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# taz.de -- Wenn morgen Krieg wäre: Wie weit gehst du für Deutschland?
> Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine will die Regierung die
> Bundeswehr verstärken. Aber sind junge Deutsche überhaupt bereit zu
> kämpfen?
Bild: Ein Reservist bei einer Schießübung in Nienburg. Ingmar Björn Nolting …
Die Bundeswehr braucht Personal – und ist angewiesen auf junge Menschen,
die bereit sind, Wehrdienst zu leisten. Mit Beginn der „Zeitenwende“ hat
die Bundesregierung angekündigt, das Militär wieder aufzustocken. Konkret
will Verteidigungsminister Boris Pistorius die Armee bis 2031 von derzeit
181.000 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten vergrößern. 2010, bei der
Abschaffung der [1][Wehrpflicht], lag die Truppenstärke bei 250.000.
Ab kommendem Jahr soll deshalb ein neues Wehrdienstmodell gelten: Alle
18-Jährigen eines Jahrgangs – Männer und Frauen – erhalten einen Fragebog…
der Bundeswehr. Darin sollen sie beantworten, ob sie sich einen Dienst bei
den deutschen Streitkräften vorstellen können. [2][Für die jungen Männer
soll eine Antwort verpflichtend sein, für die jungen Frauen nicht.]
Ob so genug Freiwillige den Weg in die Truppe finden? Daran gibt es
innerhalb der [3][Bundeswehr] Zweifel. Immerhin Generalinspekteur Carsten
Breuer, Deutschlands ranghöchster Soldat, hat sich kürzlich hinter
Pistorius’ Modell gestellt und in diesem Zuge gesagt: „Unabhängig davon
möchte ich an die jungen Menschen in unserem Land appellieren, sich mit
einer Frage auseinanderzusetzen: Bin ich bereit, Deutschland zu
verteidigen?“
Doch wie sehen die jungen Menschen das? Wir haben sechs von ihnen gefragt.
## Tillmann Clement, 30 Jahre, Wiesbaden, Theologe
Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, bei der Bundeswehr zu arbeiten. Aus
meiner Zeit bei der Evangelischen Militärseelsorge weiß ich, wie viele
zivile Berufe es dort gibt. In einem solchen Job zu arbeiten, würde mich
nicht abschrecken.
Ich glaube allerdings nicht, dass ich geeignet bin, mich in einen
Schützengraben zu legen. Allein schon wegen meines Heuschnupfens. Um eine
Verteidigung zu organisieren, sind Befehlsketten enorm wichtig – die
Fähigkeit, die eigene Autonomie zurückzustellen und sich im Zweifelsfall zu
opfern. Ich bin aber ein sehr nachdenklicher Mensch. Wenn mir jemand
befiehlt, als erster über eine Brücke zu rennen, würde ich erst mal darüber
diskutieren, ob das die beste Entscheidung ist. In Krisensituationen würde
ich wohl vor allem im Weg stehen.
Ob ich bereit wäre, auch auf Menschen zu schießen? Da bin ich ambivalent.
Einerseits habe ich den Anspruch an mich selbst, im Fall eines
Angriffskriegs wehrhaft und widerständig zu sein. Die Art unseres
Zusammenlebens – Meinungsfreiheit, die Möglichkeit zu wählen, unsere offene
Gesellschaft – ist für mich schützenswert, im Zweifel auch mit
Waffengewalt.
Es gibt aus meiner Sicht jedoch keinen schuldfreien Krieg. Ein
Verteidigungskrieg kann zwar moralisch gerechtfertigt sein. Ich denke
aber, dass im Krieg Situationen entstehen, die es nur begrenzt zulassen,
nach den eigenen Vorstellungen richtig zu handeln. In solchen Situationen
lädt man dann viel Schuld auf sich. Ich stelle mir das sehr belastend vor.
Im Extremfall wäre ich dennoch bereit, diese Schuld auf mich zu nehmen. Für
die Ideale unserer Demokratie und für Menschen, die sich selbst nicht
schützen können.
Krieg bedeutet Zerstörung, Trennung, Verwundung und im schlimmsten Fall
auch Tod. Krieg ist die größte Katastrophe menschlichen Zusammenlebens. Die
Bilder aus der Ukraine haben mir die menschlichen Kosten eines Krieges
nochmal besonders deutlich vor Augen geführt. Trotzdem bleibt es für mich
eine abstrakte Vorstellung, wie ich mich in einer solchen Extremsituation
verhalten würde. Wenn es tatsächlich zu einem Krieg in Deutschland kommt,
beeinflussen sicherlich noch andere Faktoren meine Entscheidung, ob ich
kämpfe oder gehe. Wie würde ich mich beispielsweise verhalten, wenn meine
Ehefrau fliehen wollen würde?
Sicherlich gäbe es für mich persönlich bessere Wege, mich an einem
Verteidigungskrieg zu beteiligen als den Dienst an der Waffe. Gerade als
Theologe könnte ich an anderer Stelle nützlich sein. Zum Beispiel im
Lazarett im Gebet mit Verwundeten oder mit einem Gottesdienst den Alltag
des Krieges durchbrechen.
## Sofie*, 25 Jahre, Hamburg, Studentin und Gruppenführerin in der
Heimatschutzkompanie Hamburg
Ja, ich bin bereit, mein Vaterland zu verteidigen. Schließlich habe ich
einen Eid geleistet.
Ich bin eine von denjenigen, die von der personalisierten militärgrünen
Werbepostkarte gecatcht wurden, die die Bundeswehr an Jugendliche in
Deutschland schickt. Zu dem Zeitpunkt wollte ich in die Entwicklungshilfe
und hatte mich mit den Aufgaben der Blauhelmsoldaten beschäftigt. Mich hat
die Herausforderung gereizt, mich auch mit der militärischen Seite
auseinanderzusetzen. Also bin ich nach dem Abitur und einer Auszeit im
Ausland zur Bundeswehr gegangen. Direkt nach dem freiwilligen Wehrdienst
ging es für mich bei der Reserve weiter.
Ich glaube, meine Reisen haben mich auf diesen Weg gebracht. Ich war immer
beeindruckt von den Erlebnissen im Ausland – aber auch immer wieder
dankbar, nach Deutschland zurückkommen zu dürfen. Ich bin dankbar, dass
Strom und sauberes Trinkwasser Selbstverständlichkeiten sind. Dass wir
weniger Mauern und Zäune brauchen und keine Waffe dabeihaben müssen, wenn
wir vor die Tür gehen. Ich bin dankbar, dass ich als Frau dieselben Rechte
vor dem Gesetz habe. Deshalb finde ich, dass es eine ehrenvolle Aufgabe
ist, Deutschland und unsere Grundwerte zu verteidigen.
Als ich meinen Wehrdienst begonnen habe, hatten wir noch keinen Krieg in
Europa. Leider muss man sich nun damit abfinden, dass es nach wie vor
Nationen gibt, die bewaffnete Konflikte suchen, anstatt diplomatisch auf
politischer Ebene zu verhandeln. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als
uns auch Gedanken über Verteidigung zu machen.
Im Ernstfall würde ich als Reservistin vor allem kritische Infrastruktur
sichern und Nato-Partner auf dem Weg an die Front unterstützen. In der
Heimatschutzkompanie üben wir, wie etwa Krankenhäuser zu sichern sind, wie
man Checkpoints aufbaut, wie man Fahrzeuge kontrolliert und so weiter.
Neben meinem Studium der Meeresbiologie bin ich dafür manchmal ein
verlängertes Wochenende weg, manchmal die ganze Woche.
Selten entstehen auch mal Diskussionen, wenn ich die Bundeswehr
thematisiere. Als beispielsweise die 100 Milliarden Euro Sondervermögen
ausgesprochen wurden, habe ich manch kontroverses Gespräch geführt. Doch
wenn ich dann von meiner persönlichen Erfahrung erzähle, bekomme ich meist
positives Feedback. Meine Freunde und Familie unterstützen mich komplett
und sind eher beeindruckt, dass ich mein Studium an der Uni Hamburg und
Reserve unter einen Hut bekomme.
Dass ich keine Übung meiner Heimatschutzkompanie verpassen möchte, liegt
vor allem an unserem starken Zusammenhalt. Ich schätze es sehr, dass in der
Kompanie jeder mit seinen Stärken und Schwächen angenommen wird und wir
Teil eines großen Ganzen sind. Auch wenn man privat vielleicht nicht beste
Freunde wäre, bedeutet gelebte Kameradschaft, dass wir uns im Notfall immer
aufeinander verlassen können. Das finde ich einzigartig in einer Zeit, in
der es immer mehr um Selbstverwirklichung und -darstellung geht und die
Gemeinschaft oft in den Hintergrund rückt.
* Den Verzicht auf Sofies Nachnamen hat die Bundeswehr zur Bedingung dafür
gemacht, dass sie der taz den Kontakt vermittelt hat.
## Nele Anslinger, 34 Jahre, Göttingen, Bildungsreferentin für
Friedenspädagogik
Mein „Vaterland“ würde ich allein deswegen nicht verteidigen wollen, weil
ich vom Konzept des Nationalstaats nicht überzeugt bin. Viele Probleme, die
wir aktuell haben, nicht zuletzt die ständigen Diskussionen um Flucht und
Migration, sind zum Teil Resultate dieses Konzepts. Erst auf Grundlage
eines Nationalstaats ergibt es Sinn, sich nach außen abzugrenzen, nationale
Interessen voranzubringen und Migration zu kriminalisieren.
Ich verstehe, dass Menschen das Gebiet, auf dem sie leben, schützen und
bewahren wollen. Auch ich habe Angst um meine Lieben. Mich stört jedoch,
dass die verteidigungspolitische Debatte entweder mit verengtem Blick
geführt wird – oder da, wo sie sich öffnet, rechtspopulistisch vereinnahmt
wird. Ich glaube, dass sie so an vielen Leuten vorbeigeht, und finde es
gefährlich, wenn diese Leute dann nur bei der AfD und dem BSW fündig
werden. Deswegen wünsche ich mir Medien, die ihren Bildungs- und
Informationsauftrag wirklich ernst nehmen und umfassender zu diesem Thema
berichten als bisher.
So fände ich es zum Beispiel gut, wenn mehr über die wissenschaftlichen
Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung berichtet wird. Ich
will in der Presse mehr lesen zu Zusammenhängen von Klimawandel, Militär
und Umweltschutz, zu Gewalt, insbesondere an Frauen in kriegerischen
Konflikten, zu mangelnder Stabilität demokratischer Regierungen in
Post-Konflikt-Gebieten.
Kriege verteidigen nicht die Demokratie, sie höhlen sie aus. Wahlen werden
abgesagt, Kriegsrecht wird verhängt, das Menschenrecht auf
Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt. Einmal militärisch in einen Krieg
eingetreten, haben wir lange über Waffenstillstände und Friedensverträge
hinaus mit den Folgen zu tun.
Wenn wir anfangen, uns lokal und regional darüber auszutauschen, was und
wer uns eigentlich bedroht, welche Betroffenen wir berücksichtigen müssen,
wie wir uns vernetzen können und wer welche Kenntnisse mit einbringen kann,
dann bin ich sofort dabei. Aber solche Netzwerke entstehen nicht über
Nacht. Menschen müssen analog zu militärischer Verteidigung auch in
gewaltfreien Widerstandsmethoden trainiert werden, denn auch diese sind
nicht frei von Gefahren.
Deswegen, und auch durch mein Elternsein, würde ich eher meine Sachen
packen, statt zur Waffe zu greifen. Ich möchte meine Kinder schützen und
ins Leben begleiten. Kinder großzuziehen ist keine rosige
Bilderbuchharmonie, es ist harte körperliche, emotionale und geistige
Arbeit. Da schickt man diese Kinder doch nicht bei der erstbesten
Gelegenheit an die Front, einfach weil man sich nie ernsthaft mit konkreten
Alternativen abseits von „Kämpfen oder Aufgeben“ befasst hat!
## Mara Richarz, 24 Jahre, Bonn, Studentin der Rechtswissenschaft
Meine Verteidigungsbereitschaft hängt zumindest in der Theorie davon ab,
wofür Deutschland im Moment des Krieges steht. Für mich sind vor allem
unsere Werte verteidigungswürdig – Demokratie, Freiheit und
Gleichberechtigung. Auf keinen Fall würde ich kopflos für ein Land in den
Krieg ziehen, das meine Werte nicht oder nicht mehr teilt. Der deutschen
Nation allein gegenüber empfinde ich keine Verpflichtung. Deshalb könnte
ich mir auch vorstellen, im Kriegsfall für eine europäische Armee tätig zu
sein. Hauptsache, es werden die richtigen Werte verteidigt.
Ein ebenso wichtiger Grund, mich in der Verteidigung zu engagieren, sind
meine Mitmenschen. Besonders nahe fühle ich mich der Gemeinschaft, in der
ich aufgewachsen bin: den Menschen im Rheinland. Von einem solchen
Gemeinschaftsgefühl lebt auch die Demokratie. Grundsätzlich sinkt meine
Einsatzbereitschaft, je weiter das, was ich verteidigen soll, von mir
entfernt ist. Damit ich in den Krieg ziehe, müsste er schon wirklich vor
meiner Haustür stattfinden. Wenn zum Beispiel ein anderer Natostaat
überfallen werden würde, würde ich eher versuchen, aus der Ferne zu
unterstützen, als an die Front zu gehen.
Ich denke, für die Front wäre ich absolut ungeeignet. Ganz vorne zu stehen
und auf andere zu schießen, das würde überhaupt nicht zu mir passen. Mit
Waffen kann ich generell wenig anfangen und weiß auch nicht, ob ich
wirklich fähig wäre, eine einzusetzen. Im Verteidigungsfall sehe ich mich
am ehesten im Bereich Logistik. Die Versorgung sicherzustellen oder
Unterkünfte für Menschen zu organisieren – das wäre mein Ding. Ich würde
auch versuchen, medizinisch zu helfen, selbst wenn mir dazu die Ausbildung
fehlt.
In einem militärischen System wie der Bundeswehr zurechtzukommen, würde mir
schon sehr schwerfallen. Ich neige zu Diskussionen und hinterfrage alles.
Wenn mir ein Befehl überhaupt nicht passt, könnte ich vielleicht gar nicht
anders, als darüber zu diskutieren. Allerdings habe ich noch nie
Erfahrungen beim Militär gesammelt. Vielleicht wäre ich gerade in der
Kriegssituation sehr froh, einfach Ja und Amen sagen zu können und mich den
Befehlen zu beugen.
Im Allgemeinen bin ich immer für Abrüstung und dafür, die Zahl der Waffen
möglichst gering zu halten. Durch den Krieg gegen die Ukraine hat sich
meine Haltung in dieser Frage jedoch ein Stück weit verändert. Wenn ein
anderer Staat den Krieg beginnt, funktioniert Abrüstung in der Praxis eben
nicht. Deshalb finde ich mittlerweile, dass Deutschland
verteidigungsfähiger werden muss. In dieser Frage herrscht auch in meinem
Freundeskreis eine große Einigkeit.
Ich würde gerne von mir denken, dass ich natürlich Deutschland verteidigen
würde, um unsere Demokratie zu schützen. Ob ich im Ernstfall aber mutig und
selbstlos genug dafür wäre, weiß ich nicht. Zumindest versuchen, irgendwie
zu helfen, würde ich auf jeden Fall. Sollte aber ein Krieg geführt werden,
mit dem ich absolut nicht einverstanden bin, verlasse ich lieber das Land.
Auch wenn ich Kinder hätte, würde ich fliehen, ganz sicher! Ich sähe es als
meine Pflicht an, für ihre Sicherheit zu sorgen und möglichst jedes Risiko
zu vermeiden.
## Sem Swinke, 27 Jahre, Heiligkreuzsteinbach in Hessen,
Schwimmbadfachmonteur
Ich würde Deutschland in einem Kriegsfall nicht verteidigen. Aber das war
nicht immer so. Schon in meiner Kindheit wollte ich zur Bundeswehr,
irgendwas mit Waffen machen. Die Vorstellung, das Land zu verteidigen, gar
in einem Sonderkommando wie dem KSK zu dienen, fand ich aufregend. Über den
politischen Hintergrund und die Sinnhaftigkeit dahinter habe ich mir keine
Gedanken gemacht. Also bin ich später zur Bundeswehr gegangen, habe mich
für zwei Jahre als Soldat und drei weitere Jahre als Reservist
verpflichtet.
Regelmäßig gab es Übungen mit anderen Natostaaten. Es wurde immer vom
Ernstfall ausgegangen, es wurden Szenarien möglichst realitätsnah
nachgestellt. Das Augenmerk lag dabei auf Action. Uns jungen Männern hat es
Spaß gemacht, zu schießen, im Dunkeln mit Nachtsichtgeräten rauszugehen,
das war alles geil. Ich war da in so einem Film drin, das habe ich richtig
gemerkt. Aber die Fragen, warum wir da jetzt mit dem Panzer durch die Heide
fahren und was das im Realfall bedeuten würde, die wurden mit der Zeit für
mich immer drängender.
Ein Aha-Moment war für mich, als eine Einheit aus unserer Kompanie von
ihrem Afghanistaneinsatz zurückkam. Man merkte ihnen an, dass die Gefechte
dort kein Spaß und auch keine Übung mehr waren. Dazu kamen die Folgen des
Abzugs. Die Brunnen und Mädchenschulen, deren Bau die Bundeswehr beschützt
hat, gibt es heute nicht mehr. Kein Mädchen hat mehr die Möglichkeit, die
Schule zu besuchen. Dafür sind Dutzende Soldaten gestorben? Die Soldaten
der Bundeswehr, das sind viele junge Männer und Frauen mit Familien. Jeder
tote, verletzte oder traumatisierte Soldat bedeutet ein individuelles
Schicksal. Darüber wird wenig gesprochen.
Bereut habe ich die Zeit bei der Bundeswehr trotzdem nicht. Der
Zusammenhalt unter Kameraden, das war schon echt schön.
Meine Erfahrungen bei der Bundeswehr haben bestimmt auch meinen Blick auf
den Ukrainekrieg geprägt. Ich sehe dort ein bloßes Abschlachten von
Menschenleben. Die Leute, die den Krieg angefangen haben, werden ihn sicher
überleben, denn sie sind in Sicherheit. Aber die Soldaten beider Seiten und
die Zivilisten sterben, Familien werden zerrissen. Einen bewaffneten Krieg
zu führen, erscheint mir so sinnlos, selbst im Verteidigungsfall.
Ich würde das Land also nicht verteidigen. Auch, weil ich keine
Verantwortung als Deutscher, als Bürger oder als ehemaliger Soldat spüre.
Im besten Fall würde ich einen Angriff voraussehen können und mit meiner
Familie auswandern. Aus meiner Sicht gibt es kein Gut und Böse – das ist
der Feind, der kommt zu uns, und wir sind die Guten und verteidigen uns. In
einem Krieg gibt es so viele Interessen, etwa Politiker, die nicht meine
Meinung vertreten, mich aber dazu zwingen wollen, mein Leben aufs Spiel
setzen. Es ist so dumm in der Zeit, in der wir so weit entwickelt sind,
noch immer mit Waffen unsere Interessen zu verteidigen.
Eine einzige Ausnahme gibt es, in der ich vielleicht doch zur Waffe greifen
würde: Wenn meine Familie irgendwo im Haus säße und der Feind käme. Und
andererseits denke ich: Was hat meine Familie davon, wenn ich dann tot bin?
Sie können dann stolz sein auf meine heroische Leistung, aber tot bin ich
dennoch.
## David Scheuing, 35 Jahre, Wendland, Geograf, Friedensaktivist und
Redakteur
Meine Einstellung hat sich nicht geändert: Ich würde das Land nicht mit der
Waffe verteidigen. Meine Haltung ist grundlegend pazifistisch, ich
engagiere mich antimilitaristisch, der Dienst an der Waffe ist keine Option
und nicht vereinbar mit meinem friedenspolitischen Verständnis.
Ich nehme wahr, dass es normaler geworden ist, unkritisch über Krieg,
Militär und Rüstung zu sprechen. Auch haben wir meinem Eindruck nach
aufgehört, uns als Gesellschaft kritisch mit der Bundeswehr
auseinanderzusetzen. Und es wird aktuell viel daran gesetzt, die Bundeswehr
wieder attraktiver zu machen.
Das Wort der Stunde dafür ist „Kriegstüchtigkeit“. Das ist schon so ein
pervers gut gewähltes Wort! Es erinnert die Bevölkerung an „deutsche
Tugenden“, das klingt in den Ohren vieler Menschen wohl direkt gut, sie
denken gar nicht weiter darüber nach. Wer tüchtig ist, kann ja nicht falsch
liegen. Aber was hier mit Tüchtigkeit verbunden ist, das treibt uns immer
weiter in eine militaristische Gesellschaft. Eine, in der alle Fragen von
Gemeinschaft, Miteinander und Sicherheit von einem militärischen
Verteidigungsgedanken aus beantwortet werden. Das ist enorm unfrei.
Das zeigt sich mit Blick auf die Bundeswehr für mich auf zwei Weisen:
Einerseits in der Verknüpfung der Freiheit mit der moralischen Pflicht, für
sie zu kämpfen. Dazu passt das starke Bestreben derzeit, die Wehrpflicht
zurückholen zu wollen. Die unfreieste Form einer Betätigung, ein
Zwangsdienst, soll der Verteidigung der Freiheit dienen.
Ich finde, eine freie Gesellschaft sollte über andere Wege sprechen,
Freiheit, Menschenrechte, Gemeinsinn und soziale Institutionen zu schützen
und zu erhalten – ohne den Griff zur Waffe. Es wurden bereits gewaltfreie,
zivile Alternativen erprobt, wie der Ansatz unbewaffneten Schutzes der
Zivilbevölkerung, verkörpert beispielsweise durch die NGO Nonviolent
Peaceforce, durch die Revolutionären Nachbarschaftskommittees im Sudan, die
auch in Zeiten des Krieges Zivilschutz und Hilfsstrukturen
aufrechterhalten, oder auch durch die kolumbianischen Guardias, die mit
gewaltfreien Mitteln ihre Lebensweisen gegen die allgegenwärtige Gewalt
verteidigen. Methoden der Sozialen Verteidigung und des gewaltfreien
Widerstands wie Nichtkooperation, Streiks oder klandestine Vernetzung
sollten wir wieder verstärkt diskutieren und Menschenrechtsschutz, ziviler
Krisenprävention und Konfliktbearbeitung Priorität einräumen.
Zum Zweiten wird unsere Freiheit mit der militärischen Absicherung des
Territoriums verknüpft. Für die Verteidigung des eigenen Landes, so heißt
es, brauche es dann Waffen mit Abschreckungspotenzial. Sollten wir nicht
den Schutz von Menschen und ihrem Lebensrecht vor die Verteidigung eines
Territoriums stellen? Als Geograf frage ich mich dabei, inwiefern
territoriales Denken unsere soziale Verantwortung untereinander und
füreinander einschränkt.
Als Pazifist empfinde es daher als unsere Aufgabe zu diskutieren, wie man
ein gewaltfreies politisches System und die Verteidigung sozialer
Institutionen anders denken kann als in einem kriegerischen System mit
Grenzen. Kurzum: Der Verteidigungsbegriff darf nicht dem Militär überlassen
werden.
30 Sep 2024
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Philipp Brandstädter
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