| # taz.de -- Hintergrund Georgien und Russland: Geostrategisches Tauziehen | |
| > Das Verhältnis der Georgier zu Russland war schon immer konfliktreich. | |
| > Doch auch der Umgang mit den eigenen Minderheiten zeugt nicht nur von | |
| > Toleranz. | |
| Bild: Russische Soldaten in Südossetien. | |
| Das Verhalten der russischen Führung in Bezug auf den Kaukasus war zu | |
| keinem Zeitpunkt unkalkulierbar. Dass sie der militärischen und politischen | |
| Westintegration Georgiens nicht tatenlos zusehen will, hat sie nunmehr | |
| glaubhaft demonstriert. Dass sie selbst keine unkalkulierbaren | |
| Kettenreaktionen wünscht, zeigt sie dadurch, dass sie die Kampfhandlungen | |
| eingestellt hat. | |
| Georgien wurde im frühen 19. Jahrhundert vollständig Russland | |
| angeschlossen, aber es blieb immer etwas Besonderes. Es bewahrte gegen | |
| russische Assimilationsstrategien seine Sprache und Schrift. Als | |
| christliche Nation war es mit dem orthodoxen Russland kompatibel, aber | |
| nicht identisch. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte es | |
| sich zum Italien Russlands beziehungsweise der Sowjetunion - ein | |
| Paradiesgarten der Südfrüchte, des Weins und der lockeren Sitten. Die | |
| Unabhängigkeit Georgiens im Jahr 1991 bedeutete für Russland insofern einen | |
| Einschnitt. | |
| Das Verhältnis zu Russland schwankte bis dahin zwischen Ablehnung und | |
| Vetternfreundschaft. Das änderte sich zum Ende der Sowjetunion gründlich. | |
| Am 9. April 1989 wurde in Tiflis eine Demonstration für die Unabhängigkeit | |
| durch sowjetische Truppen gewaltsam aufgelöst. Zwanzig Personen, | |
| überwiegend junge Frauen, wurden von sowjetischen Soldaten mit Spaten zu | |
| Tode gehackt. Kein Wunder, dass von nun an für die Mehrheit der Georgier | |
| nur die vollständige Unabhängigkeit eine Option war. Die | |
| Unabhängigkeitsbewegung "Runder Tisch/Freies Georgien" siegte in den ersten | |
| freien Wahlen 1991. Sogar die kommunistische Partei des Landes erklärte | |
| ihre Unabhängigkeit von der KPdSU, und die Bilder von Marx, Engels, Lenin | |
| und Gorbatschow wurden aus allen Räumlichkeiten dieser Partei verbannt. | |
| Eine nationale Dissidenz hatte es bereits seit den 1970er-Jahren gegeben. | |
| Nachdem der große Dichter Merab Kostava 1989 bei einem Autounfall ums Leben | |
| gekommen war, übernahm der Anglist Swiad Gamsachurdia, auch er | |
| kampferprobter Dissident, die Führung. Als Regierungschef demonstrierte er | |
| jedoch einen Nachteil nationaler Romantik: Die wirtschaftlichen und | |
| administrativen Strukturen interessierten ihn nicht. Sie entwickelten sich | |
| daher in chaotischer Form. Das Land versank in clanförmig organisierter | |
| Korruption und in der Praxis autoritärer Interessendurchsetzung jenseits | |
| eines staatlichen Gewaltmonopols. Damit hatte das Land in der Folgezeit zu | |
| tun. | |
| Der Respekt für kulturelle und politische Eigenständigkeit erstreckte sich | |
| im unabhängigen Georgien zunächst nicht auf die Minderheiten. Gamsachurdia | |
| verfolgte eine Politik der sprachlichen Assimilation und der Bekehrung zum | |
| georgisch-orthodoxen Christentum. Das stimulierte Sezessionsgelüste. | |
| Die Adscharen, Muslime georgischer Sprache, die im Südwesten des Landes | |
| leben, wurden Ziel einer christlichen Missionskampagne. Als Gegenmaßnahme | |
| unterstützten die Adscharen die ehemalige kommunistische Führung des | |
| Gebiets. Aslan Abaschidse herrschte von nun an in Adscharien mit russischer | |
| Unterstützung als zugleich autokratischer und korrupter Herrscher. Zugleich | |
| wuchs allerdings eine Oppositionsbewegung heran, die sich 2004 durchsetzen | |
| konnte. Sie half dem damals neuen georgischen Präsidenten Saakaschwili, die | |
| Rückkehr Adschariens unter staatliche georgische Hoheit durchzusetzen. | |
| Damals noch hatte sich die georgische Regierung zuvor mit der russischen | |
| verständigt, und die hatte Abaschidse fallen lassen. | |
| Im Falle Südossetiens war die Situation anders. Die Osseten sind historisch | |
| Nachkommen des alten iranischen Reitervolkes der Alanen, die ab dem 13. | |
| Jahrhundert zunehmend ins Hochgebirge abgedrängt worden waren und nördlich | |
| und südlich des Gebirgskamms lebten. Sie waren traditionell überwiegend | |
| orthodoxe Christen. Ihre Anpassung an die russische Kultur war entsprechend | |
| stärker. | |
| Ossetien nördlich des Kaukasus wurde unter Stalin innerhalb Russlands | |
| "autonom", Südossetien innerhalb Georgiens. Mit der Auflösung der | |
| Sowjetunion entstand unter den Osseten das Bestreben einer Vereinigung | |
| beider Teile - sei es in völliger Unabhängigkeit oder innerhalb des | |
| russischen Staates. Noch Gamsachurdia hob daraufhin die ossetische | |
| Autonomie sofort auf. Es kam in der Folgezeit - auch nach Gamsachurdias | |
| Sturz - zu außerordentlich blutigen Kämpfen, die Südossetien de facto zu | |
| einem russischen Protektorat machten. | |
| Die Struktur des Gebiets entsprach ansonsten weitgehend der anderer | |
| kaukasischer Bergregionen: Sie wurde durch Clans dominiert, die immer | |
| wieder auch Züge krimineller Banden aufwiesen oder wie politische Netzwerke | |
| funktionierten. Südossetien lebte in starkem Maße vom kriminellen Transit | |
| aus Georgien in Richtung Russland. Weil Südossetien als abtrünniger und | |
| illegal besetzter Teil des Landes galt, gab es keine Grenzkontrollen. | |
| Abchasien war im Gegensatz dazu größer. In sowjetischer Zeit waren die | |
| Abchasen offizielle Titularnation des Landes. Sie sprechen eine dem | |
| Georgischen nur entfernt verwandte Sprache und sind überwiegend Muslime. | |
| Vor 1989 machten sie etwa 18 Prozent der Bevölkerung aus; etwa 48 Prozent | |
| waren damals Georgier, der Rest Russen, Armenier usw. 1992 besetzte die | |
| georgische Armee das Land, um Sezessionsbestrebungen zu unterdrücken. | |
| Darauf vertrieben die Abchasen in einem etwa einjährigen Krieg mit | |
| russischer Unterstützung die georgischen Truppen; mit ihnen floh die | |
| Mehrheit der georgischen Bevölkerung. Auch Abchasien wurde de facto | |
| russisches Protektorat. | |
| Anders als im Falle Südossetiens ließe sich durchaus eine wirtschaftliche | |
| Basis für die staatliche Unabhängigkeit denken. Abchasien hat nicht nur die | |
| fruchtbaren Böden und ein mildes Klima, sondern auch die Strände, die | |
| begehrtes sowjetisches Feriengebiet waren. | |
| Politisch hatte Georgien wenig Glück mit seinem Führungspersonal. Die | |
| ausdrückliche Intention, ein demokratisches und rechtsstaatliches | |
| Gemeinwesen zu schaffen, ist bisher nicht realisiert worden. Auch in | |
| Georgien regierten und regieren Netzwerke, die jenseits eines geordneten | |
| staatlichen Gewaltmonopols operieren. Der im Januar 1991 erste frei | |
| gewählte Präsident Georgiens, Swiad Gamsachurdia, wurde im Januar 1992 | |
| durch einen Putsch gestürzt. | |
| Die Putschisten inthronisierten den ehemaligen sowjetischen Außenminister | |
| Eduard Schewardnadse, der außenpolitisch geschickt und innenpolitisch | |
| hilflos agierte. Gamsachurdia versuchte indessen auf verschlungenen Wegen | |
| den Guerillakrieg. Der Regierung Schewardnadse gelang es im November 1993, | |
| ihn mit russischer Hilfe zu besiegen. Er starb kurze Zeit danach unter | |
| dubiosen Umständen. | |
| Schewardnadse wurde 1995 und 2000 mit großer Mehrheit zum Präsidenten | |
| gewählt. Aber Korruption und Clanwirtschaft ermüdeten offenbar weite Teile | |
| der Bevölkerung. Nach einem Wahlsieg im November 2003 sprach die Opposition | |
| von Wahlfälschung und zwang Schewardnadse in der sogenannten | |
| Rosenrevolution zum Rücktritt. | |
| Michail Saakaschwili war im politischen Leben zunächst als Anhänger | |
| Schewardnadses in immer verantwortlicheren Positionen aufgetaucht. Nun war | |
| er einer der Anführer der Rosenrevolution. 2004 wurde er mit | |
| überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Auch er versprach, die | |
| Korruption zu bekämpfen und die Clanherrschaft aufzulösen. Damit scheiterte | |
| er und löste entsprechende Gegenbewegungen aus, die allerdings sein | |
| Versprechen einer Westintegration und einer Reintegration von Abchasien und | |
| Südossetien unterstützten. Im November 2007 ließ er gegen die Opposition | |
| Truppen vorgehen. Mit dem Versuch der Eroberung Südossetiens hätte er sie | |
| vielleicht versöhnen können. Immerhin wurde Saakaschwili im Januar 2008 mit | |
| absoluter Mehrheit erneut zum Präsidenten gewählt. | |
| Nun hat er sich offenbar verkalkuliert, als er glaubte, Südossetien ähnlich | |
| wie Adscharien in einem Handstreich zurückholen zu können. Wäre es ihm | |
| gelungen, stünde er als kühner Held im Tigerfell da. So aber hat er zur | |
| Stärkung der russischen Position beigetragen. | |
| Die Frage der Westintegration Georgiens ist damit aber keineswegs ad acta | |
| gelegt, auch wenn die Verwundbarkeit des Landes nun unübersehbar ist. Aber | |
| auch die Amerikaner haben nichts gewonnen. Mit Saakaschwili könnten sie | |
| überdies einen aufrichtigen und engagierten Verbündeten verlieren. Zwischen | |
| den USA und Russland geht das geostrategische Tauziehen um Transkaukasien | |
| zwar weiter, aber Russland hat ein Scharmützel gewonnen. Leidtragende sind | |
| wie immer die betroffenen Bevölkerungen. | |
| 13 Aug 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Erhard Stölting | |
| ## TAGS | |
| Wein | |
| Sowjetunion | |
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