# taz.de -- Kolumne Afrobeat: Die Leichen im Keller | |
> Afrikas Konflikte finden zunehmend ohne Öffentlichkeit und Zeugen statt. | |
> Die Milizen interessieren die Medien nicht und denen ist das ganz recht. | |
Bild: Die Gewalt ist allgegenwärtig, doch das Ausland interessiert sich nicht … | |
Der Kongo ist berüchtigt für mysteriöse politische Morde. Patrice Lumumba, | |
der Befreiungsheld und erste Premierminister des Landes nach der | |
Unabhängigkeit von Belgien, wurde am 17. Januar 1961 im Busch von Katanga | |
erschossen; es dauerte vierzig Jahre, bis die Umstände enthüllt wurden. Dag | |
Hammerskjöld, UN-Beauftragter für den Kongo, starb am 18. September 1961 | |
beim Absturz seines Flugzeuges über Sambia; bis heute sind die genauen | |
Umstände des mutmaßlichen Abschusses ungeklärt. Und am 12. März 2017 | |
[1][starben im Busch von Kasai die beiden UN-Ermittler Michael Sharp und | |
Zaida Catalán], die in Kongos jüngstem Kriegsgebiet Berichten über | |
Massengräber nachgehen wollten. Ihre brutal zugerichteten Leichen wurden | |
erst nach Wochen geborgen, die der Schwedin Catalán war geköpft; ob | |
Rebellen oder Soldaten die Morde begingen, wird wohl nie geklärt werden, | |
aber vieles spricht für eine staatliche Mittäterschaft. | |
Unter normalen Umständen würden längst internationale Journalistenteams | |
nach Kasai strömen, um die neueste Krise des Kongo zu untersuchen: eine | |
Million Vertriebene, zweieinhalb Millionen Betroffene, Dutzende mutmaßliche | |
Massengräber, Berichte über Massaker an Zivilisten, brutale Gewalt zwischen | |
Armee und Rebellen sowie zwischen ethnischen Milizen. Aber Milizenkonflikte | |
im Kongo interessieren heutzutage keine TV-Sender und keine internationalen | |
Medien mehr genug, um dafür kostspielige und riskante Recherchen | |
anzuschieben. | |
Erst der Mord an den beiden UN-Experten machte Kasai zu einem international | |
interessanten Thema – jedoch zugleich zu einem No-go-Gebiet, in das man | |
sich als Außenstehender nicht auf eigene Faust begibt, außer man ist | |
lebensmüde. So bleibt Kasai eine Krise ohne Gesicht. | |
In früheren Jahrzehnten waren Rebellen und Milizen in irgendwelchen | |
abgelegenen Gebieten Afrikas heilfroh, wenn sich ein Reporter zu ihnen | |
verirrte und den Rest der Welt von ihrer Existenz berichten konnte. | |
Heutzutage können sich bewaffnete Gruppen überall auf der Welt direkt | |
mitteilen, über Satellitentelefone und soziale Netzwerke. Reporter oder | |
auch internationale Helfer, Experten, UN-Mitarbeiter und andere | |
Außenstehende sind nicht mehr willkommene Kundschafter, sondern potenzielle | |
Störenfriede. Man hält sie fern, man bringt sie um, man nimmt sie als | |
Geisel, um an ihnen Geld zu verdienen. | |
Selbst bei Konflikten, über die es regelmäßig Nachrichten gibt, hat sich | |
die Weltöffentlichkeit daran gewöhnt, nichts wirklich zu wissen. Zu der | |
Islamistenarmee Boko Haram in Nigeria oder al-Qaida in Mali gibt es | |
schlicht keinen Zugang. Von den Milizen, die gerade wieder in weiten | |
Gebieten der Zentralafrikanischen Republik Terror verbreiten, weiß die | |
internationale Öffentlichkeit noch viel weniger, oft nicht einmal die | |
Namen. Ebenso wenig Wissen gibt es über viele Kriegsakteure in Südsudan – | |
oder eben auch darüber, wer genau Kasais Savanne in ein Schlachtfeld | |
verwandelt. | |
## Rassistische Überheblichkeit | |
Das ist auch dann ein Problem, wenn man der zynischen Meinung ist, dass es | |
ziemlich egal ist, wer in Afrika wem aus welchem Grund die Köpfe | |
einschlägt. In Bezug auf Afrika lebt in vielen europäischen Köpfen die | |
vertraute rassistische Überheblichkeit aus der Kolonialzeit weiter, die | |
afrikanische Konflikte als „Stammeskriege“ ohne politische Relevanz | |
einsortiert, also als bedauerliche Manifestationen von kultureller | |
Rückständigkeit, die sich mit zunehmender Entwicklung und Aufklärung quasi | |
von selbst erledigt und daher keine nähere Betrachtung lohnt. Genauere | |
Analyse aber zeigt in allen Fällen: Bürgerkriege sind meistens auch dann, | |
wenn sie lokal begrenzt erscheinen und mit ethnischer Aufhetzung angeheizt | |
werden, Manifestationen von Interessen- und Machtkonflikten, Begleitmusik | |
für politische Rivalitäten auch zuweilen auf nationaler Ebene. | |
Kasai ist eben nicht nur Kongos neueste Bürgerkriegsregion. Es ist der am | |
stärksten von der katholischen Mission geprägte Landesteil, das Herz von | |
Kongos Diamantenindustrie und zugleich Hochburg der größten kongolesischen | |
Oppositionspartei. Es ist Heimatregion des kürzlich verstorbenen, als | |
Urvater der kongolesischen Demokratiebewegung verehrten Oppositionsführers | |
Etienne Tshisekedi, aber auch einiger der wichtigsten Politiker des | |
Kabila-Lagers und vieler einflussreicher Intellektueller. Es liegt | |
strategisch zwischen der Hauptstadt Kinshasa, Kongos politische Bühne, und | |
der Südregion Katanga, Kongos ökonomischer Motor. Wenn sich dort bewaffnete | |
Konflikte genau in dem Moment ausbreiten, in dem sowohl in Katanga als auch | |
in Kinshasa die politischen Konflikte zwischen Kabila-Regierung und | |
Opposition immer weiter eskalieren, hat das mit Sicherheit einen | |
Hintergrund, der über lokale Gegebenheiten hinausgeht, auch wenn diese | |
Gegebenheiten offensichtlich selbst viel Konfliktpotenzial bieten. | |
## Die Akteure kennen | |
Aber einfache Schlüsse dürfen aus solchen Mutmaßungen nicht leichtfertig | |
gezogen werden. Oftmals stellt sich in Kongo, Nigeria und anderen Ländern | |
mit Dauerkriegsregionen heraus, dass lokale Konflikte auch aus dem | |
Staatsapparat heraus geschürt werden, als Mittel zur persönlichen | |
Bereicherung und als Druckmittel für politische Zugeständnisse. Aber wie | |
das funktioniert, ist in jedem Einzelfall anders. Man muss die Biografien | |
und Motivationen der verschiedenen Akteure erforschen, ihr Umfeld und ihre | |
Handlungsmöglichkeiten. | |
Und man muss darauf gefasst sein, dass die Akteure genau diese Art von | |
Forschung gewaltsam verhindern werden. Deswegen ist es auch kein Zufall, | |
wenn Bürgerkriegsgebiete unzugänglich gemacht werden und Morde unaufgeklärt | |
bleiben. Kaum ein Mächtiger im Kongo dürfte wollen, dass Außenstehende die | |
Dynamik des Kasai-Konflikts begreifen und dann eventuell darauf Einfluss | |
nehmen können. Denn dann würde herauskommen, wer alles über Leichen geht. | |
Die Leiche im Keller bleibt im Keller. Aber alle Welt soll wissen, dass es | |
sie gibt, als Abschreckung. Auch dafür stehen Michael Sharp und Zaida | |
Catalán, die beiden getöteten UN-Experten von Kasai. | |
17 Apr 2017 | |
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[1] /Vermisste-UN-Experten-im-Kongo/!5396947 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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