# taz.de -- Besuch in einem Buchpavillon in Sofia: Heimatliebe mit Klappfenster | |
> 2018 übernimmt Bulgarien die EU-Ratspräsidentschaft, doch in kleineren | |
> und größeren Nischen blüht der Patriotismus. | |
Bild: Ein kleiner Kiosk in Sofia steht für eine größere Tendenz | |
SOFIA taz | „Da gibt es Zeitungen und Karten, aber so genau weiß ich das | |
nicht“, sagt ein älterer Mann ein wenig ungehalten. Auch andere Passanten | |
schlendern achtlos an dem Pavillion in der Nähe des Nationaltheaters Iwan | |
Wasov im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt Sofia vorbei. | |
Dabei war der grüne Pavillion, der wie eine vergrößerte Littfaßsäule | |
aussieht, am Montag ein prominent plaziertes Thema in den Abendnachrichten | |
des ersten staatlichen Fernsehsenders BNT. Pünktlich zum diesjährigen | |
Feiertag der „Nationalen Wiedergeburt“ Bulgariens am 1. November hat hier | |
eine Minibuchhandlung mit dem Namen „Heimatliebe“ ihr Klappfenster | |
geöffnet. Im Angebot sind Bücher über bulgarische Volkslieder, „Bukwarino�… | |
– eine Art Memory über die 60 wichtigsten Persönlichkeiten der bulgarischen | |
Geschichte sowie ein Band, der 60 Gründe auflistet, „warum wir stolz darauf | |
sein können, Bulgaren zu sein“. | |
Vor allem aber gibt es Werke von Wassil Lewski (1837-1873), Iwan Wasow | |
(1850 -1921) und Christo Botew (1847 – 1876) zu kaufen. Alle drei waren | |
Aktivisten, die im 19. Jahrhundert für die Emanzipation Bulgariens vom | |
Osmanischen Reich kämpften. Oder wie es auch oft heißt: Für die Befreiuung | |
vom „türkischen Joch“. Diese war 1878 vollzogen. | |
Initiator des Buchkiosks ist der ehemalige Journalist und heute noch aktive | |
Geschäftsmann Wasil Wassilew. Er habe den Pavillion, der 1901 der | |
Verkehrspolizei als Unterstand diente, um die erste Sofioter Straßenbahn | |
sicher auf dem Gleis zu halten, auf einer Müllkippe gefunden und | |
restauriert. „Mein Ziel ist es, die Menschen aufzuwecken, damit sie etwas | |
über ihre Geschichte wissen“, sagte der 68jährige in einem Interview mit | |
BNT. Denn nur so könne man seine Zukunft erkennen. Ein Mensch, der seine | |
Geschichte nicht kenne, ja sie verachte, der nicht wisse, was dieses Volk | |
darstelle, könne es auch nicht lieben, führte Wassilew weiter aus. Nach der | |
demokratischen Wende 1989 verdiente er mit dem Import westlicher Zeitungen | |
und Zeitschriften nach Bulgarien einen Teil seines Geldes. | |
Für die Sofioter Journalistin Iva Rudnikowa ist die neue Buchhandlung eine | |
weiterer Versuch, Bulgariens „große“ Vergangenheit herauf zu beschwören. | |
Für sie sei das eine Art kitschiger Fake-Patriotismus. Dieser sei jedoch | |
insofern schädlich, als er die Stimmen im Chor derer, [1][die | |
beispielsweise gegen Toleranz, Flüchtlinge oder die Homo-Ehe seien], weiter | |
verstärke. „So etwas, wie diesen Buchladen, würde ich am ehesten mit einer | |
Kampagne des nationalistischen TV-Senders SKAT vergleichen“, sagt | |
Rudnikowa. | |
Auf SKAT wird regelmässig über die dekadente und verfaulte Europäische | |
Union hergezogen, der Bulgarien seit zehn Jahren angehört. Am 1. Januar | |
2018 übernimmt Sofia für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. Auch | |
das dürfte bei SKAT Stoff für abendfüllende Programme bieten. | |
*** | |
„Kapital“ beteiligt sich am Journalistenaustausch „Nahaufnahme“ des | |
Goethe-Instituts, bei dem Journalisten aus Deutschland und anderen | |
europäischen Ländern für jeweils drei Wochen ihren Arbeitsplatz wechseln. | |
Barbara Oertel von der Berliner Tageszeitung/taz ist im November zu Gast | |
bei „Kapital“. Im Gegenzug arbeitet Svetoslav Todorov im November vier | |
Wochen lang bei der taz in Berlin. Weitere Informationen finden Sie | |
[2][hier]. | |
2 Nov 2017 | |
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[1] /!5445105/ | |
[2] https://www.goethe.de/de/uun/ver/na2.html?wt_sc=nahaufnahme | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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