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# taz.de -- Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek: „Ich freue mich darauf, zu…
> Das Comeback der Linkspartei ist auch verbunden mit dem Namen Heidi
> Reichinneks. Was verbindet die 36-Jährige mit Rosa Luxemburg und
> Nofretete?
Bild: Linksfraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek: „Auch wenn es mir keiner gl…
taz: Frau Reichinnek, noch vor kurzer Zeit galt Ihre Partei als ein Fall
für den Insolvenzverwalter, jetzt hat sie so viele Mitglieder wie noch nie
und sitzt [1][mit 8,8 Prozent wieder in Fraktionsstärke im Bundestag].
Können Sie Ihr Glück eigentlich fassen?
Heidi Reichninnek: Was da passiert ist, kann ich immer noch nicht richtig
glauben. Als wir unsere erste Fraktionssitzung hatten, saßen da mehr als 60
Abgeordnete. Das ist ein Riesenunterschied zu unserer kleinen Gruppe
vorher. Wir werden ganz anders wahrgenommen. Einfach zu wissen, wir sind
jetzt wirklich wieder eine politische Größe, mit der man rechnen muss, ist
richtig klasse. Wir werden Union und SPD mit Themen nerven, die sie gern
beiseiteschieben. Darauf freue ich mich.
taz: Es gibt einen regelrechten Personenkult um Sie. Im Bundestagswahlkampf
standen [2][junge Leute Schlange], um ein Autogramm von Ihnen zu bekommen.
Wie fühlt sich das an?
Reichinnek: Irgendwie falsch, denn ich mag keinen Personenkult und will gar
nicht ins Rampenlicht, sondern meine Arbeit machen. Auch wenn es mir keiner
glauben mag: Ich bin durchaus schüchtern. Ich freue mich natürlich, dass
ich es geschafft habe, gerade jungen Menschen eine Stimme zu geben und
deren Themen anzusprechen. Aber ich möchte, dass die Menschen selbst aktiv
werden, wenn sie die Möglichkeiten haben. Dazu will ich ermutigen.
taz: Befürchten Sie nicht, irgendwann abzuheben?
Reichinnek: Meine Partei sorgt schon dafür, dass das nicht passiert. Sie
können auch sicher sein, dass ich auch künftig nicht die Flugbereitschaft
nutzen werde. Ich habe ja eine Bahncard. Die Basis unserer Arbeit sind
außerdem [3][Haustürgespräche], unsere Sozialberatung, die Mietwucherapp,
der Check zur Heizkostenabrechnung, also all diese konkreten Alltagshilfen
und Begegnungen vor Ort. Dass wir die Themen ansprechen, die sonst unter
den Tisch fallen, darum geht es mir. Und dass wir klare Kante gegen Rechts
zeigen.
taz: Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD sind inzwischen
die Arbeitsgruppenpapiere durchgesickert. Ist Ihnen dabei etwas besonders
aufgestoßen?
Reichinnek: Schwangerschaftsabbrüche bleiben eine Straftat, das
Ehegattensplitting bleibt, die Freistellung für das zweite Elternteil nach
der Geburt kommt nicht – eine gleichstellungspolitische Katastrophe. Es
gibt interessanterweise vernünftige Vorschläge für Kinder, Jugend und
Familien, die Frage ist – was bleibt am Ende, wenn die angedrohten
Kürzungen im Haushalt kommen?
taz: Als Fraktionsvorsitzende müssen Sie Generalistin sein und zu jedem
Thema sprechfähig. Wie schwer fällt Ihnen das?
Reichinnek: Ich habe mich eh immer für vieles interessiert, daher
funktioniert das schon ganz gut. Es ist klar, dass ich mich mit einigen
Themen besser auskenne als mit anderen. Aber ich habe so viele tolle
Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen in der Fraktion, deren Expertise
ich wertzuschätzen weiß, dass ich das gut hinkriege.
taz: Als Sie 2021 erstmalig in den Bundestag eingezogen sind, war die
Linksfraktion untereinander völlig zerstritten. Wie wollen Sie verhindern,
dass sowas nochmal passiert?
Reichinnek: Die Leute, die jetzt reingekommen sind, tun das mit einem ganz
anderen Verständnis von Zusammenarbeit. Sie haben gar kein Interesse daran,
diesen destruktiven Stil von damals fortzusetzen. Der Fraktionsaufbau ist
eine Riesenaufgabe. Wir sind ja [4][eine bunte Mischung], die vom
Kfz-Mechaniker über mehrere Pflegekräfte bis zum Forstwirt reicht. Als
Fraktionsführung versuchen wir, kooperativ und maximal transparent zu sein
sowie alle Schritte zu erklären. Ich bin noch mit den Kennenlerngesprächen
mit den neuen Abgeordneten beschäftigt, aber bisher habe ich nur positive
Rückmeldungen bekommen.
taz: Und wie steht es um das Verhältnis zur Parteiführung, das in der
Vergangenheit ebenfalls desolat war?
Reichinnek: Mir ist wichtig, wie wir zwischen Partei und Fraktion
zusammenarbeiten: [5][Jan van Aken], [6][Ines Schwerdtner], Sören Pellmann
und ich sprechen mit einer Stimme. Das war bei unseren Vorgänger:innen
früher leider nicht so. Das handhaben wir anders und so soll es auch
bleiben.
taz: Welche Rolle werden die drei „Silberlocken“ in der neuen Fraktion
spielen?
Reichinnek: Wenn ich dazu mal Dietmar Bartsch zitieren darf: „Ich bin ein
Arbeiter im Weinberg des Sozialismus.“ So ähnlich haben es auch [7][Gregor
Gysi] und [8][Bodo Ramelow] formuliert, und das unterstütze ich sehr. Bodo
Ramelow ist jetzt [9][Bundestagsvize], die anderen beiden werden sich in
den Ausschüssen einbringen. Dass alle drei „älteren Herren“ eine etwas
größere Öffentlichkeit haben, freut mich sehr. Dadurch verschaffen sie auch
Mitgliedern der Fraktion Zeit, um erstmal anzukommen. Wir haben so viel zu
tun, dass jeder seinen Arbeits- und Aufgabenbereich finden wird, da mache
ich mir gar keine Sorgen.
taz: Seit dem Wahlkampf hatten Sie noch keine Pause, sondern hetzen von
einem Termin zum nächsten. Müssen Sie sich nicht fragen, wie lange Sie das
noch durchhalten?
Reichinnek: Naja, noch stehe ich! Durch die Grundgesetztricksereien mit dem
alten Bundestag hatten wir natürlich viel mehr zu tun als geplant. Ich
hätte mir gewünscht, dass der neue Bundestag früher konstituiert worden
wäre. Aber ab Mai – also wenn die Strukturen stehen und die
Aufgabenbereiche verteilt sind – nimmt das Leben wieder normalere Bahnen
an. Meine Hoffnung ist, über Ostern in paar Tage freimachen zu können, da
möchte ich zu meiner Familie fahren.
taz: Ihre Eltern leben in Sachsen-Anhalt, wo Sie auch geboren wurden. Wie
wichtig ist Ihnen Ihre ostdeutsche Herkunft?
Reichinnek: Dass ich in Sachsen-Anhalt aufgewachsen bin, hat mich sehr
geprägt. Von der DDR an sich habe ich nicht mehr viel mitbekommen, ich bin
ja erst 1988 geboren worden. Aber es gibt Unterschiede zwischen Ost und
West, die nachwirken, wie ein anderer Blick auf Geschlechterverhältnisse.
Der kam vor allem daher, dass die Arbeitskraft der Frau gebraucht wurde –
wir dürfen uns die DDR nicht als feministische Utopie schönreden. Mein
Vater war Elektriker, meine Mutter Chemiefacharbeiterin. Meine Eltern haben
sowohl beide gearbeitet, als sich auch den Haushalt geteilt. Das war
natürlich nicht überall so, aber bei uns zu Hause schon.
taz: Sehen Sie heute noch einen Unterschied zwischen West- und Ostlinken?
Reichinnek: Ich glaube, der verschwimmt immer mehr, auch wegen der ganzen
neuen jungen Mitglieder. Und der Erfolg, den wir jetzt haben, ist unser
gemeinsamer Erfolg. Fest steht aber auch: Wir wollen einen Fokus auf den
Osten behalten. Wir möchten, dass anerkannt wird, was in den Wendezeiten
passiert ist: der Ausverkauf des Ostens, die Zerstörung von öffentlicher
Daseinsvorsorge, von Infrastruktur, die Massenentlassungen. Ich weiß, was
das mit Menschen macht, wenn man ihre Lebensleistung abwertet. Das dürfen
wir nicht aus dem Blick verlieren.
taz: Ihre Partei hat in den vergangenen Wochen [10][einen enormen Zulauf
erlebt]. Auf ein solches Hoch folgt jedoch meist ein Tief. Wie wollen Sie
das verhindern?
Reichinnek: Wir wollen die neuen Mitglieder vor Ort einbinden. Die sollen
ja nicht nur Mitgliedsbeiträge zahlen, sondern auch bei uns aktiv sein. Es
gibt sehr vieles, was man auch jenseits eines Wahlkampfs machen kann:
Mieter:innenstammtische, Nachbarschaftscafés oder auch politische Kampagnen
zum Beispiel für einen bundesweiten Mietendeckel. An Wahlkämpfen fehlt es
übrigens auch nicht: viele unserer neuen Mitglieder haben sich schon
verabredet, um bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen im September zu
unterstützen. Nächstes Jahr stehen gleich vier Landtagswahlen im
Terminkalender. Auf die in Sachsen-Anhalt freue ich mich natürlich
besonders.
taz: Das Konzept lautet also Aktivismus?
Reichinnek: Es geht auch um ganz viel politische Bildung und
Schulungsarbeit. Wir werden vieles erklären müssen: Wie funktioniert diese
Partei eigentlich mit den ganzen unterschiedlichen Ebenen und Gremien? Es
wird natürlich auch programmatische Auseinandersetzungen geben, die
moderiert werden müssen. Wir befinden uns in einem Umbauprozess, der nicht
von heute auf morgen abgeschlossen sein wird.
taz: Er dürfte nicht leicht werden. Das Durchschnittsalter der neuen
Parteimitglieder liegt bei 28. Deren Ansprüche dürften andere sein, als die
vieler älterer Mitglieder, die sich in den eingefahrenen Strukturen
eingerichtet haben.
Reichinnek: Richtig, aber im Wahlkampf habe ich auch erlebt, wie viele
Rentner:innen, die uns in den düstersten Zeiten die Treue gehalten haben,
richtig froh sind, dass jetzt Neue gekommen sind. Die Älteren haben
Infostände angemeldet, die Orga gemacht oder den Kuchen gebacken, die
Jüngeren sind an die Haustüren gegangen. Das hat sich toll ergänzt. Es wäre
vollkommen vermessen zu glauben, dass jetzt alles nur super laufen wird.
Aber wenn wir es schaffen, sehr viele Leute einzubinden in die Partei und
Erfolge gemeinsam zu feiern, ist schon viel gewonnen.
taz: Eine Partei feiert aber nicht nur Erfolge.
Reichinnek: Das stimmt leider. Ja, es kann anstrengend sein, wir sind auch
manchmal genervt voneinander. Und natürlich werden Leute auch mal
enttäuscht sein. Aber die Frage ist doch, wie man mit dieser Enttäuschung
umgeht. Wie kann sie aufgefangen werden? Da sind wir jetzt an einem ganz
anderen Punkt als noch vor einem Jahr, weil die Grundstimmung eine andere
geworden ist.
taz: Haben Sie ein politisches Vorbild?
Reichinnek: Wie auf meinen Arm zu sehen ist, hat Rosa Luxemburg für mich
eine große Bedeutung. In politisch harten Zeiten hat sie immer für ihre
Überzeugung gekämpft, gegen alle Widerstände. Gleichzeitig behielt sie
immer das Menschsein im Fokus, konnte Lebensfreude empfinden, trotz
alledem. Das finde ich total beeindruckend. Die Politik ist ein
Machtbetrieb, aber eigentlich geht es nicht um Macht und Status und
Aufmerksamkeit, sondern darum, etwas für die Menschen zu erreichen. Dafür
steht für mich Rosa Luxemburg. Deswegen auch das Tattoo.
taz: Wann haben Sie es sich stechen lassen?
Reichinnek: Das war Anfang 2021, also noch bevor ich in den Bundestag
gewählt wurde. Ich fand, dass es perfekt unter mein Nofretete-Tattoo passt,
das ich ja schon vorher hatte.
taz: Wieso Nofretete?
Reichinnek: Nach meinem Bachelor war ich von September 2010 bis Juni 2011
in Kairo. Ich habe da studiert und als Au-pair gearbeitet. Das war genau in
der Zeit des [11][Arabischen Frühlings], der dann traurigerweise sehr
[12][schnell zum Winter wurde]. Auf dem Tahrir-Platz habe ich erlebt, wie
die Menschen mit großen Hoffnungen feierten. Alle waren glücklich und
dachten, hier bewegt sich was. Einen Tag später ging das alte Regime mit
allergrößter Brutalität gegen die Demonstrant:innen vor. Auch das habe
ich miterlebt, und das lässt einen so schnell nicht mehr los. Es gab damals
einen linken Graffiti-Künstler, der das Bild der Nofretete mit Gasmaske an
die Wände gesprayt hatte, als Protest gegen das massenhaft eingesetzte
Tränengas, aber auch als Symbol für die bedeutende Rolle der Frauen in
dieser leider gescheiterten Revolution. Wegen dieser Symbolkraft trage ich
es auf meinem Arm.
28 Mar 2025
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