# taz.de -- Gregor Gysi im Interview: „Ich habe mir die Anerkennung hart erk�… | |
> Gregor Gysi ist beliebt. Das war nicht immer so. Ein Gespräch über den | |
> Osten, das Comeback der Linkspartei – und ein Versäumnis beim Frühstück. | |
Bild: Gregor Gysi sitzt seit über 30 Jahren im Bundestag und ist damit Altersp… | |
taz: Herr Gysi, die neuen Linken-Abgeordneten im Bundestag sind sehr jung. | |
Sie haben ihnen gleich zum Start empfohlen, nicht ihr gesamtes Leben dort | |
zu verbringen. Warum? | |
Gregor Gysi: Wir brauchen junge Leute im Bundestag. Aber ich habe ihnen | |
gesagt: Ihr müsst das Leben auch von einer ganz anderen Seite kennenlernen. | |
Also nach acht Jahren raus und in die Pflege oder im Ausland arbeiten und | |
dann eventuell wiederkommen. Sonst passieren drei Dinge: Zuerst glaubt ihr, | |
dass die Bundestagsdrucksachen das Leben widerspiegeln. Dann bewegt ihr | |
euch in einem immer engeren politischen Kreis und glaubt ernsthaft, das sei | |
die Realität. Und zuletzt werdet ihr selbst aussehen wie eine | |
Bundestagsdrucksache. Das ist so wie bei Eheleuten, die immer ähnlicher | |
aussehen, wenn sie 60 Jahre verheiratet sind. | |
taz: Das sagen ausgerechnet Sie? Sie sitzen seit über 30 Jahren im | |
Bundestag. Niemand ist länger dort als Sie. | |
Gysi: Ich kam erst im Alter von 42 Jahren in den Bundestag, das war ein | |
ganz anderer Lebensabschnitt. Außerdem war ich drei Jahre draußen und habe | |
in der Zeit nur als Anwalt gearbeitet. | |
taz: Weil Sie am längsten im Bundestag sitzen, durften Sie [1][als | |
Alterspräsident die Eröffnungsrede] zur neuen Legislaturperiode halten. | |
Waren Sie nervös? | |
Gysi: Ich wirkte matt. Und wissen Sie, warum? Ich habe am Morgen vergessen, | |
meine Tabletten zu nehmen. An dem Tag haben mir meine Kinder das Frühstück | |
gemacht. Sonst gehe ich immer in die Küche, mache mir mein Frühstück, sehe | |
sie und nehme meine Tabletten. Diesmal nicht, und dadurch wirkte ich | |
bleich. Das ärgert mich. | |
taz: Sie haben eine sehr versöhnliche Rede gehalten. | |
Gysi: Der Grundtenor war Gerechtigkeit. Die [2][Zeit hat geschrieben], ich | |
hätte gesteinmeiert. Das fand ich eine schöne Formulierung. | |
taz: Sie sind nicht nur Politiker und Anwalt, sondern auch Autor, | |
Moderator. Wie wichtig ist Ihnen die Politik nach all den Jahren überhaupt | |
noch? | |
Gysi: Sehr wichtig. Ich werde auch wieder mehr machen. Ich werde | |
kulturpolitischer Sprecher meiner Fraktion und gehe in den Ausschuss für | |
Kultur und Medien. Da werde ich mich einmischen, gerade was die | |
Finanzierung der Kultur betrifft. Das ist, wie Bildung und Gesundheit, ein | |
Bereich, in dem man nie kürzen darf. Und ich finde, der Bund sollte für | |
Leuchtturm-Projekte wie die Berliner Philharmoniker oder die documenta oder | |
Weimar voll zuständig werden. | |
taz: Sie moderieren regelmäßig Gespräche mit Prominenten, häufig aus dem | |
anderen politischen Lager. Wollen Sie auch da versöhnen? | |
Gysi: Mich interessiert, weshalb andere Menschen so ganz anders geworden | |
sind wie ich. Springer-Chef Mathias Döpfner hat mir zum Beispiel von seinem | |
Vater erzählt, der als Professor in Offenbach gelehrt hat. Den haben die | |
Studenten 1968 an seiner Hochschule mit Farbe beworfen, woraufhin er eine | |
Herzattacke bekam und im Krankenwagen nach Hause gebracht wurde. Das hat er | |
als Kind miterlebt und gedacht, die Farbe sei Blut. Ich habe vermutet, dass | |
daher seine Abneigung gegen die Linken rührt. Nach etwas Nachdenken hat er | |
zugestimmt. | |
taz: Mit dem ehemaligen CSU-Star Karl-Theodor zu Guttenberg bestreiten Sie | |
sogar [3][einen Podcast]. Wenn man sich mit Konservativen zu gut versteht, | |
schwindet da nicht der Nimbus des Oppositionellen? | |
Gysi: Das kann schon passieren, wenn man nicht aufpasst. Aber wenn ich | |
etwas falsch finde, dann sage ich das und bin sehr leidenschaftlich. | |
Insofern mache ich mir da keine großen Sorgen. Menschen sind eben | |
unterschiedlich und vertreten unterschiedliche Interessen. Deshalb sage ich | |
auch: Ich will keinen Bundestag ohne Union. Es gibt konservative | |
Interessen, die muss jemand vertreten. Ich würde mir wünschen, dass auch | |
die Konservativen begreifen, dass es gut ist, wenn es auch eine Linke im | |
Bundestag gibt. Das zu vermitteln habe ich aber leider noch nicht | |
geschafft. | |
taz: Die Linke hat bei der Wahl mit 8,8 Prozent erstaunlich gut | |
abgeschnitten. Wie erklären Sie sich das [4][Comeback Ihrer Partei]? | |
Gysi: Nach der Europawahl, bei der wir auf 2,7 Prozent abstürzten, steckten | |
wir in einer existenziellen Krise. Ich habe meinen Mut zusammen genommen | |
und mit Dietmar Bartsch gesagt: Wir brauchen eine neue Führung. Da waren | |
die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan natürlich | |
sauer, aber das hat die Wende eingeleitet. Wir haben dann die „Mission | |
Silberlocke“ gestartet … | |
taz: Sie, Bartsch und Bodo Ramelow wollten mit Ihren Direktmandaten den | |
[5][Einzug der Linkspartei in den Bundestag] sichern. | |
Gysi: Wir wussten, daran kommen die Medien nicht vorbei. Und dann meinte | |
Friedrich Merz, er könne seine Partei retten, wenn er mit den Stimmen der | |
AfD, der FDP und des BSW ein Gesetz verabschiedet. Heidi Reichinnek hat ihm | |
mit Leidenschaft klare Kante gezeigt. Die jungen Leute stürmten uns dann | |
die Bude ein. | |
taz: Sie sagen, Ihre Partei habe den Osten vernachlässigt. Was hat sie | |
falsch gemacht? | |
Gysi: Nachdem sich meine PDS mit der WASG 2007 zur Linken vereinigt hatte, | |
hörten wir im Osten auf, eine Kümmererpartei zu sein. Diese Themen spielten | |
im Bundestag nicht mehr die gleiche Rolle wie früher. Wir hatten zur | |
Rentenungerechtigkeit im Osten zuvor 17 namentliche Abstimmungen | |
hintereinander beantragt. So etwas hat es danach nicht mehr gegeben, und | |
das war falsch. | |
taz: Was kann die Linke für den Osten tun? | |
Gysi: Ines Schwerdtner, unsere Vorsitzende, hat ja dazu aufgerufen, dass | |
wir wieder eine Kümmererpartei werden. Wir bilden jetzt wieder Leute im | |
Rentenrecht und im Mietrecht aus. Das wird ein bisschen dauern. Aber damit | |
können wir im Osten wieder eine höhere Verantwortung tragen. | |
taz: Sie haben kürzlich ein Buch herausgebracht, einen Gesprächsband mit | |
Peter-Michael Diestel, dem letzten Innenminister der DDR. Ist das Teil | |
Ihrer Strategie, den Osten anzusprechen? | |
Gysi: Ja, klar, auch. 1990 habe ich Diestel zutiefst abgelehnt. Er war ja | |
in der DSU, der Kleinpartei „Deutsche Soziale Union“, das war so ein | |
rechter Haufen. Aber dann kamen viele Polizisten und Offiziere der | |
Nationalen Volksarmee zu mir und fragten: Was wird denn aus uns? Werden wir | |
alle entlassen? | |
taz: Sie waren Chef der PDS, die damals das Erbe der SED, der Staatspartei | |
der DDR, antrat. | |
Gysi: Als solcher war ich nicht zuständig, aber ich habe mich überwunden | |
und den Innenminister angerufen. Ich bekam einen Termin, er war | |
ausgesprochen freundlich und sagte: Na klar, ich kümmere mich um die. | |
Dadurch habe ich ihn mit anderen Augen gesehen. Er hätte ja auch so ein | |
Hasser sein können. Stattdessen hat er mir einen Cognac ausgegeben. | |
taz: Diestel galt als stasifreundlich. Er soll auch Stasi-Akten vernichtet | |
haben. | |
Gysi: Der hat überhaupt keine Staatssicherheit-Akten vernichtet. Da ist ja | |
auch alles gefunden worden, was wichtig war. Wenn, dann haben | |
Staatssicherheitsleute selbst einiges vernichtet. | |
taz: Je länger die Wiedervereinigung zurück liegt, desto mehr entdecken | |
manche Ostdeutsche, was sie von Westdeutschen trennt. Woran liegt das? | |
Gysi: Der Osten ist verletzt. In meiner Rede als Alterspräsident habe ich | |
versucht darzustellen, warum das so ist. Das überträgt sich von einer | |
Generation auf die nächste und die übernächste. Da haben Großeltern und | |
Eltern einen gewissen Einfluss. Es gab in der DDR staatliches Unrecht, das | |
muss aufgearbeitet werden. Es gab keine echte Demokratie und nur teilweise | |
Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit war eingeschränkt. Das ist alles wahr und | |
richtig. Aber der Westen hat die DDR auf Staatssicherheit, Mauertote und | |
SED reduziert, und das demütigt auch. | |
taz: Was war gut an der DDR? | |
Gysi: Zum Beispiel waren über 95 Prozent der Frauen in der DDR voll | |
berufstätig. Auch als Frau mit drei Kindern konntest du es dir leisten, zu | |
arbeiten, weil es hervorragende Kindereinrichtungen gab. Auch die | |
Wiederverwendung von Metall, Kleidung, Papier und Glas war gut organisiert. | |
Während die Bundesrepublik eine Wegwerfgesellschaft war, waren wir eine | |
Behalte-Gesellschaft. Nicht aus ökologischen Gründen, sondern aus | |
ökonomischen. Trotzdem! Wenn man vier oder fünf solcher Sachen übernommen | |
hätte, dann hätten die Ostdeutschen gesagt: Wir hatten zwar das falsche | |
System, aber diese vier oder fünf Dinge sind so gut, dass sie jetzt in ganz | |
Deutschland gelten. Und der Westen hätte gesagt: Mensch, dank des Ostens | |
ist das bei uns besser geworden. So ein Erlebnis hatten wir nicht. Das war | |
der Grundfehler. Und leider ist der nie korrigiert worden, und keine | |
Regierung hat das eingeräumt. | |
taz: Ehemalige Bürgerrechtler werfen Ihnen vor, Sie hätten versucht, die | |
DDR-Vergangenheit unter den Teppich zu kehren und das SED-Vermögen zu | |
retten. Sie wollten viele Millionen Mark auf Konten ins Ausland | |
verschieben. | |
Gysi: Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat das aufgearbeitet. Natürlich habe ich | |
versucht, das Vermögen der Partei zu retten. Aber die Treuhandanstalt und | |
die unabhängige Kommission haben es uns nicht gelassen. Und dass ich | |
irgendwo noch etwas versteckt oder ins Ausland verschoben hätte, das ist | |
völliger Quark. Im Kern ist uns alles genommen worden, bis auf das | |
Alteigentum der KPD. | |
taz: Dazu gehört das Karl-Liebknecht-Haus in Berlin, die Parteizentrale der | |
Linken. | |
Gysi: Es gab ja die „Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens | |
der Parteien und Massenorganisationen der DDR“. Deren Vorsitzender war | |
Hans-Jürgen Papier, später Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Er ließ | |
durch einen Rechtsanwalt ein Gutachten anfertigen, um zu prüfen, ob man uns | |
auch das Karl-Liebknecht-Haus wegnehmen kann. Damit sind beide dann zu | |
Helmut Kohl gefahren. Und Kohl hat gesagt: Nein, das rühren wir nicht an. | |
taz: Die Linke verdankt das Karl-Liebknecht-Haus Helmut Kohl? | |
Gysi: Ja. Ich weiß nicht, ob ein Gericht das korrigiert hätte, wenn Kohl | |
das anders entschieden hätte. Aber so war es. | |
taz: Warum hat Kohl gezögert? | |
Gysi: Weil er Historiker war, kannte er die Bilder, als die SA das | |
Karl-Liebknecht-Haus übernahm. Da kamen alle KPD-Leute mit den Händen | |
hinter dem Kopf raus. Er wusste, ich würde das genau so inszenieren, wenn | |
die Polizei käme, und das hätte von Paris bis New York für Aufsehen | |
gesorgt. Deshalb hat er gesagt: Das alte KPD-Eigentum bleibt. | |
taz: Sie entstammten einer jüdisch geprägten Familie von | |
Widerstandskämpfern und gehörten zur Minderheit, die in der DDR den Ton | |
angab. Wie war das für Sie? | |
Gysi: In meine Klasse ging noch ein Junge, der auch zwei antifaschistische | |
Eltern hatte. Alle anderen Väter waren bei der Wehrmacht und in | |
Kriegsgefangenschaft gewesen. Ich habe meine Eltern mal gefragt, warum die | |
Eltern von uns beiden mehr zu sagen hätten als die der anderen, wo die doch | |
die Mehrheit waren. Auf diese Frage bekam ich keine befriedigende Antwort. | |
taz: Heute kennen Sie die Antwort. | |
Gysi: Ja. Aber wissen Sie, was ich 1949 gemacht hätte? Ich hätte gesagt: | |
Wir bilden jetzt eine Regierung, die nur aus Antifaschisten besteht, aber | |
in fünf Jahren könnt ihr wählen, wen ihr wollt. Gut, die Sowjets hätten das | |
nicht durchgehen lassen. Aber wenn du so ehrlich bist, hast du eine ganz | |
andere Akzeptanz. Stattdessen hat man so getan, als ob die Mehrheit | |
antifaschistisch sei und man sie vertreten würde. Das war ein Selbstbetrug. | |
taz: Ihr Vater war in der DDR Kulturminister, Ihre Mutter eine hohe | |
Kulturfunktionärin. Wie privilegiert sind Sie aufgewachsen? | |
Gysi: Reisen durfte ich genauso wenig wie alle anderen, zumindest bis 1988 | |
– da war ich 40. Aber meine beiden Eltern waren Verleger, wir hatten eine | |
Vielzahl von Büchern zu Hause. Mein katholischer Freund, der gegenüber | |
wohnte, hatte eine alleinerziehende Mutter und zwei Geschwister. Die hatte | |
exakt zwei Bücher: ein Kochbuch und die Bibel, das war’s. Er ist trotzdem | |
Oberarzt geworden, möchte ich betonen. Das zweite Privileg bestand in dem | |
Besuch, den wir bekamen. Auch nach dem Mauerbau hatten wir Gäste aus den | |
USA, aus Südafrika und vor allem aus Frankreich. Das gab es sonst in der | |
DDR gar nicht, und so lernte ich eine ganz andere Kulturbreite kennen. Ich | |
weiß noch, wie uns ein reicher Franzose besuchte, der unterstützte die | |
Kommunistische Partei Frankreichs. Den habe ich als Kind gefragt: Was | |
machst du, wenn die sozialistische Revolution in Frankreich gesiegt hat? | |
Oh, dann gehe ich sofort in die Schweiz und kämpfe weiter, sagte er. Mit | |
dieser Art von Ironie wuchs ich auf. Mein Vater konnte auch sehr | |
selbstironisch sein. Das war tatsächlich ein Privileg. | |
taz: Welche Bedeutung hat Ihre jüdische Herkunft für Sie? | |
Gysi: Nach den Nürnberger Gesetzen war mein Vater Halbjude und meine Mutter | |
Vierteljüdin. Danach bin ich 37,5 Prozent Jude. Nach den jüdisch-orthodoxen | |
Gesetzen bist du nur Jude, wenn du eine jüdische Mutter hast. Danach wäre | |
ich keiner, weil ich ja keine jüdische Mutter hatte. | |
taz: Hat diese Herkunft für Sie je eine Rolle gespielt? | |
Gysi: Ja, zum Beispiel als Israels damaliger Präsident Shimon Peres 2008, | |
zum 60. Jahrestag der Staatsgründung, Juden aus ausländischen Parlamenten | |
einladen wollte, schrieb ihm der israelische Botschafter aus Deutschland: | |
Es gibt im Bundestag keine einzige Jüdin und keinen einzigen Juden. Da | |
fragte der: Gibt es denn wenigstens welche, die auch jüdische Vorfahren | |
hatten? Ja, zwei. Das waren Jerzy Montag von den Grünen und ich. Wir sind | |
dann ersatzweise eingeladen worden, weil der Bundestag nichts anderes zu | |
bieten hatte. Aber natürlich spielte das Thema für mich persönlich immer | |
wieder eine Rolle. | |
taz: Inwiefern? | |
Gysi: Durch meine Großmutter, die in Paris lebte. Ihre Mutter und ihr | |
Bruder sind in Auschwitz ermordet worden. Sie hat nur überlebt, weil sie in | |
den nicht von den Nazis besetzten Teil Frankreichs flüchten konnte. | |
taz: Haben Sie in der DDR Antisemitismus erlebt? | |
Gysi: Ich habe in der DDR einen Ersatz erlebt, das war die | |
Intellektuellenfeindlichkeit. Es fiel dem Justizministerium schwer, so | |
jemanden wie mich und meinen Humor zu ertragen. Der Funktionär war anders | |
gestrickt in der DDR. Aber ich bin vorsichtig damit zu sagen, das war | |
antisemitisch. Selbst wenn ich keine jüdischen Vorfahren gehabt hätte, | |
hätten sie das Intellektuelle an mir überhaupt nicht gemocht. | |
taz: Keine andere Partei in Deutschland hatte einen Parteichef mit | |
jüdischen Vorfahren. Keiner anderen Partei wurde so oft Antisemitismus | |
vorgeworfen wie Ihrer. Zurecht? | |
Gysi: Ich fand den Vorwurf meistens falsch. Aber nicht immer. Als jetzt | |
einer gesagt hat, die Hamas ist eine Befreiungsorganisation, habe ich | |
gesagt, er muss sofort ausgeschlossen werden. Da ist eine Grenze | |
überschritten. Das haben sie auch gemacht. Da war ich ehrlich gesagt ein | |
bisschen beruhigt, weil das ist indiskutabel. | |
taz: Ein Intellektueller jüdischer Herkunft, der zur DDR-Nomenklatura | |
gehörte: Ist es nicht erstaunlich, dass Sie mit dieser Biographie nach der | |
Wende zu einer Stimme des Ostens wurden? | |
Gysi: Das habe ich mir aber auch hart erkämpft. Anfangs schlug mir auch im | |
Osten viel Ablehnung entgegen. Wenn ich 1991 in eine Gaststätte kam, wusste | |
ich: Ich werde hier nicht bedient. Nach und nach änderte sich das – erst im | |
Osten, dann im Westen und zuletzt sogar in Bayern. Heute stoße ich immer | |
mal wieder auf Ablehnung, wenn ich irgendwo hinkomme. Aber nicht auf so | |
einen Hass wie in den 90er Jahren. | |
taz: Inzwischen sind Sie laut [6][ZDF-Politbarometer] der zweitbeliebteste | |
Politiker Deutschlands. | |
Gregor Gysi: Das ist schon erstaunlich. Ich war ja lange überhaupt nicht | |
mehr auf dieser Liste. Vor den Wahlen bin ich wieder darauf geraten, und | |
gleich auf Platz zwei. Das hat mich sehr angenehm überrascht. Das heißt: | |
Mein Kampf um Akzeptanz hat gefruchtet. Und für meine letzte | |
Legislaturperiode ist das ja kein schlechter Abschluss. | |
taz: Wenn Sie auf Ihre politische Laufbahn zurückblicken: Was würden Sie | |
anders machen? | |
Gysi: Ich glaube, wenn heute der Dezember 1989 wäre, dann würde ich nicht | |
wieder Ja dazu sagen, die Leitung der SED-PDS zu übernehmen. Das war schon | |
sehr anstrengend. Ich würde sagen: Nee, ich bleibe lieber Anwalt und | |
verteidige euch alle. | |
1 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Konstituierende-Sitzung-des-Bundestags/!6074793 | |
[2] https://www.zeit.de/politik/2025-03/neuer-bundestag-rede-gregor-gysi-alters… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=RWa0cCVbTng | |
[4] /Die-Linke/!6070937 | |
[5] /Die-Linke-im-Bundestagswahlkampf/!6054510 | |
[6] https://www.zdf.de/play/magazine/politbarometer-344/250502-politbarometer-v… | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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