# taz.de -- Wahlergebnis in Westdeutschland: Hier liegt die AfD vor allen ander… | |
> Mit 24,7 Prozent der Zweitstimmen haben die Rechtsextremen in | |
> Gelsenkirchen die SPD überholt. Wie erklären sich das die demokratischen | |
> Parteien? | |
Bild: Gelsenkirchen ist jetzt erst blau, Schalke-Fans waren es schon immer | |
Bochum taz | Ihren Wahlsieg wollte die teils rechtsextreme AfD in | |
Nordrhein-Westfalen ausgerechnet in einer vom Strukturwandel, vom | |
Niedergang der Industrie gebeutelten Stadt feiern: in Gelsenkirchen. Hier | |
liegt die Arbeitslosenquote mit 13,5 Prozent deutschlandweit am höchsten, | |
40 Prozent der Kinder leben in Haushalten, die auf staatliche | |
Transferleistungen angewiesen sind und als arm gelten. | |
Zur Wahlparty angesagt hatten sich nicht nur die in Albanien geborene | |
Kreissprecherin Enxhi Seli-Zacharias, die einzige Frau in der 12-köpfigen | |
Landtagsfraktion, und der auf Platz 1 der Landesliste gesetzte | |
NRW-Spitzenkandidat Kay Gottschalk. Auch der Chef der [1][NRW-AfD], Martin | |
Vincentz, wollte nicht in der Landeshauptstadt Düsseldorf, sondern in | |
Gelsenkirchen-Feldmark feiern – schließlich hofften die Rechtsextremen | |
hier, mitten im Ruhrgebiet, im einstigen Herzen der Sozialdemokratie, ein | |
Direktmandat zu erringen. | |
Ihre Hoffnung erfüllte sich nur teilweise. Zwar holte die AfD mit 24,7 | |
Prozent von allen Parteien in der Revierstadt die meisten Zweitstimmen und | |
lag leicht vor der SPD mit 24,1 Prozent. Im Westen der Republik ist den | |
Rechtsextremen das sonst nur noch im vom Niedergang der Textilindustrie | |
getroffenen Kaiserslautern, wo sie mit 25,9 Prozent einen Punkt vor der CDU | |
liegt, sowie im baden-württembergischen Singen gelungen. | |
Den Kampf um das Direktmandat gewann die AfD in Gelsenkirchen nicht: | |
[2][Mit 31,4 Prozent] direkt gewählt wurde der Sozialdemokrat Markus Töns, | |
der seit 2017 Bundestagsabgeordneter ist. Dennoch entschieden sich 25,8 | |
Prozent der Wähler:innen für den Kandidaten der AfD, den knapp | |
70-jährigen einstigen Verwaltungsbeamten Friedhelm Rikowski. Der mischt | |
seit 30 Jahren in der Gelsenkirchener Lokalpolitik mit, war nach seiner | |
Zeit bei der CDU zur Partei des über seinen [3][Kokainkonsum] gestolperten, | |
heute in einer brasilianischen Favela lebenden einstigen Hamburger | |
Innensenator Ronald Schill gewechselt. | |
## AfD hat Rekordergebnis in NRW | |
„Historisch“ sei der „Triumph“ in Gelsenkirchen trotzdem, verkündete d… | |
ins Ruhrgebiet geeilte AfD-Landeschef Vincentz prompt. Mit insgesamt 16,8 | |
Prozent habe seine Partei auch in NRW [4][ein „Rekordergebnis“ | |
eingefahren], erklärte der 38-Jährige – dabei liegt sein Landesverband im | |
bevölkerungsreichsten Bundesland, das im neuen Bundestag 136 der 630 | |
Mandate besetzt, deutlich unter dem bundesweiten AfD-Ergebnis von 20,8 | |
Prozent. Vincentz sieht seine Partei dennoch „auch in NRW auf dem Weg zur | |
Volkspartei“. | |
In Gelsenkirchen blicken Politiker:innen etwa von SPD, Linken und | |
Grünen mit Sorge auf das AfD-Ergebnis. Natürlich gebe es keinerlei | |
Rechtfertigung, die in weiten Teilen rechtsextreme AfD zu wählen, sagt etwa | |
der direkt gewählte Sozialdemokrat Töns. Dennoch sei deutlich, warum die | |
migrations- und menschenfeindliche Rhetorik der AfD gerade in einer Stadt, | |
in der viele um ein auskömmliches Leben kämpfen müssen und andere die | |
Hoffnung darauf längst aufgegeben haben, bei so vielen Wähler:innen | |
ankomme: Gelsenkirchen sei eben nicht nur „geprägt durch hohe | |
Arbeitslosigkeit“, sondern auch durch ein „geringes verfügbares | |
Durchschnittseinkommen von gerade einmal 18.000 Euro“, erklärt Töns. | |
Dazu komme „Armutszuwanderung aus Südosteuropa, vor allem aus Rumänien und | |
Bulgarien“. Und die belaste „die Integrationskraft wie sonst nur in | |
Dortmund, in Duisburg, im Essener Norden“ – in vielen Teilen des verarmten | |
Nordens des Ruhrgebiets hat die AfD überdurchschnittlich stark | |
abgeschnitten. Viele der Zuwanderer aus Südosteuropa hätten „keinen | |
Berufsabschluss, oft nicht einmal einen Schulabschluss“, klagt der | |
Sozialdemokrat – und seien deshalb „in einen schwierigen Arbeitsmarkt wie | |
in Gelsenkirchen“ nicht zu integrieren. | |
„Die Wählerinnen und Wähler sehen dann nur: Diese Zuwanderer arbeiten oft | |
nur wenige Stunden in der Woche – und leben ansonsten von Sozial- und | |
Transferleistungen“, glaubt Gelsenkirchens direkt gewählter | |
SPD-Bundestagsabgeordneter. Gefordert werde dann im AfD-Sprech ein Ende der | |
europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit. „Bundesweit betrachtet ist das | |
natürlich Quatsch“, sagt Töns: „Schon allein wegen des demografischen | |
Wandels brauchen wir Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Aber erklären Sie das | |
mal am Wahlkampfstand in Gelsenkirchen.“ | |
## Arme Menschen wählen gegen ihre eigenen Interessen | |
Allein ist Töns mit seiner Analyse nicht. „Es geht immer um | |
Verteilungskämpfe, es geht immer um Geld“, sagt auch Martin Gatzemeier. Der | |
Direktkandidat der Linken ist mit 8,3 Prozent der Stimmen noch vor seiner | |
prominenten Konkurrentin von den Grünen, der Parlamentarischen | |
Bundestagsfraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic, gelandet. Für sie | |
entschieden sich nur 6,1 Prozent der Wähler:innen. | |
[5][„Immer höhere Mieten,] unbezahlbare Heizkosten und durch die Inflation | |
explodierte Einkaufspreise“ – das seien die Themen, die die Menschen in | |
Gelsenkirchen wirklich bewegen müssten, glaubt der 67 Jahre alte | |
Gatzemeier, der selbst als Rentner dazuverdienen muss und deshalb 20 | |
Stunden in der Woche als Fenstermonteur arbeitet. Doch aufgehetzt durch die | |
AfD wählten nicht nur Geringverdiener:innen und | |
Bürgergeldbezieher:innen „gegen die eigenen Interessen“. | |
Auch die Grüne Mihalic glaubt, dass Hetze gegen Migrant:innen | |
entscheidend zum Wahlerfolg der AfD gerade in Gelsenkirchen beigetragen | |
hat: „Weil das Thema Migration in einer negativ besetzten Weise den | |
Wahlkampf derart dominiert“ habe, seien die Grünen „mit den wirklich | |
dringlichen Themen vor Ort“ wie „Investitionen für die lokale Wirtschaft“ | |
oder „bezahlbares Leben“ nicht durchgedrungen, sagt die Polizeibeamtin, die | |
seit 2013 für die Grünen im Bundestag sitzt. | |
SPD-Mann Töns wird noch deutlicher: „Wir haben uns als Ampel zu sehr um | |
Chichi-Themen wie die Cannabislegalisierung bemüht – und uns zu wenig um | |
die Industrie und die Zehntausenden Arbeitsplätze dort gekümmert“, glaubt | |
der 61-Jährige. Die Abschiebungsdebatten hätten die zentrale Frage des | |
Wahlkampfs nur übertüncht: „Es geht um soziale Abstiegsängste“, sagt Tö… | |
„Und die waren noch nie so laut zu hören wie in der jetzigen Rezession.“ | |
## SPD hält Industrie für die Lösung | |
Um die AfD nicht nur in Gelsenkirchen kleinzuhalten, brauche es | |
„schnellstmöglich eine gute Industriepolitik, die deren gut bezahlte und | |
tariflich abgesicherte Arbeitsplätze sichert – etwa durch konkurrenzfähige | |
Industriestrompreise“. Für zukunftsfähige Arbeitsplätze genauso nötig sei | |
aber auch ein schneller Hochlauf der klimafreundlichen | |
„Wasserstoffinfrastruktur.“ | |
Aktuell aber drohe etwa der [6][Mineralölkonzern BP in Gelsenkirchen] mit | |
dem Verkauf zweier Raffinerien in den Stadtteilen Horst und Scholven. Auf | |
dem Spiel stünden damit nicht nur 2.000 gut bezahlte Industriearbeitsplätze | |
von Festangestellten – auf den Werksgeländen arbeiteten auch noch weitere | |
2.000 Mitarbeitende von Dienstleistern. „Und die“, warnt der | |
Sozialdemokrat, „stellen Vorprodukte für den [7][Chemiekonzern Evonik] her | |
– und für den arbeiten im Chemiepark Marl weitere 6.500 Menschen.“ | |
Im nördlichsten Stadtteil Scholven fuhr die AfD ihr bestes Ergebnis in ganz | |
Gelsenkirchen ein: 33,4 Prozent der Zweitstimmen. | |
25 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /AfD-schlecht-aufgestellt-fuer-Neuwahlen/!6049044 | |
[2] https://www.bundeswahlleiterin.de/bundestagswahlen/2025/ergebnisse/bund-99/… | |
[3] /Kolumbien-kommt-nicht-zur-Ruhe/!6060209 | |
[4] /Sieger-des-rassistischen-Wahlkampfes/!6071327 | |
[5] /Kampf-gegen-hohe-Mieten/!6054787 | |
[6] /BP/!t5011927 | |
[7] /Evonik-will-weniger-Fuehrung/!5995795/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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