| # taz.de -- Urbane Kämpfe und Digitalisierung: Der Turmbau zu Berlin | |
| > Amazon will den Berliner Standort ausbauen. Dagegen formiert sich | |
| > Widerstand. Könnte es gerade in Berlin gelingen, den Tech-Riesen | |
| > aufzuhalten? | |
| Bild: So soll er aussehen: der Glasturm | |
| Der Turm wackelt einmal, er wackelt zweimal, dann kippt er um. Der Bär und | |
| die Superheldin mit Boxhandschuhen reißen die Arme zur Siegerpose in die | |
| Luft. K.o. in der ersten Runde! Sie treten noch mal nach, die Bestandteile | |
| des Turms fliegen über den Boden. Zwölf Pappkartons, jeder bedruckt mit dem | |
| Logo eines der berühmtesten Unternehmen unserer Zeit: der zum Lächeln | |
| gebogene Amazon-Pfeil – nur dass hier die Mundwinkel nach unten zeigen. | |
| Was sich an diesem vorweihnachtlichen Samstag hier auf dem Mittelstreifen | |
| der Warschauer Straße kurz vor der Warschauer Brücke in Friedrichshain | |
| abspielt, gehört zur [1][ersten öffentlichen Protestaktion] gegen den | |
| sogenannten Amazon Tower. Im Oktober wurde bekannt, dass der | |
| Versandhandelsriese 28 von 35 Stockwerken in einem 140 Meter hohen Büroturm | |
| beziehen will, der bis 2023 an der Warschauer Brücke entstehen wird. | |
| 3.400 Amazon-Angestellte sollen hier arbeiten. Der „Edge East Side“ | |
| betitelte Turm bildet eine Art Finale des Investorenprojekts Mediaspree, | |
| die in den 1990er Jahren erdachte Umgestaltung des Spreeufers zugunsten der | |
| Ansiedlung großer Medien- und Unterhaltungskonzerne. | |
| Die Simulationen, auf denen der fertige Turm zu sehen ist, wirken | |
| unwirklich, wie ein abgedrehter Kleine-Jungs-Traum von Singapur in Berlin. | |
| Doch während hier auf dem Mittelstreifen der Warschauer Straße die | |
| Pappkartons fliegen, ragen 300 Meter weiter zwei sonnengelbe Seilbagger in | |
| die Luft: Die Untergrundarbeiten für den Turmbau haben bereits begonnen. | |
| Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, hatte im | |
| Herbst noch versucht, einen Neustart für das Projekt zu erreichen: Die | |
| eingereichten Pläne für die Gestaltung des Turms wichen deutlich von den | |
| ursprünglichen Vereinbarungen ab, warf er den Bauherren vor. Doch Schmidt | |
| wurde vom Senat zurückgepfiffen: Für eine nachträgliche Entziehung des | |
| Baurechts fehle “die Rechtsgrundlage“. Spätestens seit dieser Ansage ist | |
| klar: Der Turm kommt. | |
| Bleibt die Frage, wer dort einzieht. | |
| An einem Mittwochabend Ende November findet das erste öffentliche Treffen | |
| der neuen Kampagne „Berlin vs Amazon“ statt, im Hinterzimmer einer Kneipe | |
| auf dem RAW-Gelände drängen sich rund 50 Menschen. Eine Frau mit kurzen, | |
| platinblonden Haaren stellt die Pläne für den Turm vor, ein Mann in | |
| rot-weißer Trainingsjacke berichtet von Protesten gegen Amazon in New York | |
| und London, es gibt einen Vortrag über das Konzept „Webtech-Urbanismus“. Am | |
| Ende werden Terminkalender gezückt, Verabredungen getroffen und | |
| Arbeitsgruppen gegründet. | |
| Auf einem der abgewetzten Ledersofas sitzt Laura Wadden und hört aufmerksam | |
| zu. Wadden, die vor sieben Jahren aus den USA nach Berlin zog, hatte schon | |
| die [2][Proteste gegen den Google-Campus] in Kreuzberg 2018 verfolgt. An | |
| denen gegen Amazon will sie sich selbst beteiligen. „Es gibt ungefähr eine | |
| Million Gründe, warum dieses Unternehmen böse ist“, sagt die 32-Jährige. | |
| In der Tat gibt es wenige Firmen, die so oft [3][in der Kritik stehen] wie | |
| Amazon. Und das für eine ganze Palette von Punkten von der [4][Missachtung | |
| von Arbeitsschutzgesetzen] über die [5][Vernichtung von Neuwaren] bis hin | |
| zu [6][Steuervermeidung im großen Stil] oder der [7][Zusammenarbeit mit | |
| Abschiebebehörden]. Für die Aktivist:innen der Kampagne Berlin vs Amazon | |
| genug Gründe, den geplanten Einzug des Versandhandelskonzerns in den Turm | |
| an der Warschauer Brücke verhindern zu wollen – die befürchteten | |
| Aufwertungsprozesse für die angrenzenden Kieze kommen noch hinzu. | |
| ## Vom Silicon Valley nach Berlin | |
| Ihr Vorhaben, gegen dieses Unternehmen selbst aktiv zu werden, hat Wadden | |
| ein paar Woche nach dem Treffen in die Tat umgesetzt: Sie ist die Frau, die | |
| als Superheldin verkleidet den Pappkarton-Turm erledigt; in der übrigen | |
| Zeit des Aktionstags steht sie am Infotisch, verteilt Broschüren an | |
| interessierte Passanten. | |
| Für das Gespräch mit der taz schlägt Wadden, dunkle Haare, dunkler | |
| Lippenstift, den Besprechungsraum der Neuköllner Co-Working-Etage vor, in | |
| die sie sich eingemietet hat. „Die gute Art von Co-Working“, sagt sie bei | |
| der Begrüßung schnell und lacht, wissend um den Gentrifizierer-Ruf, den | |
| solche Orte in Berlin haben. | |
| „Als ich von den Plänen für den Amazon Tower gelesen habe, stieg eine Art | |
| Panik in mir hoch“, sagt Wadden. Bevor die 32-Jährige nach Berlin zog, | |
| studierte sie an der Stanford Universität, direkt im Silicon Valley. „Ich | |
| habe gesehen, was es mit einer Stadt macht, mit einer ganzen Region, wenn | |
| diese Unternehmen übernehmen.“ | |
| Laura Wadden wohnte damals in San Francisco in einer zum Zimmer | |
| umfunktionierten ehemaligen Speisekammer in einem Hausprojekt. Dafür zahlte | |
| sie 500 Dollar im Monat und wohnte damit rund 50 Prozent günstiger als die | |
| meisten ihrer Freunde. „Die wenigen verbliebenen Hausprojekte gehören zu | |
| den letzten Orten in San Francisco, wo Wohnen noch erschwinglich ist“, sagt | |
| Wadden. | |
| Während ihrer Zeit in der Stadt spitzte sich der Konflikt um die | |
| [8][Verdrängungsprozesse in der Bay Area] immer weiter zu. In San Francisco | |
| sei durch ihren eigenen Freundeskreis eine Linie verlaufen, mal mehr, mal | |
| weniger sichtbar: „Es war immer klar, wer zu denen gehört, die in der Stadt | |
| bleiben können, und wer zu denen, die über kurz oder lang wegziehen werden | |
| müssen.“ | |
| Dabei sei sie selbst wie auch ihr Freundeskreis noch vergleichsweise | |
| privilegiert gewesen. Die Entwicklung in der Bay Area sei so absurd, dass | |
| man es sich von außen kaum vorstellen könne: „San Francisco ist eine Stadt, | |
| in der die Angestellten des Rathauses morgens um drei Uhr aufstehen müssen, | |
| weil sie aufgrund der Mieten so weit weg wohnen, dass ihr Arbeitsweg | |
| mehrere Stunden dauert.“ | |
| Wadden ist selbst Software-Entwicklerin, und gerade deswegen überzeugt, | |
| dass es Alternativen zu den großen Monopolisten braucht. „Im Moment ist es | |
| fast unmöglich, an Amazon und Google vorbeizukommen, selbst wenn man es | |
| möchte. So, wie diese Unternehmen Städte übernommen haben, haben sie auch | |
| das Internet übernommen.“ | |
| Mit einer Freundin hat Laura Wadden in diesem Jahr ein eigenes Unternehmen | |
| gegründet: LaceWing Tech bietet technische Infrastruktur für kleine und | |
| mittlere Unternehmen und Teams, die Wert auf Datensicherheit bei | |
| gleichzeitiger Benutzerfreundlichkeit legen – ohne Google & Co. | |
| Mit den Entwicklungen in der Bay Area, die Wadden selbst zu spüren bekam, | |
| beschäftigt sich Katja Schwaller seit vielen Jahren. Die Schweizer | |
| Stadtforscherin promoviert an der Stanford University, im Juni 2019 hat sie | |
| unter dem Titel „Technopolis – Urbane Kämpfe in der San Francisco Bay Area… | |
| [9][einen Sammelband herausgebracht], der in Deutschland bei Assoziation A | |
| erschienen ist. | |
| „Die Bay Area kann als warnendes Beispiel dienen“, sagt Schwaller. „Statt | |
| den Tech-Giganten den roten Teppich auszurollen, gilt es, ihren Expansions- | |
| und Vereinnahmungsgelüsten schnell und resolut entgegenzustehen.“ Hoffnung | |
| mache ihr die wachsende internationale Vernetzung der Protestbewegung, die | |
| auch Aktivist:innen in Städten wie San Francisco oder Seattle Auftrieb | |
| gebe, Orte also, in denen nicht wenige den Kampf schon verloren glaubten. | |
| Und: Zunehmend werde der Protest gegen das Gebaren der IT-Monopolisten von | |
| Menschen außerhalb und innerhalb der Tech-Branche gemeinsam getragen: etwa | |
| wenn der Kampf gegen Verdrängung und der für faire Arbeitsbedingungen | |
| innerhalb der Unternehmen verbunden werden oder wenn die Angestellten | |
| gemeinsam mit antirassistischen Gruppen gegen die Kooperation ihrer | |
| Arbeitgeber mit der amerikanischen Immigrationspolizei ICE protestieren. | |
| Genau in dieser Solidarisierung zwischen verschiedenen Gruppen – | |
| spezialisierten IT-Fachkräften, den oft schlecht bezahlten übrigen | |
| Angestellten, Anwohner:innen, politischen Aktivist:innen – könnten die | |
| Protestbewegungen ihr größtes Potenzial entfalten, glaubt Schwaller. Auch | |
| Wadden, die die Berliner Tech-Szene gut kennt, hofft auf eine Politisierung | |
| dieser Branche: „Es geht nicht darum, dass Tech-Angestellte sich | |
| individuell schuldig fühlen müssen, weil sie in diesen Jobs arbeiten“, sagt | |
| sie. „Aber ich hoffe, dass mehr und mehr von ihnen den größeren Kontext | |
| ihrer Arbeit sehen und anfangen, solidarisch zu handeln.“ | |
| ## Schulterschluss zwischen Tech-Arbeiter:innen und Bewegung | |
| Bisher war von einem solchen Schulterschluss in Berlin allerdings wenig zu | |
| sehen. So [10][erfolgreich die Proteste gegen den Google-Campus] in | |
| Kreuzberg waren, gingen sie doch weitestgehend von den üblichen Kreisen der | |
| Antigentrifizierungsbewegung aus – ein Brückenschlag zu den | |
| Google-Mitarbeiter:innen selbst oder zur Tech-Branche insgesamt wurde nicht | |
| versucht. | |
| Überhaupt: Tech-Szene und Berliner Mietenbewegung – auf den ersten Blick | |
| passt das nicht so recht zusammen. Das hat schon damit zu tun, dass Erstere | |
| sehr viel internationaler ist als Zweitere: Obwohl unter den vielen | |
| Menschen, die in den vergangenen Jahren nach Berlin gezogen sind, auch | |
| viele linke Aktivist:innen sind, bleiben die Szenen oft noch merkwürdig | |
| getrennt, ist die Recht-auf-Stadt-Bewegung meist mehrheitlich deutsch. Die | |
| manchmal etwas unterkomplex daherkommenden Beißreflexe des | |
| Antigentrifizierungsprotests gegenüber „englischsprachigen Hipstern“ mögen | |
| daran ihren Anteil haben. | |
| Doch es gibt auch dazu gegenläufige Entwicklungen: Die Aktivist:innen | |
| gegen den [11][Immobilienkonzern Akelius] beispielsweise haben längst | |
| festgestellt, dass es sich lohnen kann, die von Verdrängung bedrohten | |
| Altmieter:innen der Akelius-Wohnungen mit denen zusammenzubringen, die | |
| frisch aus dem Ausland nach Berlin gezogen, in einer der luxussanierten | |
| Immobilien des Konzerns gelandet sind. Denn auch wenn diese Neumieter | |
| vergleichsweise viel verdienen – etwa als gut bezahlte | |
| Software-Entwickler:innen –, sind [12][längst nicht alle glücklich damit, | |
| Mieten von 20 Euro pro Quadratmeter zu bezahlen]. Manchmal sind es auch | |
| Unkenntnis und Überforderung durch den Berliner Wohnungsmarkt, die frisch | |
| Zugezogene in diese Abzocke-Wohnungen treiben. | |
| Und auch in der Berliner Tech-Szene bewegt sich etwas. Einer, der dafür | |
| verantwortlich ist, sitzt an diesem Montag im Dezember vor einer dampfenden | |
| Schale chinesischer Nudelsuppe, im Rücken die Backsteinwand des | |
| Restaurants in der Brunnenstraße in Mitte. Yonatan Miller kam vor vier | |
| Jahren aus New York nach Berlin, heute arbeitet der Software-Entwickler | |
| gleich um die Ecke für einen Carsharing-Anbieter. | |
| „Ich war schon in New York weitgehend desillusioniert, was die glänzenden | |
| Versprechungen der Branche angeht“, sagt Miller, der auch schon für | |
| Facebook gearbeitet hat. „Hinter den ganzen funkelnden Apps steckt eine | |
| Menge Arbeit, die eintönig ist, kräftezehrend oder schlecht bezahlt.“ | |
| Yonatan Miller ist 26 Jahre alt, er wirkt deutlich älter, was damit zu tun | |
| hat, wie er sich ausdrückt, in wohlüberlegten, reflektierten Sätzen | |
| nämlich, die er mit leiser Stimme vorbringt. Politisch aktiv sei er schon | |
| lange, erzählt Miller, in den USA sei er Teil der Solidaritätsbewegung für | |
| die [13][Whistleblowerin Chelsea Manning] gewesen. Weil er auch die | |
| technische Seite der Geschehnisse rund um die Wikileaks-Informantin | |
| verstehen wollte, lernte er programmieren. | |
| Im Jahr 2014 gründeten die Cafeteria-Mitarbeiterin Rachel Mendeles und der | |
| Entwickler Matt Schaefer die [14][Tech Workers Coalition] in San Francisco. | |
| Schon im Namen der Organisation liegt ein Angriff auf die Ideologie des | |
| Silicon Valley, die den IT-Spezialist:innen das Gefühl vermitteln soll, sie | |
| seien eben keine Arbeiter, sondern nähmen an einer Art hochbezahltem | |
| Kreativworkshop teil – ganz im Unterschied zu den tausenden Menschen im | |
| Silicon Valley, die dafür sorgen, dass die Fitnessräume und Büros sauber, | |
| die Bedienung in der Cafeteria schnell oder der Süßigkeitenautomat stets | |
| gefüllt sind. | |
| Nach der Bay Area, Seattle oder Boston sowie Chat-Gruppen mit mehreren | |
| tausend Mitgliedern gibt es seit Juni 2019 auch einen Ableger der Tech | |
| Workers Coalition in Berlin – ins Leben gerufen von Yonatan Miller. Er holt | |
| sein Handy raus und liest die lange Liste von Anliegen vor, die die Gruppe | |
| schon bei ihrem ersten Treffen gesammelt hat: Arbeitsausbeutung in | |
| Start-ups, Diskriminierung muslimischer Programmierer, befristete Verträge, | |
| Mobbing. Mehr als 20 Punkte umfasst die Liste. | |
| Eine anonymisierte Abfrage der Nettogehälter der Teilnehmer:innen habe | |
| eine Bandbreite von 38.000 bis 78.000 Euro Jahreseinkommen ergeben. „Es | |
| gibt in der Tech-Branche enorme Unterschiede, nicht nur zwischen | |
| Programmierern und sonstigen Angestellten, sondern auch innerhalb der | |
| IT-Arbeiter“, sagt Miller. | |
| Mehr oder wenig sichtbare Spaltungslinien, eine multinationale und stark | |
| fluktuierende Belegschaft, Outsourcing, Selbstausbeutung, vordergründig | |
| flache Hierarchien: Es gibt viele Faktoren, die eine Organisation der | |
| Arbeitnehmer:innen innerhalb der Tech-Branche erschweren. Yonatan Miller | |
| will es trotzdem versuchen. Auf die deutschen Gewerkschaften könne er dabei | |
| nicht warten, sagt er: „Ich weiß, dass da ganz langsam etwas in Bewegung | |
| kommt, aber bislang gibt es kaum Berührungspunkte zwischen der Tech-Szene | |
| und den klassischen Gewerkschaften in Deutschland.“ | |
| Für Miller ist klar, dass die Organisation von Tech-Angestellten selbst und | |
| der Protest gegen die Auswirkungen der Unternehmen, in denen sie arbeiten, | |
| zusammengebracht werden müssen. Als die Tech Workers Coalition Ende | |
| November gemeinsam mit anderen Gruppen zur „1. Berliner Versammlung gegen | |
| Tech-Kapital“ einlud, war der Veranstaltungsraum am Kottbusser Tor bis auf | |
| den letzten Platz besetzt. Der wichtigste Tagesordnungspunkt: die Kampagne | |
| Berlin vs Amazon. | |
| Auch in den zahlreichen Vorhaben der Tech Workers Coalition für das Jahr | |
| 2020 nimmt die Amazon-Kampagne einen wichtigen Stellenwert ein. Miller weiß | |
| allerdings auch von den schon erwähnten Berührungsängsten zu berichten: | |
| „Als wir das erste Mal an einem Treffen der Amazon-Gegner teilgenommen | |
| haben, war der Empfang ziemlich frostig“, sagt er. Junge, US-amerikanische | |
| Software-Entwickler – das stoße bei einigen Berliner Linken offenbar erst | |
| mal auf Skepsis. | |
| Mittlerweile sei die Stimmung aber schon freundlicher geworden. Miller | |
| glaubt, dass die Proteste nur gewinnen können, wenn sie Tech-Arbeiter:innen | |
| mit einbeziehen. „Es wird zum Beispiel wichtig sein, sich anzuschauen, wo | |
| Amazon die Angestellten rekrutiert, die in den neuen Tower ziehen sollen“, | |
| sagt er. „Absageschreiben, die den angebotenen Job mit Verweis auf den | |
| durch Amazon angerichteten Schaden ablehnen, könnten ein sehr effektives | |
| Mittel sein“. | |
| Das sieht auch Katja Schwaller so: „Zusammenschlüsse von | |
| Basisgewerkschaften, kritischen Tech-Arbeiter:innen und | |
| Antigentrifizierungsaktivist:innen bieten ein großes Potenzial“, sagt die | |
| Wissenschaftlerin. Das habe etwa der Protest im New Yorker Stadtteil Queens | |
| gezeigt, wo der Widerstand gegen das geplante Amazon-Hauptquartier so | |
| massiv war, dass [15][der Konzern seine Pläne im Februar 2019 aufgeben | |
| musste]. | |
| Der erfolgreiche Protest in New York ist auch Vorbild für die | |
| Aktivist:innen in Berlin. Gerade Menschen wie Laura Wadden und Yonatan | |
| Miller, die aus dem Ausland hergezogen sind, haben große Hoffnungen in das | |
| hiesige Widerstandspotenzial: „Wenn es nicht in Berlin funktionieren wird, | |
| wird es nirgendwo funktionieren“, sagt Miller. Angesichts der vielfältigen | |
| Protestgeschichte und -szene in Berlin habe sie Hoffnungen, dass die Stadt | |
| sich im Kampf gegen die Tech-Giganten behaupten werde, sagt Wadden. „Ich | |
| glaube, dass Berlin ein einzigartiger Ort ist, der eine starke und populäre | |
| Bewegung gegen diese Entwicklungen hervorbringen kann.“ | |
| Dass es ein einfacher Kampf wird, glaubt allerdings niemand: „Amazon ist | |
| ein sehr mächtiger Gegner“, sagt Miller. Anders als Google, wo das frühere | |
| Firmenmotto „Don’t be evil“ verdeutlichte, wie wichtig dem Konzern ein | |
| positives Image ist – was auch den Berliner Aktivist:innen eine | |
| Angriffsfläche bot –, sei Amazon schlechte Presse längst gewohnt. | |
| Doch ganz egal scheint dem Konzern sein Image nicht zu sein. „Egal wo wir | |
| tätig sind und in Zukunft tätig sein werden – unser Ziel ist immer, ein | |
| guter Nachbar zu sein“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens auf | |
| taz-Anfrage. Die Kritik an den Berliner Plänen nehme die Firma ernst, „wir | |
| möchten, dass mit uns gesprochen wird anstatt über uns“. Amazon sei „ein | |
| guter Arbeitgeber“, der in Deutschland mehr als 20.000 festangestellte | |
| Mitarbeiter:innen beschäftige. Und diese wiederum seien gute Menschen: | |
| „Unsere Mitarbeiter engagieren sich auf vielfältige Weise, etwa in der | |
| Zusammenarbeit mit lokalen Tafeln und der Arche“, betont die Sprecherin. | |
| ## Berlin setzt auf die Digitalisierungsbranche | |
| Doch die Frage ist nicht nur, inwiefern sich der Konzern selbst empfänglich | |
| für Kritik zeigen wird. Sondern auch, inwiefern ihm die Stadt „den roten | |
| Teppich ausrollt“, wie Katja Schwaller es nennt. Dass die Ansiedlung großer | |
| Tech-Unternehmen von Wirtschaftsvertreter:innen begrüßt wird, ist klar. Als | |
| Baustadtrat Florian Schmidt sich im Herbst erlaubt hatte, an der | |
| Berlin-Kompatibilität der Pläne für den Büroturm zu zweifeln, forderte Jan | |
| Eder, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, der Senat müsse das | |
| Projekt zur Chefsache machen. „Investoren werden abgeschreckt statt | |
| begrüßt. Das ist eine wirtschaftspolitische Harakiri-Strategie mit weltweit | |
| negativer Ausstrahlung“, so Eder [16][damals in der Morgenpost]. | |
| Mit Ramona Pop hat Berlin eine grüne Wirtschaftssenatorin – doch ob diese | |
| in einem solchen Streit der Position ihres Parteikollegen Florian Schmidt | |
| zugeneigt ist, darf bezweifelt werden. Eine Anfrage der taz dazu, welche | |
| Strategie die Senatsverwaltung für Wirtschaft bezüglich des Zuzugs großer | |
| Tech-Unternehmen verfolgt, lässt diese unbeantwortet. Doch Pop hat schon | |
| oft deutlich gemacht, dass sie in Berlin ganz besonders auf die | |
| Digitalisierungsbranche setzt. | |
| In einem im November erschienenen [17][Gastbeitrag für die Zeitung Die | |
| Welt] etwa spricht die Senatorin in den höchsten Tönen von dem „Berliner | |
| Boom“, davon, wie in Berlin der „Strukturwandel“ gelinge und sich die Sta… | |
| insbesondere dank Tech- und Start-up-Branche über wirtschaftliches Wachstum | |
| freuen könne. Am Ende des Textes wird zwar erwähnt, dass diese Entwicklung | |
| auch Schattenseiten habe: „Höhere Lebenshaltungskosten gefährden einen | |
| Standortvorteil der Stadt“, heißt es da. Wie genau die Senatorin aber | |
| wirtschaftlich steuern möchte, um diese Entwicklungen zu verhindern, lässt | |
| sie offen. | |
| Die überschwänglichen Töne, in denen auch Berliner Politiker:innen die | |
| Tech-Unternehmen begrüßen, beobachtet Wadden mit Sorge. „Das ist der | |
| gleiche schreckliche Fehler, den die Demokraten in den USA gemacht haben“, | |
| sagt sie. „Sie glauben, dass die Tech-Branche zu ihnen passt, weil sie | |
| [18][die gleichen liberalen Werte] teile. Aber wenn man sich anschaut, wie | |
| diese riesigen Konzerne funktionieren und was sie anrichten, wird klar, | |
| dass sie zutiefst antidemokratisch sind.“ | |
| Sie betont, wie viel die Stadt zu verlieren habe: „Als ich nach Berlin zog | |
| und den öffentlichen Nahverkehr hier sah, habe ich gedacht: Oh, diese Dinge | |
| können also auch tatsächlich funktionieren“, sagt sie und lacht. Sie hofft, | |
| dass Berlin einen anderen Weg einschlagen wird als Städte wie San | |
| Francisco, wo die Mitarbeiter:innen der Tech-Unternehmen in privaten | |
| Shuttle-Bussen zu ihren Arbeitsplätzen gefahren werden, während der | |
| öffentliche Nahverkehr von Jahr zu Jahr mehr verfällt. Oder Seattle, wo | |
| die Ansiedlung von Tech-Unternehmen wie Amazon die Mietpreise so | |
| explodieren ließ, dass heute Mittelschichtsfamilien gezwungen sind, in | |
| ihren Autos zu leben. | |
| Wadden weiß, dass es in Deutschland [19][mehr Regulierung gibt], mehr | |
| Mieterschutz, weniger Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge als in | |
| den USA. Trotz dieser schützenden Faktoren hat sie Angst vor dem, was die | |
| Ansiedlung großer Tech-Unternehmen auch in Berlin bedeuten könnte. „Deals | |
| mit diesen Unternehmen zu schließen bedeutet, einen Pakt mit dem Teufel | |
| einzugehen“, sagt sie. „Sie werden sich nicht um deine Stadt scheren, sie | |
| werden sich nicht um die Allgemeinheit scheren, sie werden sich um gar | |
| nichts scheren außer ihren eigenen Profit, egal was sie vorher | |
| versprechen.“ | |
| Dass es nicht leicht werden wird, eine solche Entwicklung aufzuhalten, | |
| wissen Wadden, Miller und die anderen ganz genau. Versuchen wollen sie es | |
| umso entschlossener. Der Turm wackelt einmal, er wackelt zweimal, dann | |
| kippt er um. | |
| 14 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Stadtentwicklung-und-Gentrifizierung/!5647537 | |
| [2] /Protest-gegen-Gentrifizierung-in-Berlin/!5531109 | |
| [3] /Multikonzern-im-oeffentlichen-Raum/!5642123 | |
| [4] /Adventsstreik-bei-Amazon/!5648424 | |
| [5] /Retouren-im-Online-Handel/!5628733 | |
| [6] /Steuerdeals-von-Apple-und-Amazon/!5452119 | |
| [7] https://www.theguardian.com/us-news/2019/jul/11/amazon-ice-protest-immigran… | |
| [8] /Brand-in-Oakland/!5363248 | |
| [9] /Sammelband-Technopolis/!5641703 | |
| [10] /Google-Campus-gibt-in-Kreuzberg-auf/!5543348 | |
| [11] /Mietendeckel-in-Berlin/!5628554 | |
| [12] /Neue-Vermieterstrategien-in-Berlin/!5638744 | |
| [13] /Vorgehen-gegen-US-Whistleblowerin/!5596207 | |
| [14] https://techworkerscoalition.org/ | |
| [15] /Amazon-kuscht-vor-New-York/!5570946 | |
| [16] https://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain-kreuzberg/article22740400… | |
| [17] https://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article203598882/Gastkommentar-… | |
| [18] /Abschied-von-einem-liberalen-Traum/!5556296 | |
| [19] /Regeln-fuer-Tech-Firmen/!5645039 | |
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