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# taz.de -- Klimapolitik von links: „Ich verstehe mich als Ökosozialist“
> Der Linken-Abgeordnete Lorenz Gösta Beutin ist der neue Vorsitzende des
> Klima- und Umweltausschusses. Im taz-Interview spricht er über seine
> Ziele.
Bild: Würde stärker auf Fernwärme wie hier bei Spremberg setzen: der neue Kl…
taz: Herr Beutin, was sehen Sie als Ihre zentralen Ziele als neuer
Vorsitzender des Umwelt- und Klima-Ausschusses des Bundestags?
Lorenz Gösta Beutin: Wir haben eine Situation, die eigentlich ziemlich
absurd ist. Auf der einen Seite haben wir eine eskalierende Klimakrise. Das
Verheizen unserer Lebensgrundlagen geht ungehindert weiter. Auf der anderen
Seite ist die Aufmerksamkeit für das Thema stark zurückgegangen. Als
Ausschussvorsitzender möchte ich natürlich dazu beitragen, dass die
Klimakrise wieder stärker in den Fokus rückt. Hinzukommt, dass die von der
Bundesregierung praktizierte Klimapolitik sehr ungerecht ist, wie auch der
Expertenrat für Klimafragen festgestellt hat. Das heißt, dass deren
Klimapolitik extrem zur Vermögensumverteilung von unten nach oben beiträgt.
Wenn sich das nicht ändert, werden Maßnahmen fürs Klima weiter an Akzeptanz
verlieren. Das wäre fatal.
taz: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Beutin: Ich glaube, dass der momentane Weg, fast ausschließlich auf
Marktförmigkeit zu setzen, der falsche ist und das möchte ich als Sprecher
für Klimagerechtigkeit der Linksfraktion sichtbar machen. Dieser Weg führt
irgendwann zur Disruption. So halte ich den Emissionshandel im Bereich
Verkehr und Wärme [1][grundsätzlich für falsch]. Aber er ist leider
beschlossen, auch deswegen braucht es funktionierende Ausgleichsmechanismen
wie beispielsweise ein soziales Klimageld. Wir haben eine Situation, wo von
rechts massiv unsere Demokratie angegriffen wird. Wir sollten dazu
beitragen, dass Klimapolitik etwas ist, was die Demokratie stärkt und nicht
weiter schwächt. Das kann nur eine Klimapolitik leisten, die auch sozial
gerecht ist. Und daran ist die aktuelle Bundesregierung nicht interessiert.
taz: In der vergangenen Legislaturperiode leitete [2][Klaus Ernst] bis zu
seinem [3][Austritt aus der Linksfraktion] den Klimaausschuss. Ist es für
Sie eine Genugtuung, jetzt seine Nachfolge angetreten zu haben?
Beutin: Es ist schon eine interessante Volte der Geschichte. Es ist kein
Geheimnis, dass ich mir schon viel früher eine Trennung von der in
jeglicher Hinsicht fossilen Fraktion um Wagenknecht, Ernst und Co.
gewünscht hätte. Denn die Linke strahlt jetzt endlich glaubwürdig aus, dass
sie klare Alternativen zum fossilen Wahnsinn aufzeigt und eine spezifisch
eigenständige ökosozialistische Klimapolitik entwickelt hat.
taz: Wie wollen Sie künftig verhindern, dass sich die Linke wieder in
Richtung klimapolitischer Beliebigkeit bewegt, [4][wie es zu Zeiten von
Klaus Ernst der Fall war]?
Beutin: Das wird nicht passieren. Zum einen haben wir das programmatisch
festgeschrieben. Es gibt mittlerweile eine sehr gute Beschlusslage der
Partei. Außerdem sind wir jetzt innerhalb der Bundestagsfraktion über 15
Abgeordnete, die sich dem sozialökologischen Umbau widmen und das Thema
vorantreiben wollen. Das heißt, das Thema innerhalb der Fraktion zu stärken
und sowohl in der Partei als auch in der Fraktion an einer noch besseren
Vernetzung mit ökologisch orientierten Projekten, Bewegungen und Verbänden
zu arbeiten.
taz: Aber gibt es nicht in der Linkspartei immer noch Stimmen, die Ihnen
vorwerfen, grüner als die Grünen werden zu wollen?
Beutin: Das war schon immer Bullshit. Es geht um eine spezifisch linke
Klimapolitik, die sich extrem von der Politik der Grünen unterscheidet. Ich
verstehe mich als Ökosozialist und bin fest überzeugt davon, dass wir die
Klimakatastrophe nur verhindern können, wenn wir die Logik des Kapitalismus
angreifen, die Ressourcenausbeutung und immer weiteres Wirtschaftswachstum
von Konzernen. Der Erhalt unserer Lebensgrundlagen ist eine
Menschheitsaufgabe. Die Frage der Klimapolitik ist aber eben auch eine
Klassenfrage, was die Grünen leider nicht sehen wollen. Klimapolitik muss
zu mehr sozialer Gerechtigkeit, muss zu mehr Gleichheit führen.
taz: Kann der Klimaschutz tatsächlich in Einklang gebracht werden mit den
wirtschaftlichen Interessen von Arbeitern in traditionellen Industrien?
Beutin: Genau das ist die Aufgabe einer linken Industrie- und
Wirtschaftspolitik. Das bedeutet unter anderem, ein massives
Investitionsprogramm aufzulegen, bei dem man sagt: Wir geben euch Geld für
den sozialökologischen Umbau, aber das binden wir an bestimmte Bedingungen.
Dazu gehört beispielsweise der Erhalt von Arbeitsplätzen in dieser
Transformation oder auch die Tarifbindung von Arbeitsplätzen. Und wir
müssen uns die Frage stellen, welche Bereiche besser in öffentlicher Hand
sein sollten. Das gilt zum Beispiel für Energiekonzerne, da Strom und Wärme
keine Produkte wie andere sind, sondern für alle Menschen lebenswichtig.
Ein Rechtsgutachten hat kürzlich wieder gezeigt, dass die Verstaatlichung
von Energieriesen rechtlich machbar ist und es würde den Menschen in diesem
Land absolut zu Gute kommen, da eine Rekommunalisierung langfristig
günstige Preise und eine aktive Teilhabe an der Energieversorgung
ermöglicht.
taz: Halten Sie Carsten Schneider für ein gute Besetzung als neuer
Umweltminister.
Beutin: Ich habe zu dem Bereich von ihm noch sehr wenig gehört. Ich bin da
mal gespannt, was da von ihm kommt. Auf jeden Fall macht es mir Sorgen,
dass wir mit Katharina Reiche jetzt eine Wirtschaftsministerin haben, die
[5][nur schwer von irgendeiner fossilen Lobbyistin zu unterscheiden] ist.
taz: CDU, CSU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das
Heizungsgesetz abzuschaffen. Das kritisieren Klimaschützer. Gleichzeitig
gibt es aber auch Kritik an der Wärmewende der alten Ampelkoalition, dass
die nicht sozial gerecht ist. Wie würden Sie sich eine Reform des
Heizungsgesetzes vorstellen?
Beutin: Bevor das Heizungsgesetz verabschiedet wurde, haben wir diverse
Änderungsanträge eingebracht, was die Förderung angeht. Unseres Erachtens
muss es viel stärker am Einkommen orientiert sein, wer wenig oder nichts
hat, soll eine [6][Wärmepumpe] finanziert bekommen. Das ist leider alles
abgeschmettert worden. Aber wir schauen noch ein bisschen weiter: Die
Wärmepumpe kann nicht alles sein. Bekanntlich steht die Linke auf
kollektive Lösungen. Deswegen setzen wir stark auf die Fernwärme. Schauen
wir doch mal auf unseren Nachbarn: Dänemark hat einen Fernwärmeanteil von
65 Prozent aller Haushalte, in Deutschland sind es nur 18 Prozent. Das
bedeutet, dass die Bundesrepublik auch hier geschlafen hat. Aber es ist
noch lange nicht zu spät, in den Ausbau zu investieren. Damit es besser
finanzierbar ist, schlagen wir ein Gewinnverbot für die Wärmenetze vor, wie
es das auch in Dänemark gibt. Das heißt, Überschüsse dürfen nur
reinvestiert oder an die Verbraucher zurückgegeben werden. Aber es dürfen
eben keine Profite mit der Wärme mehr gemacht werden, weil sie zur
Daseinsvorsorge gehört.
taz: Dafür ist eine Mehrheit im Bundestag allerdings nicht in Sicht.
Beutin: Solange das nicht möglich ist, brauchen wir zumindest eine sehr
klare Preiskontrolle. Die Fernwärme ist eigentlich eine wunderbare
Erfindung. Damit könnte man Haushalte schnell klimaneutral machen, wenn man
es denn will. Ohne Preiskontrolle gibt es jedoch leider eine sehr
besorgniserregende Entwicklung in vielen Regionen Deutschlands: Wenn
irgendwo Fernwärmekosten dramatisch hoch sind, ist das natürlich ein
massives Problem, weil die auf die explodierenden Mieten obendrauf kommen.
Für die Akzeptanz der Energiewende ist es jedoch absolut wichtig zu
verhindern, dass Fernwärme zum sozialen Killer wird.
taz: Halten Sie eigentlich klimapolitische Kompromisse mit der SPD oder den
Grünen für denkbar? Oder wäre für Sie eine solche Kompromisssuche nur eine
Verwässerung linker Prinzipien?
Beutin: Wir Linke kämpfen dafür, unsere Politik, eine soziale Klimapolitik,
die wirklich den Menschen zugutekommt, umzusetzen. Wo reale Verbesserungen
möglich sind, beteiligen wir uns selbstverständlich daran. Aber
Veränderungen müssen eben in die richtige Richtung gehen. Die SPD setzt
gerade teilweise das Gegenteil ihres Wahlprogramms in der Regierung um; die
Grünen haben in der Ampelkoalition auch keine soziale Klimapolitik
vorangetrieben. Wir als Linke sehen es jetzt vor allem als Aufgabe,
klimapolitisch wieder in Bewegung zu kommen. Denn schon Karl Marx wusste:
„Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend
Programme.“
taz: Die Linke hat schwere Zeiten hinter sich. Wie stabil ist die Partei
nach [7][ihrer erstaunlichen Wiederauferstehung] bei der Bundestagswahl?
Beutin: Natürlich es ist eine große Herausforderung, wenn mehr als die
Hälfte der Mitglieder seit dem Weggang von Wagenknecht und ihrem Anhang neu
dazugekommen sind. Wir werden gemeinsam lernen müssen. Wir müssen eine
Parteikultur entwickeln, in der notwendiger Streit, beispielsweise über
Fragen unserer Außenpolitik, anders ausgetragen wird als früher, nämlich
wertschätzend und konstruktiv. Linken fällt das leider nicht immer ganz so
leicht. Aber ich bin da guten Mutes. Und mich freut, dass sich so viele
Neumitglieder in diese Partei einbringen und sie schon jetzt prägen, man
spürt eine Aufbruchstimmung.
taz: Sie sind nach einer Legislaturperiode Pause jetzt wieder im Bundestag.
Was unterscheidet die heutige Linksfraktion von der, der Sie früher
angehört haben?
Beutin: Alles. Als ich 2017 zum ersten Mal in den Bundestag gekommen bin,
war ich sofort Teil der destruktiven Konfrontation innerhalb der
Linksfraktion. Die damalige Fraktionsmehrheit hatte alles bereits unter
sich aufgeteilt. Da herrschte ein autoritäres Regiment. Das ist jetzt nicht
mehr so. Jetzt haben wir einen demokratischen Aushandlungsprozess und
konstruktive Zusammenarbeit, das dauert zwar etwas länger, aber ich finde
das sehr wohltuend für uns alle.
taz: Die Linke lässt sich erstaunlich viel Zeit. Als einzige Fraktion hat
sie bislang nicht ihre Spitze gewählt hat. Das soll jetzt wohl am kommenden
Dienstag geschehen. Vielleicht gibt es ja doch wieder Streit hinter den
Kulissen?
Beutin: Da gibt es keinen Streit, sondern wir haben einfach nur den Plan,
nach dieser langen Durststrecke eine stabile, handlungsfähige, kampffähige
Fraktion auf die Beine zu stellen. Sich dafür Zeit zu nehmen, ist doch
absolut in Ordnung.
taz: Aber [8][Heidi Reicheneck] und Sören Pellmann bleiben doch
Fraktionsvorsitzende, oder?
Beutin: Das ist ein demokratischer Prozess. Dem werde ich nicht vorgreifen.
Ich finde aber, dass sowohl die beiden Fraktionsvorsitzenden als auch die
beiden Parteivorsitzenden einen richtig guten Job gemacht haben.
22 Jun 2025
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## AUTOREN
Pascal Beucker
Jonas Waack
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