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# taz.de -- Edle Biotropfen aus dem Kaukasus: Geschichtsträchtiger Weinbau
> Wein gehört in Georgien seit Jahrtausenden zur Kultur. Die sieben Winzer
> von „Vino Underground“ setzen auf Tradition und Bio.
Bild: Weinernte in Georgien.
„Alle Geschichten georgischer Männer beginnen mit dem Großvater“, sagt Al…
Baduashvili, ein ernst blickender, hagerer junger Mann. Dann lockert ein
Lächeln die scharf geschnittenen Gesichtszüge auf: „Mein Großvater hatte
seinen eigenen Weinberg. Ich war fünf oder sechs Jahre alt, als er mir das
erste Glas Wein zu trinken gab. Das war ein prägendes Erlebnis für mich.“
Der 24-jährige Georgier arbeitet als Sommelier und Vinologe im renommierten
Weingut Château Mukhrani nordwestlich von Tiflis. Doch Alex’ Erinnerung an
den Großvater ist viel mehr als eine sentimental-liebenswerte Erklärung für
seine Berufswahl.
Wer sich in Georgien beim Thema Wein auf den Großvater beruft, erinnert an
eine Zeit, als noch fast jede Familie selbst Wein produzierte – die Zeit
vor den Sowjets. Wobei man wissen muss, dass der Weinbau in Georgien seit
Jahrtausenden zu den Grundfesten der Kultur zählt.
Alex Baduashvili: „Georgien wurde in seiner Geschichte von vielen Mächten
unterworfen und beherrscht. Nur der Weinbau und die Tradition der
Gastfreundschaft haben es am Leben erhalten. Die Entscheidung, den Umgang
mit Wein zum Beruf zu machen, am besten zusammen mit der Familie oder mit
Freunden Wein anzubauen, ist in Georgien auch immer eine politische
Entscheidung – für unsere authentische Kultur.“
## Wein als Teil der kulturellen Identität
Alex traf diese Entscheidung, als im Kaukasuskrieg 2008 die georgische
Stadt Gori von den Russen bombardiert wurde. „Plötzlich waren der Hass und
die Angst vor den alten Besatzern und den furchtbaren 90er Jahren nach dem
Ende der Sowjetunion wieder da. Ich war Teil einer Gruppe junger Leute, die
dagegen aktiv werden und eine wichtige Rolle in der georgischen
Gesellschaft spielen wollten.“
Der Weinbau als Mittel der Rückbesinnung auf die besondere kulturelle
Identität ist in Georgien überall präsent. Ausgrabungen deuten auf eine
rund 8.000-jährige Geschichte der Kultivierung von Weinreben hin.
## Neuanfang zur Jahrtausendwende
Bis zur Oktoberrevolution war Georgien auch für die hohe Qualität seiner
Weine berühmt. Doch nach der Zwangsintegration des Landes in die UdSSR
wurden die legendären Weinkeller der großen Güter zerstört und an deren
Stelle Fabriken für schlichte Süßweine und Billigsekte errichtet, um
schnell und einfach für den Massengeschmack in den Sowjetrepubliken
produzieren zu können. Erst Anfang der 2000er Jahre begann der
Wiederaufbau.
Den Anfang machte die heute 160 Hektar große „Corporation Kindzmarauli“ aus
dem größten georgischen Anbaugebiet Kachetien. Doch mit der
Wiederbepflanzung geschichtsträchtiger Lagen und moderner,
qualitätsorientierter Produktion ist es für die neue kulturelle Avantgarde
Georgiens nicht getan. Deren Forderung nach „authentischen Anbaumethoden“
formuliert eine Gruppe von sieben jungen bis mittelalten Winzern namens
„Vino Underground“, die im Zentrum von Tiflis kooperativ ein gleichnamiges
Weinlokal betreibt.
Alle sieben Winzer haben sich einer Art „Superbio“-Auffassung von Weinbau
verschrieben, die sämtliche europäischen Bioweinbauregeln befolgt, aber
zusätzlich radikalisiert. Die meisten Mitglieder von Vino Underground sind
Intellektuelle, die für die Weinkultur akademische Berufe aufgaben. Malkhaz
Jachelli (56) war Informatiker, Ramaz Nekoladze (40) Ingenieur, Soliko
Tsaishvili (53) Literaturwissenschaftler an der Universität Tiflis, bevor
er über den Kontakt zur italienischen Slow-Food-Bewegung zum
professionellen Weinbau fand.
## Naturwein auch für den Export
Die Gruppe wirbt für „Naturwein“, wie er vor der Sowjetzeit in sogenannten
Quevris hergestellt wurde: Tongefäßen von maximal 3.000 Liter Inhalt, die
bis an ihre kreisrunde Öffnung in der Erde eingegraben werden. In den
Quevris reifen viele Weine zum Teil jahrelang, genauso, wie es schon in der
Antike üblich war. So kommen oft kräftige, taninorientierte Rotweine mit
zum Teil ungewöhnlichen Aromen zustande oder naturtrübe, säurearme
Weißweine mit floralen Bouquets und rotweinartigem Körper – wie sie außer
in Georgien sonst nirgendwo entstehen.
Verkauft werden die traditionell hergestellten Weine, die als besonders
reich an antioxidativen Stoffen gelten, außer in einheimischen Lokalen vor
allem in Japan, Norwegen, Italien und Kanada – und in hippen Szenetreffs
westlicher Metropolen.
„Überall, wo sich ökologisches Bewusstsein mit hohem Einkommen trifft,
entsteht eine Szene für Naturwein“, freut sich
Vino-Underground-Vorzeigewinzer John Wurdeman (39). Der deutschstämmige
Maler, in New Mexiko geboren, ist mit einer georgischen Musikerin
verheiratet und führt seit 2006 in dem idyllisch gelegenen ostgeorgischen
Ort Sighnaghi unter dem Namen Pheasant’s Tears ein Weingut mit Restaurant
und Musikschule.
## Unterstützung von Frauen
Weinfachfrau Dariko Gogol unterstützt die engagierte Gruppe. Die in
Deutschland ausgebildete frühere Politologin verweist auf die Bedeutung der
Frauen, vor allem auch in materieller Hinsicht: „Malkhaz Jachellis Ehefrau
ist Küchenchefin in einem Restaurant in New York, Solikos Frau
Kunstprofessorin in Tiflis und die Ehefrau eines anderen Kollegen klinische
Psychologin.
Ohne deren Unterstützung gäbe es das alles nicht.“ In der Deutschen Marita
Riedel unterstützt eine weitere Frau Vino Underground & Co finanziell. Die
Programmdirektorin der Deutschen Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit (GIZ) im Südkaukasus glaubt an den Sinn der Aus- und
Weiterbildung junger Fachleute wie Alex Baduashvili.
Mitentscheidend für die Zukunft der traditionellen Weinbaukultur in
Georgien mag eine dritte Frau sein: Alice Feiring aus New York. Die
Weinkritikerin unter anderem der New York Times und des Wirtschaftsmagazins
Forbes nominierte georgischen Wein als einen „der neun besten Weine und
Spirituosen, die man 2015 versuchen muss.“ Ausdrücklich genannt wurden
Weine von John Wurdeman.
19 Apr 2015
## AUTOREN
Harald Stoffels
## TAGS
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