# taz.de -- Gelsenkirchen wartet auf den Star: Swifties auf Schalke | |
> Nach Tokio, London und Paris spielt Taylor Swift ihre ersten | |
> Deutschland-Konzerte jetzt in: Gelsenkirchen. Wie elektrisierend! | |
Bild: Auf der Linie 302 ist man in Gelsenkirchen gerade mit Taylor Swift unte… | |
Man ist wie immer im Ruhrgebiet gut drin im Thema, wenn das Große aufs | |
Kleine zugespitzt wird. Zum Beispiel auf diesen Schilderpfosten vor dem | |
Hauptbahnhof Gelsenkirchen, zu sehen am Samstag vor einer Woche auf dem | |
Instagram-Kanal von Paul Brown. Brown, englischer Fußballfan, blondierte | |
Haare, ist neulich zu lokaler Blitzberühmtheit gekommen, weil er die Stadt | |
vor dem dortigen ersten EM-Spiel seiner Mannschaft als „absolute shithole“ | |
abkanzelte. Obwohl das Turnier vor Ort bereits beendet war und England sein | |
Viertelfinale später im nicht weit entfernten Düsseldorf spielte, entschied | |
sich Brown vorher noch mal zu einem Abstecher auf den Bahnhofsvorplatz und | |
eben diesem Schilderpfosten. | |
Es gab da für ihn wohl noch was klarzustellen. Wohlweislich erst nach Abzug | |
der letzten Fußballfans hat Gelsenkirchen nämlich damit begonnen, | |
„Swiftkirchen“-Tafeln, optisch Ortseingangsschildern nachempfunden, [1][auf | |
Plätzen in der Innenstadt zu montieren]. „Taylor Swift, don’t try changing | |
my city“, sagte nun Brown und klebte einen, alles wohl eher ironisch | |
gemeint, „Gelsenkirchen – absolute shithole“-Sticker auf den Rohrpfosten. | |
Die Szene besitzt alles, um Gelsenkirchens Ausgangslage vor einer magischen | |
Anverwandlung zu beschreiben: Taylor Swift, eine, wie sich vielleicht | |
sogar unter der älteren taz-Leserschaft herumgesprochen hat, [2][aktuell | |
ziemlich erfolgreiche Sängerin] mit weltweit Dutzenden von Millionen Fans, | |
genannt Swifties, spielt hier, in der Heimstatt des lokalen Fußballvereins | |
FC Schalke 04 vom 17. bis 19. Juli die ersten Deutschland-Konzerte ihrer | |
„Eras Tour“. | |
Und nun lässt sich das wie Paul Brown in seinem Video lakonisch | |
kommentieren. Alternativ gibt man sich der elektrisierenden Wirkung hin, | |
die diese ungleiche Paarung in einem auslösen kann. | |
## Gelsenkörken, Germany | |
Seit März 2023 läuft die Tour von Taylor Swift, 152 Konzerte soll sie bis | |
zum Ende umfassen. Vor allem außerhalb der USA wählte ihr Management dafür | |
nur die auserlesensten Städte aus: Tokio, Melbourne, London, Paris. Und nun | |
Taylor Swift, live in Gelsenkirchen 2024, und das gleich an drei Abenden | |
hintereinander. Sogar in Swifts Heimat sorgte diese | |
Feinschmecker-Konstellation für Aufregung, der Late-Night-Show-Moderator | |
Jimmy Kimmel zweifelte in seiner Sendung sogleich die Existenz dieses | |
„Gelsenkörken, Germany“ an. Der Wahnsinn spricht für sich. | |
Nüchtern aus Sicht US-amerikanischer Tourmanager betrachtet, denen an | |
dieser Stelle auch keine geografische Indifferenz gegenüber Europa | |
unterstellt werden soll, stellt sich die Sache weit erklärlicher dar. | |
Gelsenkirchen besitzt dank seines Fußball-Stadtteilvereins Schalke eine der | |
größten Multifunktionsstadien mit herausschiebbarer Rasenfläche in | |
Deutschland. Auch andere musikalische Schwergewichte wie die Rolling | |
Stones, U2 oder Metallica gaben hier ihr Stelldichein. Dazu war die Arena | |
Schauplatz wichtiger deutsche Meilensteine des Unterhaltungsfernsehens wie | |
zum Beispiel die „TV Total Stock Car Challenge“. Sie ist perfekt an die | |
vielen Autobahnen des Ruhrgebiets angeschlossen, bis nach Düsseldorf, Köln | |
oder in die Niederlande ist es nicht weit. | |
Der Reiz entsteht gleichwohl durch die augenfälligen Kontraste: hier der | |
makellose Superstar mit den strahlend weißen Zähnen, dort eine Stadt, die | |
ihre Identität nach wie vor aus dem nicht mehr existenten Bergbau und einem | |
Fußballverein in der 2. Liga bezieht. Hier die Musiktour der Rekorde, die | |
bereits nach ihrer ersten Hälfte mehr als eine Milliarde Dollar eingespielt | |
hat und damit bereits schon jetzt die weltweit bislang erfolgreichste ist, | |
dort die auch im Jahr 2024 ärmste Stadt Deutschlands. | |
Zu Letzterem sei immerhin gesagt: Die Stadt geht davon aus, dass jeder | |
einzelne Fan bis zu 150 Euro pro Tag zusätzlich zu den Tickets an den | |
Konzerttagen ausgibt. Bei insgesamt 174.000 verkauften Tickets plus einer | |
unbekannten Anzahl an Fans, die ohne Karten anreisen, wären das mindestens | |
26 Millionen, die in der Stadt bleiben. | |
## Mehr als nur eine Fußball-EM | |
Taylor-Swift-Konzerte sind mehr als eine Fußball-EM, sie sind Ereignisse | |
von Welt. Gerade weil die eigentlich fußballerprobte Stadt es sich mit | |
den englischen Fans verscherzt hat und im Hinblick auf Swifts | |
internationale Anhängerschaft sei aus deutschen Imagegründen die Frage | |
erlaubt: Wird die Stadt das schaffen? | |
Man macht sich Sorgen, wie der Superstar aus Nashville und die Swifties den | |
möglichen Kulturschock am Rhein-Herne-Kanal aufnehmen werden, und begibt | |
sich daher am vergangenen Sonntag proaktiv auf eine zweistündige | |
Stadtrundfahrt. Das ist insofern schon nötig, als die Tour im Bus nur | |
einmal im Monat von der Stadt angeboten wird, die Swift-Fans auf diese | |
Hilfe also verzichten müssen. | |
Es muss konstatiert werden, dass zumindest das ausgewählt präsentierte | |
Gelsenkirchen nicht so hässlich ist wie behauptet. So ist zum Beispiel von | |
der Tourleiterin zu hören, dass die Stadt zu den zehn grünsten Städten | |
Deutschlands gehört. Ansonsten ist Gelsenkirchen tatsächlich eine | |
nostalgische Angelegenheit: Zeche an Zeche reihte sich früher im | |
Stadtgebiet, indirekt lebt Gelsenkirchen immer noch davon, indem aus den | |
dazugehörigen Halden für den Bergbaumüll Aussichtsplattformen und die | |
Fördertürme und Erzbunker als Industriedenkmäler umgenutzt wurden. Nur | |
bedingt Zukunftsweisendes also, was für einen maximal dreitägigen | |
Aufenthalt aber vielleicht auch gar nicht so benötigt wird. | |
„Gelsenkirchen ist eine Stadt für Entdecker“, redet sich Dirk Slawetzki, | |
Tourismusmanager der Stadt im schönsten Tourismusmanagersprech um den | |
Mangel an klaren Sehenswürdigkeiten herum. Wobei das natürlich auch ein | |
Ausdruck von Selbstbewusstsein für eine Stadt ist, überhaupt einen | |
Tourismusmanager zu haben. Als solcher hat Slawetzki seit vier Jahren die | |
Aufgabe herauszufinden, wie man den Leuten Gelsenkirchen auch abseits von | |
Fußball und Konzerten schmackhaft macht. Mit den englischen Fans sei das am | |
Anfang blöd gelaufen, gibt er zu, auch wenn Paul Brown später | |
beispielsweise zugegeben hätte, einfach nur verkatert gewesen zu sein. | |
Viele Engländer hätten aber wohl die Bahnhofskneipen vermisst, die es noch | |
zur WM 2006 in der Stadt gab. | |
Swifties in Gelsenkirchen können sich mehr abgeholt fühlen. Zumindest gibt | |
man sich vor Ort erkennbar Mühe, die Ortsschilder sind da längst nicht | |
alles. So plant die Stadt auf dem zentralen Marktplatz die Errichtung einer | |
„swifttown“ mit Bühne und DJ. Wer Glück hat, kann von dort ab der | |
Haltestelle Heinrich-König-Platz die auf der Linie 302 fahrende Straßenbahn | |
mit aufgeklebten Taylor-Swift-Motiven (kommt allerdings nur alle 60 | |
Minuten) in Richtung Arena nehmen. | |
Natürlich gibt es genauso die Möglichkeit, mal aus dem Trubel auszubrechen | |
und zum Beispiel den Blick oben auf den Halden über die Ruhrgebietsriviera | |
am Rhein-Herne-Kanal und Emscher zu genießen. Ein Zoobesuch wäre auch eine | |
Option, Gelsenkirchen besitzt hier eine der modernsten Anlagen | |
Deutschlands, was vielleicht auch für Swift interessant sein könnte, | |
spekuliert Dirk Slawetzki: „Mit ihrem Partner hat sie ja in Australien | |
einen Zoo besucht, vielleicht kommt sie diesmal in unsere | |
Zoom-Erlebniswelt.“ | |
Den Glamour der Stadt möchte Gelsenkirchen Taylor Swift so oder so | |
angedeihen lassen. Auf dem Walk of Fame auf der Horster Straße im Stadtteil | |
Buer soll dafür eine eigene Sternplatte für Swift verlegt werden. Ob die | |
Sängerin hier zwischen Deichmann-Schuhladen und Nagelstudio persönlich | |
vorbeischauen wird, ist noch nicht klar. Als man aber bei der Besichtigung | |
der Starmeile einen Passanten auf das Kommen des amerikanischen Superstars | |
anspricht, antwortete dieser jedenfalls: „Is schon wieder Konzert? Da sach | |
ich jetzt nichts zu, aber wenn die Jugend sich dat wünscht.“ | |
Gelsenkirchen ist bereit. | |
13 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gelsenkirchen.de/de/_meta/aktuelles/artikel/64223-swiftkirchen-… | |
[2] /Taylor-Swift-als-Business-Phaenomen/!6003300 | |
## AUTOREN | |
Marvin Kalwa | |
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