# taz.de -- taz-Seitenwende: Pazifismus in Zeiten des Krieges | |
> Viele Grüne und Linke kommen aus der Friedensbewegung. Kann Pazifismus in | |
> Kriegszeiten funktionieren? Eine Diskussion zur taz-Seitenwende in Köln. | |
Bild: Pascal Beucker (links), Yazgülü Zeybek (Grüne) und Paul Schäfer (Link… | |
Köln taz | Ich komme aus einer Zeit, in der man geglaubt hat, man könnte | |
auch ohne Waffen das Leben auf dem Planeten erträglich gestalten“, sagt ein | |
Zuhörer. Heute diskutiere man nur darüber, welcher Panzer oder welche | |
Drohne die geeignetere sei. Ob in den Parteien, bei den Linken und den | |
Grünen, überhaupt noch Ideen zum Pazifismus diskutiert werden, fragt er. | |
Genau darum soll es bei der taz-Podiumsdiskussion zwischen Yazgülü Zeybek, | |
der Co-Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen Grünen, und dem ehemaligen | |
verteidigungspolitischen Sprecher der Linkspartei, Paul Schäfer, gehen. Den | |
Abend moderiert taz-Inlandsredakteur Pascal Beucker. | |
Die Sitze in der Alten Feuerwache im Kölner Agnesviertel sind an diesem | |
Freitagabend voll besetzt – trotz strahlendem Sonnenschein und vielen | |
Erkälteten. Der Saal hat sich schnell gefüllt, viele sind früher gekommen. | |
Zeybek, Schäfer und Beucker diskutieren, ob und wie ein Pazifismus auch | |
jetzt noch funktionieren kann, da in Europa Krieg herrscht. Denn spätestens | |
seit Russland die Ukraine angegriffen hat, stehen pazifistische Positionen | |
unter Druck. | |
Es ist der Abend des 16. Mai. Am Nachmittag hat das erste | |
[1][Zusammentreffen der Kriegsparteien Russland und Ukraine] seit 2022 | |
stattgefunden. Zwar waren bei dem nur zweistündigen Gespräch nicht die | |
beiden Staatschefs Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj anwesend, | |
immerhin wurde aber ein groß angelegter Austausch von Kriegsgefangenen | |
vereinbart. Dass Putin der Einladung nach Istanbul nicht gefolgt ist, hält | |
die Grünen-Co-Vorsitzende Yazgülü Zeybek nicht nur für die Ukraine für | |
fatal: „Auch die russische Bevölkerung hätte es verdient, dass Putin bereit | |
ist, solche Gespräche auf höchster Ebene zu führen.“ Denn die Hoffnung auf | |
einen diplomatischen Ausweg aus dem Krieg dürfe man nicht aufgeben, sagt | |
die Grünenpolitikerin. | |
„Wenn man sich die Lage an der Front anschaut, sind Putins Leute in einer | |
starken Position. Solange das so ist, bin ich sehr skeptisch, ob es möglich | |
ist, einen Durchbruch bei Verhandlungen zu erzielen“, widerspricht Paul | |
Schäfer von der Linkspartei. Wo er Zeybek zustimme: Ein Kriegsende müsse | |
durch Verhandlungen erreicht werden. Auch beim Publikum findet diese | |
Position Anklang, unter den etwa 80 Anwesenden sind viele nickende Köpfe zu | |
sehen. Die Schlüsselfrage, da sind sich die Referent:innen einig, sei | |
die nach dem Wie. Es brauche vor allem Russlands Bereitschaft, den Krieg zu | |
beenden, findet Zeybek. Um Garantien stehe es dabei jedoch schlecht. | |
„Russland hat bisher mehrfach Abkommen gebrochen. Wo ist da die | |
Glaubwürdigkeit?“ | |
Aufrüstung als Lösung? | |
Wladimir Putin verfolge mit seinem Krieg mehrere Ziele, so Schäfer. Zum | |
einen wolle er Russlands Einflusszone in der Ukraine sichern, zum anderen | |
solle Russland wieder „eine Rolle in der Welt spielen“. „Russland wirft | |
begehrliche Blicke auf das Gebiet des ehemaligen Zarenreichs“, so Schäfer. | |
Dahinter stehe eine neoimperiale Politik. Allerdings, betont der ehemalige | |
Verteidigungspolitiker, müsse man dagegen anders vorgehen als durch | |
Aufrüstung. „Das können wir uns auch vor dem Hintergrund des Klimawandels | |
einfach nicht leisten.“ Kriege, so zeigen Untersuchungen, heizen die | |
Klimakrise massiv an. | |
An der Militärfrage komme man aber trotzdem nicht vorbei. „Leider muss man | |
Putin zeigen, dass er in der Ukraine nicht durchkommt. Das darf er nicht“, | |
so Schäfer. Am Ende, vermutet der Linkenpolitiker, wird es eine Ukraine | |
geben müssen, die auf Teile ihrer Gebiete verzichtet und nicht Teil der | |
Nato ist. „Diese Kompromisse werden sehr hart, auch, weil sie die russische | |
Aggression belohnen. Aber das ist die einzige Möglichkeit, die ich sehe.“ | |
„Ich finde diese Feststellung sehr tragisch“, kommentiert Zeybek, „Dort | |
sterben noch immer täglich Menschen. In so einer Situation dann aus dem | |
sicheren Deutschland heraus zu sagen, tut uns leid, liebe Ukrainer, aber | |
ihr müsst das akzeptieren, ist tragisch.“ Viele Zuschauer:innen machen | |
diese Worte sichtlich betroffen, einige halten sich betreten die Hand vor | |
den Mund, kurz wird es ganz still im Saal. | |
Dennoch sei die derzeitige Linie mit Blick auf die Kräfteverhältnisse nicht | |
zu halten, sagt Schäfer. „Vor allem nicht, wenn die USA aussteigen. So | |
bitter das ist.“ So könne für Grünenpolitikerin Yazgülü Zeybek aber kein | |
nachhaltiger Frieden entstehen. „Russland ist keine Demokratie. Man kann | |
den Menschen in der Ukraine keinen Frieden in Unterdrückung zumuten, nur | |
Frieden in Freiheit“, sagt sie. Schäfer sieht die Lösung dafür in zivilem | |
Ungehorsam. Dieser müsse nur so stark werden, dass sich dann die | |
politischen Verhältnisse innergesellschaftlich ändern. | |
Friedenspolitische Traditionen | |
Die Partei Bündnis 90/Die Grünen ist nicht nur aus der Umwelt-, sondern | |
auch aus der Friedensbewegung heraus entstanden. [2][In den vergangenen | |
drei Jahren] stand die Partei als Teil der Bundesregierung und angesichts | |
der aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen unter Druck. Manche | |
Kritiker:innen warfen den Grünen, die sich für Waffenlieferungen an die | |
Ukraine aussprechen, sogar „Kriegstreiberei“ vor. Diesen Vorwurf möchte | |
Yazgülü Zeybek nicht unbeantwortet lassen: „Meine Partei und ich haben uns | |
immer für den Frieden starkgemacht. Aber wir leben heute in einer Welt, in | |
der Russland Völkerrecht bricht und Kriegsverbrechen begeht.“ | |
Möglicherweise gewinne die Ukraine nicht militärisch. „Aber sie darf nicht | |
verlieren“, betont Zeybek. Man sehe auch die Sorge in Polen und dem | |
Baltikum: „Ob Putin an den Grenzen der Ukraine stehen bleiben würde, wissen | |
wir nicht.“ | |
Dass Russland einen Nato-Staat angreift, hält Paul Schäfer für | |
unwahrscheinlich. „Solch ein Angriff wäre selbstmörderisch für Putin. | |
Deshalb versucht er auf andere Art, seinen Einfluss auszubauen.“ An dieser | |
Stelle ruft eine Zuhörerin ungläubig dazwischen: „Aber wir können doch | |
nicht davon ausgehen, dass die Nato in der jetzigen Form weiter bestehen | |
bleibt!“ | |
Auf der Bühne geht es konfrontativ weiter. „Was ich nicht verstehe, ist, | |
warum die Grünen sich dafür einsetzen, hundert Milliarden Euro in | |
Aufrüstung zu stecken. Das machen doch alle anderen Parteien schon“, sagt | |
Schäfer. Wir sind in der Parteipolitik angekommen. Zeybek entgegnet | |
gereizt: „Das war nie unsere Position. Für uns war von Anfang an klar, dass | |
das Sondervermögen nicht nur in Waffen, sondern auch in andere Bereiche der | |
Verteidigungsfähigkeit investiert werden muss.“ | |
Gemeint ist Cybersicherheit. Seit vielen Jahren sind Panzer und Raketen | |
nicht mehr die einzige Form der Kriegsführung. Angriffe auf Webseiten der | |
kritischen Infrastruktur wie Behörden und Medien oder Sabotageakte gehören | |
auch in Deutschland längst zum Alltag. Zeybek geht zum Konter über: „Was | |
soll Ihrer Partei zufolge eigentlich mit der Ukraine passieren, wenn sie | |
den Krieg nicht fortsetzen kann? Das ist mir nicht klar.“ „Mir auch nicht�… | |
antwortet Schäfer und bekommt vom Publikum die erwartete amüsierte | |
Reaktion. | |
Mensch zu sein ist das, was die Zuhörer:innen mögen, das hat Schäfer | |
verstanden. In fast habeckscher Manier beichtet er ab und an, dies nicht zu | |
wissen oder jenes nicht zu verstehen. Die Leute kennen die Debatte, sie | |
kennen die Argumente. Der 76-jährige Linkenpolitiker schafft es in dem | |
Gespräch durchaus besser als die 39-jährige Zeybek, authentisch zu wirken | |
und den Eindruck entstehen zu lassen, er spreche „Klartext“ und halte keine | |
hohlen Politikerreden. Als Oppositionspolitiker hat er einerseits den | |
Vorteil, dass seine Partei keine Kompromisslasten aus Regierungszeiten mit | |
sich trägt. | |
Andererseits scheint sich auch beim Thema Pazifismus eine generationelle | |
Trennlinie zu ziehen: das Publikum ist ihm, trotz einzelner Menschen in den | |
Zwanzigern sowie wenigen Kindern, alterstechnisch weitaus näher als seiner | |
39-jährigen Grünen-Kollegin. Ein Zuhörer wird die Altersverteilung im | |
Publikum im weiteren Diskussionsverlauf „bezeichnend“ nennen. | |
Ungeduld im Publikum | |
Nächster Punkt: Warum reden Grüne und Linke nur noch halbherzig über | |
Sanktionen? Schäfer sieht „Uneinigkeit in der EU“ als Grund. Was Putin | |
stark mache, sei sein militärisches Potenzial, aber auch „viele | |
internationale Unterstützer beziehungsweise viele, die nicht intervenieren | |
wollen“, sagt er. „Denen muss die EU etwas anbieten, das macht es natürlich | |
noch mal komplizierter“. Zeybek fordert: „Das beste Mittel gegen | |
Erpressbarkeit ist es, sich durch erneuerbare Energien unabhängig von | |
fossilen Importen zu machen.“ | |
Sichtlich ungeduldig haben viele im Publikum darauf gewartet, dass die | |
Diskussion geöffnet wird. Als es so weit ist, schnellen Hände in die Höhe. | |
Die Zuhörerin im weiß-blau-gestreiften Oberteil erinnert nachdrücklich an | |
ihre dazwischengeworfene Frage, ob der Nato nicht ein Zusammenbruch drohe. | |
Paul Schäfer glaubt an ein Weiterbestehen der Nato. Aber: „Der europäische | |
Pfeiler der Nato wird gestärkt werden müssen.“ | |
Ein Zuhörer erklärt: „In meiner Jugend war ich froh über jede Bombe, die | |
entschärft wird. Meine Kinder hingegen wachsen in eine Welt hinein, in der | |
immer mehr Waffen gefordert werden“, sagt er merklich verzweifelt. „Ich | |
verstehe nicht, warum das Geld jetzt so locker sitzt, es in den letzten | |
Dekaden aber nicht zur Verfügung stand, um eine Gemeinschaft aufzubauen, | |
sodass Europa geschlossen so einem Aggressor gegenübertreten kann“, fügt er | |
hinzu. Das Gros der Zuhörer:innen hat er auf seiner Seite. Dort | |
herrscht breites Unverständnis darüber, dass ihrem Eindruck nach | |
pazifistische Ideen an den gesellschaftlichen Rand gedrängt würden. | |
Wie er seinen Kindern erklären solle, dass in der aktuellen Politik die | |
Themen „Aggressivität und Militär“ eine so große Rolle spielten, wisse d… | |
Mann nicht, sagt er. Die Gefühle der Verunsicherung konnten aber auch die | |
Referent:innen nicht auflösen. Für den Zuhörer eine Enttäuschung: „Das, | |
was aktuell in der Welt passiert, will ich nicht. Ich hatte gehofft, heute | |
Abend Antworten auf die gesellschaftlichen Fragen zu erhalten.“ Damit | |
trifft er auch bei anderen einen Nerv, Applaus brandet auf. | |
Reduktion auf Radikalpazifismus | |
Kann eine pazifistische Theorie die Unsicherheit lindern, vielleicht sogar | |
Antworten liefern? Diese Zwischenfrage einer weiteren Person ist an | |
Moderator Pascal Beucker gerichtet, der vergangenes Jahr [3][ein Buch zum | |
Thema veröffentlicht] hat. Beucker protestiert den nickenden Köpfen im Saal | |
zum Trotz: „Aber ich moderiere heute doch nur!“ Eine Zuhörerin ruft: „Ab… | |
wir wollen doch Antworten!“ | |
Der taz-Redakteur lenkt ein: Was in der Debatte oft für Unklarheit sorge, | |
sei, Pazifismus mit Radikalpazifismus gleichzusetzen, so Beucker. „Das ist | |
nur eine Variante, die historisch aber immer eine Minderheitsvariante war“, | |
sagt er. Seinen Ursprung habe der Pazifismus in zwei Strömungen, einer | |
religiös geprägten, die in Nordamerika entstanden ist, und der bürgerlichen | |
Friedensbewegung im Europa des 19. Jahrhunderts. Letztere hielt jedoch | |
Gewaltanwendung im Verteidigungsfall für zulässig, genauso wie Angegriffene | |
zu unterstützen. „Der Grundkonsens ist die Ablehnung von Angriffskriegen. | |
Und alle pazifistischen Strömungen wollen Schwerter zu Pflugscharen | |
umschmieden. Aber nicht alle wollen auch die andere Wange hinhalten.“ | |
Die Frau im blau-weiß gestreiften Oberteil kann diese Sichtweise | |
nachvollziehen. Auch sie sei mit pazifistischen Ideen groß geworden, sagt | |
die 70-Jährige. „Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass die | |
Forderung ‚Raus aus der Nato‘ für mich irgendwann nicht mehr als Ziel gilt. | |
Seit drei Jahren ist das anders.“ Der Herr im weißen Hemd nickt, während | |
sie spricht. Ein weiterer meldet sich: „Ich glaube, so unterschiedlich sind | |
die hier vertretenen Positionen von Grünen und Linken gar nicht.“ Yazgülü | |
Zeybek zeigt sich dankbar für die Fragen des Publikums. Vielleicht sei der | |
Grundgedanke des Pazifismus in ihrer Partei im politischen Alltag und | |
angesichts „der Realität des Krieges“ nicht immer wahrnehmbar gewesen. | |
Aber, so sagt sie, sie nehme die vielfältigen Sorgen, die geäußert wurden, | |
ernst. Sie selbst frage sich: „Wie reagiert man auf jemanden, der sich | |
nicht an die Spielregeln hält?“ | |
Frieden in der [4][Ukraine] sei das ultimative Ziel, so Zeybek. „Aber nicht | |
zum Preis, in Putins Diktatur leben zu müssen. Und auch wir können der | |
Ukraine nicht vorschreiben, welche Bedingungen sie akzeptieren muss.“ Das | |
Pazifismusverständnis müsse aber dennoch in die Überlegungen zum Umgang mit | |
Putin einfließen, betont sie. Das sieht auch Linkenpolitiker Schäfer so. | |
Pazifismus, glaubt er, sei das „Gegengift gegen die in der Debatte | |
herrschende Sprache der Gewalt“. Das stößt im Saal nur noch auf leise | |
geraunte Bejahungen. Der Abend war lang – und die Zuhörenden fast zwei | |
Stunden lang hochkonzentriert. | |
Am Ende bleiben viele aus dem Publikum dennoch im Saal. Schnell bilden sich | |
kleinere Grüppchen, manche kennen sich, manche führen die vorherige | |
Diskussion weiter. Untereinander, aber auch mit den Referent:innen. Erst | |
als die Stühle aufgeräumt werden, verlassen die letzten Zuhörer:innen | |
den Saal. Die Sorgen, so hat es sich gezeigt, sind groß. Und so auch der | |
Redebedarf, den eine Podiumsdiskussion allein nicht decken kann. | |
23 May 2025 | |
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Marco Fründt | |
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