# taz.de -- Telemann an der Staatsoper in Berlin: Das Festspiel der Hanseaten | |
> Auch Kaufleute wollen lachen: Eva Maria Höckmayr inszeniert an der | |
> Staatsoper Berlin Telemanns Oper „Emma und Eginhard“. | |
Bild: Gyula Orendt als Karl der Große und Robin Johannsen als seine Tochter Em… | |
Es gab was zu feiern damals in Hamburg 1728. Seit 50 Jahren leisteten sich | |
die Kaufleute und Ratsherren der Freien und Hansestadt ihre eigene Oper. | |
Sie hatten sie schon gebaut, um zu feiern. Nämlich sich selbst. | |
Die Musik ihrer Zeit, die italienische wie die französische, wollten sie | |
hören mit Texten in deutscher Sprache, damit man zu Hause vernünftig über | |
die diese moderne Kunst der weiten Welt reden konnte. 1721 hatten sie den | |
40 Jahre alten Magdeburger Georg Philipp Telemann aus Frankfurt in die | |
Stadt geholt. Sie hätten auch Johann Sebastian Bach haben können, der sich | |
sehr um diese gut bezahlte Stelle bemühte, aber Telemann schien ihnen | |
besser geeignet für ihre überwiegend weltlichen Zwecke. | |
Wahrscheinlich hatten sie recht. Und jetzt, zum 50-jährigen Jubiläum der | |
ersten deutschen Oper der Welt, zeigte der wirklich, was er konnte. | |
Kaufleute wollen auch lachen, und so griffen Telemann und sein | |
Textschreiber Christoph Gottlieb Wend auf einen Witz zurück, die seit dem | |
Mittelalter in allen möglichen Variationen erzählt wurde: Mitten im Winter | |
trägt eine junge Frau ihren Liebhaber auf dem Rücken aus dem Haus, damit er | |
keine Spuren im Schnee hinterlässt. | |
Aber leider schaut der Vater aus dem Fenster. Dieser Vater soll, sagt die | |
Legende, Karl der Große gewesen sein, der bis heute verklärte Gründer des | |
ersten europäisch-christlichen Reiches. | |
## Die Hofkultur als Spiegel der Kaufleute | |
Die Gebrüder Grimm haben die Geschichte später in ihre Sammlung | |
aufgenommen. Telemann und Wend dagegen bauten um diese Szene herum ein | |
ungekürzt mindestens vier Stunden langes Universaldrama, in dem so ziemlich | |
alles vorkommt, was den Kaufleuten am Herzen lag. Sie dürfen sich als | |
Nachkommen Karls des Großen fühlen und sich in seinem Hof spiegeln. | |
Es geht um Krieg und Frieden, um Herrschaft und Intrigen, um Affären, Liebe | |
und Eifersucht, komisch und tragisch so bunt gemischt, dass den beiden | |
Autoren die Rolle eines Hofnarren nötig erschien, der den Leuten im Saal | |
erzählt, wie das denn nun alles zusammenhängt. Für die Berliner Staatsoper | |
im Schillertheater haben Eva-Maria Höckmayr (Regie), Nina von Hessen | |
(Bühne) und Julia Rösler (Kostüme) eine kongeniale, moderne Version dieses | |
Festspiels des hanseatischen Selbstbewusstseins entwickelt. | |
Auf der Drehbühne sind mehrere ineinander verschachtelte Innenräume | |
aufgebaut, die den mittelalterlichen Hof von Aachen wie in einem | |
Kaleidoskop auf splittern. Fensterfronten erlauben Durchblicke in die | |
Tiefe. Öffentliche und private Zimmer wechseln sich ab, auch eine | |
Rumpelkammer gehört dazu. Das herrschaftliche Mobiliar erinnert an das 18. | |
Jahrhundert, die Kleider reichen vom Mittelalter bis heute. | |
Müde vom Krieg gegen die Sachsen beginnt Gyla Orendt als Karl der Große | |
diese Reise durch die Epochen. Der Chor singt „Die Waffen an die Wände“, | |
schon dreht sich die Bühne und wir stehen im Amtszimmer des Regierenden | |
Bürgermeisters von Berlin. Die Herren im Anzug haben eine Koalitionskrise. | |
## Der falsche Liebhaber | |
Dann kommen die Frauen ins Spiel, Karl gibt Krone und Mantel seinem | |
Hofnarren und schaut nur noch zu, bis er am Ende wieder gebraucht wird, | |
weil er dann die Zentralfigur einer echten Tragödie ist. Er hat Robin | |
Johannsen gesehen, seine Tochter Emma, wie sie mit Nikolay Borchev, seinem | |
Sekretär Enighard, davon zieht, diesem blassen Brillenträger. | |
Bei Höckmayr entschweben sie eng umschlungen am Seil in den Bühnenhimmel, | |
von Schneeflocken umweht. Das ist nur eines vielen wunderschönen, | |
ironischen Bilder dieses Theaters. Danach ist wieder Sitzung im Amtszimmer. | |
In Krone und Mantel hat Orendt jetzt zwei Seelen in seiner Brust: den | |
Monarchen und den Vater, Hinrichtung oder Ehe. Der Vater gewinnt, weil | |
Verzeihen christlicher ist als Enthaupten. | |
So sehen es wohl auch ehrbare Kaufleute, die sich allerdings keine | |
Illusionen über den Zustand der Welt machen. Telemann lässt ihnen einen | |
abgehalfterten General so vom Kriegshandwerk schwärmen, dass | |
IS-Dschihadisten von heute wie brave Chorknaben aussehen. „Köpfe spalten“ | |
ist noch das mindeste. | |
## Ausgrabung | |
Schockierend mitunter, immer unterhaltsam, und auf eine freilich etwas | |
biedere Art lebensklug ist dieses Stück allemal. Ob es eine gute Idee der | |
Regisseurin war, dass Männer den Frauen immerzu unter den Rock kriechen | |
müssen um sie von unten zu betrachten, kann man sich fragen. Keine Frage | |
jedoch ist es, dass es sich gelohnt hat, dieses Werk auszugraben. | |
Man nimmt heute an, dass Telemann etwa 50 Opern geschrieben hat. Nur wenige | |
sind erhalten. Mag sein, dass „Emma und Eginhard“ eine seiner besten ist. | |
Zu hören sind überaus ausdrucksvolle, originelle Melodien, harmonische | |
Kühnheiten, schöne Instrumentalstimmen. Dass so vieles in der auf etwa drei | |
Stunden zusammengestrichenen Aufführung dennoch arg gleichförmig und | |
schematisch klingt, liegt nicht an Teleman, sondern an René Jacobs | |
inzwischen zur Routine gefrorenen Art des angeblich historischen | |
Musizierens. | |
Es klingt alles gleich, weil alles gleich gespielt wird, immer mit scharfen | |
Geigen, überharten Akzenten und hüpfenden Basslinien. Die Akademie für Alte | |
Musik kann das im Schlaf. | |
## Singen nach dem Lehrbuch | |
Sängerinnen und Sänger jedoch, davon etliche aus dem Ensemble der | |
Staatsoper, haben hörbar Schwierigkeiten. Sie möchten weiter gehen, freier | |
singen als es ihnen Jacobs erlaubt. Sie möchten nicht jede Koloratur mit | |
Staccato gackern, möchten ihre Stimmen ausschwingen lassen, und den Klang | |
dem Ausdruck anpassen statt dem Lehrbuch. | |
Zum Ende hin trauen sie sich immer mehr zu, und befreien damit den sehr | |
bedeutenden Komponisten Telemann wenigstens ein bisschen von der Diktatur | |
der so genannten Alten Musik. So klingt es immer besser, je länger der | |
lange Abend dauert, und am Schluss so gut, dass der Premierenapplaus | |
einhellig und sehr verdient war. | |
28 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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