# taz.de -- Entscheidung für das Militär: Als würde es sein Leben retten | |
> Der Sohn einer ukrainischen Freundin geht zur Bundeswehr – und unser | |
> Autor ist darüber zu seiner eigenen Überraschung dankbar. | |
Bild: „Soll er doch zur Bundeswehr gehen. Es kam mir so vor, als würde genau… | |
„Halt durch!“, schreibe ich ihm über einen Messenger. Der Sohn meiner | |
Freundin Natalia ist seit Anfang Januar bei der Bundeswehr und wird, wie es | |
wohl üblich ist in den ersten Wochen, erst mal so richtig getriezt. | |
[1][Spaß macht das sicher nicht]. Später, in der Stammeinheit, werde es | |
schon besser werden, meint er. | |
Ich mache ihm Mut, will unbedingt, dass er dabeibleibt. Die Bundeswehr ist | |
genau das Richtige für ihn, da bin ich mir sicher. Im Sommer haben wir uns | |
lange darüber unterhalten, wie es für ihn nach dem Abitur weitergehen | |
könnte. Mein Rat: „Geh zum Bund!“ | |
Mein Rat? Habe ich das wirklich gesagt? Ich, der bekennende Drückeberger, | |
der damals, als die Einberufung anstand, alles unternommen hat, um mit | |
irgendwelchen Attesten dem Barras zu entkommen. Der, hätte das nicht | |
geklappt, ganz bestimmt verweigert hätte. Der in seiner Jugend in München | |
als Kabarettist auf Kundgebungen der Friedensbewegung aufgetreten ist. | |
Natalia ist Ukrainerin. Auch die Familie des Vaters ihres Sohns stammt aus | |
der Ukraine. Seitdem Russland seinen totalen Krieg gegen die Ukraine führt, | |
trägt Natalias Sohn nur noch Klamotten, die irgendeinen Ukrainebezug haben. | |
Mal ist es das stilisierte Wappen des Landes auf einem T-Shirt, mal ein | |
Uniformteil mit dem Aufnäher einer Einheit der ukrainischen Armee. Einmal | |
habe ich ihn auch mit dem Abzeichen der [2][als rechtsradikal verrufenen | |
Asow-Brigade] gesehen. Nachdem er mal in der Schule die Russen als Tiere | |
bezeichnet hatte, wurde seine Mutter einbestellt. Er hat das nicht | |
verstanden. | |
## Die Wut brauchte ein Ventil | |
Natalias Sohn war 16, als sein Vater gestorben ist. Er war voller Trauer | |
und voller Wut. Wut, die ein Ventil brauchte. Damals wäre er am liebsten | |
sofort in die Ukraine gereist, um mit der Waffe gegen die Russen zu | |
kämpfen: Er verfolgte den Krieg auf allen möglichen ukrainischen Kanälen, | |
kannte die Bezeichnung jeglichen militärischen Geräts. Es war schwer, mit | |
ihm über etwas anderes zu sprechen als über die Armee. | |
Seine Mutter schüttelte dann immer den Kopf. Sie beobachtet mit Abscheu, | |
was die Russen in der Ukraine anrichten, hat sich immer engagiert, wenn die | |
freie Gesellschaft in der Ukraine bedroht war. Seit der Krieg begonnen | |
hat, sammelt sie Geld für Medikamente und Verbandsmaterial, das in die | |
Ukraine geschickt wird. Ihren Sohn würde sie nicht an die Front schicken. | |
Natalias Eltern leben bei Lwiw, über 80 Jahre sind sie alt. Nach | |
Deutschland zu ihrer Tochter und ihrem Enkel wollten sie auch nach dem | |
Überfall Russlands nicht kommen. Sie wollen ihre Heimat in der Ukraine | |
verteidigen, sagen sie, in der Westukraine seien sie ja nur am Rande vom | |
Krieg betroffen: [3][Nur manchmal gibt es Alarm] und bisweilen fällt der | |
Strom aus. Sie haben keine Angst. | |
Ihr Enkel hat im vergangenen Jahr darüber nachgedacht, ob er sie nach dem | |
Abitur noch einmal besuchen soll. Die Frage, ob sie ihn, der die deutsche | |
und die ukrainische Staatsbürgerschaft hat, wohl wieder ausreisen lassen | |
würden, hat ihn beschäftigt. Er ist dann nicht in die Ukraine gereist. Den | |
Sommer hat er hauptsächlich in Deutschland verbracht, hat ein Camp der | |
ukrainischen Pfadfinder geleitet und sich an Tagen der offenen Tür über die | |
Angebote der Bundeswehr für junge Männer informiert. | |
## Zur Verteidigung der Demokratie | |
Als er mir Bilder gezeigt hat, auf denen er im Cockpit eines Kampfjets zu | |
sehen ist, war ich mir sicher. Soll er doch zur Bundeswehr gehen. Es kam | |
mir so vor, als würde genau das sein Leben retten. Als gäbe es nichts | |
Besseres, um seine Wut zu kanalisieren. | |
Doch da ist noch mehr. Als im November die SPD ihre kämpferischen | |
Wahlkampfplakate präsentiert hat, darunter jenes, das Verteidigungsminister | |
Boris Pistorius in Tarnfarben vor einer Deutschlandfahne zum Slogan „Wir | |
kämpfen für deine Sicherheit“ zeigt, setzte Natalias Sohn ein politisches | |
Bekenntnis auf Instagram ab. Er konnte es nicht fassen, dass die SPD wegen | |
der schwarz-rot-goldenen Optik als nationalistisch bezeichnet wurde. Die | |
Farben stünden doch für Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Um diese | |
Werte zu verteidigen, sei er zur Bundeswehr gegangen. Er ist also auch für | |
mich zum Bund gegangen. Ich bin ihm dankbar dafür. | |
21 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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