# taz.de -- LGBTIQ in Bulgarien: Leben in der Macho-Kultur | |
> Bulgarien übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft. Mit Minderheiten wie | |
> LGBTIQ geht das Land jedoch nicht im Sinne der europäischen Werte um. | |
Bild: 2011 bei der Pride in Sofia | |
SOFIA taz | Wenn die bulgarische Aktivistin Veneta Limberowa an den 10. | |
Juni dieses Jahres zurückdenkt, dann tut sie das mit Genugtuung. An diesem | |
Tag zogen in der Hauptstadt Sofia Vertreter der LGBTIQ-Community durch die | |
Straßen. „3.000 waren da, so viele wie noch nie. Es geht nur langsam voran, | |
aber wir werden immer mehr“, sagt Limberowa, die Vorsitzende der | |
LGBTIQ-Nichtregierungsorganisation Dejstvie (Tat) ist. | |
Bei der ersten Gay Pride 2008 hatte sich gerade einmal ein versprengtes | |
Grüppchen von rund 150 Personen aus der Deckung gewagt. Sie wurden von | |
Hooligans mit Molotowcocktails, Steinen und Flaschen empfangen. In den | |
Folgejahren blieb es ruhig. Da nützten auch Appelle der Bulgarischen | |
Orthodoxen Kirche nichts, die „schändlichen Marschierer“ zum Zeichen des | |
Protestes mit Gegenständen zu bewerfen. | |
Auch im vergangenen Juni verlief die Kundgebung friedlich – zum Ärger der | |
Gruppierung Nationaler Widerstand. Per Videobotschaft hatten die Rechten | |
dazu aufgerufen, mit Besen und Schaufeln zu ihrer Gegenveranstaltung zu | |
erscheinen, um Sofia „von diesem Müll“ zu säubern. | |
Zwar war die Anzahl der Gegendemonstranten überschaubar. Doch das ändert | |
nichts an der Tatsache, dass Homosexuelle in Bulgarien einen schweren Stand | |
haben. Das Balkanland trat 2007 der Europäischen Union bei und übernimmt am | |
1. Januar 2018 zum ersten Mal für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft. | |
## Hasstiraden sind normal | |
Dass die ortansässigen Gottesmänner gegen die „Zerstörer der Familienwerte… | |
zu Felde ziehen, ist nicht verwunderlich. Jedoch finden es offensichtlich | |
auch einige Politiker normal, sich in regelrechten Hasstiraden gegen | |
Schwule und Lesben zu ergehen. So forderte der Chef der Rechtsaußenpartei | |
Volya, Vesselin Mareschki, bei einer Parlamentssitzung am 31. Mai dieses | |
Jahres, dass die Abgeordneten neben wirtschaftlichen doch bitte auch ihre | |
„homosexuellen Interessenkonflikte“ offenlegen sollten. In einem Interview | |
einige Tage später wurde er dann noch deutlicher: Homosexuelle, die | |
Machtpositionen innehätten, versteckten sich und würden so von Leuten | |
abhängig, die Material über ihr Tun besäßen. | |
Die Partei Ataka, Mareschkis Schwester im Geiste und über die Vereinigten | |
Patrioten an der Regierung beteiligt, ging einen Schritt weiter: Die Gay | |
Pride sowie deren Teilnehmer sollten kriminalisiert werden, verlangten die | |
Rechtsextremen. Schließlich ginge es hier um „ein dreckiges Phänomen, das | |
unseren nationalen Traditionen fremd ist und unverfrorene Ausschweifungen, | |
sexuelle Perversionen und moralische Laxheit auf der Straße“ demonstriere. | |
Solche menschenverachtenden Einlassungen fallen bei der Mehrheit der | |
BulgarInnen auf fruchtbaren Boden. Laut einer Umfrage des Sofioter Zentrums | |
Trend von Ende Oktober 2017 wollen knapp über 60 Prozent nicht mit | |
Homosexuellen, die im Volksmund gerne auch mal als „Päderasten“ und | |
„Umgedrehte“ bezeichnet werden, befreundet sein. Fünfzig Prozent wollen | |
nicht mit Schwulen und Lesben im selben Haus wohnen. Die Homo-Ehe stößt bei | |
75 Prozent der Befragten auf Ablehnung. | |
Auf die Ausfälle von Mareschki reagierte neben anderen | |
LGBTIQ-Organisationen auch Dejstvie. „Wir haben einen offenen | |
Beschwerdebrief ans Parlament geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen“, | |
sagt Limberowa. | |
## Kündigung nach Outing | |
Die 39-jährige Juristin ist Mutter einer achtjährigen Tochter und lebt | |
offen lesbisch. Das ist eher die Ausnahme. „Neunzig Prozent outen sich | |
nicht, aus Angst vor Repressalien“, sagt sie. Ihr seien einige Homosexuelle | |
aber auch Transleute bekannt, die nach ihrem Coming-out den Arbeitsplatz | |
verloren hätten. Da in solchen Fällen der wahre Kündigungsgrund nicht | |
mitgeteilt wird, greift hier auch nicht das Antidiskriminierungsgesetz. | |
Seit 2004 in Kraft, verbietet es jedwede Benachteiligung auch aufgrund | |
sexueller Orientierung. | |
Mit ihrer Organisation Dejstvie, die sich derzeit auch am Aufbau von | |
Initiativgruppen jenseits der größeren Städte versucht, setzt sich | |
Limberowa vor allem für eine familienrechtliche Gleichstellung von | |
LGBTIQ-Menschen ein. Und da gibt es viel Verbesserungsbedarf. Die | |
Verfassung definiert die Ehe als eine Verbindung von Mann und Frau. | |
Folglich ist an ein Pendant zur deutschen Homo-Ehe nicht zu denken. Derzeit | |
ist in Bulgarien die Klage einer Bulgarin gegen die Stadt Sofia anhängig. | |
Die Frau, die ihre bulgarische Freundin in London geheiratet hatte, wollte | |
die Ehe in Sofia registrieren lassen. Das wurde ihr verweigert. | |
Aber es geht nicht nur um die Ehe. Auch sonst fehlt jegliche juristische | |
Regelung für gleichgeschlechtliche Paare, für die es kein Adoptionsrecht | |
gibt. „Das ist besonders für Lesben ein Problem, von denen immer mehr | |
Kinder bekommen“, sagt Limberowa. „Man braucht schon verdammt viel | |
emotionale und finanzielle Energie, um sich da durchzukämpfen.“ | |
Dass LGBTIQ-Menschen in Bulgarien immer wieder auf Hass und Intoleranz | |
treffen, erklärt Limberowa auch mit der Unkenntnis weiter Teile der | |
Gesellschaft. So würden im öffentlichen Diskurs ständig Sex und sexuelle | |
Orientierung miteinander vermischt. Die Vermittlung von Wissen müsste schon | |
in der Schule beginnen. „Aber das ist nicht Teil der Bildungspolitik“, sagt | |
Limberowa, „da ist der Staat blind.“ | |
Diese Blindheit kann auch Gloria Filipowa von der LGBTIQ-Gruppe Bilitis | |
bestätigen. „Der Sexualkundeunterricht an den Schulen besteht in der | |
Ausgabe von Damenbinden. Sex und vor allem homosexueller Sex ist ein Tabu | |
und kommt nicht vor“, sagt sie. Bilitis erhebt regelmäßig Daten an Schulen | |
und Universitäten zum Thema LGBTIQ. Eine Befragung an 260 Schulen in Sofia | |
und Umgebung ergab unlängst, dass nur an zwei Einrichtungen keine | |
Diskriminierung aus sexuellen Gründen stattgefunden hatte. „Drei | |
Lehrerinnen haben erzählt, dass sie das Thema Homosexualität keinesfalls im | |
Unterricht ansprechen wollen, da sie selbst lesbisch sind“, sagt Filipowa. | |
## Wenig Geld für LGBTIQ-Gruppen | |
Bilitis plant jetzt eine etwas größer angelegte Informationskampagne an | |
Schulen. Doch die kostet Geld, das immer schwieriger zu beschaffen ist. | |
„Vor dem Beitritt zur EU bekamen wir leichter Mittel aus Brüssel als | |
heute“, sagt Filipowa. Dabei ist ihre Enttäuschung nicht zu überhören. „… | |
hat es Serbien, das noch in den Beitrittsverhandlungen steckt, besser.“ Ob | |
das auch dem Umstand geschuldet sei, dass das Nachbarland mit Ana Brnabic | |
die erste offen lesbisch lebende Regierungchefin in der Region hat, wisse | |
sie nicht. „Aber“, sagt Filipowa, „für die Aktivisten dort macht das kei… | |
großen Unterschied.“ | |
Unter chronischer Finanzknappheit leidet auch die LGBTIQ-Gruppe Glas | |
(Stimme). Dennoch ist für den Chef, den 33-jährigen Simeon Vasilew, die | |
Einrichtung einer hauptamtlichen Stelle für 2018 eines seiner wichtigsten | |
Ziele. An Arbeit mangelt es nicht. Denn Gesetzeslücken gibt es nicht bei | |
gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. So existiert im Strafrecht bis | |
heute keine Vorschrift, die Verbrechen an LBGT-Menschen aus Hass auch als | |
solche benennt und ahndet. Zwar hatte sich die Regierung 2014 verpflichtet, | |
das zu ändern, doch seitdem ist nichts geschehen. „Wenn ein Homosexueller | |
aus Hass angegriffen oder sogar ermordet wird, weigert sich die Polizei, | |
das so aufzunehmen. Ein unhaltbarer Zustand“, sagt Vasilew. | |
Diese ablehnende Haltung wie überhaupt die Diskriminierung Homosexueller | |
hält er für ein Relikt aus kommunistischen Zeiten, aber nicht nur. „Wir | |
leben hier in einer Machokultur. Alles was anders ist, wird abgelehnt“, | |
sagt er. Am aggressivsten seien junge und mittelalte Heteromänner, denen | |
viele Medien für ihre hasserfüllten Aktionen auch noch eine Plattform | |
böten. Er selbst sei auf Facebook ständig Zielscheibe verbaler | |
Entgleisungen. „Sie schreiben, ich solle doch endlich krepieren, aber das | |
ignoriere ich“, sagt er. | |
Im Januar startet er mit seiner NGO, die mit „Huge“ auch eine Webseite | |
betreibt, ein neues Projekt mit Eltern Homosexueller. Nicht selten würden | |
heranwachsende Männer, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen, einfach | |
aus der Wohnung geworfen. Acht Anmeldungen gebe es bereits, erzählt Vasilew | |
– für ihn ein ermutigendes Zeichen. Genauso wie der Umstand, dass es vor | |
allem junge Leute waren, die an der diesjährigen Gay Pride teilgenommen | |
haben. „Sie sind offener und setzen sich für ihre Rechte ein“, sagt | |
Vasilew. „Das macht mir Hoffnung.“ | |
Für diesen Beitrag recherchierte die Autorin im Rahmen des | |
Journalistenaustauschprogramms „Nahaufnahme“ des Goethe-Instituts. | |
29 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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