# taz.de -- Grundrechtereport 2023: Das „Nie wieder“ des Grundgesetzes | |
> Die Ex-Verfassungsrichterin Susanne Baer nennt das Grundgesetz eindeutig | |
> antirassistisch. Erstaunlicherweise sei das kaum wahrgenommen worden. | |
Bild: Aktion der Letzten Generation | |
BERLIN taz „ |Es ist erschreckend, wie vielen in unserer Gesellschaft die | |
Frage des Rassismus einfach nur auf die Nerven geht“, sagte | |
Ex-Verfassungsrichterin Susanne Baer, als sie den aktuellen | |
Grundrechtereport vorstellte. [1][Der Grundrechtereport] ist ein | |
Taschenbuch, das jährlich von zehn Bürgerrechtsorganisationen herausgegeben | |
wird. | |
Das Grundgesetz sei jedenfalls eine eindeutig antirassistische Verfassung | |
des „Nie wieder“, betonte Baer. Es sei erstaunlich, dass dies | |
jahrzehntelang wenig wahrgenommen wurde. „Aber den Gerichten fehlten auch | |
passende Fälle“, stellte Baer fest. Inzwischen habe aber das | |
Bundesverfassungsgericht zum Beispiel klargestellt, dass [2][rassistische | |
Äußerungen] im Betrieb eine fristlose Kündigung rechtfertigen und dass ein | |
Sportverein rechtsextremistische Mitglieder ausschließen darf. | |
Auch die EU, auf die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) | |
zurückgeht, habe wichtige Impulse gesetzt, erinnert Baer. Das 2002 in | |
Deutschland beschlossene AGG [3][verbietet Diskriminierungen] im | |
Arbeitsrecht und bei zivilrechtlichen Massengeschäften, etwa im Supermarkt | |
oder am Disco-Eingang. Wie man allerdings die „geschmacklose Bemerkung vom | |
Rechtsbruch unterscheidet“, das sei noch nicht ausdiskutiert. | |
## Geschenk zum Geburtstag des Grundgesetzes | |
Skeptisch äußerte sich Baer gegenüber der Idee, dass Flüsse, Seen und | |
Wälder eigene einklagbare Rechte haben könnten. „Da stellt sich doch ein | |
Paternalismus-Problem“, sagte sie. „Wer nimmt denn dann für sich in | |
Anspruch, dass er die Rechte der Natur vertritt? Das kann ja in viele | |
verschiedene Richtungen gehen.“ | |
Den Grundrechtereport nannte Baer „ein schönes Geschenk zum Geburtstag des | |
Grundgesetzes“, auch wenn sie selbst nicht alle Inhalte des Buches teile. | |
Es sei wichtig, dass sich die Zivilgesellschaft in die Diskussion um die | |
Durchsetzung der Grundrechte einbringe. „Die Grundrechte sind immer unter | |
Druck, vor allem wenn es um Grundrechte von Minderheiten geht“, so Baer, | |
„sie müssen oft vor Gericht durchgesetzt werden und manchmal auch gegen die | |
Gerichte.“ | |
So ließ Baer Skepsis erkennen, ob präventive Demonstrationsverbote für | |
[4][propalästinensische Gruppen in Berlin] gerechtfertigt waren. Letztlich | |
berief sie sich aber auf ihre „nachamtliche Zurückhaltung“. Susanne Baer | |
war erst im Februar nach Ende ihrer 12-jährigen Amtszeit als | |
Verfassungsrichterin ausgeschieden. | |
## Kritik von der Letzten Generation | |
Als zweiter Präsentator kritisierte Simon Lachner von der Letzten | |
Generation die feindselige Haltung vieler Medien, Politiker:innen und | |
Autofahrer:innen gegenüber den Klima-Aktivist:innen. „Wir werden | |
bespuckt, geschlagen und mit kaltem Wasser und heißem Kaffee beschüttet.“ | |
Die Gerichte nehme er dagegen differenziert wahr. „Die Richter suchen oft | |
einen Mittelweg. Sie wollen uns nicht allzu hart bestrafen, weil sie unser | |
Engagement schätzen, aber ein Freispruch ist dann eben auch nicht drin.“ | |
Susanne Baer erinnerte daran, dass es notwendig zum zivilen Ungehorsam | |
gehöre, die Bestrafung für den gezielten Rechtsbruch in Kauf zu nehmen. | |
Durch diese Bereitschaft, Lasten auf sich zu nehmen, werde an die | |
Gesellschaft appelliert, ihre Haltung zu überdenken. „Wenn ich von einem | |
Recht auf Widerstand höre, werde ich ganz unruhig“, sagte Baer, „das nehmen | |
ja auch Rechtsradikale für sich in Anspruch, die unseren Staat überhaupt | |
nicht akzeptieren.“ | |
Insgesamt umfasst der Grundrechtereport, der sich als „alternativer | |
Verfassungsschutzbericht“ versteht, in diesem Jahr 39 Beiträge. | |
Bemerkenswert ist etwa der Hinweis von Rechtsanwalt Lukas Theune, dass | |
Polizisten in Hessen pauschal 2.000 Euro erhalten, wenn sie im Dienst oder | |
außerhalb des Dienstes angegriffen werden und so einen Dienstunfall | |
erleiden. Dieser Anreiz, Vorfälle zu melden, die wohl nicht näher überprüft | |
werden, könne zu stark ansteigenden Zahlen von angeblicher Gewalt gegen | |
Polizisten führen, so der Anwalt, die dann wieder für die Verschärfung von | |
Gesetzen genutzt werden. | |
23 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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