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# taz.de -- Debatte Friedenskonferenz in Mali: Dialog mit Dschihadisten?
> In Mali wird über das gesprochen, was sonst tabu ist: Die Regierung möge
> mit Dschihadführern verhandeln. Das ist ein Signal der Verzweiflung.
Bild: Obwohl in Mali etwa 12.000 Blauhelmsoldaten im Einsatz sind, vergeht kaum…
Der Gedanke, mit Dschihadisten einen Dialog zu suchen, ist für die
westliche Antiterrorpolitik ein Tabu. Nun aber hat in Mali eine landesweite
Friedenskonferenz genau dies gefordert: Die Regierung möge Verhandlungen
mit einheimischen Dschihad-Führern aufnehmen. Der Vorgang wirft viele
Fragen auf. Zunächst: Hat afrikanischer Bürgerwille überhaupt eine Chance,
gehört zu werden, gegen die Phalanx westlicher Sicherheitsstrategen, zu der
in Mali auch die Bundeswehr zählt? Und handelt es sich hier womöglich um
einen Aufschrei der Verzweiflung – um ein Signal, dass der bisherige War on
Terror in Mali gescheitert ist?
Der malische Präsident beeilte sich, zu versichern, Dialog käme nicht
infrage – während gerade Sigmar Gabriel und sein französischer
Außenamtskollege in Bamako weilten. Die Abhängigkeit der malischen
Regierung von westlichen Financiers und deren Unwille, auf die Stimmung der
einheimischen Bevölkerung zu hören: Beides zementiert schon länger die
malische Krise.
Immerhin stand die einwöchige „Konferenz für nationales Einvernehmen“, aus
der die Dialogforderung hervorging, unter Schirmherrschaft der in Mali
stationierten UN-Mission Minusma; der Konvent, repräsentativ besetzt, war
Bestandteil jenes offiziellen Friedensprozesses, den die internationale
Gemeinschaft abzusichern vorgibt. In diesem Prozess wird bisher nur mit
nichtislamistischen Milizen verhandelt, insbesondere mit jenen
Tuareg-Rebellen, deren Vormarsch 2012 Auslöser der malischen Krise war.
Gegenüber den Dschihadisten, obwohl zeitweilig mit den Tuareg verbündet,
hieß die westliche Linie stets: nicht reden, sondern liquidieren.
Schon vor der französischen Intervention von 2013 hatte es einzelne
Versuche gegeben, Islamisten durch traditionelle Formen von Konfliktlösung
einzubinden; in der malischen Kultur hat Mediation und Dialog von jeher
einen hohen Rang. Auch später verlangten einzelne Prominente mehrfach
Verhandlungen, darunter der Vorsitzende des Hohen Islamischen Rats, der von
„unseren Brüdern Dschihadisten“ spricht, aber auch der säkulare Politiker
Tiébilé Dramé, Vorsitzender einer Oppositionspartei und ehemals
Außenminister. Nun kam die Forderung erstmals von einer Versammlung, die
zivilgesellschaftliche, religiöse und politische Kräfte ebenso umfasste
wie traditionelle Autoritäten.
## Wer im Namen des Islam mordet
Ein Zeichen, wie dramatisch die Lage ist. Obwohl in Mali etwa 12.000
Blauhelmsoldaten im Einsatz sind, knapp 1.000 Bundeswehrsoldaten sowie
1.000 französische Spezialkräfte, vergeht kaum ein Tag ohne Anschlag –
meist islamistischer Provenienz. Die Unsicherheit ist durch das gewaltige
Militäraufgebot nicht etwa gesunken, sondern gestiegen – oft sind die
ausländischen Kräfte selbst das Ziel. Ob neueste Observationstechnik,
Drohnen, außergerichtliche Exekutionen oder Infiltration der Bevölkerung –
das westliche Antiterrorarsenal hat sich als wenig wirksam erwiesen. Und
bei zahlreichen Maliern ist die anfänglich freundliche Haltung gegenüber
Franzosen und UN wachsender Feindseligkeit gewichen.
Aus westlicher Sicht markiert die Motivation einer Miliz den Unterschied
zwischen potenziellem Partner und zu liquidierendem Subjekt: Wer im Namen
des Islam mordet, ist ein Feind des Westens. Für Malier ist hingegen eher
die Nationalität entscheidend: Dialog soll es nur mit Maliern geben, ob
Rebell oder Dschihadist, und nicht etwa mit Al-Qaida-Kämpfern algerischer
Herkunft, die gleichfalls in Nordmali aktiv sind.
Ist der Vorschlag naiv? Die Namen der beiden Männer, mit denen das Gespräch
gesucht werden soll, verdeutlichen die Problematik ebenso wie die
Notwendigkeit eines Versuchs. Da ist zuerst Iyad Ag Ghali, die
personifizierte fließende Grenze zwischen Tuareg-Aristokratie, al-Qaida und
organisiertem Sahara-Schmuggel. Iyad, wie er in Mali genannt wird, half in
der Vergangenheit, eine Tuareg-Rebellion zu beenden, war Unterhändler bei
Geiselnahmen und soll in einem Brief vor einigen Monaten selbst Gespräche
vorgeschlagen haben. Kürzlich präsentierte er sich indes in einem Video
triumphierend als Kopf einer neuen Dschihad-Allianz. Die Spinne im Netz –
„ein Unvermeidlicher“, meint der Politiker Tiébilé Dramé: Ein
Friedensprozess, der Iyad ausschließt, könne nicht funktionieren.
## Neue Arena der Gewalt
Der zweite Name, der des Predigers Hamadoun Koufa, führt nach
Zentralmali. Während sich der offizielle Friedensprozess nur mit dem
Norden befasst, ist hier längst eine neue Arena der Gewalt entstanden, mit
einer Bewegung, die irgendwo zwischen Dschihad und sozialer Revolte
anzusiedeln ist. Ihre Akteure sind meist junge Hirten der Peulh-Ethnie, sie
haben die Repräsentanten eines Staates vertrieben, von dem sie sich
vernachlässigt fühlen; Steuereintreiber und Bürgermeister wurden
hingerichtet. Erneut geht es um Marginalisierung, um fehlende Ressourcen,
verbunden mit interethnischen Sensibilitäten – und über allem der Staub der
Armut und die Ungeduld einer jungen Generation, die nicht mehr auf den
mäßigenden Rat der Alten hört.
Armut an sich macht nicht radikal-religiös, aber sie erlaubt es dem
Dschihadismus immer wieder, sich einzukaufen: Für die Platzierung einer
Mine am Weg eines Militärkonvois winken 100 Euro. Was würde geschehen, wenn
morgen alle ausländischen Soldaten abrückten und die eingesparten Millionen
sofort in Infrastruktur für die Bevölkerung investiert würden? Schlechter
als jetzt kann es kaum werden, nur besser. Ohne soziale Gerechtigkeit kein
Frieden.
Die aufgedrängten westlichen Rezepte der letzten fünf Jahre – rascher
Wiederaufbau einer Fassadendemokratie, Installation der UN-Mission – haben
dem Land mehr geschadet als genützt. Das fatal niedrige Niveau hiesiger
Medienberichte über Mali erweckt den Eindruck, die dortige Hitze sei das
größte Problem „unserer Jungs“. Leider ist es schlimmer. Die gesamte
ausländische Militärpräsenz verlängert die Gewalt, die sie bekämpfen soll,
ins Unendliche. Und wer für diesen Einsatz stirbt, stirbt einen sinnlosen
Tod für eine falsche Politik.
26 Apr 2017
## AUTOREN
Charlotte Wiedemann
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