# taz.de -- Linkspartei nach der Bundestagswahl: Die Neuen in der alten Linken | |
> Keine Partei hat derzeit so viel Zulauf wie die Linke. Mehr als 100.000 | |
> Mitglieder gibt es bundesweit. Doch ist der Hype nach der Wahl bald | |
> vorbei? | |
Bild: Da war noch Wahlkampf: Die Linke mit „Silberlocke“ Bodo Ramelow am Mi… | |
Auf Tiktok sieht Noel Kosmann kurz vor der Bundestagswahl ein Video | |
darüber, wie das mit dem Mitgliedsantrag bei der Linken läuft. Welche | |
Möglichkeiten Mitglieder haben, sich einzubringen? Die 23-Jährige macht in | |
Leipzig eine Ausbildung zur Heilpraktikerin, hat schon mehrfach die Linke | |
gewählt und findet die Ziele der Partei gut: niedrige Mieten, niedrige | |
Preise, soziale Gerechtigkeit. Aber eine Parteimitgliedschaft? „Irgendwie | |
habe ich das gar nicht als Möglichkeit gesehen“, so erzählt es Kosmann | |
später. Aber neuerdings hat sie auch das Bedürfnis, etwas zu verändern, | |
sich selbst im Kampf gegen den Faschismus zu engagieren, wie sie sagt. | |
Prompt füllt Kosmann am Handy den Antrag aus und schickt ihn ab. | |
Keine andere Partei verzeichnete in den vergangenen Wochen so viele | |
Eintritte wie die Linke. Seit vergangenem Jahr hat sich die Mitgliederzahl | |
fast verdoppelt auf bundesweit mehr als 100.000. Noch im Januar galt die | |
Linke als politisch irrelevant – dann bekam sie bei der Bundestagswahl 8,77 | |
Prozent der Stimmen und gewann sechs Direktmandate. Mit betont fröhlichem | |
Optimismus, neuer Geschlossenheit sowie der Wahlwerbung an Haustüren und | |
auf Social Media hat die Partei einen regelrechten Hype erzeugt. | |
In Leipzig zeigt sich das [1][besonders deutlich]. Bei der Wahl am 23. | |
Februar bekam die Linke hier mit 22,5 Prozent den höchsten Stimmenanteil | |
und gewann im Leipziger Süden das Direktmandat. Dem Stadtverband gehören | |
aktuell mehr neue als alte Mitglieder an: Im vergangenen September hieß es | |
stolz, die Partei habe die „2.000er-Marke geknackt“. Inzwischen steht sie | |
bei rund 4.600 Mitgliedern. In Sachsen ist die Zahl von 6.900 im Januar auf | |
mittlerweile 10.000 Neumitglieder angewachsen – mehr als jede andere Partei | |
im Freistaat. | |
## Sie wirbt im Freundeskreis für die Linke | |
Noel Kosmann hat sich in Leipzig während des klassischen Wahlkampfs noch | |
nicht aktiv beteiligt. „Plakatieren mit Unbekannten, das wäre für mich doch | |
irgendwie ein zu starker Einstieg“, erklärt sie. Stattdessen spricht sie | |
mit Familie und Freund:innen über Politik, wirbt dabei für die Linke. | |
Erst nach der Bundestagswahl besucht sie Anfang März eine | |
Parteiversammlung: das Treffen des Stadtbezirksverbands Leipzig Südost. | |
An einem Donnerstag kurz nach 19 Uhr hat sich ein halbes Dutzend | |
Linkenmitglieder auf dem Fußboden eines großen Wohnzimmers niedergelassen, | |
weil Couch und Stühle voll besetzt sind. 36 von ihnen haben sich in diesem | |
Dachgeschoss versammelt. Bisher traf sich die Linke im offenen | |
Stadtteilbüro eine Straße weiter. Aber der Raum dort wäre nun zu klein, | |
weshalb schnell eine Alternative her musste. Zwei Genoss:innen boten ihr | |
privates Wohnzimmer an. Auch dort wird es nun fast zu eng. | |
Mit lockeren Gesprächen vertreiben sich die Linken die Zeit. Begrüßen, | |
lachen, diskutieren. Noel Kosmann freut sich, dass sie nicht die einzige | |
Neue ist. „Es ist ja oft schwierig, in so feste Gruppen hineinzukommen.“ In | |
der Mitte des Raums stehen Getränkekisten, Erdnussflips und veganer | |
Fanta-Kuchen. Zwei Katzen streifen durch das warm beleuchtete Wohnzimmer, | |
holen sich Streicheleinheiten ab. Dann eröffnet Linke-Stadträtin Olga | |
Naumov das Treffen. Sie freue sich über die vielen Leute – vor nicht mal | |
einem Jahr wären sie bei solchen Versammlungen noch zu viert gewesen. | |
## Der Jüngste ist 16, die Älteste 76 Jahre alt | |
Zu Beginn stellen sich erst mal alle vor: eine studiert, ein anderer | |
arbeitet als Software-Entwickler, der nächste als Erzieher, eine weitere | |
gar nicht. Der Jüngste ist 16 Jahre alt, die Älteste 76. Ein paar sind | |
schon lange in der Linken, andere wurden zur Bundestagswahl im Februar | |
Mitglied. | |
Mit in der Runde sitzt Malte-Philipp Krause. Wegen seiner | |
Katzenhaarallergie hat der 22-Jährige gerötete Augen. Damit er trotzdem | |
beim Treffen dabei sein kann, nimmt er Tabletten. Er wuchs in der Nähe von | |
Nordhausen in Thüringen auf und studiert Wirtschaftsinformatik in Leipzig. | |
Politisiert habe er sich eher stückweise. „Das war kein aktiver Prozess, | |
eher ein schleichender.“ | |
An den Abend, an dem er Linkenmitglied wurde, erinnert sich Krause so: | |
Anfang Januar habe er eine politische Sendung auf seinem Laptop geschaut. | |
Da kam ihm der Gedanke, wie das denn mit dem Parteieintritt so | |
funktioniere. Krause habe die Website der Linken geöffnet, den Antrag | |
ausgefüllt und abgeschickt. „Ich wollte unbedingt mithelfen.“ | |
Whatsapp und Wahlkampf | |
Danach sei er in eine Whatsapp-Gruppe und zugleich den Wahlkampf | |
eingetreten: Flyer, Haustürwahlkampf, Infostände. Schon nach kurzer Zeit | |
sei die Parteiarbeit zu seinem „Hobby“ geworden. „Damit fülle ich gerne | |
Nachmittage“, sagt Philipp Krause. Die vielen Eintritte in die Linke habe | |
er vor allem in der schnell wachsenden Whatsapp-Gruppe bemerkt: jeden Tag | |
neue Mitglieder. „Wie schnell das alles geht“, habe er gedacht. | |
Doch bringen viele Mitglieder ihren Parteien etwas? Über das Wahlergebnis | |
sagt ihre Anzahl zumindest wenig aus. Ein eindrückliches Beispiel dafür | |
bietet die AfD. In Sachsen hat sie laut eigenen Angaben aktuell 4.000 | |
Mitglieder, 30 neue pro Tag. Damit liegt sie hinter der Linken (10.000 | |
Mitglieder), der CDU (9.500), den Grünen (5.000) und der SPD (4.600) – | |
bekam in Sachsen aber den mit Abstand höchsten Stimmenanteil bei der | |
Bundestagswahl: 37,3 Prozent. | |
Trotzdem stärken die Mitglieder ihre Parteien etwa durch den | |
Mitgliedsbeitrag oder aktives Engagement, bekräftigt der | |
Politikwissenschaftler Benjamin Höhne, der an der TU Chemnitz zu Parteien | |
und ihren Mitgliedern forscht. Persönlicher Kontakt, etwa beim | |
Haustürwahlkampf, senke Berührungsängste und könne Wähler:innen | |
überzeugen, erklärt er. Das sei effektiver als Fernsehspots, Plakate oder | |
Social Media. | |
## Fast alle Parteien haben mehr Mitglieder | |
„Im Wahlkampf verbuchen mehr oder minder alle Parteien Mitgliedszuwächse“, | |
sagt Höhne. Dass die Linke besonders viele Anhänger:innen mobilisieren | |
konnte, rechnet er ihrer Position im Parteiensystem zu: Ihr Bekenntnis zu | |
inklusiver Migrationspolitik oder die geforderte radikale Umverteilung | |
seien Alleinstellungsmerkmale. | |
„Für die Linke besteht die Gefahr, dass einige Mitglieder relativ schnell | |
davon genervt sind, wie anstrengend das Parteiengagement sein kann, und | |
dann das Handtuch werfen.“ Um sie zu halten, sei eine „nachhaltige | |
Willkommenskultur“ nötig: Förder- und Schnupperprogramme, Mentoring und | |
Foren, in denen sich die Jungen vernetzen können. Zudem sei hilfreich, | |
diverse Repräsentation zu schaffen und auf Basis-Ebene breite | |
innerparteiliche Partizipation zu ermöglichen, die zum bewegungsnahen | |
Umfeld der Partei durchlässig ist. | |
Beim Treffen in Leipzig Südost geht es mittlerweile darum, wer sich | |
vorstellen könne, in Arbeitsgruppen mitzuwirken. Notwendig erscheinen den | |
Mitgliedern etwa AGs für Soziales, Veranstaltungen, zur politischen | |
Bildung, Kinder- und Jugendpolitik, für Digitales sowie zur Organisation | |
einer Küche für Alle (Küfa), einem öffentlichen Gruppenkochen, bei dem die | |
Linkenmitglieder Essen austeilen wollen. Hände gehen hoch, Stadträtin Olga | |
Naumov notiert die Namen. | |
## Ziel: 150.000 Mitglieder in vier Jahren | |
Die Bundesvorsitzenden der Linken, Ines Schwerdtner und Jan van Aken, haben | |
im März selbstbewusst ein weiteres Ziel veröffentlicht: In vier Jahren soll | |
die Linke 150.000 Mitglieder haben. So steht es im Leitantrag für den | |
Bundesparteitag am 9. Mai in Chemnitz. Als [2][„kraftvolle sozialistische | |
Mitgliederpartei“] soll die Linke demnach vor Ort helfen und gemeinsam | |
Kampagnen organisieren. Klassenkampf, ganz freundlich und ohne internen | |
Streit. | |
Im Antrag steht auch, die Linke trete für jene ein, „die unter den Kriegen | |
dieser Welt leiden“. Es gehe „um Vorschläge für diplomatische und andere | |
nicht-militärische Mittel“. Russland, Ukraine, Hamas, Israel oder | |
Palästina, die Worte tauchen hingegen nicht auf. Warum die beiden | |
Vorsitzenden so unkonkret bleiben? Vielleicht, um scharfe | |
Auseinandersetzungen zu meiden, wie der Folgesatz vermuten lässt: „Wir | |
wollen hier die Positionen, die uns vereinen, in den Mittelpunkt stellen.“ | |
Beim Treffen in der Dachgeschosswohnung sprechen einige Mitglieder | |
zwischendurch über den Krieg in der Ukraine – oder zumindest über | |
US-Mittelstreckenraketen, Aufrüstung und Waffenlieferungen. Es ist eher | |
Austausch als Diskussion. Eine Schüssel mit Erdnussflips geht herum. Noel | |
Kosmann hört zu. Später erzählt sie: „Ich fand es interessant, im Prinzip | |
ist es ja eine Partei, ein gewisser Standpunkt. Trotzdem hat jede Person | |
ein bisschen ihre eigene Perspektive, das ist schön zum Lernen.“ | |
## Gehen die Neuen bald wieder? | |
Macht sich Kosmann Sorgen, dass neue Mitglieder wegen unliebsamer | |
Positionen schnell wieder verschwinden? Eher nicht. „Wie die Linke sich | |
positioniert, war ja schon vorher klar“, sagt sie. „Sicher stehen nicht | |
alle zu hundert Prozent hinter jeder Entscheidung. Aber das ist auch bei | |
anderen Parteien so.“ | |
Nach zwei Stunden ist das Treffen vorbei, die Runde löst sich langsam auf. | |
Die Stimmung ist zuversichtlich. Kosmann sagte, sie freue sich schon auf | |
das nächste Mal: „Jetzt kenne ich ja schon ein paar Gesichter.“ Vielleicht | |
gibt es dann auch genug Stühle für alle. | |
18 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Neuen-in-der-Linkspartei/!6066872 | |
[2] /Leitantrag-fuer-Linken-Parteitag-im-Mai/!6075078 | |
## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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