# taz.de -- Doppelpremiere in Berlin: Erbschleicher auf der Herrentoilette | |
> Calixto Bieito hat an der Komischen Oper zwei Einakter inzeniert: „Gianni | |
> Schicci“ von Puccini und „Herzog Blaubarts Burg“ von Bartók. | |
Bild: Was wohl Puccinis Erbschleicher (Jens Larsen, Christiane Oertel, Tansel A… | |
Manchmal lohnt es sich, das Programmheft zu lesen, statt tieferen Sinn zu | |
vermuten. Über die Premiere vom Sonntag an der Komischen Oper steht dort zu | |
lesen, dass sich zwei Männer einen Wunsch erfüllt haben. Henrik Nánási, der | |
Chefdirigent, wollte unbedingt Bela Bartóks einzige Oper aufführen. Er | |
liebt sie über alles, und hat das Problem, dass sie mit ihren etwa 60 | |
Minuten zu kurz ist für den Standardbetrieb. Da traf es sich gut, dass | |
Calixto Bieito, der hier nach sechs großen Inszenierungen die Rechte eines | |
Stammgastes genießt, schon immer Giacomo Puccinis „Gianni Schicci“ | |
inszenieren wollte. Er hält diesen Einakter schlicht für die „perfekte | |
Komödie“. | |
Zufälligerweise sind beide Werke im selben Jahr 1918 uraufgeführt worden. | |
Das Problem der Kürze allerdings besteht für Puccini nicht. Der | |
geschäftstüchtige Großmeister hatte einfach noch zwei andere Einakter | |
geschrieben („Il tabarro“ und „Suor Angelica“), und sie alle drei mit | |
großem Prunk an der Met in New York herausgebracht unter dem Sammelnamen | |
„Il trittico“, unter dem sie noch heute einen festen Platz in den | |
Spielplänen der Welt haben. | |
## Singstimmen, über die das Haus nicht verfügt | |
Aber nicht an der Komischen Oper, denn die beiden Anfangsstücke verlangen | |
Singstimmen, über die das Haus an der Behrensstraße nicht verfügt. Nur die | |
dicht komponierte Komödie am Schluss verzichtet auf den typischen | |
Puccini-Sound und verlangt stattdessen genau das, was das Ensemble hier am | |
besten kann: flexibles, gestisches Singen, für das die genaue Artikulation | |
der Musik wichtiger ist als der große Effekt an der Rampe. | |
Tatsächlich verlässt sich Bieito ganz darauf und sperrt die 16 Rollen in | |
ein Wohnzimmer, das die Bühne künstlich verkleinert. Wir blicken in eine | |
schrecklich tapezierte, mit Möbeln voll gestopfte Welt katholischer | |
Kleinbürger. Es geht zu wie in einer Vorabendserie, laut und schrill, | |
seltsam ist nur, dass trotzdem niemand lacht - zumindest nicht in der | |
Premiere. | |
Am Fernsehrealismus kann es nicht liegen, und auch nicht daran, dass im | |
Tumult der Erbschleicher Puccins überaus subtiler Orchestersatz | |
gelegentlich untergeht. So drastisch die Geschichte um die Korrektur eines | |
allzu frommen Testaments erzählt ist, man spürt, dass es darum nicht geht. | |
Puccini ist nur der Platzhalter. | |
## Am Ende bleibt das Liebespaar übrig | |
Wie in jeder guten Komödie bleibt am Ende ein Liebespaar übrig. Jetzt aber | |
wird ohne Pause weitergespielt. Möglich ist das, weil das Wohnzimmer der | |
Bühnenbildnerin Rebecca Ringst in fahrbare Segmente auseinander brechen | |
kann. Das Mittelstück mit dem Totenbett rückt nach hinten und ein neues | |
Liebespaar kommt herein. Gidon Sacks ist ein düster geschminkter | |
Edelgauner, Ausrine Stundyte gibt eine verliebte Sekretärin dazu. | |
Beide sind als Gäste verpflichtet worden. Wer sich mit ihrem Auftritt | |
jedoch verabschiedet, ist Calixto Bieito. Das Theater gehört jetzt Henrik | |
Nánási. Es ist wunderbar, ihm zuzuhören, wie er mit seinem Orchester und | |
diesen beiden Singstimmen Bartóks Werk nicht nur spielt, sondern von seinen | |
Fundamenten her aufbaut und verstehen lässt. Raue, der Volksmusik | |
entliehene Melodien erzeugen freie Harmonien, eingebettet in | |
Orchesterfarben, die von Strauss und Debussy her kommen mögen, aber weit | |
darüber hinaus weisen. | |
Nur offenbart diese kongeniale musikalische Interpretation auch, dass Béla | |
Balázs, der Librettist, ein Kind seiner Zeit war. Wie zahllose andere | |
Literaten sog auch er Freuds Enthüllungen über unser Triebleben in sich | |
ein, und ließ seinen Männerfantasien freien Lauf. | |
## Der Zaubergarten ist ein Pissoir | |
Bieitos Sache wäre es gewesen, eine zweite Ebene der historischen Distanz | |
einzuziehen. Sie fehlt völlig und so muss die verliebte Sekretärin alles | |
erdulden, was der Chef so in der Hose hat. Bieitos Beitrag dazu ist eine | |
mit der Hand simulierte Erektion. | |
Nein, glücklich ist dieser Blaubart nicht. Der Zaubergarten hinter einer | |
seiner Türen ist ein Pissoir. Tragisch, aber auch geweint hat niemand - | |
zumindest nicht in der Premiere. | |
2 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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