# taz.de -- Comeback der Linkspartei: „Bist du Jan van Aken?“ | |
> Der Linken-Chef hat dazu beigetragen, die Gräben in der Partei zu | |
> überwinden. Politik denkt er als Kampagne, das Wort „Apartheid“ benutzt | |
> er nicht. | |
Bild: Berlin, Dezember 2024: Jan van Aken posiert im Linken-Wahlkreisbüro in K… | |
Hamburg/Berlin taz | Der Januarwind pfeift schneidend durch das | |
Schanzenviertel in Hamburg. Jan van Aken, Parteichef der Linkspartei, wohnt | |
nicht weit von hier. „Das ist meine Hood“, sagt er. Um die Ecke ist das | |
Millerntor-Stadion, wo St. Pauli spielt. Er ist Fan, schon lange. Van Aken | |
trägt eine geschmacklich eher fragwürdige rosa Mütze. Aber die ist als | |
feministisches Protestzeichen gegen Trump entschuldigt. | |
Er schaut mal kurz bei Gewerbetreibenden rein. Im Restaurant Olympisches | |
Feuer, wo sich St.-Pauli-Fans und linke Aktivisten schon seit Jahrzehnten | |
treffen, klagt der Wirt über gestiegene Einkaufspreise. Eine kurdische | |
Schneiderin, die Hochzeitskleider herstellt, berichtet, dass sie doppelt so | |
viel Ladenmiete zahlt wie vor Corona. Van Aken, in manchen Läden mit „Moin | |
Jan“ begrüßt, nickt und hört zu. Inflation, Mieten, das sind Themen der | |
Linkspartei. | |
Er ist etwas angeschlagen bei seiner Tour durch das Schanzenviertel. Am | |
Vorabend hatte er einen TV-Auftritt im ZDF und hat danach Wein getrunken. | |
Schwierig im Wahlkampfendspurt. Aber er hat blendende Laune. In Aachen | |
haben ihm vor ein paar Tagen zwei junge Frauen ein Freundschaftsband | |
geschenkt, wie es bei Taylor-Swift-Fans Mode ist. Er krempelt den | |
Jackenärmel hoch und zeigt es – halb stolz, halb noch immer verwundert. Mit | |
viel Rosa und Herzchen. Farblich passt es immerhin zur rosafarbenen Mütze. | |
„Fuck AfD“ steht auf dem Bändchen. | |
Er hat schon ein paar Wahlkämpfe erlebt, so viel Euphorie aber noch nie. Am | |
U-Bahn-Ausgang kommt ihm ein junger Mann mit 1.-FC-Köln-Schal entgegen. Mit | |
glänzenden Augen fragt er: „Bist du Jan van Aken? Warst super gestern im | |
Fernsehen.“ Van Aken bedankt sich. Er wirkt fugenlos selbstsicher. | |
## „Nun halten Sie mal den rechten Rand“ | |
Die Wahlkampfauftritte der Linkspartei platzen seit ein paar Wochen aus | |
allen Nähten. In der U-Bahn wollen Leute Selfies mit van Aken machen. | |
Plötzlich Polit-Star. Jedenfalls ein bisschen. Eine Freundin hat ihm | |
gesagt: Heb bloß nicht ab. | |
Jan van Aken ist 63 Jahre alt und Chef der Linkspartei. Aber er wirkt, | |
trotz grauer Haare, nicht wie ein 63-jähriger Parteivorsitzender. Seine | |
blauen Augen strahlen recht jugendlich. Er kann ein entzückendes | |
Jungslächeln anknipsen. Sein Dresscode hat sich in den letzten Jahrzehnten | |
offenbar nicht groß geändert: Jeans, Sweatshirt, mal ein Hemd. Alles an ihm | |
wirkt casual, Anzug und Schlips wären Verkleidung. | |
Er klingt auch nicht wie ein Parteivorsitzender. Nichts Gravitätisches, | |
Ausgewogenes, Formelhaftes. Im ZDF ranzte er erfolgreich AfD-Chef Tino | |
Chrupalla an, der ihm ins Wort gefallen war: „Nun halten Sie mal den | |
rechten Rand.“ Solche Ausrufesätze wirken bei ihm. Auch, weil er so groß | |
ist. | |
Nach dem Schanzenviertel eilt van Aken zu einem Termin am anderen Ende der | |
Stadt. Er nimmt kein Taxi, lieber U-Bahn. Aus der Jackentasche nestelt er | |
einen Zettel hervor, der verrät, wer auf dem Podium sitzt. Aha, FDP, Grüne, | |
SPD und er. Warum nicht die Union? Was sind die Themen? Man weiß es nicht | |
so genau. Die linke Wahlkampforganisation wirkt eher improvisiert. | |
## Radfahren ist eh gesünder | |
Abends ein Auftritt in Flensburg, danach nach Frankfurt am Main. Das geht | |
nicht mit der Bahn. „Ich muss“, sagt er mit einem seltenen Anflug von | |
Bekümmernis, „den Dienstwagen nutzen.“ Van Aken ist seit Oktober | |
Parteichef. Seinen Dienstwagen hat er noch nie benutzt. Warum? | |
„Man muss aufpassen, dass man sich nicht verführen lässt“, sagt er. Schon | |
der Fahrdienst des Bundestags erscheint ihm wie süßes Gift. Er habe junge | |
und wilde linke Abgeordnete erlebt, die Fahrdienst und Diäten in Windeseile | |
in zahme Karrieristen verwandelten. Er fährt lieber Rad, ist sowieso | |
gesünder. Und: „Nur so kriege ich mit, wenn Radwege kaputt sind.“ | |
Jan van Aken misstraut dem Parlamentarismus nicht grundsätzlich. Aber | |
Restbestände der bei Bewegungslinken verbreiteten Vorbehalte gegen | |
Institutionen, die gibt es noch. | |
Sonntagabend, Anfang Januar. Im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale | |
der Linkspartei, sitzt van Aken in seinem Chefzimmer. An der Wand hängt | |
viermal Rosa Luxemburg. Das Zimmer sieht noch aus wie zu Katja Kippings | |
Zeiten. Er hat nichts verändert. | |
## Keine Triggerwörter | |
Am Holztisch sitzen Reem Hazan und Nimrod Flaschenberg. Beide sind | |
Mitglieder von Hadash, einer linkssozialistischen israelischen Partei. Seit | |
dem Überfall der Hamas am 7. Oktober gebe es keine Opposition mehr gegen | |
Netanjahu, sagt Reem Hazan. Keinen Protest gegen die ethnische Säuberung im | |
Westjordanland. „Alle sind rechts oder rechtsextrem. Die Mitte ist | |
verschwunden.“ Andererseits, so Flaschenberg, sei die Mitte in Israel vom | |
Krieg in Gaza erschöpft. Van Aken hört zu, fragt kurz nach, macht Notizen. | |
Ein konzentriertes Gespräch, eine Stunde lang. | |
Van Aken fragt: „Was ist eure zentrale Forderung?“ „Stopp der deutschen | |
Waffenlieferung an Israel“, sagt Hazan ohne Zögern. Van Aken hakt nach: | |
Warum Waffen? Israel verfüge über Waffenindustrie und sei auf deutsche | |
Rüstung nicht angewiesen. Ob es nicht sinnvoller sei, mehr auf finanziellen | |
und wirtschaftlichen Druck zu setzen? | |
„Wir können eine gemeinsame Erklärung verfassen“, sagt der Linke am Ende. | |
Aber: „Ich benutze das Wort Apartheid nicht“. Wenn man in Deutschland | |
Apartheid sage, „reden wir danach nur noch über das Wort, nicht mehr über | |
die Zustände“. | |
Als am 7. Oktober in Tel Aviv der Raketenalarm ertönte, war van Aken dort. | |
Er hatte einen Job bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er kennt die Debatten | |
in Israel, in Palästina, in Deutschland. Und die Missverständnisse. Van | |
Aken bewegt sich ziemlich trittsicher in vermintem Gelände. | |
## Das Image der Putin-Freunde | |
Eigentlich ist er Außenpolitiker, Experte für Biowaffen und Abrüstung. Die | |
Linkspartei war im Herbst im freien Fall und schien sich auch noch wegen | |
Nahost – Lieblingszoffthema linker Rechthaber – zu zerlegen. [1][Van Aken | |
half, einen vernünftigen Kompromiss zu zimmern], der Kritik am Hamas-Terror | |
und israelischen Kriegsverbrechen mit der Forderung nach Waffenstillstand | |
und Freilassung der Geiseln verband. Seitdem ist die Implosionsgefahr in | |
der Partei erst mal gesunken. | |
Noch eine zweite Entschärfung versuchte er: [2][Waffenlieferungen an die | |
Ukraine sind für viele GenossInnen eine rote Linie]. Man will ja | |
Friedenspartei sein. An der Partei klebt aber das Image, Putins Krieg nicht | |
so schlimm zu finden. Und halbherzige Kritik an Putin gern mit ermüdend | |
langen Ausführungen über die Nato-Osterweiterung zu verbinden. | |
Van Aken versucht, diese für die Partei moralisch wie diskursiv missliche | |
Defensive mit einem Überraschungscoup zu drehen. Die Sanktionspolitik des | |
Westens sei zu lasch, ätzt er. Dass russische Tanker als Schattenflotte | |
Unmengen Öl durch die Ostsee transportieren, kritisierte er schon, bevor es | |
in den Überschriften stand. | |
Dieses Geld fließe direkt in Putins Kriegskasse, die Bundesregierung tue | |
nichts. Van Aken hat den pazifistischen Ansatz vom Ruch der Kollaboration | |
mit Putin gereinigt, ohne das Parteiheiligtum – keine Waffenlieferungen – | |
umzustürzen. Die Kremlpartei, sagt er, sei das BSW. | |
## Kurz und knackig | |
Seit ein paar Wochen [3][strömen Tausende Jüngere in die Linkspartei]. Weil | |
die Republik nach rechts kippt. Weil Wagenknecht und Co die Partei | |
verlassen haben. Weil Co-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek ein richtiger | |
TikTok-Star ist. Und auch, weil van Aken ein paar Barrieren beiseite | |
geräumt hat. Die diskursive Neujustierung des Pazifismus hat die | |
Hemmschwelle für junge, linke AktivistInnen, die auf Putin-Nähe allergisch | |
reagieren, gesenkt. Wie stabil das ist, wird man sehen. | |
Van Aken ist kein Theorielinker. Mehr als die Wahrheit interessiert ihn: | |
Funktioniert das? Lieber knappe Sätze als lange Reden. „Ich kann in | |
Talkshows drei gerade Sätze sagen. Das ist eine meiner Stärken“, sagt er. | |
Falls er Selbstzweifel kennt, verbirgt er sie beeindruckend gut. | |
Das Spontane, Authentische kann aber auch ungehobelt wirken. In einer | |
Wahlsendung herrschte er Sahra Wagenknecht an: „Jetzt halt doch mal den | |
Mund.“ Die Mixtur aus Duzen, seiner raumgreifenden Körperlichkeit und | |
Ruppigkeit gegenüber einer Frau wirkte unhöflich. Das Unbürgerliche, | |
Direkte hat auch eine Schattenseite. | |
Herr van Aken, was hat Sie politisch am stärksten geprägt? | |
Die Antwort kommt wie immer ohne Zögern. „Bei Greenpeace Kampagnen zu | |
machen.“ Dort hat er in den 90er Jahren gearbeitet. Es hat sein Denken, | |
seinen Begriff von Politik geformt. Bei Kampagnen müsse man erst das Ziel | |
identifizieren. Ein Ziel, nicht zwei. Und dann alle Kräfte auf diesen Punkt | |
fokussieren. | |
## Mietendeckel, Mietendeckel, Mietendeckel | |
In Schulungen lehrt van Aken, wie man Kampagnen inszeniert: „Wenn ihr | |
versucht, die Wand einzudrücken, scheitert ihr. Wenn ihr eine Reißzwecke | |
nehmt, könnt ihr einen Riss erzeugen.“ Van Aken denkt Politik nicht als | |
komplexes System, in dem man sich umsichtig zu bewegen hat, sondern als | |
Suche nach dem einen Punkt. | |
Der Wahlkampf der Linkspartei folgt einem Kampagnendrehbuch. Im Fokus | |
stehen Mieten. „Ich muss jeden Tag mindestens dreimal Mietendeckel sagen“, | |
so van Aken fröhlich. Die Linkspartei hat eine App eingerichtet, in der | |
MieterInnen zu hohe Mieten und Nebenkosten melden können. Das ist die | |
Reißzwecke. Es reicht nicht, das Richtige zu wollen, man muss auch | |
brauchbares Werkzeug haben. | |
Die Gefahr ist nicht, dass sich Jan van Aken an Dienstwagen gewöhnt und den | |
Sirenengesängen des Systems erliegt. Oder flüchtigem Ruhm auf den Leim | |
geht. Die Gefahr ist, dass er das robuste „Wir gegen die“ übertreibt. Dass | |
er nur noch den Punkt sieht, nicht mehr die Wand. | |
21 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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