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# taz.de -- taz-Diskussion in München: Olympiareife Gedankenspiele
> Im Oktober heißt es: Tschüss werktägliche Print-taz, hallo App. Vor
> dieser „Seitenwende“ diskutiert die taz mit Leser*innen. In München ging
> es um die Olympia-Bewerbung.
Bild: Original-Kulisse von 1972: Das Olympiastadion in München würde auch Sch…
München taz | Wer dieser Tage mit dem Zug am Hauptbahnhof in München
ankommt, muss denken, dass bald ganz Großes ansteht in der Stadt. Die
Besucher der Stadt werden von riesigen Baustellen in Empfang genommen. Was
wohl anstehe in der Stadt, mögen manche sich fragen. Ein großes Sportevent
vielleicht? Wer etwa im Jahr vor der Fußball-WM 2018 in Russland versucht
hat, zu Fuß durch die Innenstadt von Moskau zu gehen, der wird sich nicht
an viel mehr erinnern als an Bauzäune, Behelfsgehwege und ausgehobene
Baugruben. In München rund um den Hauptbahnhof sieht es dieser Tage auch
nicht viel besser aus.
Der Bahnhof selbst ist eine Baustelle, der Warenhauskomplex gegenüber steht
leer und ist von Bauzäunen umgeben. Er gehört zu den zahlreichen
Immobilienleichen des österreichischen Superpleitiers René Benko in der
Münchner Innenstadt. Der andauernde Versuch, aus dem für Münchner
Verhältnisse traditionell schäbigen Bahnhofsviertel ein ordentliches Wohn-
und Geschäftsumfeld zu machen, hat dazu geführt, dass die
Schwanthalerstraße, die von der Innenstadt an der Theresienwiese vorbei in
den Gentrifizierungshotspot Westend hinaufführt, mal linksseitig, mal
rechtsseitig wegen Baumaßnahmen verengt ist.
Hinter einer dieser Baustellen, deren Geruch nach frisch gegossenem Beton
die Düfte aus den zahlreichen Dönerbuden und exotischen Imbissrestaurants
längst überlagert, befindet sich eine der seltenen Oasen der Gegenkultur in
der Wirtschaftsmetropole. Im Eine-Welt-Haus haben etliche soziokulturelle
Vereine, die sich um das Miteinander der stark migrantisch geprägten
Stadtgesellschaft kümmern, ihr Zuhause. Passt zur taz, haben sich die
Organisatoren der Seitenwende-Tour gedacht und am Freitag zur
Podiumsdiskussion geladen: Es soll um eine mögliche Bewerbung der Stadt für
die Olympischen Sommerspiele gehen
Steht also doch tatsächlich Olympia vor der Tür? So schnell geht’s dann
auch wieder nicht. All die Baustellen, die für das hässliche Entrée in die
Stadt sorgen, haben nichts mit diesem Megaevent zu tun. Es geht um die
Spiele 2036, 2040 oder 2044.
Es ist der ausdrückliche Wille des im Deutschen Olympischen Sportbund
(DOSB) organisierten Sports, die Spiele nach Deutschland zu holen. Der Bund
unterstützt das Ziel. Eine Bewerbung für die Ausrichtung von Olympischen
und Paralympischen Spielen ist im Koalitionsvertrag von CDU und SPD als
Teil einer „nationalen Strategie“ Sportgroßveranstaltungen explizit als
Ziel formuliert. Wer vom DOSB dann ins Rennen geschickt wird, um den
Zuschlag des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zu erlangen,
entscheidet sich erst im Herbst 2026. Doch der nationale Kampf darum ist
längst entbrannt.
Vier Möchtegernbewerber gibt es aus Deutschland. Da ist Berlin, das gerne
schon 2036 Gastgeber sein möchte, um der Welt zu zeigen, wie weltoffen die
Stadt geworden ist seit dem Propagandaspektakel bei den Nazispielen von
1936. Hamburg, dessen Olympiabewerbung für die Spiele 2024 von der
Stadtbevölkerung in einer Volksabstimmung abgelehnt wurde, will wieder ins
Rennen gehen. Und die Region Rhein-Ruhr versucht es ebenfalls nochmal,
nachdem ihre Bewerbung für die Spiele 2032 auch daran gescheitert war, dass
die Bewerber selbst nicht so genau wussten, wie das Procedere beim IOC
eigentlich abläuft. Und München natürlich. Die Stadt hätte nach 1972 die
Spiele gerne ein zweites Mal.
Warum eigentlich? Das war eine der Fragen, die es bei der Podiumsdiskussion
in München zu beantworten galt. Julia Schönfeld-Knor, die für die SPD
Sportthemen im Münchner Stadtrat bearbeitet, erinnerte an die
faszinierenden Bilder, die im vergangenen Jahr um die Welt gegangen sind.
Die Stadt Paris als Kulisse für Spitzensport hatte ikonische Bilder
geliefert. Und auch von der Stimmung in der Stadt hat sie geschwärmt. Sie
war selbst ein paar Tage in Paris, um Olympialuft zu schnuppern. So etwas
täte München gewiss ebenfalls gut, glaubt sie.
Auch Beppo Brem, sportpolitischer Sprecher der Grünen im Stadtrat, ist die
Diskussion mit eher gefühligen Argumenten angegangen. Wie sich die
Stadtbevölkerung auf die European Championships 2022 eingelassen habe, hat
er in bester Erinnerung. Europameisterschaften in der Leichtathletik, im
Radsport, im Kunstturnen, Rudern, Triathlon, im Kanurennsport,
Beachvolleyball, Tischtennis und Sportklettern waren zu einem
Multisportevent zusammengeschraubt worden, das zum Großteil in den alten
Olympiaanlagen von 1972 stattgefunden hat. Dass er so schwärmt von diesem
Sportevent, dessen kulturelles Begleitprogramm im Olympiapark den
Münchnerinnen und Münchnern einen wahren Festivalsommer beschert hat, wird
niemanden verwundern. Er gehörte zum Organisationskomitee der
Championships. „Unfassbar beeindruckend“ fand auch er die Bilder aus Paris
im vergangenen Jahr.
Moritz Burghard, der sich in der Initiative #ausspekuliert gegen den
Ausverkauf der Stadt an Spekulanten engagiert, war das „fast schon zu viel
Olympiaromantik“. Er habe nun wahrlich nichts gegen Sport, aber nach allem,
was er wisse, sei ein Nebeneffekt in Gastgeberstädten der Spiele die
dauerhafte Erhöhung der Preise auf dem Immobilienmarkt. Und der sei in
München ja ohnehin völlig überhitzt. Olympische Spiele wirkten da, wie „Öl
ins Feuer“ zu gießen, sagte er und erntete Applaus im Publikum.
Die Rollenverteilung war schnell klar. Brem und Schönfeld-Knor, die mit
ihren Fraktionen für das Bewerbunskonzept gestimmt haben, das Münchens
Oberbürgermeister Dieter Reiter zusammen mit dem bayerischen
Ministerpräsidenten Markus Söder am 20. Mai vorgestellt hatte,
argumentierten gegen Burghard – und auch gegen die Stimmung im Saal. Für
dringend benötigte und auch schon angeschobene Infrastrukturmaßnahmen, wie
den Bau einer neuen U-Bahn-Linie, einen S-Bahn-Ring im Münchner Norden oder
den Ausbau von Radschnellverbindungen sei Olympia „wie ein Booster“, sagte
Schönfeld-Knor. Bund und Freistaat würden sich dann ja auch engagieren. Ein
olympisches Dorf im Nordosten der Stadt könne die Erschließung eines
ohnehin geplanten Wohngebiets ebenfalls beschleunigen und Wohnraum für
10.000 Menschen schaffen.
Der Grüne Brem warb mit Verve für das Konzept, das vor allem auf der
Nutzung vorhandener Sportstätten beruht. Wenn das so, wie es dasteht,
umgesetzt würde, hätte München „die nachhaltigsten Spiele der Geschichte�…
Es soll nicht allzu viel Beton gegossen werden für die Spiele. Jede Menge
Stahlrohrtribünen und temporäre Wettkampfstätten sollen im Olympiapark
aufgebaut werden. Aber ganz so einfach ist das alles nicht. Für die
olympische Kernsportart Schwimmen ist ein Becken mit zehn Bahnen nötig. Die
Olympiaschwimmhalle von 1972 genügt diesen Ansprüchen des modernen
Schwimmsports nicht. Nun könnte ein temporäres Becken in eine
Multifunktionsarena gebaut werden, die in der Nähe des Münchner Flughafens
entstehen soll.
## „Was für ein Schmarrn!“
Es ist dies einer der vielen Konjunktive, die bemüht werden, wenn über
Spiele gesprochen wird, von denen noch gar nicht feststeht, ob sie
überhaupt nach München kommen. „Temporäre Schwimmhalle, was ist das denn
für ein Schmarrn!“, rief ein taz-Leser irgendwann Richtung Podium.
Ob Brem und Schönfeld-Knor den Mann bis zum 26. Oktober wohl noch zum
Olympiabefürworter machen können? An diesem Tag sind die Münchnerinnen und
Münchner aufgerufen, bei einem Bürgerentscheid darüber abzustimmen, ob die
Stadt mit dem vorgestellten Konzept ins Rennen um den nationalen
Vorentscheid gehen soll. Ein klares Ja zu Olympia würde Münchens Chancen
erheblich erhöhen, ist sich Brem sicher.
Und er wird wohl bis zum Abstimmungstag nicht müde werden, all jenen
Kritikern, die befürchten, dass am Ende das Milliardenunternehmen IOC
diktatorisch bestimmen werde, wie die Spiele in München auszusehen haben,
entgegenzuhalten, dass es durchaus möglich sei, mit den Ober-Oympiern zu
verhandeln. Auch die Vertreter der Internationalen Sportverbände, deren
Europameisterschaften 2022 in München stattgefunden haben, seien nicht „per
se nett“ gewesen und doch habe er mit ihnen das Beste für München
herausverhandelt. 130 Millionen Euro Etat habe er damals gehabt und ihn
nicht überschritten. Derart sinnvolles Wirtschaften sei auch bei
Olympischen Spielen möglich.
Dass der Betrag im Vergleich zu den 4,4 Milliarden Euro Organisationskosten
für die Spiele in Paris fast schon mickrig wirkt, wird er wissen. Und als
Burghard noch einmal einwarf, dass das ohnehin schnell wachsende München
wahrlich kein durch Olympia befeuertes Wirtschaftswachstum brauche,
vielmehr aber ein soziales, blieb Brem im Kampfmodus für Olympia. Die
Spiele könnten eben helfen, das Wachstum zu beherrschen, das auf München
ohnehin zukommt. 1,6 Millionen Einwohner zählte München Ende 2024. In einer
kürzlich vorgestellten Prognose der Landeshauptstadt rechnet man mit einem
Anstieg der Bevölkerung bis 2045 um 226.000 Menschen auf über 1,8
Millionen.
Es wird also ohnehin entwickelt, verdichtet und versiegelt werden müssen.
Der Geruch frisch gegossenen Betons wird noch sehr lange über der Stadt
liegen – ganz egal, ob nun die Olympischen Spiele nach München kommen
werden oder nicht.
30 Jun 2025
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Seitenwende
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