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# taz.de -- Festspiele Bregenz 2019: Vom großen Bohei am Bodensee
> Philipp Stölzl inszeniert „Rigoletto“ als schönes buntes Riesenspektakel
> bei den Bregenzer Festspielen. Gildas Seele entschwebt im Fesselballon.
Bild: An die Dimensionen der Riesenkulisse müssen sich die 7.000 Zuschauerchen…
„Naa“, sagt der nette junge Mann an der Rezeption und zieht dabei das aa
auf diese österreichische Art in die Länge, die gleichzeitig so
liebenswürdig und doch auch ein klein wenig überlegen daherkommt, „naa,
wenn ich zum Pfänder hinaufwandern würde, würde ich an Ihrer Stelle gar
keine Karte kaufen. Das ist alles ausgeschildert.“ Ich hatte ihn nach einer
Wanderkarte gefragt für die Wege auf den Hausberg von Bregenz. Dieser
Wunsch nach einem geografischen Überblick war vielleicht sehr deutsch. In
Österreich kann man sich aber darauf verlassen, dass an jeder Weggabelung
mindestens drei Schilder stehen.
Und so ist es dann auch. Der Fußweg nach oben belohnt immer wieder mit
Aussichtsblicken zurück auf den Bodensee. Ab und zu kündigt ein Rauschen
wie von einem fernen Wind die nächste Vorbeifahrt der großen Seilbahn an.
Die meisten Menschen bezwingen den Pfänder nämlich mithilfe modernster
Beförderungstechnik. Bis zu achtzig Personen können gleichzeitig mit der
Gondel transportiert werden. Dementsprechend gigantisch fallen deren
Stützen aus, die die Strecke markieren.
Die Statiker haben es für sinnvoll gehalten, die großen Stahltürme schief
am Berg aufzustellen, seinem natürlichen Gefälle gehorchend. In der
Seitenansicht sieht das eigenwillig und beängstigend aus.
Als ich ganz oben bin, blickt von unten weit offen der Bodensee zurück.
Zwischen uns liegt diesige Luft, aber selbst aus dieser Entfernung kann ich
gut erkennen, wo ich gestern Abend gewesen bin: Den Rigoletto-Ballon, der
für die diesjährige große Premiere der Bregenzer Festspiele neben der
Seebühne angebracht ist, sieht man wahrscheinlich noch aus dem All. Nein,
Quatsch. Aber die Zuschauertribüne, die 7.000 Personen fasst,
wahrscheinlich schon.
## Mut zum Monumentalen
Auch bei den Festspielen wird nämlich groß gedacht. Zwar findet das
Sommerfestival jedes Jahr statt, doch nur alle zwei Jahre gibt es eine
Premiere auf der Seebühne.
Der Aufwand, der dabei betrieben wird, ist enorm; muss es sein, denn die
Seebühne sprengt schlicht das herkömmliche Opernformat. Für die Regie wurde
diesmal Philipp Stölzl verpflichtet, der sich nicht nur mit
Operninszenierungen einen Namen gemacht hat, sondern zuvor Filme gedreht,
unter anderem für Rammstein gearbeitet und dabei gezeigt hatte, dass er
sich nicht vor dem Monumentalen fürchtet.
Trotzdem konnte man skeptisch werden, wenn man vorab ein wenig im Netz
herumsuchte. Die gut geölte PR-Maschinerie der Festspiele hatte ganze
Arbeit geleistet. YouTube-Beiträge und Vorberichterstattung überschlugen
sich mit Superlativen ob der enormen handwerklichen Leistung, die erbracht
worden war, um Stölzls Bühnenbild-Vision zu verwirklichen.
## Ein bisschen crazy
Tatsächlich ist die Tatsache, dass jetzt ein gigantischer, animierbarer
Kopf, umgeben von zwei riesigen hölzernen Händen, über dem Wasser thront
und auf die Seebühne blickt, das stolze Ergebnis der Arbeit von zig
verschiedenen Gewerken. Etwa 40 Tonnen wiegt der Kopf, sein Transport muss
ein Abenteuer gewesen sein. Neben ihm der Riesenballon, der wirkt wie aus
einem alten Kinderbuch ausgeschnitten. Ein bisschen crazy, das Ganze, und
sehr schön. Noch Minuten vor der Premiere hängt ein Handwerker, am Seil
gesichert, an der Seite des Riesenkopfes und malert herum. Auch das
zweifellos ein Teil der Inszenierung Vorarlberger Handwerkskunst. Die
Festspiele kommen immer auch als Gesamtpaket.
Bei all dem Bohei ist der Erwartungsdruck, der auf einer solchen Produktion
lastet, ebenfalls riesig. Die Befürchtung, dass der Großteil kreativer
Energie in das Funktionieren und Sinnvollmachen der Technik fließt, ist auf
jeden Fall angebracht. Und tatsächlich ist man als Zuschauerchen vor der
Riesenkulisse zunächst lange damit beschäftigt, die Dimensionen zu
verarbeiten.
## „Rigoletto“ im Zirkuskostüm
Stölzl hat Verdis Oper „Rigoletto“ ein Zirkuskostüm verpasst. Die
Blaskapelle, die zu Beginn über den Bühnenaufbau marschiert, und der
harlekineske Conférencier, der von schwindelerregender Höhe oben auf dem
Kopf aus das Stück einleitet, wirken zwischen Holzkopf und -händen wie
winziges Getier. Später gewöhnt man sich an die Proportionen.
Aber erst einmal fasziniert gewaltig, wie der Riesen-Rigoletto lebt. Wie er
den Kopf, Mund und Augen bewegen kann, wie die Hände sich zu vielsagenden
Gesten arrangieren lassen (auch den Stinkefinger kann er zeigen), zu
Mitspielern werden oder zur Nebenbühne. Auch der Boden darunter scheint zu
leben, denn mit dem Zerbrechen von Rigolettos Welt zersplittert auch die
Bühne zu einem prekären Arrangement von Stegen und Plattformen.
Für die Sängerinnen und Sänger ist eine solche Aufführung durchaus mit
Gefahren verbunden und erfordert große körperliche Gewandtheit. Besonders
die Rolle von Rigolettos Tochter Gilda dürfte nicht so leicht zu besetzen
gewesen sein. Oder ist es etwa branchenweit bekannt, dass die Sopranistin
Mélissa Petit so schwindelfrei ist, dass sie in fünfzig Meter Höhe
rittlings auf dem Rand einer Ballongondel nicht nur sitzen, sondern dabei
auch noch glockenrein und sehr verliebt singen kann?
## Fünkchen Übertreibung
Am Premierenabend zeigt sich jedenfalls, dass sie diese Aufgabe mühelos
ausfüllt. Sie dürfte damit aber nicht die Einzige sein, denn alle Rollen
sind mehrfach besetzt; immerhin läuft die Inszenierung zwei Jahre lang.
Auch der Rigoletto (Vladimir Stoyanov) und der leichtfertige Herzog
(Stephen Costello) des Premierenabends zeigen sich ihrem Geschäft
gewachsen, und Costello schafft es, in seine gesungenen Treuebeteuerungen
genau jenes Fünkchen Übertreibung zu legen, das deutlich macht, dass auch
seine besten Absichten zwar für den Moment ehrlich gemeint, aber keineswegs
ernst zu nehmen sind.
Das mit dem Ernstnehmen ist ja generell so eine Sache. Zwar ist „Rigoletto“
eine der „dunkleren“ Opern Verdis, und zweifellos ist die Geschichte des
Hofnarren, der sich der Macht so skrupellos anbiedert, dass er am Ende
seine unschuldige Tochter dafür opfern muss, tragisch. Die Musik aber ist,
bei all ihrer Schönheit oder eben deshalb, so oft und überall gespielt
worden, dass auch sie eben kaum noch ernst zu nehmen ist.
Hier kommt Philipp Stölzl ins Spiel, der sich getraut hat, diesen
„Rigoletto“ so ins Karnevaleske zu steigern, dass damit auch das
Karnevaleske, das gleichsam unnötig Schöne, dieser Musik plötzlich hörbar
wird. Und hinter dem ganzen ästhetischen Overkill wird auf einmal die
Nacktheit des wahren Gefühls zumindest wieder ahnbar. Ja, und wer eher
nicht in der Stimmung ist, das zu ahnen, hat zumindest einen bunten,
richtig gut gesungenen Abend erlebt und viel zu gucken gehabt. Denn, klar:
Es ist halt ein Riesenspektakel.
## Der arme alte Don
Die zweite Premiere der Festspiele, am Folgeabend im Festspielhaus, hat es
dagegen schwer. Jules Massenets „Don Quichotte“ ist musikalisch nicht ohne
Verdienste, aber nur ein kleines Opernlicht gegen Verdis all-time
favourite. Und die Regisseurin Mariame Clément tut dem dramaturgisch
schwachbrüstigen Libretto keinen Gefallen mit ihrer ambitionierten
dekonstruierenden Deutung.
Den armen alten Don herzunehmen für ein szenisches Ausprobieren von
Männlichkeitsbildern mit und ohne Bart, ist sicher keine ganz dumme, aber
eine gewagte Idee. Leider ist sie es nicht wert, nach jedem Akt eine
mehrminütige Umbaupause – in der nicht nur die Bühnenbilder, sondern auch
Kostüme und Frisuren gewechselt werden – hinnehmen zu müssen. Und
dazwischen wird viel zu viel auf der Bühne herumgestanden.
Aber Schwamm drüber, es gibt ja noch mehr zu erleben. Zu den größten
Attraktionen eines Premierenabends bei den Bregenzer Festspielen gehören
ohnehin andere als die Bühnenkostüme, nämlich die vielen großgemusterten,
farbenfrohen und sicherlich sehr teuren Abendroben, in denen die Damen
während der Pause prachtvoll durch die Gegend defilieren, galant am
Ellbogen gehalten von Herren in – fast ausnahmslos – einförmig dunklen
Anzügen. So im Nachhinein scheinen ein paar neue Männlichkeitsbilder da
vielleicht doch kein ganz verkehrter Gedanke zu sein.
21 Jul 2019
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Oper
Rezension
Bregenzer Festspiele
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Filmrezension
Bayreuther Festspiele
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