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# taz.de -- AfD-Erfolg im CSU-Land: Deutschland, ganz normal
> Warum kommt die AfD auch dort auf knapp 20 Prozent, wo es eigentlich
> läuft? Spurensuche in einem bayerischen Dorf mit dunkler Vergangenheit.
Bild: „Es ist eigentlich wunderschön hier“: Blick auf die Kirche von Stein…
Steinhöring taz | Am Ortseingang von Steinhöring hat der Rewe die
Pride-Flagge gehisst. Weiter hinten entlang der Straße hängt weit oben an
einem Laternenmast noch ein AfD-Wahlplakat: „Zeit für freie Meinung.“ In
der Mitte von Steinhöring prägt die katholische Sankt-Gallus-Kirche das
Ortsbild, ein weißer Bau mit barockem Zwiebelturm. Bernd Dominique Freytag,
der Vorsitzende des CSU-Ortsverbands, sitzt im Café Hasi an der Hauptstraße
und sagt: „Es ist eigentlich wunderschön hier.“ Man müsse jetzt aber, nach
der Bundestagswahl, „wieder ein besseres Gefühl herstellen“.
Steinhöring, mitten in Bayern. Eine Gemeinde mit 4.100 Einwohnern, nach
München sind es 43 Kilometer, die Kreisstadt Ebersberg liegt fünf Kilometer
entfernt. Der AfD-Anteil lag am 23. Februar bei 18,9 Prozent der
Zweitstimmen. Das ist fast exakt Bayern-Schnitt, im Freistaat haben 19,0
und im Bund 20,8 Prozent die Partei gewählt.
Ein Durchschnittsort, der durch wenig auffällt. „Wir sind teils Dorf, teils
Münchner Einzugsgebiet“, meint der CSU-Mann Freytag. Das ist nicht das
[1][Ruhrgebiet mit seinen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen],
nicht Ostdeutschland und auch kein abgelegener Ort in der nordbayrischen
Oberpfalz.
Warum also wählt in Steinhöring fast jede:r Fünfte die Rechtsradikalen?
Ist das Bayern, ist das Deutschland, aber normal – wie die AfD plakatiert
hat? Und erweist sich die These als falsch, dass der Freistaat für diese
„Alternative“ ein steiniges Pflaster ist, weil die CSU schon immer
stockkonservativ war und elastisch nach rechts? Rechts von der CSU
jedenfalls darf es keine andere demokratisch legitimierte Partei geben,
hatte der weiterhin als Leuchtgestalt gesehene Franz Josef Strauß einst
gesagt. Lange ist’s her.
## Man vertraut sich hier. Eigentlich.
Der Ortsverbands-Vorsitzende Freytag ist 46 Jahre alt, eigentlich aus
Franken zugewandert, aber „super integriert“. Er erscheint als liberaler
Christsozialer, die es ja durchaus gibt. Man müsse „die Leute mitnehmen“,
sagt er, „die Gemeinschaft im Ort stärken“. Ganz gleich von welcher Partei
und mit welcher Weltanschauung, im Gemeinderat dominieren sowieso
unabhängige lokale Gruppierungen. „Wir lassen die Leute rein“, meint er.
Und dazu gehören selbstverständlich auch die Menschen mit Behinderung, die
in dem großen „Einrichtungsverbund“ in Steinhöring wohnen, arbeiten,
lernen, leben.
Freytag will keine AfD-Wähler:innen im Ort kennen, obwohl es sie ja nicht
zu knapp gibt. Die Partei ist nicht präsent. Ein bekannter, aber
unauffälliger Steinhöringer ist der bisherige AfD-Kreispolitiker Christoph
Birghan. Der wurde jetzt für den östlich gelegenen Wahlkreis
[2][Traunstein-Berchtesgadener Land] in den Bundestag gewählt. Eine
Gesprächsanfrage der taz sagt er ab – er sei die ganze Woche in Berlin.
Das Votum der Steinhöringer versucht der CSUler Freytag mit verschiedenen
Dingen zu erklären: „Die Bevölkerung ist beunruhigt, die gefühlte
Sicherheit nicht mehr so wie früher.“ Auch hier herrsche Angst vor
Jobverlust oder etwa Einbrüchen. Manchmal werde auch die Migration als
Gefahr wahrgenommen.
Steinhöring hat eine schöne Landschaft mit im Sommer sattgrünen Wiesen
drumherum. Es gibt alles, was man braucht: Supermarkt, Apotheke, Ärzte,
Wirtshaus, Grundschule, Kita, Bankfiliale, Döner-Imbiss. In einer Holzhütte
ist der „SB-Hofladen“ vom Hofgut Perwein. „Unsere Suppenhühner hatten ein
schönes Leben“, schreiben die Hühnerhalter. Geld wirft man in eine Kasse,
man vertraut sich hier. Eigentlich.
## Die AfD-Leute sind ein Phantom
Dass es in der Gegend aber durchaus Rechte und Rechtsradikale gibt, wissen
zwei Frauen von der Gruppe [3][„Bunt statt Braun“ in Ebersberg]. Marthe
Balzer, Michaela Mellinger und etliche Mitstreiter:innen organisieren,
demonstrieren, recherchieren seit Jahren gegen und über Rechts im
Landkreis. „Die werden immer mehr“, sagt Balzer. Es gebe „zig
rechtsradikale Vorfälle“. An Silvester vor einem Jahr wurde bei einer
Dorfparty „Sieg Heil“ gebrüllt. Schon zwei Demos fanden auf dem Ebersberger
Marienplatz statt – von „Querdenkern“ mit rechtsradikalen Verbindungen,
Redner war ein verurteilter Holocaust-Leugner.
Die Zahl der Gegendemonstranten ist bei so etwas aber weit höher als bei
den eigentlichen Kundgebungen, erzählen die Aktivistinnen. Sie stellen sich
auf vor AfD-Wahlkampfständen – „das begleiten wir mit Marschmusik“, sagt
Balzer. Kein Gastwirt vermiete Räume an die AfD. „Hier sind wir richtig gut
aufgestellt.“ Und mit der Polizei arbeite man bestens zusammen.
Und doch bemerkt Mellinger: „Die Menschen haben mehr und mehr Angst.“ Wegen
ausländischer Nachnamen zum Beispiel. „Ich diskutiere ja mit jedem
Konservativen gern“, sagt Balzer. „Man streitet sich und sagt sich dann in
der Stadt wieder hallo.“ Doch die rechtsextreme Szene habe einst Corona
instrumentalisiert – und nun die Windkraft. Ein wichtiges Thema, im
Ebersberger Forst sind große Anlagen geplant. „Da gibt es oftmals gar keine
Diskussionsgrundlage“, beklagt die Frau.
Und woran liegen die hohen AfD-Wahlergebnisse? Die Wohnungsnot ist groß,
sagen sie, das Internet quillt über vor Fakenews. Die Menschen fühlen sich
allein gelassen, die Mitte der Gesellschaft fürchtet einen Statusverlust.
Mag alles sein. Doch Michaela Mellinger sagt auch: „In jeder Schicht kann
man irgendeine Erklärung konstruieren, um Nazis zu wählen.“
Die AfD-Leute in dieser Region bleiben ein Phantom. Es gibt nicht wenige
Landstriche in Bayern, wo sie sich gar nicht zeigen. Im Wahlkreis
Erding-Ebersberg kandidierte Manuela Schulz, 63 Jahre alt, für den
Bundestag. Sie stand nicht auf der Landesliste, hatte also keine Chance auf
ein Mandat. Sie prangert an, so ist zu lesen, dass 2023 mehr als eine halbe
Milliarde Euro Kindergeld „ins Ausland überwiesen wurden“ und Rentner
Pfandflaschen sammeln müssen. Auch geißelt sie die „Frühsexualisierung“ …
Kleinkindern und „LGBTQ+-Leitfäden für Lehrkräfte“. Auf zwei
Gesprächsanfragen reagiert Schulz nicht.
## Wie war das noch mit der Angst?
In Steinhöring betreibt die katholische Kirche eine Tafel, regelmäßig
werden im Pfarrsaal Lebensmittel an Bedürftige abgegeben. Die taz wollte
dort mit den Ehrenamtlichen und den Kund:innen sprechen. Da hätte man
sicher einiges erfahren über Menschen, denen es nicht gut geht, die
womöglich wütend sind, sich abgehängt fühlen, und was sie über die AfD
denken. Doch die Mitarbeiterin des Pfarrverbandes schreibt in einer Email:
„Nach Rücksprache mit unserem Verwaltungsleiter muss ich Ihnen mitteilen,
dass wir uns zu politischen Themen nicht äußern.“ Womöglich haben die
Kirchenleute Angst vor den Rechten.
Der größte Arbeitgeber vor Ort trägt einen sehr bürokratischen Namen und
scheut die politische Positionierung nicht: „Einrichtungsverbund
Steinhöring“, kurz EVS. 400 Beschäftigte kümmern sich auf dem weitläufigen
Areal um 600 Menschen mit Behinderung. Es gibt Werkstätten, Gartenbau,
Tagesstätten, Wohnhäuser, Schwimm- und Turnhalle. Ehrenamtliche begleiten
die Menschen zum Gottesdienst, gehen mit ihnen spazieren. Im Weiher wird
gern geangelt, Motorradfahrer nehmen die Leute immer wieder in den Beiwagen
und machen Ausfahrten.
Die Leiterin des EVS Gertrud Hanslmeier ist ins Café Wunderbar gekommen,
das Teil des EVS ist und hat Steinhörings parteilose Bürgermeisterin
Martina Lietsch gleich mitgebracht. „Vielfalt und Respekt sind uns in jeder
Hinsicht sehr wichtig“, sagt Hanslmeier. Das gelte auch für die
Mitarbeiter:innen, für Hautfarbe oder geschlechtliche Orientierung.
Die AfD lehnt der Einrichtungsverbund ganz klar ab, wie andere
Organisationen von und für Menschen mit Behinderung auch. Der
Lebenshilfe-Verband etwa sagt: „Teilhabe statt Ausgrenzung: Keine Stimme
für die AfD.“ Die Gruppen sehen sehr genau, wie die AfD und andere
Rechtsradikale behinderte Menschen diskriminieren und ausgrenzen wollen.
Sie wettern gegen Inklusion, der völkisch-nationale Hardliner Maximilian
Krah – Neumitglied des Bundestages – hat etwa gegen die „Tagesschau in
einfacher Sprache“ gehetzt und sie als „Nachrichten für Idioten“
bezeichnet.
## Rechte Normalitätsphantasien
„Die Zusammenarbeit mit dem EVS ist hervorragend“, lobt Bürgermeisterin
Martina Lietsch. Auf dem Areal werden Festivals veranstaltet und offene
Tage, im Ort würden die Menschen mit Behinderung als selbstverständlich
wahrgenommen und freundlich behandelt. „Es hetzt niemand gegen sie.“ Über
die 18,9 Prozent AfD-Stimmen sagt sie kühl: „Ich nehme das zur Kenntnis.“
Das EVS-Gelände hat eine schlimme, dunkle Vergangenheit. Hier befand sich
im Nationalsozialismus das erste und zentrale Heim der von der SS
betriebenen Rasseorganisation „Lebensborn“. Ledige Schwangere, die als
„arisch“ und damit wertvoll galten, sollten hier wie auch in anderen
Häusern in Deutschland und Europa ihre Kinder entbinden können, als
Nachwuchs für Hitlers Krieg. Blonde und blauäugige Kinder in den von den
Nazis besetzten Gebieten wurden den Eltern entrissen, zwangsadoptiert und
in linientreue Familien gesteckt. [4][Diese Geschichte zeigt, wohin rechte
Normalitätsfantasien führen können]. Und nun leben genau hier Menschen, die
Hitler mit den Euthanasieprogrammen ermordet hätte und ermordet hat.
Haben die sehr angesehene Behinderteneinrichtung, die
Lebensborn-Vergangenheit und die AfD-Wähler in Steinhöring eine Verbindung?
Gibt es da Linien? Letztlich irgendwie nicht, die Leiterin und die
Bürgermeisterin schütteln die Köpfe. Aus einem Saal nebenan schallt laute
Musik, Discolieder aus den 70ern, Hardrock aus den 90ern. Es wird Fasching
gefeiert, inklusiv mit allen. Ganz normal.
7 Mar 2025
## LINKS
[1] /Wahlergebnis-in-Westdeutschland/!6068621
[2] /Der-Hausbesuch/!5609090
[3] https://www.bunt-ebe.de/
[4] https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/284787/der-leb…
## AUTOREN
Patrick Guyton
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