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# taz.de -- Milieus in Deutschland: Fällt die politische Mitte auseinander?
> Eine Analyse, die der taz exklusiv vorliegt, zeigt: Die
> Wähler:innenschaft ist entlang der Konfliktlinie Modernisierung
> polarisiert.
Bild: Vielschichtig: Ein Arbeiter überklebt in Berlin Wahlwerbung
Berlin taz | Schon am Abend der Bundestagswahl stand der eigentliche
Verlierer fest: die politische Mitte. Die Ampelparteien verloren drastisch,
die Union blieb weit hinter ihren Erwartungen. Aber wie genau haben die
Parteien in den einzelnen sozialen Milieus abgeschnitten? Ist die
Wahlkampfstrategie der Grünen aufgegangen, konservative Wähler:innen
anzusprechen? War der Anti-Ampel-Kurs der Union hilfreich?
Diese Fragen hat eine Wahlanalyse der Bertelsmann Stiftung untersucht, die
der taz exklusiv vorliegt. Die Erhebung stützt sich auf die sogenannten
Sinus-Milieus, die die deutsche Bevölkerung in Lebenswelten einteilen.
Darunter versteht man Gruppen Gleichgesinnter, die neben der ähnlichen
sozialen und ökonomischen Lage auch ähnliche Wertvorstellungen haben.
Angesichts der Selbstdemontage der Ampelparteien durch eine schlechte
Regierungsperformance hätten es CDU und CSU nicht geschafft, hiervon zu
profitieren, so die Analyse. Insgesamt büßten SPD, Grüne und FDP fast 30
Prozentpunkte in den Milieus der Mitte ein – bei der Union landeten davon
lediglich fünf Prozentpunkte. Ein Alarmsignal für die Union, die in ihren
Stammmilieus schlecht abgeschnitten habe.
Das sticht am Beispiel der „adaptiv-pragmatischen Mitte“ hervor, also der
Personen, die sich als zukunftsoptimistisch, veränderungsbereit, aber auch
pragmatisch beschreiben. Neben dem Wunsch nach Humanität sind ihnen
Ordnung, Kontrolle und Sicherheit wichtig, sie stellen 12 Prozent der
Bevölkerung. Hier konnte die Union seit 2021 nur wenig hinzugewinnen,
während die AfD um 19 Prozentpunkte zulegte.
Jetzt liegen Union und AfD mit jeweils 32 Prozent gleichauf. „Die
Unionsstrategie der Fundamentalopposition hat ihre Kernwählermilieus
offenbar nicht überzeugt – sie hat sie eher in die Arme der AfD getrieben“,
sagt [1][Robert Vehrkamp, Autor der Wahlanalyse]. Wer AfD-Narrative
bediene, stärke das Original.
## Konfliktlinie durch die Mitte
Besonders schwer habe es die ehemalige Volkspartei SPD getroffen. Im
„prekären Milieu“ verlor die SPD 21 Prozentpunkte, in der
„adaptiv-pragmatischen Mitte“ halbierte sich ihr Ergebnis. Zwar konnte sie
bei progressiven Gruppen wie den „Postmateriellen“ und „Performern“
überdurchschnittlich abschneiden, doch ihr Profil als Volkspartei
verblasse.
Die Grünen blieben eine Milieupartei, obwohl sie eher einen
Volkspartei-Wahlkampf gemacht hätten, sagt Vehrkamp. Während sie bei ihrer
Kernwähler:innenschaft – etwa den „Postmateriellen“ – um 11
Prozentpunkte im Vergleich zur vorherigen Wahl zulegen konnten, fielen sie
in anderen Milieus unter 5 Prozent. Eine klassische Milieupartei mit
stabiler Kernwähler:innenschaft zu sein, könne aber auch eine Stärke
sein.
Insgesamt könnten die zehn Sinus-Milieus in drei Gruppen eingeteilt werden.
Den einen Pol bildeten modernisierungsskeptische Milieus. In der Mitte
fänden sich die „Modernisierungsanpasser“, Personen, die längst Wärmepum…
verbauten, aber abgestoßen seien von ideologischer Klimapolitik. Den
anderen Pol bildeten die „Modernisierungsbefürworter“. Bei der Wahl habe
sich nun eine polarisierte Parteienlandschaft entlang der Konfliktlinie
Modernisierung herauskristallisiert.
Diese Konfliktlinie gehe diagonal durch die Mitte. „Scheitert die
Regeneration der Mitte, droht eine parteipolitische Bipolarisierung in
zwei unversöhnliche Lager“, sagt Vehrkamp. Auf der einen Seite würden sich
CDU/CSU, AfD und FDP zum nationalkonservativen Lager gruppieren, auf der
anderen Seite SPD, Grüne und Linke mit einer progressiven Ausrichtung. Bei
der Abstimmung über den [2][Migrationsantrag der Union am 29. Januar] sei
diese Lagerbildung erstmals politische Realität geworden.
Dabei müsse die Mitte für beide Lager anschlussfähig bleiben, sagt
Vehrkamp. Zentral dafür sei die Kooperations- und Koalitionsfähigkeit
aller Parteien der Mitte. Dazu zähle auch eine erneuerte Linkspartei.
Ansonsten drohe schon bei den nächsten Wahlen in [3][ostdeutschen
Bundesländern, dass es keine Regierung ohne AfD-Beteiligung] gäbe.
Wenn die Mitte scheitert, scheitert dann auch die Demokratie? Nein, aber
eine Demokratie ohne Mitte sei deutlich riskanter, sagt Vehrkamp. Ein Blick
in die USA unter Donald Trump reiche dazu aus.
14 Mar 2025
## LINKS
[1] /Politikwissenschaftler-ueber-Milieustudie/!6000223
[2] /Merz-Tabubruch-im-Bundestag/!6066154
[3] /Ostdeutschland-waehlt-rechtsradikal/!6069935
## AUTOREN
David Honold
## TAGS
Demokratie
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