# taz.de -- Jan van Aken gegen Aufrüstungspolitik: „Die Position der Linken … | |
> Beim Ukraine-Krieg fordert der Linkenchef mehr Diplomatie der EU. Dass | |
> der alte Bundestag noch schnell das Grundgesetz ändern soll, hält er für | |
> falsch. | |
Bild: Linke-Chef Jan van Aken | |
taz: Herr van Aken, haben Sie noch eine Hoffnung, dass in der Ukraine nicht | |
das Recht des Stärkeren über das Völkerrecht siegen wird? | |
Jan van Aken: Das ist schwierig. Es sieht immer düsterer aus. Die Ukraine | |
steht mit dem Rücken zur Wand. Es ist infam, wie Donald Trump ihr die | |
Schuld am Krieg zuschieben will und die Angst vor einem Dritten Weltkrieg | |
schürt, um so das Völkerrecht mit Füßen zu treten. Der Aggressor heißt | |
einzig und allein Russland. Das große Problem ist, dass inzwischen drei | |
Jahre seit Kriegsbeginn vergangen sind und die EU in der Zeit nichts | |
Substantielles für Verhandlungen unternommen hat. Wenn sie es weiter nicht | |
tut, dann sieht es wirklich schlecht aus für die Ukraine und das | |
Völkerrecht. | |
taz: Kann es sein, dass die Linkspartei genauso hilflos auf den | |
Ukraine-Krieg blickt wie die anderen demokratischen Parteien im Bundestag | |
auch? | |
Van Aken: „Genauso“ würde ich nicht sagen. Ich finde, wir haben einige gute | |
Vorschläge gemacht, die bis jetzt nicht mal diskutiert werden. Wir alle | |
wissen, dass es keine ernsthaften Verhandlungen mit Russland geben wird, | |
wenn China nicht mit im Boot ist. Seit Mai vergangenen Jahres liegt ein | |
Vorschlag von China und Brasilien auf dem Tisch, der auch von der Schweiz | |
unterstützt wird. Warum wird der nicht aufgegriffen? Ich finde diesen | |
konkreten Vorschlag jetzt nicht ganz so hilflos, wie einfach nur weiter | |
Waffen zu liefern und Daumen zu drücken. | |
taz: Wenn die USA der Ukraine ihre Unterstützung entziehen, und danach | |
sieht es zurzeit aus, was sollte Putin dazu veranlassen, noch auf | |
irgendwelche Friedensvorschläge von vor über einem Jahr überhaupt | |
einzugehen? | |
Van Aken: China ist nach wie vor der wichtigste Verbündete Russlands. | |
Deswegen glaube ich immer noch: Wenn Xi Jinping einlädt, kommt Wladimir | |
Putin. | |
taz: Warum sollte Xi Jinping das tun? | |
Van Aken: China hat seine Positionen klargemacht. Erstens: Der Krieg ist | |
völkerrechtswidrig. Zweitens: Das ist euer Krieg in Europa, wenn ihr unsere | |
Hilfe braucht, sagt Bescheid. Also müsste die EU auf China zugehen, das | |
vermisse ich. | |
taz: Die Linke hat Waffenlieferungen an die Ukraine bislang strikt | |
ausgeschlossen. In einem [1][Vorstandsbeschluss vom Wochenende] heißt es | |
nun, es sei ein großer Fehler der EU, die Unterstützung für die Ukraine | |
„ausschließlich“ an militärischer Hilfe festzumachen. Deutet sich da | |
vorsichtig eine Kurskorrektur an? | |
Van Aken: Nein, die Position hat sich nicht geändert. | |
taz: Das heißt, auch wenn die USA ihre Waffenlieferungen einstellen, | |
bleiben Sie bei Ihrer prinzipiellen Ablehnung militärischer Unterstützung | |
der Ukraine? | |
Van Aken: Die Rolle Deutschlands und somit die Position der Linken ändert | |
sich nicht. Denn das Kernproblem für mich ist, dass hier seit drei Jahren | |
über Leopardpanzer oder Taurus gestritten wird, aber nicht über die Frage, | |
wie komme ich zur Diplomatie? Mein Credo ist immer noch, dass es zwischen | |
Waffenlieferungen und gar nichts machen, ganz viel gibt, aber nichts davon | |
ist versucht worden. Deswegen bin ich weiter gegen Waffenlieferungen, weil | |
die anderen Dinge erst versucht werden müssen. | |
taz: Aber [2][das eine steht doch nicht gegen das andere]. | |
Van Aken: Das höre ich immer: Man kann ja das eine tun, ohne das andere zu | |
lassen. Aber das andere geschieht eben nicht. Deshalb steht das | |
gegeneinander, weil mit einem rein militärischen Blick auf diesen Krieg | |
geschaut wird. Und dem verweigere ich mich. | |
taz: Wenn aber die Flugabwehr in der Ukraine zusammenbricht, sind die | |
Menschen in Kyjiw oder anderen Großstädten den Raketen und Drohnen | |
Russlands schutzlos ausgesetzt. Dann bleibt von dem Bekenntnis der | |
Linkspartei, ihre „volle Solidarität“ gehöre den Menschen in der Ukraine, | |
wohl bald nur noch eine Trauerminute auf einem Parteitag übrig. | |
Van Aken: Nein, gar nicht. Bis jetzt gibt es immer noch die Möglichkeit, | |
aktiv was für Verhandlungen zu tun, wo eben nicht auf dem Rücken oder ohne | |
die Ukraine über die Ukraine diskutiert wird, sondern wo China und die EU | |
die Ukraine und Russland zu Verhandlungen einladen. Das ist erst mal was | |
völlig anderes als das, was die USA versuchen. Zweitens braucht es Druck | |
auf Russland, damit die Verhandlungen auch zu einem fairen Ergebnis führen. | |
Das sagen wir seit Monaten: [3][Was ist mit der Schattenflotte?] Die | |
Kriegskasse des Kreml wird jeden Tag aufs Neue über diese illegalen | |
Ölexporte finanziert, die direkt vor unserer Haustür längs gehen. Und die | |
Bundesregierung tut gar nichts. Da wird immer über Waffen geredet, aber | |
nicht über ein solch richtiges Druckmittel. | |
taz: Nicht alle in der Linkspartei teilen Ihre Position, beispielsweise | |
[4][Ihr neuer Fraktionskollege Bodo Ramelow] spricht sich für eine | |
militärische Hilfe aus. Befürchten Sie da nicht eine Zerreißprobe? | |
Van Aken: Unterschiedliche Meinungen gehören zu einer demokratischen | |
Partei. Wir kennen uns gut und führen auch diese Debatte respektvoll | |
miteinander. Er kann mit meiner Position des Primats des Zivilen sehr viel | |
anfangen und ich respektiere seine Auffassung. Einig sind wir uns darin, | |
dass der Ukraine konkret geholfen werden muss. Sie ist dringend auf eine | |
finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau, die Versorgung der | |
Millionen Binnenflüchtlinge und zur Bewältigung anderer Kriegsfolgen | |
angewiesen, deshalb braucht es einen Schuldenschnitt für die Ukraine. | |
taz: Sollte Deutschland die Ukraine mit Satellitenaufklärung unterstützen, | |
wenn die der USA ausfällt? | |
Van Aken: Interessante Frage. Also mal angenommen, Deutschland hätte | |
Hinweise über russische Truppenansammlungen, dann wäre es doch nicht | |
richtig, dass der Ukraine zu verschweigen. Aber diese Frage muss ich mir | |
noch mal im Detail anschauen. | |
taz: Für den Fall, es könnte doch noch eine Waffenstillstands- oder gar | |
Friedensvereinbarung zwischen der Ukraine und Russland geben, sollte | |
Deutschland sich dann an einer von der UN mandatierten Friedenstruppe | |
beteiligen? | |
Van Aken: Das ist eine schwierige Frage, weil es da auch eine historisch | |
emotionale Komponente gibt. Ich wäre mir deshalb nicht sicher, ob Russland | |
es mitmachen würde, dass da wieder deutsche Soldaten kurz vor Stalingrad | |
stehen. Aber generell bin ich für klassische Blauhelmeinsätze, die | |
unbewaffnet und nach einem Friedensabkommen stattfinden, à la Zypern und | |
oder Korea. | |
taz: Das ist eine Veränderung der bisherigen Position der Linkspartei. | |
Van Aken: Ich würde eher von einer Präzisierung oder Klarstellung sprechen. | |
Wir haben bislang überhaupt keine Position zu klassischen | |
Blauhelmeinsätzen. Aber ich finde, das müssen wir jetzt diskutieren. | |
taz: In der Linkspartei gibt allerdings da Gegenstimmen, denen das schon zu | |
weit geht. | |
Van Aken: Stillstand ist kein guter Berater. Diese Debatte müssen wir in | |
der Partei führen. Dass es dabei auch kontrovers zugehen kann, halte ich | |
nicht für problematisch. Jene, die solche inhaltlichen Auseinandersetzungen | |
verhindern wollten, sind nicht mehr Teil der Partei. Das ist schon mal ganz | |
gut. Wenn ich dafür aus Kreisen der Kremlpartei BSW jetzt als | |
„Kriegstreiber“ bezeichnet werde, schert mich das nicht, weil es blanker | |
Unsinn ist. Klassische Blauhelme heißt, dass nach einer Friedensverhandlung | |
beide Seiten zustimmen und die UN-Truppen neutral und ohne Kampfauftrag | |
unterwegs sind. Da geht es nicht um Soldaten in einem Krieg, sondern in | |
einem Frieden. | |
taz: Sehen Sie angesichts der aggressiv auftretenden USA und eines | |
feindlich gesinnten Russlands die Notwendigkeit, anders über die | |
Verteidigungsfähigkeit Europas nachzudenken? | |
Van Aken: Ja, das ist so. Wir sollten Sicherheit europäisch denken. | |
Allerdings habe ich die Befürchtung, dass die EU versucht, jetzt zur | |
vierten Weltmacht neben China, USA und und Russland zu werden und | |
entsprechend Militär aufbaut, das global eingesetzt werden kann. Das hielte | |
ich für falsch. Aber ich halte eine Konzentrierung auf die EU- und die | |
Landesverteidigung für erforderlich. Dafür würden auch die finanziellen | |
Mittel erstmal ausreichen. Kaufkraftbereinigt stehen 430 Milliarden Dollar | |
an jährlichen Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten 300 Milliarden | |
Dollar Russlands gegenüber. Dass das Geld effektiver eingesetzt werden | |
kann, steht außer Frage. Rüstungsprojekte, die nichts mit | |
Landesverteidigung zu tun haben, sollten eingestellt werden. Es müsste also | |
um einen Umbau der Bundeswehr gehen, nicht um mehr Geld für Aufrüstung. | |
taz: Union und SPD planen für die kommende Woche eine Sondersitzung des | |
alten Bundestags, auf dem das Grundgesetz geändert werden werden soll: | |
Verteidigungsausgaben von über einem Prozent des BIP sollen von der | |
Schuldenbremse ausgenommen werden, außerdem soll es ein „Sondervermögen“ | |
für die Infrastruktur geben. Die Linkspartei ist dagegen. Warum? | |
Van Aken: Das ist eine politische Bankrotterklärung und ein äußerst | |
bedenklicher Vorgang. Sie wollen eine Grundgesetzänderung im | |
Schnellverfahren durchpeitschen, ohne echte Debatte, ohne Berücksichtigung | |
des neu gewählten Bundestags. Auch wenn sich die weltpolitische Lage | |
geändert hat, ist die von Union und SPD bemühte Dringlichkeit vorgeschoben. | |
Es geht ihnen nur darum, die neuen Verhältnisse im Bundestag zu umgehen. | |
Wir prüfen noch, ob eine solche Abstimmung im gerade abgewählten alten | |
Bundestag überhaupt verfassungskonform ist. Davon unbenommen lehnen wir | |
einen ewigen Blankoscheck für unbegrenzte Rüstungsausgaben ab. | |
taz: Heißt das, Sie würden auch aus Prinzip gegen das „Sondervermögen“ f… | |
die Infrastruktur stimmen? | |
Van Aken: Nein. Ich würde aus Prinzip für die Abschaffung der | |
Schuldenbremse stimmen. Die CDU will aus ideologischer Verblendung aber an | |
diesem Wahnsinn festhalten. Das finde ich falsch. Natürlich sind wir für | |
massive Investitionen in die Infrastruktur, sogar für mehr als die 500 | |
Milliarden. Aber diese Hilfskonstruktion mit dem alten Bundestag ist doch | |
abenteuerlich. Wie wir abstimmen werden, wird vom Ergebnis der | |
verfassungsrechtlichen Prüfung abhängen und ob die einzelnen | |
Grundgesetzänderungen im Paket oder getrennt abgestimmt werden. Ansonsten | |
ist unsere Botschaft ist klar: Wenn es darum geht, die Schuldenbremse | |
aufzuheben, sind wir mit dabei. Das wäre der richtige Weg. | |
taz: Aber nur wenn Friedrich Merz vorher mit der Linken spricht, oder? | |
Van Aken: Nein, das ist keine Bedingung, aber das würde sich so gehören. | |
Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU ist doch echt Kindergartenniveau. Von | |
der Linken etwas wollen und gleichzeitig nicht mit der Linken reden zu | |
wollen, ist unsouverän. Doch wir entscheiden das inhaltlich: Wenn die | |
Schuldenbremse wegkommt, dann freuen wir uns. | |
6 Mar 2025 | |
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