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# taz.de -- Tech-Worker über Berlin vs. Amazon: „Amazon greift nach Grundrec…
> Alexa, überwachst du uns? Amazon will in Berlin ein Zentrum für
> Abhörtechnik aufbauen. Der Software-Entwickler Yonatan Miller protestiert
> dagegen.
Bild: „Alexa, niemand will dich in Berlin!“ – an der Warschauer Straße w…
Herr Miller, Sie sind Mitinitiator der [1][Kampagne Berlin vs. Amazon],
einem Zusammenschluss von Gentrifizierungsgegner:innen, Künstler:innen und
Tech-Arbeiter:innen. Was bedeutet die [2][Pandemie für Amazon]?
Yonatan Miller: Amazon ist eine der wenigen Firmen, die während der
Coronakrise extrem profitieren: Der Konzern will 200.000 neue Arbeiter in
Logistikzentren einstellen. Amazon-Chef Jeff Bezos hatte schon vor der
Krise ein Vermögen von über 100 Milliarden Dollar. Mittlerweile wird es auf
über 200 Milliarden Dollar geschätzt und es gibt Spekulationen, dass
[3][Bezos der erste Billionär der Welt] werden könnte. Während der Pandemie
gab es weltweit verschiedene Streiks und Proteste, die Vergeltungsaktionen
von Amazon nach sich zogen. Wir sind in Kontakt mit kritischen Mitarbeitern
im Logistik- und Tech-Bereich wie [4][Chris Smalls] und [5][Emily
Cunningham].
Smalls hatte in den USA Streiks gegen Amazon organisiert und Cunningham von
Amazonians for Climate Justice hatte die Arbeitsbedingungen kritisiert.
Beide wurden entlassen. Kann sich Amazon während der Pandemie weniger
erlauben?
Als die Coronapandemie begann, versuchte Amazon öffentlicher Kritik mit
kleinen Gehaltserhöhungen von zwei Euro entgegen zu wirken. Das wollen sie
ab dem 1. Juni aber schon wieder einstellen. Das wird den Ärger von
Arbeitern weltweit nach sich ziehen. Es bleibt also turbulent bei Amazon.
In Berlin will Amazon den bald größten Turm der Stadt beziehen – den Edge
Tower am Bahnhof Warschauer Straße. Der wird gerade als finaler Baustein
des Projekts Mediaspree vom niederländischen Investor Edge Technologies
hochgezogen. Hauptmieter soll Amazon werden. Hat Corona irgendwas an den
Plänen verändert?
Nein, aus unserer Perspektive gibt es keine Planänderungen oder
Verzögerungen. Der Bau geht voran. Allerdings wissen immer mehr Menschen um
Amazons Verhalten und haben Angst vor Verdrängung. In allen Städten, in
denen Amazon Standorte aufbaut, kann man beobachten, dass die Miet- und
Immobilienpreise in die Höhe schießen. In Seattle, wo das Hauptquartier von
Amazon sitzt, gibt es nicht ganz zufällig die US-weit dritthöchste Rate an
Obdachlosen.
Aktivist:innen haben in Berlin bereits verhindert, dass [6][Google sich in
Kreuzberg] ansiedelte. Warum glauben Sie, dass das auch mit Amazon klappen
kann?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es wird einfach. Amazon ist eine
unglaublich mächtige Firma. Und im Gegensatz zu Google schert sich Amazon
nicht allzu sehr um seine Außenwirkung. [7][Google hatte sogar „Don’t be
evil“ als Mot]to auserkoren – Amazon ist es gewöhnt, heftig kritisiert zu
werden. Ich glaube, wir werden dennoch erfolgreich sein, weil die EU die
parasitären Verhaltensweisen von Tech-Riesen aus dem Silicon Valley genau
auf dem Schirm hat. Zudem geht es nicht nur um Arbeitsrechte oder
Steuervermeidung. Viele Menschen haben noch gar nicht verstanden, was
Amazon in Berlin vorhat.
Was denn?
Die meisten Leute denken bei Amazon an einen Onlinestore, in dem man Bücher
und Videospiele kaufen kann. Aber der Edge Tower in der Warschauer Straße
steht für etwas ganz anderes: Dort soll Alexa Service einziehen –
Abhörtechnologie. Von hier aus soll nicht nur der deutsche Markt, sondern
der globale Markt für Natural Language Processing (NLP – maschinelle
Verarbeitung natürlicher Sprache, Anm. d. Red.) vorangetrieben werden. Das
ist sehr viel komplexer als Gentrifizierung, aber ebenso wichtig. Es gibt
einen großen gesellschaftlichen Bedarf an Regulierungen von großen
Unternehmen, die gegen die Privatsphäre und Datenschutz verstoßen. Amazon
greift nach unserer Grundrechten, das reicht weit über Gentrifizierung
hinaus. Wir wollen die Themen verbinden und so breiten Protest auf die
Beine stellen.
Sie sind selbst Programmierer. Welche Bedeutung hätte ein Standort in
Berlin von Alexa Services für Datenrechte?
Wenn Sie ein Alexa- oder ein Echo-Gerät von Amazon haben, kann man diesen
Geräten sagen, dass sie ein bestimmtes Lied spielen sollen. Was viele Leute
sich allerdings nicht klarmachen ist, dass das Gerät auch private Gespräche
mit den engsten Angehörigen belauscht. Von künstlicher Intelligenz
gesteuerte Algorithmen verarbeiten größtenteils diese Daten, aber es gibt
auch echte Menschen, die sich die Aufzeichnungen anhören. Nämlich
Data-Trainers, die die Algorithmen verbessern sollen. Gerade kürzlich wurde
ein A[8][pple-Mitarbeiter in Frankreich zum Whistleblower] bei dem
ähnlichen Dienst Siri. Dort wurden klare Verstöße gegen die DSGVO
festgestellt.
Sollte diese Datenschutzgrundverordnung nicht genau so etwas verhindern?
Sie ist auch ein gutes Werkzeug, aber sie geht nicht weit genug. Die
Profite von Amazon und Apple bauen auf Überwachungstechnologie auf. Zu
ihren Kunden gehören Überwachungsfirmen wie Palantir, eine private Firma
aus den USA, die sich auf die Analyse großer Datenmengen spezialisiert hat
und 2004 von Peter Thiel gegründet wurde. Während der Coronakrise erfassen
sie Daten für das britische Gesundheitssystem. Die Cloud, die das wiederum
hostet, gehört Amazon. Und wir reden hier nicht nur über individuelle und
intime Kommunikation, sondern auch wirklich sensible Informationen wie
Krankenakten.
Was passiert mit den Daten? Werden die bloß für Werbung verramscht oder
leben wir bald in einer dystopischen Zukunft nach George Orwell?
Ob sie nun einen Überwachungsstaat aufbauen wollen oder gezieltes Marketing
betreiben: Die Infrastruktur, die Sie dafür brauchen, ist die gleiche.
Derzeit gibt es beides: Die Firma [9][Palantir benutzt künstliche
Intelligenz, um Flüchtlinge zu erfassen und abzuschieben]. Aber es gibt
auch Fälle von Werbung, die einem ausgespielt wird, nachdem man sich
[10][mit einem Freund über etwas Bestimmtes im Beisein von Alexa
unterhalten] hat. Die Gefahr von Letzterem ist nicht so offensichtlich,
aber das Risiko bleibt das Gleiche, weil die Infrastruktur beides
ermöglicht.
Sie wohnen seit 2015 in Berlin. Was bedeutet die Ansiedlung von 3.500
Tech-Angestellten von Amazon für Sie als Berliner?
Mehrere tausend Tech-Angestellte in Friedrichshain sind natürlich ein
konkretes Risiko für alle, die dort wohnen. Friedrichshain leidet jetzt
schon unter hohen Mieten. Die Mediaspree hat die Region komplett
verändert. Und es gibt ja auch in Mitte vergleichbare Projekte wie die
Silicon Allee. Viele wollen Berlin zu einem Tech-Hub machen. Wenn Amazon
wirklich an die Warschauer Straße kommt, wird dieser Status weiter
ausgebaut und zementiert. Und viele Technikfirmen würden nachziehen.
Wie sieht denn Ihre Strategie für die nächsten Monate aus, werden Sie sich
ohne größeren Protest organisieren können?
Wir organisieren uns weiter online. Dieses Wochenende gibt es die
[11][internationale Konferenz Evicted by Greed]. In zwei Wochen
organisieren wir eine Debatte zum Thema. Außerdem haben wir vor, an
Conference-Meetings von Edge Technologies und Amazon beizuwohnen.
Vielleicht sollten wir für unseren Protest beim Bauunternehmer Edge
Technologies ansetzen. Sie haben schließlich am meisten Einfluss darauf,
wer bei ihnen in den Turm zieht. Und Edge ist – im Gegensatz zu Amazon –
auf seinen guten Ruf bedacht. Wenn Edge den behalten will, sollte das
Unternehmen seinen Turm vielleicht nicht an Amazon vermieten. Sonst müssen
wir vielleicht ein bisschen Werbung für sie machen: Interessant ist etwa
auch, dass Edge Technologies sich als umweltfreundliches Unternehmen
präsentiert, im Gegensatz dazu aber den [12][dreckigsten Cloud-Provider der
Welt] einziehen lassen will: Amazon.
28 May 2020
## LINKS
[1] /Urbane-Kaempfe-und-Digitalisierung/!5651631
[2] /Amazon-Mitarbeiter-in-Coronakrise/!5673469
[3] https://www.cnbc.com/2020/05/15/could-jeff-bezos-really-become-the-worlds-f…
[4] /Streik-bei-US-Versandhaendlern/!5675748/
[5] https://www.washingtonpost.com/technology/2020/04/13/amazon-workers-fired/
[6] /Kein-Google-Campus-in-Berlin-Kreuzberg/!5545724/
[7] http://(https://en.wikipedia.org/wiki/Don't_be_evil
[8] https://www.theguardian.com/technology/2020/may/20/apple-whistleblower-goes…
[9] https://theintercept.com/2019/05/02/peter-thiels-palantir-was-used-to-bust-…
[10] https://www.washingtonpost.com/technology/2019/05/06/alexa-has-been-eavesd…
[11] https://www.disruptionlab.org/evicted-by-greed
[12] https://www.wired.com/story/amazon-google-microsoft-green-clouds-and-hyper…
## AUTOREN
Gareth Joswig
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