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# taz.de -- Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung: „Das 2-Prozent-Ziel ist…
> Die Nato ist Russland um ein Vielfaches überlegen, sagt der Historiker
> Alexander Lurz. Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung
> auszugeben, hält er für übertrieben.
Bild: 9. April 2024: Militärkonvoi auf dem Weg zu einer NATO-Übung in Franken…
taz: Herr Lurz, Sie haben das militärische Kräfteverhältnis zwischen der
Nato und Russland verglichen und kommen zu dem Schluss, dass die Nato
Russland militärisch um ein Vielfaches überlegen ist, was
[1][Militärausgaben], die Zahl der Panzer und die Truppenstärke betrifft.
Was sagt uns das?
Alexander Lurz: Das zeigt, dass wir in Deutschland eine
[2][angstgetriebene] und teilweise uninformierte Debatte haben. Russland
hat einen [3][völkerrechtswidrigen Angriffskrieg] gegen die Ukraine
gestartet. Wenn wir sehen, wie Russland diesen Krieg führt, dann macht das
natürlich Angst. Der erste Reflex ist, sich stärker zu bewaffnen. Dabei
wird jedoch nicht mehr ausreichend auf die Verhältnismäßigkeit geschaut.
taz: Wie meinen Sie das?
Lurz: In der öffentlichen Debatte wird der Eindruck erzeugt, als müsste
sich Deutschland alleine gegen Russland verteidigen. Deutschland ist aber
Teil der Nato. Es ist nicht notwendig, dass wir alle militärischen
Fähigkeiten vorhalten.
taz: Sie kritisieren, dass Deutschland 2 Prozent seines
Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben will. Warum?
Lurz: Es handelt sich letztlich um eine willkürliche Zahl. Um den Bedarf an
Verteidigung zu ermitteln, sollte man doch von der Bedrohungslage und den
vorhandenen eigenen Fähigkeiten ausgehen. Es könnte sein, dass einer
Bedrohungslage auch mit 1 Prozent zu begegnen wäre. Vielleicht braucht es
auch mehr. Die Rechnung sollte sich daraus ergeben, welche Fähigkeiten man
braucht. Wir aber machen das Gegenteil: Wir folgen einer politischen Zahl,
nicht einer, die vom militärischen Bedarf ausgehend entwickelt worden ist.
taz: Das 2-Prozent-Ziel dient doch der Solidarität innerhalb der Nato: Es
soll ihre Mitglieder davon abhalten, es sich als Trittbrettfahrer bequem zu
machen. Ist das falsch?
Lurz: Diese Betrachtungsweise unterschätzt die Interessen der verschiedenen
Mitgliedsstaaten der Nato. Natürlich bedeutet die Mitgliedschaft Schutz für
ein Land. Für die Vereinigten Staaten ist die Nato aber natürlich auch ein
Vehikel, mit dem sie ihre politische Dominanz im nordatlantischen Raum
ausüben können. So gesehen ist es kein Altruismus der USA, ein starker
Nato-Partner zu sein.
taz: Viele fürchten, dass sich das mit Donald Trump im Weißen Haus ändern
und er die USA praktisch aus der Nato zurückziehen könnte. Sie nicht?
Lurz: Bei der Angst vor einem Rückzug der USA aus Europa wird gerne
übersehen, dass die US-Armee wichtige Stützpunkte in Deutschland unterhält.
Diese Basen sind für die US-Armee zentral zur Machtprojektion im Nahen
Osten und Afrika. Das bedeutet, ein Rückzug aus Deutschland wäre für die
USA mit einer enormen Einschränkung verbunden. Ich halte deshalb solche
Vorstellungen eines US-amerikanischen Rückzugs aus Europa für überzogen.
taz: US-Präsident Joe Biden hat jetzt den Einsatz von Raketen und
Marschflugkörpern bis zu 300 Kilometer innerhalb russischen Territoriums
genehmigt. Sollte Deutschland nachziehen?
Lurz: In Deutschland neigen wir dazu, uns in der Debatte über die
Unterstützung der Ukraine fast ausschließlich auf Waffensysteme zu
fokussieren. Das ist aber nur ein Teil der Debatte. Der andere Teil wäre
jedoch, sich zu überlegen, wie man zu diplomatischen Lösungen kommt. Es
wäre gut gewesen, wenn wir in den letzten zweieinhalb Jahren mehr darüber
gesprochen hätten – und weniger über einzelne Waffensysteme.
taz: Ist es nicht wichtig, mit welchen Waffen sich die Ukraine gegen
Russland verteidigen kann?
Lurz: Schon. Die größere Frage aber ist, ob Europa das Heft des Handelns in
die Hand bekommt. Es ist ein Versäumnis, dass die europäischen Staaten es
in den letzten zweieinhalb Jahren nicht geschafft haben, mit anderen
Ländern wie der Türkei, Indien oder auch China entsprechende Initiativen zu
starten. Es geht nicht darum, dass Olaf Scholz nach Moskau fliegt, um einen
Frieden zu verhandeln. So einfach ist es nicht. Aber es wäre eine Aufgabe
für die europäische Außenpolitik gewesen, gemeinsam mit anderen Staaten zu
versuchen, Vermittlungs- und Verhandlungsformate zu entwickeln.
taz: Russland sei durch den Krieg massiv geschwächt, heißt es in Ihrem
Bericht. Ihren Analysen zufolge wurden 315.000 russische Soldaten getötet –
das wären fast 90 Prozent der Streitkräfte, die ursprünglich an der
Invasion beteiligt waren. Gehen Sie davon aus, dass sich der Krieg von
selbst erledigt?
Lurz: Das ist nicht der Schluss daraus. Wir haben einen Vergleich
vorgenommen zwischen Russland und der Nato. Dass das russische militärische
Potenzial für die Ukraine nicht nur bedrohlich, sondern existenzgefährdend
ist, sehen wir jeden Tag. Aber wenn wir in die Ukraine schauen, sehen wir
auch, wie begrenzt die militärischen Fähigkeiten Russlands in Relation zur
militärischen Stärke der Nato-Staaten sind. Die russischen Truppen kommen
gegen einen militärisch eigentlich unterlegenen Gegner nur extrem langsam
voran und müssen auch herbe Rückschläge hinnehmen.
taz: In Ihrem Bericht schreiben Sie, der russische Wehretat habe im Jahr
2023 einem realen Gegenwert von fast 290 Milliarden Euro entsprochen. Der
[4][deutsche Wehretat soll bis zum Jahr 2028 auf 80 Milliarden Euro pro
Jahr steigen]. Sie kritisieren das. Warum?
Lurz: Die Bundesrepublik steht nicht alleine da. Die 80 Milliarden kann man
nicht den 290 Milliarden Russlands gegenüberstellen. Da muss man die
gesamte Nato-Zahl nehmen, und hier sind die Rüstungsausgaben mit 1,2
Billionen US-Dollar um ein Vielfaches höher als die in Russland.
taz: Der Heeresinspekteur Alfons Mais meint, die Bundeswehr sei
„kaputtgespart“ worden. Hat er Unrecht?
Lurz: Ich sage auch, dass in manchen Bereichen durchaus etwas fehlt, bei
der Munition etwa. Wenn ich mit Leuten aus der Bundeswehr rede, sagen die
aber: Wir haben zu viel Geld oder wir haben zu wenig Geld, wie man’s nimmt.
Mit dem System, das wir haben, könnte man noch wahnsinnig viel mehr Geld
dazugeben, ohne damit automatisch die Kampffähigkeit der Bundeswehr zu
steigern.
taz: Das müssen Sie erklären.
Lurz: Nehmen sie den aktuellen Plan, 825 Millionen Euro für neue
Ausgehuniformen auszugeben. Das ist viel Geld, und bestimmt sind die
Uniformen auch schick, aber kampffähiger wird die Bundeswehr durch diese
Investition gewiss nicht. Aber auf das 2-Prozent-Ziel kann man die Ausgaben
anrechnen.
Wir haben in einer früheren Studie das Beschaffungswesen der Bundeswehr
analysiert. Bis zu einem Drittel der Ausgaben geht wirkungslos verloren.
Wir haben festgestellt, dass Politiker im Haushalts- und
Verteidigungsausschuss des Bundestages enorme Einflussmöglichkeiten haben
auf das, was gekauft wird. Abgeordnete, in deren Wahlkreisen die
Rüstungsindustrie stark ist, stehen deshalb vor einem Interessenkonflikt.
Weil das Beschaffungswesen so intransparent ist, können Kaufentscheidungen
zustande kommen, die nicht dem Interesse der Bundeswehr dienen – und schon
gar nicht dem Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
taz: Was fordern Sie?
Lurz: Abgeordnete mit starken Rüstungsindustriestandorten in ihren
Wahlkreisen dürfen nicht in den beiden Ausschüssen sitzen. Und wir brauchen
ein Höchstmaß an Transparenz bei der Beschaffung. Insgesamt gilt aber:
Sofern Defizite existieren bei der Ausrüstung und Kampfkraft, sollte die
erste Überlegung sein, wie man das vorhandene Geld effizienter ausgibt.
Wenn ich die Debatte verfolge, sehe ich im Wesentlichen nur Vorschläge,
mehr Geld auszugeben.
taz: Braucht es angesichts der geopolitischen Bedingungen nicht mehr Geld?
Lurz: Heute sehen wir, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius Kanada
und Norwegen anbietet, gemeinsam in der Arktis zu patrouillieren. Die neuen
Seeaufklärer sollen teilweise in Schottland stationiert werden. Wir sehen
eine deutsche Fregatte im Roten Meer, und eine andere im Südchinesischen
Meer. Wenn ich immer mehr Aufgaben für die Bundeswehr finde, brauche ich
immer mehr Material. Und wenn ich das nicht finanzieren kann, sage ich, die
Bundeswehr ist unterfinanziert.
taz: Was schlagen Sie vor?
Lurz: Nach den Wahlen sollte die neue Regierung eine Neubewertung der
verschiedenen Aufgaben der Bundeswehr vornehmen. Landes- und
Bündnisverteidigung, und dies eng verstanden, sollte dabei das Leitbild
sein. Dafür stellt man dann das Nötigste bereit. Wir bräuchten dann viel
weniger Geld.
taz: Mit dieser Forderung stehen Sie aber relativ alleine da. Frustriert
Sie das?
Lurz: Auf dem letzten Parteitag der SPD im vergangenen Dezember gab es
einen Antrag gegen das 2-Prozent-Ziel der Nato. Obwohl der Parteivorstand
diesen Antrag nicht unterstützt hat und das auch gegen die Linie des
Kanzlers war, hätte dieser Antrag beinahe eine Mehrheit unter den
Delegierten gefunden. Das zeigt: Die offizielle Linie der SPD ist zwar klar
dafür, dass Deutschland das 2-Prozent-Ziel einhält. Aber sehr viele
Menschen in der Partei sehen das ganz anders. Es gibt dazu also selbst in
der politischen Mitte keinen absoluten Konsens.
28 Nov 2024
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## AUTOREN
Cem-Odos Güler
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