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# taz.de -- Künstler*innen über Amazon in Berlin: „Eine komplett neue Erfah…
> Der Gratis-Audiowalk „Alexa, wo bin ich?“ wirft Fragen um Gentrifizierung
> und Datensicherheit auf. Geführt wird die Tour vom Sprachassistenten
> Alexa.
Bild: Vor der East Side Mal an der Baugrube des Edge Towers startet die Audioto…
taz: Herr Wirth, Frau Resende, Sie veranstalten am Freitag und Samstag als
Kunstprojekt den Audiowalk „Alexa, wo bin ich?“ durch den Kiez um die
Baustelle des Egde Towers, wo Amazon entgegen aller Widerstände mit circa
3.000 Arbeiter*innen einziehen will. Was erwartet Besucher*innen?
Resende: Sie werden eine komplett neue Erfahrung machen, denn die
verschiedenen Stationen des Audiowalks bilden zusammen das Bewusstsein für
eine neuen Ort. Mit dem Kiez um die Warschauer Straße haben zwar viele
Menschen im Alltag Kontakt, aber eher im Vorbeigehen. Durch die Tour führt
Alexa, die Stimme von Amazons persönlichem Assistenten. Bei der Tour
triffst du dabei auf Meinungen und Perspektiven unterschiedlichster
Menschen, die an diesem Ort arbeiten, einkaufen, sich dort aufhalten oder
daran vorbeigehen.
Amazon will einen Teil ihrer Tech Services nach Berlin verlagern, also auch
Abhörtechnik. Warum führt ausgerechnet Sprachassistentin Alexa, die Stimme
dieser Abhörtechnik, durch Ihren Audiowalk?
Resende: Alexa repräsentiert natürlich Amazon, gleichzeitig steht die KI
auch für etwas Größeres. Der Turm soll ja ein Smart Tower werden, der
nachhaltig sein soll und mit Machine Learning Technologies Informationen
der Nutzer auswertet, um sich zu optimieren. Dies ist auch eine neue
Tendenz in der Stadtplanung.
Wirth: Der Smart Tower erfasst die Daten der Customer und weiß, wer um
welche Uhrzeit wohin geht und macht in diesem Raum schon mal die Heizung
an. Ähnliches macht Alexa während der Audiotour auch. Das ist auch ein
Beitrag zur Diskussion um die Smart City. Die KI richtet sich an den
Bedürfnissen des Nutzers aus. Es bleibt aber die Frage offen, wessen
Bedürfnisse eigentlich abgefragt werden und welche nicht.
Resende: So entstehen Spannungen und die Frage, wessen Diskurs und
Individualinteressen vom Edge Tower eigentlich umgesetzt werden.
Im Verlauf sollen Besucher*innen über das Smartphone Alexa auch
persönliche Informationen übermitteln. Warum muss ich als Teilnehmer denn
etwas von mir preisgeben?
Wirth: Uns geht es bei der Nutzung von Alexa auch darum, mit herkömmlichen
Audiotouren zu brechen. Alexa lernt während der Tour etwas über den Kiez
und den Nutzer und stellt diesem dafür Aufgaben. Dadurch soll Alexas
Lernmechanismus widergespiegelt und erfahrbar gemacht werden.
Was ist denn, wenn ich aus Datenschutzgründen keine Lust habe, mit Alexa zu
sprechen?
Wirth: Das ist eine wichtige Frage: Wann kommt der Punkt, ab dem es
unangenehm wird? Wann gebe ich zu viele Infos preis? Und wem gebe ich die
Informationen eigentlich? Diese Form, wie Alexa Daten sammelt, ist eine
neue Form von Aneignung. Aber es ist wohl auch wichtig zu sagen, dass keine
Daten der Tour an Amazon fließen.
Resende: Für uns war zudem wichtig, dass am Ende nicht einfach eine gerade
Linie von Informationen steht, sondern dass beim Audiowalk verschiedene
Narrative und Interpretationen herauskommen können. Für den Audiowalk haben
wir mit über 40 Personen vom Architekten über die protestierende Anwohnerin
bis zum Ladeninhaber in der East Side Mall gesprochen und lassen diese an
verschiedenen optionalen Stationen zu Wort kommen.
Ich hatte die Gelegenheit vorab reinzuhören. An einer Station sampelt ihr
die Social-Washing-Sprache der Baufirma zu einer sinnlosen Aufreihung von
Vokabeln des vorgeblichem sozialen Unternehmertums zusammen. Die
zusammengeschnipselten Wörter wie „community, local people, locally,
kiez-like, local scene“ schneidet ihr dann mit lokalen Gegenprotesten und
Stimmen von Berlin vs. Amazon gegeneinander.
Wirth: Damit wollten wir den Aneignungscharakter von Social
Entrepreneurship darstellen, der die Sprache eines hippen Kiezes erlernt
und für seine Zwecke nutzt. Es ist natürlich eine Strategie, Akzeptanz zu
erzeugen mit dem Lernen von Vokabeln. Ähnlich verhält es sich mit dem
Artwashing von Graffiti und Street Art an der Baustelle und im Corporate
Design des Edge Towers. Es ist auch eine spannende Frage, ob wir selbst als
Artwashing von Edge oder Amazon instrumentalisiert werden könnten.
Resende: Der Tower will sich mit einem Branding an den Ort anpassen. Der
Architekt findet etwa den Kiez cool und bezieht sich auf das RAW-Gelände
als Partydistrikt. Das Logo vom Edge Tower sieht wie Street Art aus. Aber
man hört auch, was für eine Nutzung dort eigentlich geplant ist: Im für die
Nachbarschaft offenen „Community Sockel“ soll es „bike parking“, „car
parking“ und „Cafés“, also nur Konsum, geben. Gleichzeitig zeigen die
Bemühungen des Investors, sich zu öffnen, wie kompliziert der politische
Struggle dagegen ist. Dazu zeigen wir die Perspektiven von Anwohnern auf
und fragen nach ihren wirklichen Bedürfnissen.
Wirth: Und was für Mieten im Edge Tower verlangt werden, bleibt vage. Es
stellt sich die Frage: Was für eine Community ist damit gemeint?
Birgt der individuelle Rundgang mit Alexa auch die Gefahr, dass ihr selbst
das Amazon-Projekt promotet?
Wirth: Dahinter steckt natürlich auch der künstlerische Ansatz, wie mit
Offenheit selbst so einem Projekt begegnet werden kann. Es ist eine Collage
aus Perspektiven, Informationen und emotionalen Blicken auf die Baustelle.
Wir müssen es aushalten, dass jede*r eine eigene Audiotour macht und daher
nicht planbar ist, ob sie eine affirmative oder kritische Perspektive auf
den Tower hören. Beispielsweise, wenn sie die Perspektive des Investors zu
hören bekommen, dann die des Ladenbesitzers in der East-Side-Mall und
schließlich die des Späti-Besitzers nebenan, der sich nach der Corona-Krise
über neue Kund*innen freut. Denn natürlich geht es uns um einen
kritischen Diskurs.
Resende: Letztlich gibt es aber auch keine Version, die komplett ohne
Kritik ist. Es ging uns darum, nicht mit einer vorgefärbten Meinung
einzusteigen. Wir wollen verschiedene Menschen abholen: Liberalere, auch
Neoliberale, und ebenso kritische Stimmen. Wenn einer der Investoren die
Tour macht, wird er mit dem Protest von „Berlin vs Amazon“ konfrontiert.
Ebenso könnten linksorientierte Menschen sich plötzlich am kritisch
aufgeladenen Mercedes-Benz-Platz wieder finden und von Alexa aufgefordert
werden, dort ein Gedicht vorzulesen. Die Tour soll durch ungewöhnliche
Erfahrungen ein neues Bewusstsein schaffen und Beziehungen aufbauen. Man
muss sich neu auf den Ort einlassen.
Hinter Alexas deutscher Stimme soll eine wirkliche Person stecken, die
allerdings anonym ist. Wie haben Sie Alexa technisch dazu gebracht, den
Audioguide zu machen? Und bekommt Amazon wirklich keine Daten, wenn ich
mitmache?
Resende: Es ist wirklich Alexa, die da spricht. Wir haben mit einem
original Amazon-Echo gearbeitet und von Alexa gelernt, wie sie spricht. Wie
wir es genau gemacht haben, bleibt geheim. Aber Amazon bekommt keine Daten,
da die Tour nicht mit Amazon Echo verlinkt ist.
In meiner Version der Tour bedankte sich Alexa am Schluss mit Worten: „Du
hast mir geholfen, Kiez-Erfahrungen zu kapitalisieren“. Warum bin ich jetzt
schuld an der Kapitalisierung?
Wirth: Interessant, dass Sie es als Schuldzuweisung lesen. Erstmal ist es
natürlich als Beschreibung gemeint und zeigt auf, was gerade passiert ist.
Die komfortable Erkundung des Raumes mit Smartphone und Kopfhörer
ermöglicht eine Form der Kapitalisierung, indem durch diese Tour kostbare
Daten gesammelt werden könnten. Das kann man mit linkem Background
natürlich als Schuld wahrnehmen. Für andere ist es vielleicht eine
Möglichkeit, sich weiter an individuelle Bedürfnisse anzupassen.
Resende: Natürlich ist es auch eine Provokation. Denn eigentlich war es ja
von Anfang an Alexas Rolle eine Datenbank über die Nutzer zu erstellen.
Wirth: Am Ende war uns auch eine eigene Positionierung wichtig. Es geht uns
um diese Ambiguität, mit der die Tour spielt. Unser Ansatz ist: Kritik
durch ein Erlebnis zu transportieren. Was bedeutet es, wenn ich etwas mit
Alexa teile? Das ist der Punkt, wo wir am Ende rausfallen. Und vielleicht
ist das auch wieder ein menschlicher Fehler unsererseits, weil es für Alexa
eigentlich überhaupt keine Linearität vom Kennenlernen oder Verabschieden
gibt.
Was hat Alexa denn zum Schluss über mich gelernt?
Wirth: Am Ende gibt es während der Tour Momente, in denen Alexa selbst ihre
Rolle aufbricht und an sich selbst zweifelt. Wo Sie sich Fragen nach Wissen
stellen und Grenzen verschieben. Wie gehen wir mit diesen neuen Akteuren im
Umfeld – der künstlichen Intelligenz im Alltag – um? Wer sind sie
überhaupt? Müssen wir vielleicht anders und neu denken? Gibt es eine KI,
die nicht nur Servant, also Diener des Menschen, ist? Und warum hat Alexa
eigentlich eine weibliche und unterwürfige Stimme, die vom männlichen Blick
heraus entwickelt wurde?
Resende: Ebenso stellt sie die Frage nach der Optimierung des Selbst. Wenn
man mit KI umgeht, ist man bislang der einzige Akteur, der das Umfeld
bestimmt. An einem bestimmten Punkt der Führung wird das aufgebrochen: Was
ist Wissen? Was ist der Unterschied zwischen Wissensproduktion, die wir
menschlich kennen, und der maschinellen Produktion von Wissen?
Kein Eintritt, Freitag und Samstag, 12 bis 18 Uhr. Start: Platz vor der
East Side Mall. Smartphone und Kopfhörer erforderlich. Wer kein eigenes
Smartphone mitbringen kann, sollte sich vorher anmelden unter
[email protected]
25 Jun 2021
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
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