# taz.de -- Comedy-Duo über deutschen Irrsinn: „Ein Mittel dieser Zeit ist, … | |
> Querdenker und Grillkohle: Ein Gespräch mit Thorsten Mense und Thomas | |
> Ebermann, die sich auf der Bühne des deutschen Irrsinns annehmen. | |
Bild: Thomas Ebermann (links) und Thorsten Mense (rechts) während „Normal �… | |
taz: Herr Mense, Herr Ebermann, „Normalität“ ist ja ein vergleichsweise | |
abstraktes Thema für die Bühne. Wie kamen Sie darauf, sich dem zu widmen? | |
Thomas Ebermann: Wenn man es einmal beobachtet hat, dann merkt man, wie | |
allgegenwärtig das Lob des „normalen Menschen“ ist. Der Slogan | |
„Deutschland, aber normal“ der AfD offenbart ja schon, dass es ein rechter | |
Kampfbegriff ist: „Normal“ gegen das „rotgrün Versiffte“, das Uneindeu… | |
das Perverse, das „Entartete“, das Rebellische. | |
Es ist ein Synonym für die gesellschaftliche Rechtsentwicklung, dieses Lob, | |
und für die Repression gegen alles, was nicht als normal empfunden wird. | |
Das ist ein Ausgangspunkt. Der andere war, dass wir beobachtet hatten, dass | |
es viele kluge Bücher und Broschüren gibt, die verschwörungstheoretische | |
Zusammenhänge erklären, aber dabei selber die [1][bürgerliche Vernunft als | |
Antidot des Wahns] benutzen. Wir kommen aber aus einer Denkschule, wo man | |
den Wahn aus der „normalen“ Meinung ableiten muss, und das war eine große | |
Herausforderung. | |
taz: Wie kann ich mir die Vorbereitung eines Bühnenabends zu einem solchen | |
Thema vorstellen? | |
Thorsten Mense: Angefangen hatten wir, als wir noch vor über zwei Jahren | |
auf Tour mit dem „Anti-Heimatabend“ waren. Zum einen haben wir gemerkt, | |
dass wir weiter zusammenarbeiten wollen. Zum anderen wurde die Tour damals | |
stark und immer wieder von Corona und Lockdowns unterbrochen. Dann haben | |
diese ganzen, wie man sie nennt, „Verrückten“, „Querdenker“, | |
„Verschwörungstheoretiker“ einen großen Boom erlebt. Das ist sehr viel | |
gutes Material, das Flo Thamer für uns mitrecherchiert und | |
videokünstlerisch zusammengestellt hat und über das man sich sehr leicht | |
lustig machen kann. Wir wollten aber auch zeigen, wie weit der Wahn in die | |
Mitte der Gesellschaft hineinreicht. | |
taz: Wenn man Ihr Programm gesehen hat, springt einen das Thema an. Sahra | |
Wagenknecht äußerte etwa kürzlich, der Diskurs um Friedrich Merz und | |
gemeinsame Anträge mit der AfD sei „krank“. | |
Ebermann: Vielleicht kann man sagen, dass sich der Sozialdarwinismus auf | |
einem Siegeszug befindet. Der postuliert, dass der Untergang der Schwachen | |
nicht zu sehr durch Kultur und Zivilität verhindert werden darf. Das | |
wandert in die Menschen ein. Dann ist natürlich der Kranke – übersetzen wir | |
es ruhig einmal: der Arbeitsunfähige, der Nicht-Produktive, der nicht zum | |
Standort beitragende – assoziativ eine feindliche Figur. In besseren Zeiten | |
hätte sich kaum jemand dieser Rhetorik noch so freimütig befleißigt, wie | |
Sie das beobachtet haben. Und jetzt kann man das einfach wieder so | |
aussprechen. | |
taz: Auch wenn in Ihrem Programm internationale Wahnfiguren wie Javier | |
Milei oder Donald Trump vorkommen, konzentrieren Sie sich auf den | |
spezifisch deutschen Wahn. | |
Mense: Es gibt einen ganz spezifisch deutschen Diskurs um Normalität, der | |
viel mit der Geschichte Deutschlands, dem Holocaust und dem Bedürfnis | |
danach, eine normale Nation zu sein, zu tun hat. Mit dem Ende des Zweiten | |
Weltkrieges ging das los, dass man versuchte, sich von den Verbrechen, die | |
von Deutschland und den Deutschen ausgingen, reinzuwaschen. Ohne zu weit | |
auszuholen: Es gab viele Phasen und Wellen, in denen sich dieser Diskurs | |
ausgedrückt hat. Dem widerspruchsfreien, positiven Bezug auf die | |
[2][deutsche Nation stand natürlich immer Auschwitz] entgegen. | |
Insofern ist das ein eigener, spezifisch deutscher Diskurs, der sich dann | |
auch in der „Wiedervereinigung“, die als Wiederherstellung von Normalität | |
erzählt wurde, zum Ausdruck kommt. Und je vehementer die Deutschen normal | |
sein wollten, desto mehr zeigte sich, dass das eben nicht so ist. Jetzt | |
sind die Deutschen wieder so normal, haben derartig ihre Geschichte | |
aufgearbeitet, dass eine völkische Partei an Platz zwei der deutschen | |
Parteienkonkurrenz steht. | |
taz: Aktuell wird im Zusammenhang mit dem Rechtsruck viel von | |
Grenzverschiebungen oder Dammbrüchen gesprochen. Eben war etwas ein | |
Skandal, aber dann kommt der nächste und an den vorherigen hat man sich | |
schon gewöhnt. Ist das Taktik? | |
Mense: Ich halte es für falsch zu denken, diese Normalisierung wäre ein | |
taktisches Mittel der Parteien der Mitte, um die Wählerschaft am rechten | |
Rand abzuholen. Ich glaube eher, das zeugt davon, dass diese Einstellungen | |
genuin aus dieser Mitte entstehen, die sich selbst immer weiter nach rechts | |
bewegt. | |
taz: Sie sagen im Programm, 20 bis 60 Prozent der Deutschen teilten die | |
Einstellung des Attentäters, der 2019 eine Synagoge in Halle angriff. | |
Mense: Gegen den Feminismus, gegen die „Massenmigration“, und hinter allem | |
steckt der Jude – wenn man sich die Umfragen der Mitte-Studie anschaut, | |
sind es zwischen 20 und 60 Prozent, die solchen Aussagen zustimmen. Gerade | |
in dieser Woche – auch im Hinblick auf Merz – sieht man, dass auch die CDU | |
aus reinem Kosten-Nutzen-Kalkül heraus begreifen müsste, dass es ein | |
[3][bisschen too much ist, was sie zulässt.] Aber die sind wirklich | |
überzeugt von dem rassistischen und nationalistischen Zeug, das sie reden. | |
Und damit entsteht automatisch eine Normalisierung, weil diese Positionen | |
von Milieus aus der Mitte vertreten werden. | |
taz: Das sind also die „normalen Leute“, mit denen so oft Wahlkampf gemacht | |
wird? | |
Mense: Dieses Lob der „normalen“ Leute ist, wie Thomas es ausdrückt, „ei… | |
Beleidigung, die sich als Respekt tarnt“. Es wird gefüttert von einer | |
harmonischen Gemeinschaftsvorstellung, in der es keine Konflikte gibt. Die | |
AfD traut sich jetzt vielleicht mehr, das auszusprechen, aber man kann das | |
alles vor 10, 20, 30 Jahren auch von bürgerlichen Figuren, von Martin | |
Walser bis zur CDU, nachlesen. | |
Ebermann: Gerade in dieser Mischung aus dem Postulat der Vernunft und dem | |
Normalen findet sich ein großer Druck, sich nicht der Tyrannei der Mehrheit | |
zu widersetzen, sondern die Mehrheit großartig zu finden: Wir machen | |
Hausbesuche im Wahlkampf, wir wollen wissen, was der „normale“, fleißige | |
Mensch von uns erwartet. Ich bin froh, wenn ich meine Nachbarn nicht näher | |
kennenlerne – und die machen Theater damit, wen sie alles kennenlernen | |
wollen und behaupten, dass sie dabei riesig etwas gelernt hätten. | |
taz: Zu den Normalitäten der „einfachen Leute“ gehört auch: Jeden Tag | |
versucht in Deutschland ein Mann, seine Frau zu töten. Dagegen schlägt kaum | |
jemand politische Maßnahmen vor. Für Gewalt von Migranten hingegen | |
interessieren sich von AfD bis SPD viele. | |
Mense: [4][Femizide, das gehört irgendwie dazu], daran hat man sich | |
gewöhnt. Und dann gibt es andere Formen von Gewalt, die aus rassistischen | |
Gründen viel größer gemacht werden. Das kann man aber in allen Bereichen | |
sehen: Wie viel Leid und Elend gibt es auf dieser Welt weiterhin? Wie viele | |
Menschen ertrinken im Mittelmeer, weil Fluchtwege versperrt sind; wie viele | |
Leute hungern, wie viele Leute sterben an schlechten Arbeitsbedingungen? | |
Darauf hat man sich so unausgesprochen geeinigt, dass das noch im | |
„normalen“ Rahmen ist. Und das alles vollzieht sich im Namen der Vernunft, | |
dieses Leid. | |
Ebermann: Die Lebenserwartung der unteren Schichten in Deutschland ist zehn | |
Jahre geringer als die der Wohlhabenden. Versuchen Sie mal, das zu | |
skandalisieren. Da entgegnet man dann: Die sind auch häufiger Raucher. | |
taz: Trotz harter Themen bearbeiten Sie sie im Modus der Polemik. Warum? | |
Ebermann: Es gibt Kunst, die arbeitet pointenfrei, und ich schätze sie. | |
Aber wir glauben, dass es ein Mittel in dieser Zeit ist, die Herrschaft | |
auszulachen. Das Auslachen ist so etwas wie eine Ermutigung, als Linker zu | |
wissen, dass eine große Mehrheit die Geisterfahrer sind – und nicht man | |
selbst. In einer normalen Fußballsendung, da sehe ich 80.000 Irre, und der | |
Reporter erklärt mir, wie toll die Stimmung ist. Manchmal gelingt es an so | |
einem Abend, diese Erkenntnis zu erzeugen, und dann wird heftig gelacht. | |
Die Kunst ist, glaube ich, eine Sache theoretisch durchdrungen zu haben und | |
sich dann zu erlauben, darauf Pointen zu basteln. Das ist die einzige | |
Möglichkeit, dass die Pointe nicht billig wird. | |
Mense: Ich würde noch ergänzen, dass wir versuchen, den ganzen Wahn, von | |
dem man umgeben ist, vor Augen zu führen. Damit meine ich jetzt nicht | |
Xavier Naidoo oder Menschen, [5][die gegen „Chemtrails“ ansingen], sondern | |
der ganz alltägliche Wahn zwischen Lohnarbeit, Angst und Ohnmacht. | |
Gleichzeitig ist der Umgang, das in Pointen zu verarbeiten – für mich | |
zumindest – eine Möglichkeit, nicht selbst daran verrückt zu werden. Wir | |
machen beide trotzdem trockene Theorie- und Politvorträge, und das werden | |
wir auch weiterhin sicherlich tun. Aber Polemik ist eine Form, die Leute | |
anders zum Nachdenken anregen kann. | |
taz: Bei Ihnen wird man auch musikalisch unterhalten, unter anderem mit | |
einem Song von Jens Rachut und Thomas Wenzel. Und man kann | |
alltagspraktische Sachen lernen … | |
Mense: Meinen Sie: ausschlafen und sich nicht dafür schämen? | |
Ebermann: Wir erklären auch den Menschen, dass sie beim Kauf von Grillkohle | |
nicht nur pro Kilogrammpreis vergleichend vorgehen, sondern auch die | |
Brenndauer in Rechnung stellen sollten, um das wirklich günstigste Produkt | |
zu ermitteln. Und das ist doch ein ganz gutes Beispiel dafür, wie uns die | |
Experten so höllisch beraten. | |
5 Feb 2025 | |
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Konstantin Nowotny | |
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