# taz.de -- Wenn morgen Krieg wäre: Wie weit gehst du für Deutschland? | |
> Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine will die Regierung die | |
> Bundeswehr verstärken. Aber sind junge Deutsche überhaupt bereit zu | |
> kämpfen? | |
Bild: Ein Reservist bei einer Schießübung in Nienburg. Ingmar Björn Nolting … | |
Die Bundeswehr braucht Personal – und ist angewiesen auf junge Menschen, | |
die bereit sind, Wehrdienst zu leisten. Mit Beginn der „Zeitenwende“ hat | |
die Bundesregierung angekündigt, das Militär wieder aufzustocken. Konkret | |
will Verteidigungsminister Boris Pistorius die Armee bis 2031 von derzeit | |
181.000 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten vergrößern. 2010, bei der | |
Abschaffung der [1][Wehrpflicht], lag die Truppenstärke bei 250.000. | |
Ab kommendem Jahr soll deshalb ein neues Wehrdienstmodell gelten: Alle | |
18-Jährigen eines Jahrgangs – Männer und Frauen – erhalten einen Fragebog… | |
der Bundeswehr. Darin sollen sie beantworten, ob sie sich einen Dienst bei | |
den deutschen Streitkräften vorstellen können. [2][Für die jungen Männer | |
soll eine Antwort verpflichtend sein, für die jungen Frauen nicht.] | |
Ob so genug Freiwillige den Weg in die Truppe finden? Daran gibt es | |
innerhalb der [3][Bundeswehr] Zweifel. Immerhin Generalinspekteur Carsten | |
Breuer, Deutschlands ranghöchster Soldat, hat sich kürzlich hinter | |
Pistorius’ Modell gestellt und in diesem Zuge gesagt: „Unabhängig davon | |
möchte ich an die jungen Menschen in unserem Land appellieren, sich mit | |
einer Frage auseinanderzusetzen: Bin ich bereit, Deutschland zu | |
verteidigen?“ | |
Doch wie sehen die jungen Menschen das? Wir haben sechs von ihnen gefragt. | |
## Tillmann Clement, 30 Jahre, Wiesbaden, Theologe | |
Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, bei der Bundeswehr zu arbeiten. Aus | |
meiner Zeit bei der Evangelischen Militärseelsorge weiß ich, wie viele | |
zivile Berufe es dort gibt. In einem solchen Job zu arbeiten, würde mich | |
nicht abschrecken. | |
Ich glaube allerdings nicht, dass ich geeignet bin, mich in einen | |
Schützengraben zu legen. Allein schon wegen meines Heuschnupfens. Um eine | |
Verteidigung zu organisieren, sind Befehlsketten enorm wichtig – die | |
Fähigkeit, die eigene Autonomie zurückzustellen und sich im Zweifelsfall zu | |
opfern. Ich bin aber ein sehr nachdenklicher Mensch. Wenn mir jemand | |
befiehlt, als erster über eine Brücke zu rennen, würde ich erst mal darüber | |
diskutieren, ob das die beste Entscheidung ist. In Krisensituationen würde | |
ich wohl vor allem im Weg stehen. | |
Ob ich bereit wäre, auch auf Menschen zu schießen? Da bin ich ambivalent. | |
Einerseits habe ich den Anspruch an mich selbst, im Fall eines | |
Angriffskriegs wehrhaft und widerständig zu sein. Die Art unseres | |
Zusammenlebens – Meinungsfreiheit, die Möglichkeit zu wählen, unsere offene | |
Gesellschaft – ist für mich schützenswert, im Zweifel auch mit | |
Waffengewalt. | |
Es gibt aus meiner Sicht jedoch keinen schuldfreien Krieg. Ein | |
Verteidigungskrieg kann zwar moralisch gerechtfertigt sein. Ich denke | |
aber, dass im Krieg Situationen entstehen, die es nur begrenzt zulassen, | |
nach den eigenen Vorstellungen richtig zu handeln. In solchen Situationen | |
lädt man dann viel Schuld auf sich. Ich stelle mir das sehr belastend vor. | |
Im Extremfall wäre ich dennoch bereit, diese Schuld auf mich zu nehmen. Für | |
die Ideale unserer Demokratie und für Menschen, die sich selbst nicht | |
schützen können. | |
Krieg bedeutet Zerstörung, Trennung, Verwundung und im schlimmsten Fall | |
auch Tod. Krieg ist die größte Katastrophe menschlichen Zusammenlebens. Die | |
Bilder aus der Ukraine haben mir die menschlichen Kosten eines Krieges | |
nochmal besonders deutlich vor Augen geführt. Trotzdem bleibt es für mich | |
eine abstrakte Vorstellung, wie ich mich in einer solchen Extremsituation | |
verhalten würde. Wenn es tatsächlich zu einem Krieg in Deutschland kommt, | |
beeinflussen sicherlich noch andere Faktoren meine Entscheidung, ob ich | |
kämpfe oder gehe. Wie würde ich mich beispielsweise verhalten, wenn meine | |
Ehefrau fliehen wollen würde? | |
Sicherlich gäbe es für mich persönlich bessere Wege, mich an einem | |
Verteidigungskrieg zu beteiligen als den Dienst an der Waffe. Gerade als | |
Theologe könnte ich an anderer Stelle nützlich sein. Zum Beispiel im | |
Lazarett im Gebet mit Verwundeten oder mit einem Gottesdienst den Alltag | |
des Krieges durchbrechen. | |
## Sofie*, 25 Jahre, Hamburg, Studentin und Gruppenführerin in der | |
Heimatschutzkompanie Hamburg | |
Ja, ich bin bereit, mein Vaterland zu verteidigen. Schließlich habe ich | |
einen Eid geleistet. | |
Ich bin eine von denjenigen, die von der personalisierten militärgrünen | |
Werbepostkarte gecatcht wurden, die die Bundeswehr an Jugendliche in | |
Deutschland schickt. Zu dem Zeitpunkt wollte ich in die Entwicklungshilfe | |
und hatte mich mit den Aufgaben der Blauhelmsoldaten beschäftigt. Mich hat | |
die Herausforderung gereizt, mich auch mit der militärischen Seite | |
auseinanderzusetzen. Also bin ich nach dem Abitur und einer Auszeit im | |
Ausland zur Bundeswehr gegangen. Direkt nach dem freiwilligen Wehrdienst | |
ging es für mich bei der Reserve weiter. | |
Ich glaube, meine Reisen haben mich auf diesen Weg gebracht. Ich war immer | |
beeindruckt von den Erlebnissen im Ausland – aber auch immer wieder | |
dankbar, nach Deutschland zurückkommen zu dürfen. Ich bin dankbar, dass | |
Strom und sauberes Trinkwasser Selbstverständlichkeiten sind. Dass wir | |
weniger Mauern und Zäune brauchen und keine Waffe dabeihaben müssen, wenn | |
wir vor die Tür gehen. Ich bin dankbar, dass ich als Frau dieselben Rechte | |
vor dem Gesetz habe. Deshalb finde ich, dass es eine ehrenvolle Aufgabe | |
ist, Deutschland und unsere Grundwerte zu verteidigen. | |
Als ich meinen Wehrdienst begonnen habe, hatten wir noch keinen Krieg in | |
Europa. Leider muss man sich nun damit abfinden, dass es nach wie vor | |
Nationen gibt, die bewaffnete Konflikte suchen, anstatt diplomatisch auf | |
politischer Ebene zu verhandeln. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als | |
uns auch Gedanken über Verteidigung zu machen. | |
Im Ernstfall würde ich als Reservistin vor allem kritische Infrastruktur | |
sichern und Nato-Partner auf dem Weg an die Front unterstützen. In der | |
Heimatschutzkompanie üben wir, wie etwa Krankenhäuser zu sichern sind, wie | |
man Checkpoints aufbaut, wie man Fahrzeuge kontrolliert und so weiter. | |
Neben meinem Studium der Meeresbiologie bin ich dafür manchmal ein | |
verlängertes Wochenende weg, manchmal die ganze Woche. | |
Selten entstehen auch mal Diskussionen, wenn ich die Bundeswehr | |
thematisiere. Als beispielsweise die 100 Milliarden Euro Sondervermögen | |
ausgesprochen wurden, habe ich manch kontroverses Gespräch geführt. Doch | |
wenn ich dann von meiner persönlichen Erfahrung erzähle, bekomme ich meist | |
positives Feedback. Meine Freunde und Familie unterstützen mich komplett | |
und sind eher beeindruckt, dass ich mein Studium an der Uni Hamburg und | |
Reserve unter einen Hut bekomme. | |
Dass ich keine Übung meiner Heimatschutzkompanie verpassen möchte, liegt | |
vor allem an unserem starken Zusammenhalt. Ich schätze es sehr, dass in der | |
Kompanie jeder mit seinen Stärken und Schwächen angenommen wird und wir | |
Teil eines großen Ganzen sind. Auch wenn man privat vielleicht nicht beste | |
Freunde wäre, bedeutet gelebte Kameradschaft, dass wir uns im Notfall immer | |
aufeinander verlassen können. Das finde ich einzigartig in einer Zeit, in | |
der es immer mehr um Selbstverwirklichung und -darstellung geht und die | |
Gemeinschaft oft in den Hintergrund rückt. | |
* Den Verzicht auf Sofies Nachnamen hat die Bundeswehr zur Bedingung dafür | |
gemacht, dass sie der taz den Kontakt vermittelt hat. | |
## Nele Anslinger, 34 Jahre, Göttingen, Bildungsreferentin für | |
Friedenspädagogik | |
Mein „Vaterland“ würde ich allein deswegen nicht verteidigen wollen, weil | |
ich vom Konzept des Nationalstaats nicht überzeugt bin. Viele Probleme, die | |
wir aktuell haben, nicht zuletzt die ständigen Diskussionen um Flucht und | |
Migration, sind zum Teil Resultate dieses Konzepts. Erst auf Grundlage | |
eines Nationalstaats ergibt es Sinn, sich nach außen abzugrenzen, nationale | |
Interessen voranzubringen und Migration zu kriminalisieren. | |
Ich verstehe, dass Menschen das Gebiet, auf dem sie leben, schützen und | |
bewahren wollen. Auch ich habe Angst um meine Lieben. Mich stört jedoch, | |
dass die verteidigungspolitische Debatte entweder mit verengtem Blick | |
geführt wird – oder da, wo sie sich öffnet, rechtspopulistisch vereinnahmt | |
wird. Ich glaube, dass sie so an vielen Leuten vorbeigeht, und finde es | |
gefährlich, wenn diese Leute dann nur bei der AfD und dem BSW fündig | |
werden. Deswegen wünsche ich mir Medien, die ihren Bildungs- und | |
Informationsauftrag wirklich ernst nehmen und umfassender zu diesem Thema | |
berichten als bisher. | |
So fände ich es zum Beispiel gut, wenn mehr über die wissenschaftlichen | |
Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung berichtet wird. Ich | |
will in der Presse mehr lesen zu Zusammenhängen von Klimawandel, Militär | |
und Umweltschutz, zu Gewalt, insbesondere an Frauen in kriegerischen | |
Konflikten, zu mangelnder Stabilität demokratischer Regierungen in | |
Post-Konflikt-Gebieten. | |
Kriege verteidigen nicht die Demokratie, sie höhlen sie aus. Wahlen werden | |
abgesagt, Kriegsrecht wird verhängt, das Menschenrecht auf | |
Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt. Einmal militärisch in einen Krieg | |
eingetreten, haben wir lange über Waffenstillstände und Friedensverträge | |
hinaus mit den Folgen zu tun. | |
Wenn wir anfangen, uns lokal und regional darüber auszutauschen, was und | |
wer uns eigentlich bedroht, welche Betroffenen wir berücksichtigen müssen, | |
wie wir uns vernetzen können und wer welche Kenntnisse mit einbringen kann, | |
dann bin ich sofort dabei. Aber solche Netzwerke entstehen nicht über | |
Nacht. Menschen müssen analog zu militärischer Verteidigung auch in | |
gewaltfreien Widerstandsmethoden trainiert werden, denn auch diese sind | |
nicht frei von Gefahren. | |
Deswegen, und auch durch mein Elternsein, würde ich eher meine Sachen | |
packen, statt zur Waffe zu greifen. Ich möchte meine Kinder schützen und | |
ins Leben begleiten. Kinder großzuziehen ist keine rosige | |
Bilderbuchharmonie, es ist harte körperliche, emotionale und geistige | |
Arbeit. Da schickt man diese Kinder doch nicht bei der erstbesten | |
Gelegenheit an die Front, einfach weil man sich nie ernsthaft mit konkreten | |
Alternativen abseits von „Kämpfen oder Aufgeben“ befasst hat! | |
## Mara Richarz, 24 Jahre, Bonn, Studentin der Rechtswissenschaft | |
Meine Verteidigungsbereitschaft hängt zumindest in der Theorie davon ab, | |
wofür Deutschland im Moment des Krieges steht. Für mich sind vor allem | |
unsere Werte verteidigungswürdig – Demokratie, Freiheit und | |
Gleichberechtigung. Auf keinen Fall würde ich kopflos für ein Land in den | |
Krieg ziehen, das meine Werte nicht oder nicht mehr teilt. Der deutschen | |
Nation allein gegenüber empfinde ich keine Verpflichtung. Deshalb könnte | |
ich mir auch vorstellen, im Kriegsfall für eine europäische Armee tätig zu | |
sein. Hauptsache, es werden die richtigen Werte verteidigt. | |
Ein ebenso wichtiger Grund, mich in der Verteidigung zu engagieren, sind | |
meine Mitmenschen. Besonders nahe fühle ich mich der Gemeinschaft, in der | |
ich aufgewachsen bin: den Menschen im Rheinland. Von einem solchen | |
Gemeinschaftsgefühl lebt auch die Demokratie. Grundsätzlich sinkt meine | |
Einsatzbereitschaft, je weiter das, was ich verteidigen soll, von mir | |
entfernt ist. Damit ich in den Krieg ziehe, müsste er schon wirklich vor | |
meiner Haustür stattfinden. Wenn zum Beispiel ein anderer Natostaat | |
überfallen werden würde, würde ich eher versuchen, aus der Ferne zu | |
unterstützen, als an die Front zu gehen. | |
Ich denke, für die Front wäre ich absolut ungeeignet. Ganz vorne zu stehen | |
und auf andere zu schießen, das würde überhaupt nicht zu mir passen. Mit | |
Waffen kann ich generell wenig anfangen und weiß auch nicht, ob ich | |
wirklich fähig wäre, eine einzusetzen. Im Verteidigungsfall sehe ich mich | |
am ehesten im Bereich Logistik. Die Versorgung sicherzustellen oder | |
Unterkünfte für Menschen zu organisieren – das wäre mein Ding. Ich würde | |
auch versuchen, medizinisch zu helfen, selbst wenn mir dazu die Ausbildung | |
fehlt. | |
In einem militärischen System wie der Bundeswehr zurechtzukommen, würde mir | |
schon sehr schwerfallen. Ich neige zu Diskussionen und hinterfrage alles. | |
Wenn mir ein Befehl überhaupt nicht passt, könnte ich vielleicht gar nicht | |
anders, als darüber zu diskutieren. Allerdings habe ich noch nie | |
Erfahrungen beim Militär gesammelt. Vielleicht wäre ich gerade in der | |
Kriegssituation sehr froh, einfach Ja und Amen sagen zu können und mich den | |
Befehlen zu beugen. | |
Im Allgemeinen bin ich immer für Abrüstung und dafür, die Zahl der Waffen | |
möglichst gering zu halten. Durch den Krieg gegen die Ukraine hat sich | |
meine Haltung in dieser Frage jedoch ein Stück weit verändert. Wenn ein | |
anderer Staat den Krieg beginnt, funktioniert Abrüstung in der Praxis eben | |
nicht. Deshalb finde ich mittlerweile, dass Deutschland | |
verteidigungsfähiger werden muss. In dieser Frage herrscht auch in meinem | |
Freundeskreis eine große Einigkeit. | |
Ich würde gerne von mir denken, dass ich natürlich Deutschland verteidigen | |
würde, um unsere Demokratie zu schützen. Ob ich im Ernstfall aber mutig und | |
selbstlos genug dafür wäre, weiß ich nicht. Zumindest versuchen, irgendwie | |
zu helfen, würde ich auf jeden Fall. Sollte aber ein Krieg geführt werden, | |
mit dem ich absolut nicht einverstanden bin, verlasse ich lieber das Land. | |
Auch wenn ich Kinder hätte, würde ich fliehen, ganz sicher! Ich sähe es als | |
meine Pflicht an, für ihre Sicherheit zu sorgen und möglichst jedes Risiko | |
zu vermeiden. | |
## Sem Swinke, 27 Jahre, Heiligkreuzsteinbach in Hessen, | |
Schwimmbadfachmonteur | |
Ich würde Deutschland in einem Kriegsfall nicht verteidigen. Aber das war | |
nicht immer so. Schon in meiner Kindheit wollte ich zur Bundeswehr, | |
irgendwas mit Waffen machen. Die Vorstellung, das Land zu verteidigen, gar | |
in einem Sonderkommando wie dem KSK zu dienen, fand ich aufregend. Über den | |
politischen Hintergrund und die Sinnhaftigkeit dahinter habe ich mir keine | |
Gedanken gemacht. Also bin ich später zur Bundeswehr gegangen, habe mich | |
für zwei Jahre als Soldat und drei weitere Jahre als Reservist | |
verpflichtet. | |
Regelmäßig gab es Übungen mit anderen Natostaaten. Es wurde immer vom | |
Ernstfall ausgegangen, es wurden Szenarien möglichst realitätsnah | |
nachgestellt. Das Augenmerk lag dabei auf Action. Uns jungen Männern hat es | |
Spaß gemacht, zu schießen, im Dunkeln mit Nachtsichtgeräten rauszugehen, | |
das war alles geil. Ich war da in so einem Film drin, das habe ich richtig | |
gemerkt. Aber die Fragen, warum wir da jetzt mit dem Panzer durch die Heide | |
fahren und was das im Realfall bedeuten würde, die wurden mit der Zeit für | |
mich immer drängender. | |
Ein Aha-Moment war für mich, als eine Einheit aus unserer Kompanie von | |
ihrem Afghanistaneinsatz zurückkam. Man merkte ihnen an, dass die Gefechte | |
dort kein Spaß und auch keine Übung mehr waren. Dazu kamen die Folgen des | |
Abzugs. Die Brunnen und Mädchenschulen, deren Bau die Bundeswehr beschützt | |
hat, gibt es heute nicht mehr. Kein Mädchen hat mehr die Möglichkeit, die | |
Schule zu besuchen. Dafür sind Dutzende Soldaten gestorben? Die Soldaten | |
der Bundeswehr, das sind viele junge Männer und Frauen mit Familien. Jeder | |
tote, verletzte oder traumatisierte Soldat bedeutet ein individuelles | |
Schicksal. Darüber wird wenig gesprochen. | |
Bereut habe ich die Zeit bei der Bundeswehr trotzdem nicht. Der | |
Zusammenhalt unter Kameraden, das war schon echt schön. | |
Meine Erfahrungen bei der Bundeswehr haben bestimmt auch meinen Blick auf | |
den Ukrainekrieg geprägt. Ich sehe dort ein bloßes Abschlachten von | |
Menschenleben. Die Leute, die den Krieg angefangen haben, werden ihn sicher | |
überleben, denn sie sind in Sicherheit. Aber die Soldaten beider Seiten und | |
die Zivilisten sterben, Familien werden zerrissen. Einen bewaffneten Krieg | |
zu führen, erscheint mir so sinnlos, selbst im Verteidigungsfall. | |
Ich würde das Land also nicht verteidigen. Auch, weil ich keine | |
Verantwortung als Deutscher, als Bürger oder als ehemaliger Soldat spüre. | |
Im besten Fall würde ich einen Angriff voraussehen können und mit meiner | |
Familie auswandern. Aus meiner Sicht gibt es kein Gut und Böse – das ist | |
der Feind, der kommt zu uns, und wir sind die Guten und verteidigen uns. In | |
einem Krieg gibt es so viele Interessen, etwa Politiker, die nicht meine | |
Meinung vertreten, mich aber dazu zwingen wollen, mein Leben aufs Spiel | |
setzen. Es ist so dumm in der Zeit, in der wir so weit entwickelt sind, | |
noch immer mit Waffen unsere Interessen zu verteidigen. | |
Eine einzige Ausnahme gibt es, in der ich vielleicht doch zur Waffe greifen | |
würde: Wenn meine Familie irgendwo im Haus säße und der Feind käme. Und | |
andererseits denke ich: Was hat meine Familie davon, wenn ich dann tot bin? | |
Sie können dann stolz sein auf meine heroische Leistung, aber tot bin ich | |
dennoch. | |
## David Scheuing, 35 Jahre, Wendland, Geograf, Friedensaktivist und | |
Redakteur | |
Meine Einstellung hat sich nicht geändert: Ich würde das Land nicht mit der | |
Waffe verteidigen. Meine Haltung ist grundlegend pazifistisch, ich | |
engagiere mich antimilitaristisch, der Dienst an der Waffe ist keine Option | |
und nicht vereinbar mit meinem friedenspolitischen Verständnis. | |
Ich nehme wahr, dass es normaler geworden ist, unkritisch über Krieg, | |
Militär und Rüstung zu sprechen. Auch haben wir meinem Eindruck nach | |
aufgehört, uns als Gesellschaft kritisch mit der Bundeswehr | |
auseinanderzusetzen. Und es wird aktuell viel daran gesetzt, die Bundeswehr | |
wieder attraktiver zu machen. | |
Das Wort der Stunde dafür ist „Kriegstüchtigkeit“. Das ist schon so ein | |
pervers gut gewähltes Wort! Es erinnert die Bevölkerung an „deutsche | |
Tugenden“, das klingt in den Ohren vieler Menschen wohl direkt gut, sie | |
denken gar nicht weiter darüber nach. Wer tüchtig ist, kann ja nicht falsch | |
liegen. Aber was hier mit Tüchtigkeit verbunden ist, das treibt uns immer | |
weiter in eine militaristische Gesellschaft. Eine, in der alle Fragen von | |
Gemeinschaft, Miteinander und Sicherheit von einem militärischen | |
Verteidigungsgedanken aus beantwortet werden. Das ist enorm unfrei. | |
Das zeigt sich mit Blick auf die Bundeswehr für mich auf zwei Weisen: | |
Einerseits in der Verknüpfung der Freiheit mit der moralischen Pflicht, für | |
sie zu kämpfen. Dazu passt das starke Bestreben derzeit, die Wehrpflicht | |
zurückholen zu wollen. Die unfreieste Form einer Betätigung, ein | |
Zwangsdienst, soll der Verteidigung der Freiheit dienen. | |
Ich finde, eine freie Gesellschaft sollte über andere Wege sprechen, | |
Freiheit, Menschenrechte, Gemeinsinn und soziale Institutionen zu schützen | |
und zu erhalten – ohne den Griff zur Waffe. Es wurden bereits gewaltfreie, | |
zivile Alternativen erprobt, wie der Ansatz unbewaffneten Schutzes der | |
Zivilbevölkerung, verkörpert beispielsweise durch die NGO Nonviolent | |
Peaceforce, durch die Revolutionären Nachbarschaftskommittees im Sudan, die | |
auch in Zeiten des Krieges Zivilschutz und Hilfsstrukturen | |
aufrechterhalten, oder auch durch die kolumbianischen Guardias, die mit | |
gewaltfreien Mitteln ihre Lebensweisen gegen die allgegenwärtige Gewalt | |
verteidigen. Methoden der Sozialen Verteidigung und des gewaltfreien | |
Widerstands wie Nichtkooperation, Streiks oder klandestine Vernetzung | |
sollten wir wieder verstärkt diskutieren und Menschenrechtsschutz, ziviler | |
Krisenprävention und Konfliktbearbeitung Priorität einräumen. | |
Zum Zweiten wird unsere Freiheit mit der militärischen Absicherung des | |
Territoriums verknüpft. Für die Verteidigung des eigenen Landes, so heißt | |
es, brauche es dann Waffen mit Abschreckungspotenzial. Sollten wir nicht | |
den Schutz von Menschen und ihrem Lebensrecht vor die Verteidigung eines | |
Territoriums stellen? Als Geograf frage ich mich dabei, inwiefern | |
territoriales Denken unsere soziale Verantwortung untereinander und | |
füreinander einschränkt. | |
Als Pazifist empfinde es daher als unsere Aufgabe zu diskutieren, wie man | |
ein gewaltfreies politisches System und die Verteidigung sozialer | |
Institutionen anders denken kann als in einem kriegerischen System mit | |
Grenzen. Kurzum: Der Verteidigungsbegriff darf nicht dem Militär überlassen | |
werden. | |
30 Sep 2024 | |
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