| # taz.de -- Elbphilharmonie feiert den Kaukasus: Aus Versehen doch politisch | |
| > Das Festival „Kaukasus“ in der Elphi spart den Armenier-Genozid aus, | |
| > feiert alte christliche Gesänge und ignoriert die Rolle der orthodoxen | |
| > Kirchen. | |
| Bild: Will den Ruf des Pankisi-Tals aufpolieren: das tschetschenische Aznash-En… | |
| Hamburg taz | Eigentlich wollen sie nur ein harmloses Osterfest | |
| veranstalten, mit liturgischer Musik aus dem Kaukasus. Aber die Macher des | |
| am Mittwoch startenden „Kaukasus“-Festivals in Hamburgs Elbphilharmonie | |
| werden diese Neutralität nicht wahren können. Zu komplex, zu politisch | |
| zerklüftet ist diese Region, zu verflochten sind Nationalismus, Kirche und | |
| Politik. | |
| Ganz so unpolitisch, wie Elbphilharmonie-Programmkoordinatorin Barbara | |
| Lebitsch sagt, ist das Programm dann auch gar nicht. Das fängt damit an, | |
| dass man Ensembles aus Armenien, Georgien und Aserbaidschan einlud, nicht | |
| aber Musiker aus dem russischen Teil des Kaukasus. | |
| Außerdem hat man zwar Kirchenchöre, Orchester und Volksmusik-Ensembles aus | |
| besagten Ländern hergebeten, die teils auch gemeinsam auftreten – doch die | |
| wichtigste Komponente fehlt: ein gemeinsames Konzert der seit Langem | |
| verfeindeten Armenier und Aserbaidschaner. Dabei sind sich – streng „off | |
| the records“ – alle Beteiligten einig, dass Musik eine politische | |
| Aussöhnung gut vorwegnehmen könnte. | |
| Aber das ist wohl nicht gewollt, und so wird der aserbaidschanische | |
| Volksmusik-Sänger Alim Qasimov, Virtuose des hochkomplexen Melodie- und | |
| Intonationssystems „Mugham“, eben allein auftreten. | |
| Das ist schade. Richtig ist aber auch, dass ein Aserbaidschaner, der mit | |
| Armeniern musizierte, Repressalien fürchten müsste. Gut erinnerlich ist | |
| noch der Fall des aserbaidschanischen Autors Akram Aylisli, der vom | |
| gefeierten Helden zum Volksfeind wurde, nachdem er 2012 über ein | |
| anti-armenisches Pogrom in Baku während der Kämpfe um Berg-Karabach | |
| geschrieben hatte. Eine Welle nationalistischen Hasses brach los, Aylisli | |
| wurde von Politikern bedroht und floh schließlich in die Türkei. | |
| ## Es bleiben harmlose Crossovers | |
| So gesehen ist verständlich, dass die Elbphilharmonie dieses Risiko nicht | |
| eingeht. Aber man hat Alim Qasimov nicht einmal gefragt, ob er mit | |
| Armeniern auftreten möchte; vielleicht hätte er es ja riskiert. Und | |
| Lebitschs Argument, Qasimov könne nicht mit Armeniern musizieren, weil die | |
| arabisch geprägte Mugham-Musik Aserbaidschans anderen Gesetzmäßigkeiten | |
| folge, trägt nur bedingt: Hamburgs Hochschule für Musik und Theater hat | |
| jüngst in einem Flüchtlingsprojekt bewiesen, dass dieser Crossover | |
| jedenfalls im Jazz gut gelingt. Vielleicht hätte auch die Elbphilharmonie | |
| für Qasimov einen musikalischen Partner suchen können. | |
| Aber man tat es nicht, und so bleiben einige harmlosere Crossovers, etwa | |
| zwischen dem armenischen Gurdjeff- und dem syrischen Hewar-Ensemble. | |
| Hintergrund dieser – erstmaligen – Kooperation ist, dass etliche Armenier | |
| während des Genozids in Syrien Zuflucht fanden. Heute flüchten Syrer nach | |
| Armenien, und diese wechselseitige Solidarität ist den Musikern Anlass für | |
| ein Erinnerungs- und Dankeskonzert. Diese Kooperation ist politisch | |
| unspektakulär und musikalisch unproblematisch, birgt armenische Volksmusik | |
| doch viele arabische Elemente. | |
| Auch dass der Armenier Ruben Gazarian das – gleichfalls geladene – | |
| georgische Kammerorchester Ingolstadt dirigiert, bedeutet keine Revolution. | |
| Er fühlt sich wohl in seiner Rolle, die Mentalitäten sind ähnlich, die | |
| Völker befreundet. | |
| Mutig war allerdings die Einladung des georgischen Aznash-Ensembles aus dem | |
| tschetschenisch bewohnten Pankisi-Tal. Dieses Tal gilt seit Langem als | |
| Transitstrecke für Drogen- und Waffenhandel. Als der „Islamische Staat“ | |
| dort immer mehr Jugendliche rekrutierte, wehrten sich die Bewohner und | |
| schrieben ans Parlament in Tiflis – mit Erfolg. Seither ist weitgehend | |
| Ruhe. Zusätzlich haben sich Frauen aus der Gegend zusammengeschlossen, um | |
| soziale Projekte aufzubauen und an positive Traditionen zu erinnern. Zu | |
| ihnen zählen die Frauen des Aznash-Ensembles, die uralte Gesänge aufführen. | |
| Die Frauen werden im kleinen Saal der Elbphilharmonie auftreten, und | |
| Bedenken, dass es zu exotistisch werden könnte, hegt Planerin Lebitsch | |
| nicht. „Dieser Saal ist sehr intim; auch in unserer Reihe „Klassik der | |
| Welt“ erleben wir immer wieder, wie schnell zwischen den Musikern und dem | |
| Publikum große Nähe entsteht.“ | |
| ## Sakrale Gesänge jazzig umgedeutet | |
| Diese Nähe wird es beim Konzert des Yerevan State Chamber Choir mit dem | |
| armenischen Pianisten Tigran Hamasyan nicht geben. Dafür ein spannendes | |
| Crossover, wenn der Pianist Sequenzen aus dem liturgischen Chorgesang | |
| aufgreift und jazzig umdeutet. Und der Gesang dieses Chors wie auch der des | |
| gleichfalls geladenen armenischen Geghard-Chors: virtuos, mystisch und | |
| ergreifend. | |
| Darüber dürfe man aber nicht vergessen, sagen Insider, welch restriktiven | |
| Kurs die armenisch-orthodoxe Kirche seit dem Ende der Sowjetunion fahre. | |
| Die Kirche sei inzwischen „korrupt, nationalistisch und schottet sich ab“, | |
| sagt auch Komponist Ulrich Klan. Er hat zum Gedenken an den | |
| Armenier-Genozid das Trio „in der wüste“ geschrieben. | |
| Das Stück wurde nicht zum Kaukasus-Festival geladen, und auch nicht das – | |
| dem Völkermord geltende – Requiem des armenischen Komponisten Tigran | |
| Mansurian. Doch anstatt diese Polit-Abstinenz zu begründen, sagt Lebitsch | |
| nur: „Uns und den teilnehmenden Musikern lag daran, vorrangig Werke von | |
| Komponisten aus den jeweiligen Ländern zu präsentieren.“ | |
| Aber immerhin hat man die georgische Autorin Nino Haratischwili gebeten, | |
| eine Text-Musik-Collage im Stil des traditionellen georgischen Supra-Mahls | |
| zu schaffen, bei der die Zuschauer mit speisen. Sie hat es getan – und das | |
| patriarchiale Ritual feministisch hinterfragt und konsequent aus weiblicher | |
| Perspektive betrachtet. | |
| ## Georgische Autorin kritisiert Rolle der Kirche | |
| In puncto Kirche stehe Georgien im Übrigen nicht besser da als Armenien, | |
| sagt sie: „Auch in Georgien hat die Kirche seit der Perestrojka enorm an | |
| Macht gewonnen. Sie fährt einen totalitären Kurs und ist nicht an | |
| gesellschaftlichem Fortschritt interessiert“, sagt Haratischwili. „Das | |
| sieht man an der Haltung zur Rolle der Frau und an der Verteufelung von | |
| Homosexuellen und Minderheiten.“ | |
| Angesichts dessen ist man überrascht, dass die | |
| Elbphilharmonie-Programmplanerin Lebitsch so unbedarft von den alten | |
| liturgischen Gesängen und Skripten schwärmt, die derzeit wieder ausgegraben | |
| würden. „Da findet eine Wiederbelebung statt, die viel mit der Suche nach | |
| der eigenen Tradition und also auch mit Spiritualität zu tun hat“, sagt | |
| sie. | |
| Nino Haratischwili hält diese Spiritualität für vorgeschoben. „Alle | |
| Politiker, die seit der Unabhängigkeit in Georgien an die Macht kamen – und | |
| ich bezweifel, dass die alle so gläubig sind –, haben die Kirche als | |
| Legitimation benutzt und ihr viele Privilegien zugestanden“, sagt sie. | |
| 26 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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