| # taz.de -- Kämpfen für Deutschland: Zu den Waffen, Genossen! | |
| > Kriege überall und die Frage, wer sich in Deutschland im Angriffsfall in | |
| > den Schützengraben legen würde. Unser Autor sagt: Ich! | |
| Bild: Vielleicht auch zum ersten Mal im Schützengraben: eine Ukrainerin spazie… | |
| Das Szenario wurde in Deutschland wahrscheinlich millionenfach | |
| durchexzerziert, spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. | |
| An Kneipentheken, Familientischen und in Zeitungsfeuilletons fragt sich das | |
| Land: Was würdest du tun, was würde ich tun, wenn eines Tages russische | |
| Panzer über Oder und Neiße rollen? | |
| Im persönlichen Gespräch sagten mir viele Freunde und Familienmitglieder: | |
| Sie würden abhauen. Doch nicht kämpfen. Und schon gar nicht für | |
| Deutschland. | |
| Der Autor Ole Nymoen [1][schlug neulich in der Zeit ähnliche Töne an]. Es | |
| gäbe kein einheitliches nationales Interesse, das verteidigt werden kann, | |
| führt Nymoen richtig aus, sondern allem voran verschiedene | |
| Klasseninteressen: „Wenn ich mir nun die Frage stelle, wofür ich zu kämpfen | |
| bereit wäre, dann muss ich ehrlich sein: für fast gar nichts. Und ganz | |
| sicher nicht für ‚mein Land‘, nicht für diesen Staat, und auch nicht für | |
| Europa.“ | |
| [2][Abhauen kommt ja gar nicht infrage], war meine erste Reaktion. Kein | |
| Gedanke, eher ein Reflex. Die Rationalisierungen folgen nach: Der Kampf | |
| gegen eine drohende Besatzung wäre allen voran ein Kampf für jene, die | |
| nicht kämpfen oder fliehen können. Weil sie zu alt oder zu schwach sind, | |
| oder den falschen Pass haben und gar nicht aus Deutschland ausreisen | |
| dürfen. Immer von Solidarität und Idealen sprechen und dann den Zug in die | |
| Schweiz buchen, wenn es ernst wird? Wie könnte ich dann noch in den Spiegel | |
| schauen? | |
| Ob ich an der Waffe „kriegstüchtig“ wäre, wie der Verteidigungsminister | |
| sich das wünscht, weiß ich nicht. Ich habe nicht gedient, bin nie durch den | |
| Schlamm gerobbt und hatte auch noch kein G36-Sturmgewehr in der Hand. Wenn | |
| es hart kommt, könnte ich die Verteidigung auf anderem Wege womöglich | |
| besser unterstützen. Aber verabschieden will ich mich nicht. | |
| ## Für manche Dinge lohnt es sich zu kämpfen | |
| Konfrontiert mit dem Krieg wurde ich bislang eher durch Bücher: Remarque | |
| und Jünger, der Erste Weltkrieg, ein sinnloses Abschlachten. Aber dann war | |
| da jemand wie George Orwell, der 1936 nach Spanien fuhr, sich einer | |
| trotzkistischen Miliz anschloss, um die Republik gegen den Ansturm des | |
| Franco-Faschismus zu verteidigen. | |
| Auch Orwell heroisierte den Krieg nicht, berichtete in „Mein Katalonien“ | |
| von der Langeweile an der Front und von der Gewehrkugel, die ihm den Hals | |
| durchbohrte. Aber ich verstand: Für manche Dinge lohnt es sich zu kämpfen. | |
| Doch wofür genau? Jahrtausende lang schon wurden junge Männer patriotisch | |
| aufgestachelt und dann verheizt. Schon der römische Dichter Horaz schrieb: | |
| Dulce et decorum est pro patria mori – süß und ehrenvoll ist es, fürs | |
| Vaterland zu sterben. Ein Angebot, das ich gern ausschlage. | |
| Doch der Autor und Journalist [3][Artur Weigandt, der in der aktuellen Zeit | |
| inzwischen auf Nymoen geantwortet hat, schrieb auf X] ganz richtig: „Die | |
| Frage, ob man für Deutschland kämpft oder eben nicht, wird sich niemals | |
| stellen. Wenn es dazu kommen sollte, dass Russland eine Invasion startet, | |
| kämpft man nicht für etwas, sondern gegen etwas. Das ist das verbindende | |
| Element, das viele nicht verstehen.“ | |
| ## Anarchisten an der Front | |
| Nehmen wir die Ukraine. Gegen Russland kämpfen dort Nationalisten, die | |
| sagen: My country, right or wrong. Doch seit Tag eins der Großinvasion | |
| stehen auch ukrainische Anarchisten an der Front, organisiert im | |
| Widerstandskomitee. Diese militanten Linken stehen kaum in Verdacht, für | |
| den ukrainischen Staat in seiner jetzigen Verfasstheit zu kämpfen. Trotzdem | |
| ist für sie der [4][Kampf gegen die Invasoren ein Akt der Solidarität] und | |
| notwendig, um morgen die freie Gesellschaft zu schaffen. | |
| Auch die Bundesrepublik ist von einer sozialistischen Utopie weit entfernt. | |
| Und doch gibt es vieles an der Gesellschaft und der Verfassung, das es wert | |
| ist, verteidigt zu werden, etwa die liberalen Grundrechte oder das | |
| Sozialstaatsgebot im Grundgesetz. | |
| Vor allem, wenn die Alternative der reaktionäre russische Mafiakapitalismus | |
| ist, der nicht davor zurückschrecken würde, auch Zeit-Journalisten aus dem | |
| Fenster fallen, queere Menschen in Berlin verhaften und – wenn der Kyjiwer | |
| Vorort Butscha als Beispiel dienen darf – Zivilist:innen in Potsdam | |
| massakrieren zu lassen. | |
| Für manche Menschen gibt es keinen Krieg, der so gerecht wäre, [5][dass sie | |
| sich für die gute Sache durch den Fleischwolf drehen lassen würden]. Die | |
| Frage ist aber, welche Bedingungen für Leute, die wie Nymoen argumentieren | |
| oder eine militärische Verteidigung nicht grundsätzlich ablehnen, erfüllt | |
| sein müssen, um zur Waffe zu greifen. Auch die sozialistische Utopie müsste | |
| sich vielleicht eines Tages im Verteidigungskrieg wehren. | |
| Am Ende sind all die Wohlstandsdebatten um den eigenen Kampfwillen und den | |
| der anderen bequem: Salonpazifisten und Salonbellizistinnen spielen den | |
| Ernstfall aus sicherer Entfernung durch. Gut möglich also, dass einige, die | |
| jetzt mit ihrer Kriegstauglichkeit hausieren gehen, am Ende doch lieber | |
| sichere Häfen suchen, sollten russische Iskander-Raketen in der | |
| Friedrichstraße einschlagen. Ebenso denkbar aber, dass manche, die es sich | |
| niemals vorstellen könnten, eben dann zur Waffe greifen. | |
| 17 Aug 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.zeit.de/2024/32/wehrpflicht-deutschland-kaempfen-junge-menschen… | |
| [2] /Demos-gegen-rechts/!5994547 | |
| [3] https://x.com/ArturWeigandt/status/1816159092802519153 | |
| [4] /Krieg-zwischen-Russland-und-Ukraine/!6027177 | |
| [5] /Kaempfen-fuer-Kurdistan/!5847101 | |
| ## AUTOREN | |
| Leon Holly | |
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