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# taz.de -- Doku über Diego Maradona: Absturz des menschlichen Gottes
> Der Dokumentarfilm „Diego Maradona“ von Asif Kapadia erzählt von der Ära
> Maradona in Neapel. Himmel und Hölle lagen dort nah beisammen.
Bild: Heute wäre einer wie er im Fußball undenkbar: Diego Maradona läuft ins…
Ausnahmezustand in Neapel. Es ist der 5. Juli 1984, alles strömt zum Stadio
San Paolo. Um die Arena herum hört man Sprechchöre: „Diego, Diego, Diego!“
Inmitten des Tumults: ein kleiner argentinischer Fußballspieler, 23 Jahre,
der begnadetste seiner Zeit. Maradona. Sein Wechsel zum SSC Neapel ist fix,
bei einer Pressekonferenz wird er vorgestellt. „Die ärmste Stadt Italiens
und wohl Europas kauft den teuersten Spieler der Welt“, vermeldet das
Fernsehen. Mit welchem Geld, das will man [1][in der Stadt der Camorra] gar
nicht so genau wissen.
Die Ankunft des fußballerischen Heilands in Neapel, die in der
Eingangssequenz des Dokumentarfilms „Diego Maradona“ abgebildet wird, ist
der Beginn einer rauschhaften Zeit, in mehrfachem Sinne. Knapp sieben Jahre
bleibt Maradona bei den Hellblauen, zunächst äußerst erfolgreich: zwei
Meisterschaften, ein Pokalsieg und ein Uefa-Cup-Erfolg fallen in seine
Zeit. Noch Jahrzehnte später, das weiß jeder, der mal dort war, wird der
Argentinier auf den Straßen der Stadt kultisch verehrt. Überall gibt es
Devotionalien, Flaggen, Murals mit seinem Konterfei. „Dios umano“ steht
unter einem davon geschrieben, in einem Spanisch-Italienisch-Mix.
Menschlicher Gott.
Doch dieser Gott fällt tief in den Hades während seiner Zeit in Neapel. Er
wird kokainabhängig, mauschelt mit der Camorra, eine Dopingprobe in der
Serie A fällt positiv aus. 1991 flieht er vor den Strafbehörden und nach
Hetzkampagnen gegen ihn aus der Stadt.
Ein überaus dankbarer Stoff also, dessen sich Asif Kapadia nun angenommen
hat – der britische Regisseur ist unter anderem mit seinen Dokumentarfilmen
über Ayrton Senna (2010) und Amy Winehouse (2015) bekannt geworden. „Diego
Maradona“ hat er nun aus über 500 Stunden Archivmaterial
zusammengeschnitten: viele TV-Ausschnitte, Interviews mit Trainern,
Weggefährten, Familienmitgliedern, Exfreundinnen.
## Diego gegen Maradona
Die Geschichte Maradonas in Neapel handelt dabei nicht einfach nur von
einem Starfußballer. Genauso erzählt sie vom Nord-Süd-Konflikt in Italien
(Maradona als Rächer des Südens), vom Straßenfußballer aus den Favelas, der
es geschafft hat. Sie erzählt auch von irren Auswüchsen des Starkults
(alles, wirklich alles in Neapel fokussiert sich auf ihn), von der
Verführbarkeit des Einzelnen und von Korruption, vom Geifer des Boulevards.
Nicht zuletzt von einer anderen (Fußball-)Epoche: Maradona ist Rockstar,
Lebemann. Bei der WM 86, als er mit Argentinien Weltmeister wird, gibt es
im Camp seiner Mannschaft fettes Fleisch vom Rost und Rotwein, mit
Maradonas Vater als Grillmeister. Man stelle sich das bei den Ballathleten
und -asketen heute vor.
All dies wird auch unvermeidlich miterzählt, aber zugeschnitten ist der
Film auf eine sehr einfache These. Sie lautet: Es gibt zwei Seiten in Diego
Maradona. Auf der einen Seite „Diego“, den guten Jungen, der die Unschuld
verkörpert. Auf der anderen Seite „Maradona“, den Star, der sich um
Verantwortung nicht schert (einen Sohn aus einer Affäre 1986 erkennt er
erst 2016 an), der schließlich an Drogen fast zugrunde geht. Eine Art
faustische Zuspitzung. Nach und nach übernimmt Maradona das Steuer, von
Diego bleibt nicht mehr viel.
Daher werden spannende Aspekte jener Zeit – wie die unwirklich
erscheinenden Projektionen auf die Figur Maradona, die so nur in Neapel
vonstatten gehen konnten („Selbst die Hunde rennen weg, kommen Neapolitaner
ums Eck“, lautet ein berühmter Schmähgesang von Fans aus dem Norden
gegenüber Napoli-Fans), wie der Fußball als Religionsersatz, wie die
Mediengesellschaft – zwar betrachtet, aber nur als Oberflächenphänomene.
Auch die brisanten Duelle in Maradonas Karriere, wie zum Beispiel das Duell
Argentinien gegen Italien bei der WM 1990, bei der Maradona und sein Team
den Gastgeber rauswerfen, werden eher der Vollständigkeit halber erwähnt.
In Neapel diskutierte man 1990 auf der Straße, ob man für Italien oder
Argentinien/Maradona sein soll.
Der Film erzählt die Ära Maradona in Neapel nach, mehr nicht. Fürs
Nachtprogramm im Ersten wäre das okay, für einen Kino-Dokumentarfilm und
dessen Möglichkeiten ist das zu wenig. Eine Augenweide für jeden Fußballfan
bleiben viele Spielszenen, allerdings nerven auch da die Nachvertonungen
bei Ballberührungen, Fouls, Treffern. Und die eigentlich interessante
Geschichte wäre wohl die Verbindung Neapels mit der Figur Maradona gewesen,
die weltweit solitär ist. Davon aber erzählt der Film wenig bis nichts
Neues.
5 Sep 2019
## LINKS
[1] /Elena-Ferrantes-grandiose-Neapel-Saga/!5490105
## AUTOREN
Jens Uthoff
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