| # taz.de -- Künstlerresidenzen in Hoxha-Villa: Die Badezimmerkacheln des Dikta… | |
| > Die Villa von Enver Hoxha blieb in Albanien lange verschlossen. Doch 40 | |
| > Jahre nach dessen Tod werden nun Künstler in die Residenz einziehen. | |
| Bild: Der Architekturfotograf Philipp Funke konnte 2019 in der Villa fotografie… | |
| Wie gelingt die Erinnerung an einen Diktator? Aktuell wird die Frage in | |
| Tirana diskutiert, wo kurz vor dem 40. Todestag von Enver Hoxha am 11. | |
| April die Residenz von ihm und seiner Familie eine Nachnutzung erfährt. Die | |
| Vila 31 befindet sich im einst für die Nomenklatura abgeriegelten Stadtteil | |
| Blloku – heute der Partybezirk der albanischen Hauptstadt. Sie blieb nach | |
| dem Sturz des Regimes 1991 jahrzehntelang weitgehend ungenutzt. Aber auch | |
| unangetastet. | |
| Im Jahr 2024 wurde das dreistöckige Gebäude mit einer Wohnfläche von 3.400 | |
| Quadratmetern in Regie der französischen Stiftung Art Explora zu | |
| Künstlerresidenzen umgebaut. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron | |
| hatte das mit Albaniens Premierminister Edi Rama in Tirana vereinbart. Bei | |
| der Eröffnung vor wenigen Wochen schwärmte Frankreichs Botschafterin in | |
| Albanien, Catherine Suard, Tirana habe nun einen festen Platz auf der | |
| Landkarte der Metropolen zeitgenössischer Kultur. 2025 werden 22 | |
| Künstler:innen aus 15 Ländern jeweils drei Monate in der Villa wohnen. | |
| Die Auswahl der Stipendiat:innen hat eine hochkarätige Jury | |
| vorgenommen, zu der auch die beiden Direktoren des Hamburger Bahnhofs in | |
| Berlin, [1][Sam Bardaouil und Till Fellrath] gehörten. Einer der ersten | |
| Künstler, die Mitte Januar einzogen, ist der 1990 in der albanischen | |
| Hafenstadt Durrës geborene und seit 2016 in Bremen lebende Armando | |
| Duçellari (Foto, Video, Trickfilme, Performance). | |
| Dass er unter an die 1.000 Bewerbungen unter jenen ist, die den Zuschlag | |
| bekamen, hat der renommierte Künstler vermutlich auch seiner Tante zu | |
| verdanken: Die nämlich arbeitete von 1973 an fast zwei Jahrzehnte lang als | |
| Servicekraft in der Hoxha-Villa und hatte unter anderem dafür zu sorgen, | |
| dass dort alle gut versorgt waren mit Essen. | |
| ## Paranoider und brutaler Diktator | |
| Jetzt möchte Duçellari auf Spurensuche gehen – und Video-Interviews mit der | |
| Tante anschließend als sein Kunstprojekt präsentieren. Es soll um | |
| Erinnerung und Erinnerungslücken gehen, wie er sagt. Manches habe die Tante | |
| im Rückblick verklärt. Sie, die als junge Frau in die Dienste trat, habe | |
| sich bei den Hoxhas „wie ein Familienmitglied gefühlt“, immer gut | |
| aufgenommen, „für mich ist das komisch zu verstehen“. | |
| Denn er kenne aus Erzählungen ja auch die schlimmen Geschichten: die mit | |
| einem paranoiden und brutalen Diktator in der Hauptrolle, der sein Land in | |
| die Selbstisolation getrieben hatte. Der Bremer lebt nun in der alten | |
| Wohnung von Ilir Hoxha, einem der beiden Söhne von Enver Hoxha. „Es ist | |
| ziemlich hart, jetzt dort zu wohnen. Ich denke sehr viel nach“, sagt | |
| Duçellari. | |
| 1974 hatte die Familie die „Vila 31“ bezogen. Diese war organisiert wie | |
| eine große Wohngemeinschaft, eine, die immer größer wurde. Der Diktator und | |
| seine Frau Nexhmije hatten nach fast 30 Ehejahren nicht nur getrennte | |
| Schlafzimmer, sondern getrennte Wohnungen. Jeweils eigene Räumlichkeiten | |
| gab es auch für Hoxhas unverheiratet gebliebene Schwester und die drei | |
| Kinder mit ihren Familien. 1985 beim Tod Hoxhas, der schon jahrzehntelang | |
| gesundheitlich angeschlagen war, wohnten neun Erwachsene und sieben | |
| Enkelkinder in der Residenz. | |
| „Denken Sie auch zuerst an Opulenz, Pracht und Kitsch?“, fragt der Berliner | |
| Architekturfotograf Philipp Funke im Vorwort zu seinem Bildband „A | |
| Dictator’s Home. Inside Enver Hoxha’s Vila 31“, der im März im Berliner | |
| Revolver-Verlag erschienen ist (Deutsch, Englisch, Albanisch, 180 Seiten, | |
| 42 Euro). Seine Antwort: Um die Villa von Hoxha zu verstehen, wäre es gut, | |
| von solchen Vorstellungen Abstand zu nehmen, „erwarten Sie keinen Prunk“. | |
| Aber der Fotograf sieht durchaus die „Großzügigkeit“ des Hauses. Gemessen | |
| an der „bitteren Armut“ der [2][Bevölkerung Albaniens] und ihren meist | |
| äußerst beengten Wohnungen könne „vom ursprünglich vertretenen Konzept des | |
| allen Privilegien abgeneigten Führers“ nicht die Rede sein, schreibt er. | |
| ## Verschlossen wie zur Zeit der Diktatur | |
| Funke hatte 2019 ausverhandelt, dass er das von der albanischen Regierung | |
| gepflegte Gebäude einschließlich der Inneneinrichtung fotografieren durfte. | |
| Alles stand damals noch an seinem Platz, wie in einem Mausoleum. Regelmäßig | |
| wurde Staub gewischt und gereinigt. Nur ab und an wurde die Villa seit 1991 | |
| genutzt – mal für den Empfang eines norwegischen Geschäftsmanns, mal für | |
| die Unterbringung von Regierungsgästen, später für eine Kunstperformance | |
| und eine Buchausstellung. Meist aber blieb das Gebäude so verschlossen wie | |
| zur Zeit der Diktatur. | |
| Jetzt werden Zeitzeug:innen umso wichtiger: Für Funkes Bildband hat | |
| Christiane Jaenicke die historische Einführung geschrieben – eine Autorin, | |
| die in den 80er Jahren Chefsekretärin in der DDR-Botschaft in Tirana war. | |
| Und schon vor Funke hat die deutsche Fotokünstlerin Jutta Benzenberg die | |
| Vila 31 fotografieren dürfen, die Witwe des albanischen Dissidenten Ardian | |
| Klosi. Eine Auswahl ihrer Fotos wurde im 2022 im Marubi-Nationalmuseum im | |
| nordalbanischen Shkodra ausgestellt. | |
| Denn dass aus der Vila 31 kein Museum wurde, hat einen Preis: Die | |
| Geschichte lässt sich nun vor Ort nur noch eingeschränkt nachvollziehen. | |
| Möbel wurden verrückt oder entfernt, neue Wände eingezogen. Hoxhas | |
| Schlafzimmer ist nicht mehr, dort steht jetzt ein Konferenztisch. Immerhin | |
| andere Dinge blieben: Blaupunkt-Fernseher aus Westdeutschland, eine | |
| Porzellanvase mit dem Roten Rathaus in Ost-Berlin. | |
| Das Pop-Art-Design einer Matratze erinnert an die 70er. Im Flur steht eine | |
| alte italienische Musiktruhe aus der faschistischen Besatzungszeit – mit | |
| Radiostationen wie Königsberg und Memel (Germania). Alles galt 1991 nun | |
| wirklich als Volkseigentum – die Hoxha-Familie durfte bei ihrem Auszug | |
| nichts mitnehmen. | |
| ## Kacheln mit Blümchenmuster | |
| [3][Premier Rama] philosophierte 2019 in einem Guardian-Interview über | |
| Albanien als „das Nordkorea Europas“. Er sprach damals mit Blick auf die | |
| Hoxha-Villa von einen „großen Dilemma“: Es wäre „unangemessen, es in se… | |
| jetzigen Zustand als eine Art Schrein zu belassen“. Aber auch, das Haus | |
| „vollständig zu zerstören“. | |
| Als der Ministerpräsident, selbst Künstler, jetzt zur Eröffnung der | |
| Umwidmung kam, lobte er: „Das Beste, was mit diesem Ort passieren konnte.“ | |
| Und zeigte sich überzeugt, dass sich Enver Hoxha im Grab umdrehen würde, | |
| sähe er sein altes Haus so umgebaut. Beim Rundgang warf Rama auch einen | |
| Blick ins ehemalige persönliche Badezimmer des Diktators. | |
| Die biederen Kacheln mit gelb-weißem Blümchenmuster auf hellgrünem Grund | |
| sind dort noch an der Wand. Doch statt Waschbecken, Bidet und Toilette gibt | |
| es nun eine Küchenzeile. Wo der Diktator einst sein Geschäft verrichtete, | |
| steht eine Kaffeemaschine. Vergangenheitsaufarbeitung, Tirana-Style. | |
| 1 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Matthias Meisner | |
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