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# taz.de -- Bürgerrechtler ziehen Jahresbilanz: Abgrenzung von Corona-Demos
> Nachdenkliche Töne bei der Vorstellung des neuen Grundrechte-Reports: Mit
> den „Hygienedemos“ wollen die Bürgerrechtler nichts zu tun haben.
Bild: „Gesundheit als Ware“: Protest für bessere Bedingungen in der Pflege
Freiburg taz | Der Pianist hatte sich gut erholt. Nachdem Igor Levits am
Wochenende noch 15 Stunden nonstop Satie spielte, um auf die
Corona-bedingte Not vieler Künstler aufmerksam zu machen, stellte er nun in
Berlin den neuen Grundrechtereport vor. Für den engagierten Musiker eine
Selbstverständlichkeit: „Jeder hat die Bürgerpflicht, sich für Grundrechte
einzusetzen.“
Von „Bürgerpflichten“ war noch öfter die Rede. Denn mit den
[1][Coronarebellen], die in den letzten Wochen „für die Wiederherstellung
der Grundrechte“ und gegen die Coronarestriktionen demonstrierten, wollen
die klassischen Bürgerrechtsorganisationen (von der Humanistischen Union
bis Pro Asyl), die den Grundrechtereport herausgeben, nichts zu tun haben.
„Grundrechte sind ein Gesamtpaket“, sagte Michèle Winkler vom Komitee für
Grundrechte und Demokratie. „Ich kann nicht nur auf die eigene Freiheit
schauen. Ich muss auch die Grundrechte meiner Mitmenschen respektieren.“
Angesichts der Pandemie müsse sich jeder bewusst sein, dass er unerkannt
„eine Gefahr für andere Menschen“ sein könne.
Nach der Pandemie müsse dann jedoch auch hinterfragt werden, ob die
staatliche Politik unnötiges Leid verursacht hat, so Winkler. Diese Prüfung
solle „solidarisch, achtsam und auf wissenschaftlicher Grundlage“ erfolgen.
## Sozialpolitik im Fokus
Bei Demonstrationsverboten habe der Staat jedoch eine Grenze überschritten:
„Wenn fünf Leute von der Polizei geräumt werden, weil sie mit
Kreidemalereien gegen die Lage der Flüchtlinge in Griechenland
protestieren, geht das eindeutig zu weit“, erklärte Winkler.
Auch Igor Levit, der Pianist von Weltrang, distanzierte sich schroff von
den Coronademos. „Neofaschisten haben keine Berechtigung, uns etwas über
Grundrechte zu erzählen.“ Auf der anderen Seite warnte Levit aber auch vor
einer Kultur des öffentlichen Beschämens. „Es geht nicht, Leute
abzufotografieren und ins Netz zu stellen, nur weil sie ohne den nötigen
Abstand auf einer Wiese sitzen.“ Kritik im persönlichen Gespräch sei
allemal besser.
„Wir müssen wieder lernen, die Menschen mit ihren Schicksalen zu sehen und
ihnen zuzuhören“, forderte Levit. Die Gesellschaft brauche öffentliche
„Orte der Begegnung“, gerade in der Coronakrise. Auch Theater und Kinos
müssten verteidigt werden. „Sie werden es nicht schaffen, wenn ihnen nicht
geholfen wird“, warnte Levit.
Die Aktivistin Ingrid Hoffmann stellte die Kampagne [2][„Deutsche Wohnen
enteignen“] vor, die eine Sozialisierung von kommerziellen
Wohnungsunternehmen mit mehr als 30.000 Wohnungen fordert. Die Initiative
beruft sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der Sozialisierungen erlaubt.
Der Artikel findet sich zwar im Grundrechtsteil des Grundgesetzes,
allerdings als besonders weitgehende Möglichkeit, in Grundrechte von
Unternehmen einzugreifen. „Wenn es heißt, wir seien DDR, dann beleidigt
mich das gar nicht“, sagte die ostdeutsche Rentnerin, „in der
DDR-Verfassung hatte das Recht auf Wohnen immerhin Verfassungsrang.“
Auch die Kinderkrankenschwester Ulla Hedemann vertrat ein sozialpolitisches
Anliegen. Sie sitzt für die Gewerkschaft Verdi im Aufsichtsrat der Berliner
Klinik Charité und kritisierte, dass „Gesundheit als Ware“ behandelt werde.
Derzeit gebe es „falsche Anreize“, Patienten möglichst schnell und teuer
abzufertigen. Erforderlich sei stattdessen ein „patientenorientiertes“
Konzept.
Der Grundrechtsreport ist ein Taschenbuch, das im Buchhandel erhältlich ist
und seit 1997 als eine Art „alternativer Verfassungsschutzbericht“ Gefahren
für die Grundrechte und andere Verfassungswerte aufzeigt.
2 Jun 2020
## LINKS
[1] /Teilnehmer-der-Hygiene-Demos/!5686915
[2] /Volksbegehren-stellt-Plan-vor/!5657277
## AUTOREN
Christian Rath
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Grundrechtereport
Sozialpolitik
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Schwerpunkt Klimawandel
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