoyanowa ist eine sehr gute Sopranistin, die zu Recht ebenso
viel Beifall erhält wie D‘Arcangelo und Ilincai. Dem Programm der Deutschen
Oper ist zu entnehmen, dass es sich bei alldem um eine Aufführung der Oper
„Faust“ von Charles Gounod handelt. Aber das ist nicht wahr. Denn eine
solche Aufführung setzt voraus, dass sich ein Regisseur oder eine
Regisseurin mit einem Team zusammensetzt, um Ideen für eine Inszenierung zu
entwickeln.
Charles Gounod war ein tief gläubiger, konservativer Katholik, hoch
gebildet und ein begnadeter Erfinder von Melodien. Sein Faust ist eine fast
drei Stunden lange Predigt gegen die Sünden der Fleischeslust, in der
Goethes Vorlage in der schauerlichsten Version der christlichen Doppelmoral
untergeht, die sich denken lässt. Männer dürfen alles, Frauen nichts.
## Der trügerische Wohlklang
Nicht, dass es heute so viel anders zugeht in der Welt. Aber wer dieses
Stück seiner wunderschönen Musik und seiner überaus theatralischen Dramatik
wegen aufführen will, muss ihm einen Kontext geben. Es schreit geradezu
nach Distanz, die den trügerischen Wohlklang in seine historischen Grenzen
weist und Brücken zur Gegenwart baut.
Nichts davon ist auf Stölzls Bühne zu sehen. Es gibt keinen Faust, keinen
Mephisto und keine Margarete über die man diskutieren könnte. Es gibt nur
Sänger und Sängerinnen. Sie klingen gut, gehen auf und ab und tragen
Kostüme und Requisiten. Das ist etwa so bewegend wie eine Dauerwerbesendung
des Fernsehens. Wenn nicht schlimmer. Die intellektuelle Leere dieses
Nulltheaters ist reaktionär.
Dietmar Schwarz, der Intendant, sollte sich nicht täuschen. Er hat das
schönste Gebäude und den besten Saal der drei Opern der Stadt. Mit einigen
Inszenierungen (zum Beispiel „Don Giovanni“ mit Ildebrando D‘Arcangelo) h…
er bisher dafür gesorgt, dass es sich auch mal lohnt, über Aufführungen der
Deutschen Oper zu reden. Aber mit Philipp Stölzl ist er wieder dort
angelangt, wo er sein Amt vor drei Jahren antrat: in der absoluten
künstlerischen Bedeutungslosigkeit.
22 Jun 2015
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Oper
Faust
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Staatsoper Berlin
Komische Oper Berlin
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