# taz.de -- Georgisches Mineralwasser Borjomi: Salz, ja, Salz, zärtlich, aber … | |
> Im Kaukasus sprudelt in der Kurstadt Borjomi ein besonderes Mineralwasser | |
> aus dem Boden. Es ist das wichtigste Exportgut Georgiens. | |
Bild: Borjomi, 1910. Rechts im Bild: eine der Heilquellen | |
Landeanflug, Fensterblick: Da tanzen die Vegetationszonen, und das Herz | |
hüpft mit. Wer die georgische Küstenstadt Batumi ansteuert, den grüßen | |
schneebedeckte Berge, Palmen, Schwarzes Meer. An der Gepäckausgabe dann ein | |
Plakat, nein, Banner: „Georgia – Home of Borjomi“. Im Bild bewaldete | |
Vulkane, in so sattem Grün, dass einem selbst hier im Terminal frische | |
Bergluft entgegenschlägt. Im Vordergrund eine Flasche Mineralwasser, Marke | |
Borjomi. Ein Hypnose-Moment, hier wirkt Reklame noch. | |
Bald wird die erste Flasche geöffnet, Borjomi rinnt die Kehle hinunter. Ein | |
leichtes Prickeln, Schwefel überzieht den Gaumen, und Salz, ja, Salz, | |
zärtlich, aber bestimmt. Nach zwei, drei Schlücken kulinarischer | |
Assimilation schmeckt dieses Wasser fantastisch, und die Zähne fühlen sich | |
an wie frisch geputzt, bloß ohne Colgate-Schlick. Die Mineralien aus dieser | |
Flasche müssen jene sein, die Ziegen tagein, tagaus von Steinen lecken. | |
Am nächsten Morgen geht es in einem alten Mercedes Sprinter fünf Stunden | |
ins Landesinnere. Borjomi ist nicht nur Marke, sondern auch Kurort, etwa | |
auf halber Strecke zwischen Batumi und Georgiens Hauptstadt Tbilissi in | |
einem Tal des Kleinen Kaukasus gelegen, 820 Meter über dem Schwarzen Meer. | |
Schon die russischen Zaren und auch Stalin, gebürtiger Georgier, haben dort | |
alle viere von sich gestreckt. Gegenverkehr gibt es keinen, aus den Boxen | |
des Sprinters beteuert ein Sänger zum ungezählten Mal seine Liebe zu | |
Tbilissi oder zu einem Menschen dort, die Waldluft, die durchs | |
Fahrerfenster strömt, wandelt sich auf ihrem langen Weg zur Rückbank in | |
hitzig-schläfrigen Dunst. Unter den Sitzen sammeln sich Wasserflaschen. | |
Unnötig zu sagen, welche. | |
## Die Heilquelle der kranken Kaukasusprinzessin | |
Ankunft in Borjomi. Über die Straße des 9. April geht es den Hang hinauf | |
zum Stadtpark, von manchen auch Mineralwasserpark genannt. Er öffnete 1850, | |
neun Jahre, nachdem Yevgeni Golowin, der Vizekönig des Kaukasus, seine | |
kranke Tochter Katharina hierher brachte. Woran die Prinzessin damals litt, | |
ist unbekannt, nur dass sie von ebenjenem Wasser geheilt wurde, meint man | |
zu wissen, und gab einer der hiesigen Quellen ihren Namen. | |
Ebenfalls 1850 füllte ein Chemiker aus dem hiesigen Militärkrankenhaus | |
1.300 Flaschen davon ab und verkaufte sie in Tbilissi. Neun Stunden | |
brauchte die Kutsche nach Borjomi, dessen Heilquellen im Russischen Reich | |
fortan an Bekanntheit gewannen. Ab 1894 verkürzte die Bahn den Weg immens, | |
und Großfürst Michail Romanow baute eine Fabrik, in der ab 1904 Maschinen | |
das Wasser in mundgeblasene Flaschen abfüllten. | |
Kurz hinterm Parkeingang, unter einer Kuppel aus türkisfarbenem | |
Eisenfachwerk, fließt heute Borjomi aus dem Hahn, all you can drink. Die | |
Menschen hier nennen es „das warme Wasser“ im Vergleich zum „kalten“ aus | |
der Flasche: weniger Sprudel, kein so saurer Geschmack, und abgefüllt wird | |
es schnell fad. Anders als die meisten Quellwasser kühlt Borjomi auf seinem | |
bis zu zehn Kilometer langen Weg zur Erdoberfläche nicht ab, sondern | |
entspringt mit etwa 40 Grad den heute bekannten 57 Quellen. | |
Es geht vorbei an Autoscootern, Trampolinen, Minikart-Strecken, am | |
futuristischem Schiebedach einer schnell ergrauten Schwimmhalle. Ein alter | |
Jahrmarkt, verwunschen und entrückt, als hätte jemand den Märchenpark | |
Ruhpolding an einem kaukasischen Wanderpfad ausgesetzt. Halogenlampen in | |
der Form übergroßer Mineralwasserflaschen klammern sich an Laternenpfähle. | |
In einem Karussell läuft Modern Talkings „Brother Louie“, während es | |
Touristen aus Russland, Iran und den Emiraten kopfüber durch die Luft | |
wirbelt. | |
## Das meistverkaufte Wasser der Sowjetunion | |
Von der Vergnügungsmeile führt ein Feldweg hinauf zu den Bergen. Hinterm | |
Bergrücken ruht die heutige Abfüllfabrik von Borjomi. Nach der | |
Oktoberrevolution zierte Borjomi den Konferenztisch der sowjetischen Eliten | |
– bei Besuchen Winston Churchills war das Wasser Teil des offiziellen | |
Protokolls. In den 80er Jahren war Borjomi mit 400 Millionen abgefüllten | |
Flaschen im Jahr schließlich das meistverkaufte Wasser der Sowjetunion. | |
Dabei ist es nur eines von vielen Salz-Schwefel-Wassern aus der Gegend; in | |
Georgiens Supermarktregalen stehen neben ihm auch Nabeghlavi und Likani. | |
Jenseits der russischen Grenze, nahe der Stadt Mineralnye Vody (sic!), | |
entspringt Essentuki, noch deutlich krasser im Salzgehalt und -geschmack. | |
Doch Borjomi ist das bekannteste Wasser aus dem Kaukasus. In Georgien | |
findet man es überall, und freilich ist es auch dort Geschmackssache. Aber | |
selbst die, die es nicht mögen, kaufen sich morgens nach dem Feiern eine | |
Flasche, um dem Schädelweh vorzubeugen. | |
Bis heute vertreibt die Mutterfirma IDS Borjomi International das | |
Mineralwasser hauptsächlich in Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Nach | |
deren Zusammenbruch brach auch der Absatz von Borjomi ein. Nach mauen | |
Jahren ist Borjomi heute wieder Georgiens wichtigstes Exportprodukt. Der | |
Anteil an den Gesamtausfuhren schwankt, je nach Statistik, zwischen drei | |
und zehn Prozent. Georgien ist damit der sechstgrößte | |
Mineralwasser-Exporteur der Welt, gleich hinter Fiji – und Deutschland, wo | |
man das Verhältnis zur Außenbilanz aber erst ab der dritten Nachkommastelle | |
findet. | |
## Russisches Importverbot | |
Borjomi wird in die Ukraine verkauft, nach Litauen und Kasachstan; 44 | |
Prozent des Exports aber gehen nach Russland. 2006 wurde dort der Import | |
verboten. Laut dem zuständigen Inspektor waren in einigen Flaschen Werte | |
gemessen worden, die nicht dem echten Borjomi entsprachen. Sprich: Es waren | |
womöglich Fälscher am Werk. Das passierte in Zeiten wachsender Spannungen | |
zwischen Russland und Georgien, die 2008 in einen fünf Tage währenden Krieg | |
mündeten. Erst seit 2013 ist Borjomi wieder erhältlich. Egal, ob das Verbot | |
nun politisch motiviert war oder nicht – gelesen wurde es als Symbol. | |
Nach einer Stunde Wandern erreicht man das Bad der Zaren. Körper gleiten | |
ins Borjomi-Wasser und begreifen, dass die im Reiseführer angepriesenen 32 | |
Grad halt nur lauwarm sind. Eine leichte Brise faule Eier flattert durch | |
die Luft. | |
Wieder unten, an der Straße des 9. April, dröhnt Housemusik von der | |
Dachterrasse eines Restaurants. Zum gleichen Beat tanzen die mondänen | |
Studierenden, welche die Arte-Reportagen aus Zentraleuropa nach Tbilissi | |
spülen. Im verwunschenen Borjomi aber überschallt das dumpfe Pochen nur das | |
Zirpen der Grillen. | |
Der Georgien-Hype hat hier noch nicht so wirklich eingecheckt, doch keimt | |
die Hoffnung auf die Wiederkehr des großen Kurtourismus. Ratlos wie | |
verzaubert füllt man noch mal Wasser ab, ersteht zwei warme Fladenbrote und | |
döst im Zug Richtung Hauptstadt. | |
25 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Fabian Stark | |
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