| # taz.de -- Comedian über Humor in schweren Zeiten: „Wir nennen sie das erst… | |
| > Satiriker Tahsim Durgun hat ein Buch über seine yezidische Mutter | |
| > geschrieben. Im Gespräch erklärt er, warum er den Rapper Haftbefehl im | |
| > Bundestag sehen will. | |
| Bild: Tahsim Durgun macht auf TikTok Satire über Rassismus und die AfD | |
| taz: Herr Durgun, als vergangenes Jahr um diese Zeit bekannt wurde, dass | |
| Rechtsextreme in Deutschland Massendeportationen planen, reagierten Sie | |
| darauf mit Humor. Ihr Video hieß [1][„Top-3-Verstecke, wenn du abgeschoben | |
| wirst“]. Wann ist ein Thema so ernst, dass man nicht mehr lachen kann? | |
| Tahsim Durgun: Auf das Ereignis letztes Jahr konnte man noch perfekt mit | |
| Humor reagieren, weil es nicht in einem allzu ernsten Kontext stattgefunden | |
| hat. Jetzt gerade haben wir ein Wahlergebnis, das ein Schlag in die Fresse | |
| ist. Darauf lässt sich nicht so gut mit Humor reagieren, weil es | |
| offizieller ist und Auswirkungen hat, die uns alle betreffen werden. Ich | |
| habe darauf auch bis heute nicht reagiert, weil ich diese Ergebnisse für | |
| sich sprechen lassen möchte. Aber ich will weiterhin mit satirischen | |
| Inhalten auf Politik reagieren – und in einer perfekten Welt hat das, was | |
| ich mache, vielleicht bei der nächsten Bundestagswahl in vier Jahren einen | |
| Einfluss. | |
| taz: Der Untertitel Ihres Buches „Mama, bitte lern Deutsch“ lautet: „Unser | |
| Eingliederungsversuch in eine geschlossene Gesellschaft“. Wann ist Ihnen | |
| zum ersten Mal bewusst geworden, dass Deutschland nicht so offen ist, wie | |
| es tut? | |
| Durgun: In der Grundschule – darüber schreibe ich auch – gab’s neben mir | |
| noch eine einzige andere Person mit Migrationshintergrund. Da wurde mir die | |
| Ungleichheit bewusst, denn da, wo ich groß geworden bin, gab es kein „Ihr“ | |
| und „Wir“, da sahen fast alle Kids so aus wie ich. Aber in der Grundschule | |
| war das nicht so. Die Lehrerschaft hat uns sehr deutlich gemacht, dass | |
| „wir“ etwas anderes sind als der Rest der Klasse. | |
| taz: Ihre Grundschulzeit ist eine Weile her, mittlerweile studieren Sie | |
| Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Würden Sie nach wie vor sagen, dass | |
| Deutschland eine geschlossene Gesellschaft ist? | |
| Durgun: Sie hat sich mir gegenüber immer mehr geöffnet, aber für sehr viele | |
| Menschen ist Deutschland immer noch geschlossen. Auch meine Schwestern | |
| haben es immer noch schwerer als ich. | |
| taz: Wieso? | |
| Durgun: Ich glaube, Männern geht es immer besser als Frauen. | |
| taz: Sie schreiben auch über den deutsch-kurdischen Rapper Azad und seinen | |
| Track „Eines Tages“. Darin heißt es: „Eines Tages zeig ich allen, dass e… | |
| Kurde es geschafft hat.“ Wie wichtig waren Vorbilder für Sie? | |
| Durgun: Azad war sehr wichtig, weil er perfekt zur Schau stellte, was für | |
| uns immer fern lag. Was Comedy angeht, waren Kurt Krömer und Anke Engelke | |
| oder auch Bastian Pastewka Vorbilder. Allgemein war ich als Kind ein | |
| krasser Fernseh-Junkie … | |
| taz: Sie haben öfter mal die „Wochenshow“ geguckt? | |
| Durgun: Vielleicht das eine oder andere Mal. Ich beobachte diese Leute bis | |
| heute. Anke und Kurt kommen aus einer ganz anderen Ära, aber haben den | |
| Sprung in die neue Welt geschafft. Das finde ich bewundernswert. | |
| taz: Wenn Sie einen deutschen Rapper zum Kanzler machen könnten, welcher | |
| wäre das? | |
| Durgun: Ich würde gern mal Haftbefehl im Bundestag sehen, das wäre sehr | |
| interessant. Nicht mit der Annahme, dass er ein guter Politiker wäre, | |
| sondern einfach, weil ich mich amüsieren möchte. | |
| taz: Tatsächlich gibt es ein älteres [2][Interview mit Haftbefehl], in dem | |
| er gefragt wurde, was er als Kanzler tun würde. | |
| Durgun: Was hat er geantwortet? | |
| taz: Er möchte alle „Bonzen“ aus den Villen schmeißen und „die Leute aus | |
| dem Ghetto“ dort einziehen lassen. | |
| Durgun: Also eigentlich wie Gregor Gysi. | |
| taz: Manche Ihrer Gags sind witzig, andere eher bittersüß. Über Ihre | |
| Schwester, die keinen deutschen Pass hat, [3][sagen Sie zum Beispiel]: „Wir | |
| nennen sie in der Familie auch das erste Opfer der AfD.“ Schauen Sie da | |
| manchmal im Nachhinein drauf und denken sich: „War vielleicht doch ein | |
| bisschen derb?“ | |
| Durgun: Ich finde den Witz super, würde ich wieder so machen. Ich mache mir | |
| aber schon im Vorhinein Gedanken darüber, was angemessen oder unangemessen | |
| ist. Zum Beispiel würde ich nie nach unten treten. | |
| taz: Warum war es Ihnen wichtig, die Geschichte Ihrer Familie und | |
| insbesondere Ihrer Mutter auf Deutsch zu erzählen? | |
| Durgun: Das war mir wichtig, weil meine Mutter durch meine Videos im | |
| letzten Jahr einem sehr breiten Publikum bekannt geworden ist. In ihrer | |
| Kürze sind die Videos natürlich amüsant und charmant, aber sie bilden meine | |
| Mutter nie in all ihren Facetten ab. Meine Mutter erfährt viel Liebe im | |
| Internet, aber mit all dem, was sie für uns geleistet hat, habe ich mich | |
| ein bisschen in der Schuld gesehen, etwas zurückzugeben. Sie ist die | |
| wichtigste Person in meinem Leben. Und alle Menschen, die meine Mutter | |
| durch meine Videos schon kennen, möchte ich gern auf eine Reise durch ihre | |
| Geschichte einladen. | |
| taz: Ihre Eltern sind yezidische Kurden. Im Buch lernt man im Rahmen Ihrer | |
| Familiengeschichte auch etwas über die Diskriminierung dieser | |
| Bevölkerungsgruppe. | |
| Durgun: Yezidische Kurden haben mit vielen Baustellen gleichzeitig zu | |
| kämpfen. Kurden allein sind ja bereits eine marginalisierte Gruppe. | |
| Innerhalb der Kurden sind die Yeziden aber noch einmal zusätzlich in einer | |
| beschwerlichen Situation. Das Yezidentum ist zwar die älteste Religion der | |
| Kurden, wurde aber nie wirklich angenommen. Yeziden haben seit Beginn ihrer | |
| Existenz mit Genoziden, mit systematischer Vernichtung ihrer Communitys zu | |
| tun, und nie wirklich eine Ära des Friedens erlebt, weswegen viele von | |
| ihnen flüchten. In Deutschland gibt es die größte yezidische Gemeinschaft | |
| in der Diaspora. | |
| taz: Sie und Ihre drei Geschwister sind in Deutschland geboren. Trotzdem | |
| mussten Sie Ihrer Mutter erklären, dass ihre Kinder von Abschiebung bedroht | |
| sind. Wie kann das sein? | |
| Durgun: Das ist ein sehr komplexer Fall. Im Buch thematisiere ich den | |
| Moment, als ich meiner Mutter den Brief vorlese, in dem uns der „Widerruf | |
| der Asylberechtigung“ angedroht wird. Das hat unter anderem etwas damit zu | |
| tun, dass wir Kurden sind. Kurden verfügen über keinen Staat, es gibt also | |
| keinen kurdischen Pass. Meine Eltern sind in der Türkei zur Welt gekommen. | |
| Man müsste annehmen, dass sie einen türkischen Pass haben. Hatten sie aber | |
| nie, weil sie in einer ländlichen, kurdischen Gemeinschaft gelebt haben, wo | |
| nie wirklich etwas registriert wurde. Dann ist meine Mutter irgendwann nach | |
| Deutschland gekommen, ohne Unterlagen: keine Geburtsurkunde, keine | |
| Vaterschaftsurkunde, nichts. Damit war es im bürokratischen Deutschland | |
| natürlich schwer, eine Identität zu Papier zu bringen. | |
| taz: Man kann nicht zu einer deutschen Behörde gehen und sagen: Ich bin | |
| staatenlos? | |
| Durgun: Es ist bestimmt möglich, aber das müssen krasse Ausnahmefälle sein. | |
| Ich habe noch nie davon gehört, dass jemand so einen deutschen Pass | |
| bekommen hat. Bevor man die deutsche Staatsgenhörigkeit ausgestellt kriegt, | |
| muss man vorher etwas anderes gehabt haben. Da waren für uns erst einmal | |
| viele Besuche im türkischen Konsulat notwendig. Aber ehe wir überhaupt den | |
| türkischen Pass kriegen konnten, waren eine Identitätsnachforschung | |
| innerhalb der Türkei und viele andere Dinge notwendig. | |
| taz: Sie sind ein Freund der deutschen Sprache und ihrer komplizierten | |
| Besonderheiten. Woran liegt das? | |
| Durgun: Dieses hochgestochene Fachdeutsch, das für viele Menschen | |
| anstrengend ist, habe ich mir zwangsläufig antrainieren müssen – auch ein | |
| bisschen um das System mit den eigenen Waffen schlagen und unter anderem in | |
| der Ausländerbehörde auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Das ist bis | |
| heute geblieben. Es waren aber auch die Herausforderung und der Eifer, die | |
| mich dazu motiviert haben. Und ich finde es heute einfach geil, Deutsch zu | |
| sprechen. Deutsch ist eine Sprache, die es schafft, Sachen zur Geltung zu | |
| bringen, die andere Sprachen nicht schaffen. | |
| taz: Die deutsche Sprache kommt auch in Ihrem Buch gut weg, das deutsche | |
| Essen aber eher nicht so. | |
| Durgun: Wenn das so ist, dann nehme ich das zurück. Ich muss offen und | |
| ehrlich zugeben, dass ich Ende letzten Jahres die deutsche Küche krass für | |
| mich entdeckt habe. Welche Stelle meinen Sie? | |
| taz: Sie äußern sich öfter mal herablassend über Fantakuchen … | |
| Durgun: Da geht es weniger um dieses Gericht, sondern mehr um die Leute, | |
| die dahinterstehen. Deutsche Küche ist geil. Ich finde Rinderrouladen mit | |
| Rotkohl und Kapü sehr lecker. Und ich sage ganz bewusst: Kapü. | |
| 16 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konstantin Nowotny | |
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