# taz.de -- Mohammad Rasoulof über seinen neuen Film: „All diese Drehbücher… | |
> Der Regisseur von „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ floh vor der | |
> Repression des iranischen Regimes nach Deutschland. Ein Gespräch über die | |
> Arbeit unter totalitären Systemen. | |
Bild: Die Frauen müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen: „Die… | |
„The Seed of the Sacred Fig“ ist der jüngste Film des Regisseurs Mohammad | |
Rasoulof. Darin verwendet er teils dokumentarische Elemente, um am Beispiel | |
einer Familie von der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung in Iran zu erzählen und | |
wie darüber der Zusammenhalt der Familie bedroht wird. Rasoulof zeigt | |
dabei, wie das Mullah-Regime im Privaten wirkt und in der aktuellen Lage | |
polarisiert. Das Gespräch führten wir im Rahmen der Verleihung des 37. | |
Europäischen Filmpreises in Luzern, wo Rasoulof für den besten Film, die | |
beste Regie und das beste Drehbuch nominiert war. Sein Film soll zudem für | |
Deutschland ins Rennen um den Oscar für den besten internationalen Film | |
gehen. | |
taz: Herr Rasoulof, wie hat sich Ihr Leben [1][seit Ihrer Flucht aus Iran | |
im Mai kurz vor der Premiere Ihres Films „Die Saat des heiligen | |
Feigenbaums“ in Cannes] entwickelt? | |
Mohammad Rasoulof: Es ging einfach alles zu schnell, um die Veränderungen | |
wirklich zu verarbeiten. Mit dem Film bin ich in viele verschiedene Länder | |
gereist und habe ihn dort dem Publikum gezeigt. Ich habe mich noch nicht | |
ganz mit dem Exil abgefunden, weil ich einfach ständig unterwegs war. Ich | |
glaube, ich brauche wirklich eine gewisse Zeit der Ruhe, bevor ich mich | |
damit auseinandersetzen kann. | |
taz: Wie geht es den Menschen in Iran, wie ist das Leben für Ihre | |
Schauspieler? Die Situation hat sich seitdem auch auf globaler Ebene | |
verschlechtert. Was beunruhigt Sie am meisten? | |
Rasoulof: Natürlich bin ich berührt und traurig über die Zunahme der Gewalt | |
in der Welt. Was meine Darsteller und meine Crew in Iran angeht, so ist die | |
Lage besonders seit Mai sehr schwierig. Es sind viele seltsame Dinge in dem | |
Land passiert, und das fiel mit der Geschichte des Films zusammen. Als | |
bekannt wurde, dass „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ nach Cannes | |
eingeladen ist, waren meine Darsteller und die Crew einem enormen Druck | |
ausgesetzt. Sie wurden tagelang verhört und in vielerlei Hinsicht unter | |
Druck gesetzt. Aber schließlich hatte das Land größere Probleme zu | |
bewältigen. Wie Sie wissen, ist der Präsident bei einem Hubschrauberabsturz | |
ums Leben gekommen. Und er war stark für die Situation zwischen Iran und | |
Israel verantwortlich, der Krieg ist eskaliert. Und ich finde es seltsam, | |
dass das Regime trotz alledem immer noch die Zeit findet, über die | |
Unterdrückung von Frauen und Künstlern nachzudenken. | |
taz: Ihr Film ist eine sehr persönliche Darstellung des politischen Lebens | |
in Iran. Sie sprechen dabei nicht über Führungspersönlichkeiten, sondern | |
lenken den Blick auf den Alltag einfacher Bürger, wie sich Menschen in | |
einem Regime verhalten. Was interessiert Sie an diesen Fragen um | |
persönliche Verantwortung? | |
Rasoulof: Was in Iran in Bezug auf die Frauenbewegung geschieht, ist nicht | |
etwas, das erst in den letzten zwei Jahren geschehen ist. Es ist die | |
Fortsetzung, eine neue Stufe im Kampf für die Rechte der Frauen in Iran, | |
der vor vielen Jahrzehnten begonnen hat. Und ich bin sicher, dass weitere | |
Ringe in dieser Kette folgen werden. Was die persönliche Verantwortung | |
angeht, das ist ein Thema, das ich in vielen meiner Filme untersucht habe. | |
Es ist ein zentrales Thema für mich, zum Beispiel habe ich mich auch in | |
meinem [2][Film „Doch das Böse gibt es nicht“] damit befasst, der von | |
Figuren handelt, die in Gefängnissen arbeiten. Diese sind konfrontiert mit | |
Entscheidungen, bei denen sie mit Hinrichtungen zu tun haben, und müssen | |
sich überlegen, wo sie stehen, wie sie damit umgehen. Und während es sehr | |
wichtig ist, sich die persönliche Verantwortung bewusst zu machen, müssen | |
wir uns auch anschauen, was Systeme den Menschen antun, wenn sie einen mit | |
ihren Anforderungen nachgerade ertränken. Selbstverständlich sind manche | |
Menschen vielleicht stärker und wehren sich mehr, aber wir müssen trotzdem | |
im Blick haben, wie Systeme die Menschen zwingen, Entscheidungen zu | |
treffen. Und ich denke, dass die Islamische Republik eine große Rolle | |
spielt, sowohl im Inland, wo sie die Menschen unterdrückt und ihnen alle | |
möglichen Probleme bereitet, als auch auf internationaler Ebene, wo sie | |
sich in die Angelegenheiten anderer Länder einmischt, den Terrorismus | |
stärkt und alle möglichen Verwüstungen anrichtet. Die Islamische Republik | |
ist ein skrupelloses Gebilde. Sie macht, was sie will, das Regime entführt | |
Menschen und begeht allerlei Gewalttaten. Das ist eine Tatsache, mit der | |
ich mich aber nicht weiter beschäftige. Ich versuche, mich auf das zu | |
konzentrieren, was ich in der Hand habe, was ich kontrollieren kann. Das | |
ist, was ich tun kann, meine Arbeit. | |
taz: Der Regisseur Jean-Luc Godard sagte, Kino sei immer politisch. Glauben | |
Sie daran, dass das Kino ein wirksamer Akt des Widerstands ist? | |
Rasoulof: Ich denke, besonders in der Welt, in der wir heute leben, ist | |
alles politisch. So ist zum Beispiel die Entscheidung, nicht darüber | |
nachzudenken, oder sogar die Entscheidung, politischen Fragen gegenüber | |
gleichgültig zu sein und sie somit den Machthabern zu überlassen, ein | |
politischer Akt. Das heißt aber nicht, dass ich denke, dass alle Filme | |
politische Themen behandeln oder Ideen zu Politik verbreiten sollten. Ich | |
denke, Künstler, auch Filmemacher, sollten ihre Ausdrucksmittel, ihre | |
Fähigkeit, sich auszudrücken und ihre künstlerische Freiheit nutzen, um | |
jedes Thema in der Welt auf jede Art und Weise anzugehen, die sie | |
interessiert. Vor allem, wenn wir bedenken, dass die Politik nur eine | |
Facette der Menschheit ist, eine Sache unter vielen. Um also Ihre Frage zu | |
beantworten: Alles ist politisch, aber ich glaube nicht, dass alle Kunst | |
politische Themen behandeln muss. | |
taz: Wie ist die Situation der jungen iranischen Filmemachergeneration im | |
Moment? Welche Perspektiven sehen Sie für sie? | |
Rasoulof: Sie sind erstaunlich. Ich bin tief berührt von all diesen | |
wunderbaren iranischen Filmemachern, die derzeit in Iran unter allerhand | |
Repressionen, trotz Finsternis und Unterdrückung Filme machen. Das | |
unabhängige Filmschaffen nimmt viele verschiedene Formen an, es bedeutet | |
nicht unbedingt, dass man Filme im Untergrund macht. Es gibt sogar sehr | |
gute Filmemacher, die immer noch versuchen, innerhalb des offiziellen | |
iranischen Kinos zu arbeiten. Die Zensur wird von Tag zu Tag schlimmer, und | |
selbst dann versuchen einige immer noch, Filme zu machen, die sich an die | |
Zensur halten, ohne sich ihr zu unterwerfen, sondern Wege finden, sie zu | |
umgehen, sie zu unterwandern. Ich bin sehr beeindruckt von diesen | |
Filmemachern. | |
taz: Ich erinnere mich, dass der Regisseur Jiri Menzel, eine Legende der | |
tschechoslowakischen Neuen Welle, mir vor Jahren sagte, dass Zensur | |
inspirierend sein kann, weil man nach einem Weg sucht, das System zu | |
umgehen, und man als Künstler viel kreativer ist. | |
Rasoulof: Ich empfehle Beschränkungen keinesfalls und halte sie auch für | |
keine gute Sache, selbst wenn sie zu Kreativität führen. Umgekehrt denke | |
ich, wenn man mit Zensur konfrontiert wird, ist die beste Antwort kreativ | |
zu werden. | |
taz: Haben Sie in der jetzigen Situation Zeit und Kraft, über neue Projekte | |
nachzudenken? Woran arbeiten Sie im Moment? | |
Rasoulof: Als ich das letzte Mal in Iran war, durfte ich das Land sieben | |
Jahre lang nicht verlassen und hatte auch ein Arbeitsverbot. Ich habe es | |
nur geschafft, zwei Filme zu drehen, aber ich habe eine Menge Drehbücher | |
geschrieben und mitgebracht. Es gibt drei oder vier, die im Grunde schon | |
fertig sind. Eines davon hat mit einem iranischen Dramatiker zu tun, der | |
vor etwa 60 Jahren geschrieben hat. Ich hänge sehr daran, es wird ein | |
Animationsfilm sein. Ein anderes wird wahrscheinlich eine Miniserie werden, | |
auf die ich ebenfalls sehr gespannt bin. Es gibt noch ein weiteres | |
Drehbuch, das ich im Moment schreibe und entwickle, meistens wenn ich im | |
Flugzeug sitze. All diese Drehbücher halten mich am Leben und geben mir | |
etwas, auf das ich mich freuen kann. | |
taz: Wie sehr entspricht die Energie und Kraft der jungen Frauengeneration | |
in Iran, wie Sie sie im Film präsentieren, der Realität? | |
Rasoulof: Die Antwort darauf sehen Sie in den Clips, in den | |
dokumentarischen Aufnahmen, die wir im Film zeigen. Diese jungen Menschen | |
sind es, die mich beeindrucken, beeinflussen und beeindrucken, nicht | |
umgekehrt. | |
25 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Julia Vladimirova | |
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