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# taz.de -- Urbane Kämpfe und Digitalisierung: Der Turmbau zu Berlin
> Amazon will den Berliner Standort ausbauen. Dagegen formiert sich
> Widerstand. Könnte es gerade in Berlin gelingen, den Tech-Riesen
> aufzuhalten?
Bild: So soll er aussehen: der Glasturm
Der Turm wackelt einmal, er wackelt zweimal, dann kippt er um. Der Bär und
die Superheldin mit Boxhandschuhen reißen die Arme zur Siegerpose in die
Luft. K.o. in der ersten Runde! Sie treten noch mal nach, die Bestandteile
des Turms fliegen über den Boden. Zwölf Pappkartons, jeder bedruckt mit dem
Logo eines der berühmtesten Unternehmen unserer Zeit: der zum Lächeln
gebogene Amazon-Pfeil – nur dass hier die Mundwinkel nach unten zeigen.
Was sich an diesem vorweihnachtlichen Samstag hier auf dem Mittelstreifen
der Warschauer Straße kurz vor der Warschauer Brücke in Friedrichshain
abspielt, gehört zur [1][ersten öffentlichen Protestaktion] gegen den
sogenannten Amazon Tower. Im Oktober wurde bekannt, dass der
Versandhandelsriese 28 von 35 Stockwerken in einem 140 Meter hohen Büroturm
beziehen will, der bis 2023 an der Warschauer Brücke entstehen wird.
3.400 Amazon-Angestellte sollen hier arbeiten. Der „Edge East Side“
betitelte Turm bildet eine Art Finale des Investorenprojekts Mediaspree,
die in den 1990er Jahren erdachte Umgestaltung des Spreeufers zugunsten der
Ansiedlung großer Medien- und Unterhaltungskonzerne.
Die Simulationen, auf denen der fertige Turm zu sehen ist, wirken
unwirklich, wie ein abgedrehter Kleine-Jungs-Traum von Singapur in Berlin.
Doch während hier auf dem Mittelstreifen der Warschauer Straße die
Pappkartons fliegen, ragen 300 Meter weiter zwei sonnengelbe Seilbagger in
die Luft: Die Untergrundarbeiten für den Turmbau haben bereits begonnen.
Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, hatte im
Herbst noch versucht, einen Neustart für das Projekt zu erreichen: Die
eingereichten Pläne für die Gestaltung des Turms wichen deutlich von den
ursprünglichen Vereinbarungen ab, warf er den Bauherren vor. Doch Schmidt
wurde vom Senat zurückgepfiffen: Für eine nachträgliche Entziehung des
Baurechts fehle “die Rechtsgrundlage“. Spätestens seit dieser Ansage ist
klar: Der Turm kommt.
Bleibt die Frage, wer dort einzieht.
An einem Mittwochabend Ende November findet das erste öffentliche Treffen
der neuen Kampagne „Berlin vs Amazon“ statt, im Hinterzimmer einer Kneipe
auf dem RAW-Gelände drängen sich rund 50 Menschen. Eine Frau mit kurzen,
platinblonden Haaren stellt die Pläne für den Turm vor, ein Mann in
rot-weißer Trainingsjacke berichtet von Protesten gegen Amazon in New York
und London, es gibt einen Vortrag über das Konzept „Webtech-Urbanismus“. Am
Ende werden Terminkalender gezückt, Verabredungen getroffen und
Arbeitsgruppen gegründet.
Auf einem der abgewetzten Ledersofas sitzt Laura Wadden und hört aufmerksam
zu. Wadden, die vor sieben Jahren aus den USA nach Berlin zog, hatte schon
die [2][Proteste gegen den Google-Campus] in Kreuzberg 2018 verfolgt. An
denen gegen Amazon will sie sich selbst beteiligen. „Es gibt ungefähr eine
Million Gründe, warum dieses Unternehmen böse ist“, sagt die 32-Jährige.
In der Tat gibt es wenige Firmen, die so oft [3][in der Kritik stehen] wie
Amazon. Und das für eine ganze Palette von Punkten von der [4][Missachtung
von Arbeitsschutzgesetzen] über die [5][Vernichtung von Neuwaren] bis hin
zu [6][Steuervermeidung im großen Stil] oder der [7][Zusammenarbeit mit
Abschiebebehörden]. Für die Aktivist:innen der Kampagne Berlin vs Amazon
genug Gründe, den geplanten Einzug des Versandhandelskonzerns in den Turm
an der Warschauer Brücke verhindern zu wollen – die befürchteten
Aufwertungsprozesse für die angrenzenden Kieze kommen noch hinzu.
## Vom Silicon Valley nach Berlin
Ihr Vorhaben, gegen dieses Unternehmen selbst aktiv zu werden, hat Wadden
ein paar Woche nach dem Treffen in die Tat umgesetzt: Sie ist die Frau, die
als Superheldin verkleidet den Pappkarton-Turm erledigt; in der übrigen
Zeit des Aktionstags steht sie am Infotisch, verteilt Broschüren an
interessierte Passanten.
Für das Gespräch mit der taz schlägt Wadden, dunkle Haare, dunkler
Lippenstift, den Besprechungsraum der Neuköllner Co-Working-Etage vor, in
die sie sich eingemietet hat. „Die gute Art von Co-Working“, sagt sie bei
der Begrüßung schnell und lacht, wissend um den Gentrifizierer-Ruf, den
solche Orte in Berlin haben.
„Als ich von den Plänen für den Amazon Tower gelesen habe, stieg eine Art
Panik in mir hoch“, sagt Wadden. Bevor die 32-Jährige nach Berlin zog,
studierte sie an der Stanford Universität, direkt im Silicon Valley. „Ich
habe gesehen, was es mit einer Stadt macht, mit einer ganzen Region, wenn
diese Unternehmen übernehmen.“
Laura Wadden wohnte damals in San Francisco in einer zum Zimmer
umfunktionierten ehemaligen Speisekammer in einem Hausprojekt. Dafür zahlte
sie 500 Dollar im Monat und wohnte damit rund 50 Prozent günstiger als die
meisten ihrer Freunde. „Die wenigen verbliebenen Hausprojekte gehören zu
den letzten Orten in San Francisco, wo Wohnen noch erschwinglich ist“, sagt
Wadden.
Während ihrer Zeit in der Stadt spitzte sich der Konflikt um die
[8][Verdrängungsprozesse in der Bay Area] immer weiter zu. In San Francisco
sei durch ihren eigenen Freundeskreis eine Linie verlaufen, mal mehr, mal
weniger sichtbar: „Es war immer klar, wer zu denen gehört, die in der Stadt
bleiben können, und wer zu denen, die über kurz oder lang wegziehen werden
müssen.“
Dabei sei sie selbst wie auch ihr Freundeskreis noch vergleichsweise
privilegiert gewesen. Die Entwicklung in der Bay Area sei so absurd, dass
man es sich von außen kaum vorstellen könne: „San Francisco ist eine Stadt,
in der die Angestellten des Rathauses morgens um drei Uhr aufstehen müssen,
weil sie aufgrund der Mieten so weit weg wohnen, dass ihr Arbeitsweg
mehrere Stunden dauert.“
Wadden ist selbst Software-Entwicklerin, und gerade deswegen überzeugt,
dass es Alternativen zu den großen Monopolisten braucht. „Im Moment ist es
fast unmöglich, an Amazon und Google vorbeizukommen, selbst wenn man es
möchte. So, wie diese Unternehmen Städte übernommen haben, haben sie auch
das Internet übernommen.“
Mit einer Freundin hat Laura Wadden in diesem Jahr ein eigenes Unternehmen
gegründet: LaceWing Tech bietet technische Infrastruktur für kleine und
mittlere Unternehmen und Teams, die Wert auf Datensicherheit bei
gleichzeitiger Benutzerfreundlichkeit legen – ohne Google & Co.
Mit den Entwicklungen in der Bay Area, die Wadden selbst zu spüren bekam,
beschäftigt sich Katja Schwaller seit vielen Jahren. Die Schweizer
Stadtforscherin promoviert an der Stanford University, im Juni 2019 hat sie
unter dem Titel „Technopolis – Urbane Kämpfe in der San Francisco Bay Area…
[9][einen Sammelband herausgebracht], der in Deutschland bei Assoziation A
erschienen ist.
„Die Bay Area kann als warnendes Beispiel dienen“, sagt Schwaller. „Statt
den Tech-Giganten den roten Teppich auszurollen, gilt es, ihren Expansions-
und Vereinnahmungsgelüsten schnell und resolut entgegenzustehen.“ Hoffnung
mache ihr die wachsende internationale Vernetzung der Protestbewegung, die
auch Aktivist:innen in Städten wie San Francisco oder Seattle Auftrieb
gebe, Orte also, in denen nicht wenige den Kampf schon verloren glaubten.
Und: Zunehmend werde der Protest gegen das Gebaren der IT-Monopolisten von
Menschen außerhalb und innerhalb der Tech-Branche gemeinsam getragen: etwa
wenn der Kampf gegen Verdrängung und der für faire Arbeitsbedingungen
innerhalb der Unternehmen verbunden werden oder wenn die Angestellten
gemeinsam mit antirassistischen Gruppen gegen die Kooperation ihrer
Arbeitgeber mit der amerikanischen Immigrationspolizei ICE protestieren.
Genau in dieser Solidarisierung zwischen verschiedenen Gruppen –
spezialisierten IT-Fachkräften, den oft schlecht bezahlten übrigen
Angestellten, Anwohner:innen, politischen Aktivist:innen – könnten die
Protestbewegungen ihr größtes Potenzial entfalten, glaubt Schwaller. Auch
Wadden, die die Berliner Tech-Szene gut kennt, hofft auf eine Politisierung
dieser Branche: „Es geht nicht darum, dass Tech-Angestellte sich
individuell schuldig fühlen müssen, weil sie in diesen Jobs arbeiten“, sagt
sie. „Aber ich hoffe, dass mehr und mehr von ihnen den größeren Kontext
ihrer Arbeit sehen und anfangen, solidarisch zu handeln.“
## Schulterschluss zwischen Tech-Arbeiter:innen und Bewegung
Bisher war von einem solchen Schulterschluss in Berlin allerdings wenig zu
sehen. So [10][erfolgreich die Proteste gegen den Google-Campus] in
Kreuzberg waren, gingen sie doch weitestgehend von den üblichen Kreisen der
Antigentrifizierungsbewegung aus – ein Brückenschlag zu den
Google-Mitarbeiter:innen selbst oder zur Tech-Branche insgesamt wurde nicht
versucht.
Überhaupt: Tech-Szene und Berliner Mietenbewegung – auf den ersten Blick
passt das nicht so recht zusammen. Das hat schon damit zu tun, dass Erstere
sehr viel internationaler ist als Zweitere: Obwohl unter den vielen
Menschen, die in den vergangenen Jahren nach Berlin gezogen sind, auch
viele linke Aktivist:innen sind, bleiben die Szenen oft noch merkwürdig
getrennt, ist die Recht-auf-Stadt-Bewegung meist mehrheitlich deutsch. Die
manchmal etwas unterkomplex daherkommenden Beißreflexe des
Antigentrifizierungsprotests gegenüber „englischsprachigen Hipstern“ mögen
daran ihren Anteil haben.
Doch es gibt auch dazu gegenläufige Entwicklungen: Die Aktivist:innen
gegen den [11][Immobilienkonzern Akelius] beispielsweise haben längst
festgestellt, dass es sich lohnen kann, die von Verdrängung bedrohten
Altmieter:innen der Akelius-Wohnungen mit denen zusammenzubringen, die
frisch aus dem Ausland nach Berlin gezogen, in einer der luxussanierten
Immobilien des Konzerns gelandet sind. Denn auch wenn diese Neumieter
vergleichsweise viel verdienen – etwa als gut bezahlte
Software-Entwickler:innen –, sind [12][längst nicht alle glücklich damit,
Mieten von 20 Euro pro Quadratmeter zu bezahlen]. Manchmal sind es auch
Unkenntnis und Überforderung durch den Berliner Wohnungsmarkt, die frisch
Zugezogene in diese Abzocke-Wohnungen treiben.
Und auch in der Berliner Tech-Szene bewegt sich etwas. Einer, der dafür
verantwortlich ist, sitzt an diesem Montag im Dezember vor einer dampfenden
Schale chinesischer Nudelsuppe, im Rücken die Backsteinwand des
Restaurants in der Brunnenstraße in Mitte. Yonatan Miller kam vor vier
Jahren aus New York nach Berlin, heute arbeitet der Software-Entwickler
gleich um die Ecke für einen Carsharing-Anbieter.
„Ich war schon in New York weitgehend desillusioniert, was die glänzenden
Versprechungen der Branche angeht“, sagt Miller, der auch schon für
Facebook gearbeitet hat. „Hinter den ganzen funkelnden Apps steckt eine
Menge Arbeit, die eintönig ist, kräftezehrend oder schlecht bezahlt.“
Yonatan Miller ist 26 Jahre alt, er wirkt deutlich älter, was damit zu tun
hat, wie er sich ausdrückt, in wohlüberlegten, reflektierten Sätzen
nämlich, die er mit leiser Stimme vorbringt. Politisch aktiv sei er schon
lange, erzählt Miller, in den USA sei er Teil der Solidaritätsbewegung für
die [13][Whistleblowerin Chelsea Manning] gewesen. Weil er auch die
technische Seite der Geschehnisse rund um die Wikileaks-Informantin
verstehen wollte, lernte er programmieren.
Im Jahr 2014 gründeten die Cafeteria-Mitarbeiterin Rachel Mendeles und der
Entwickler Matt Schaefer die [14][Tech Workers Coalition] in San Francisco.
Schon im Namen der Organisation liegt ein Angriff auf die Ideologie des
Silicon Valley, die den IT-Spezialist:innen das Gefühl vermitteln soll, sie
seien eben keine Arbeiter, sondern nähmen an einer Art hochbezahltem
Kreativworkshop teil – ganz im Unterschied zu den tausenden Menschen im
Silicon Valley, die dafür sorgen, dass die Fitnessräume und Büros sauber,
die Bedienung in der Cafeteria schnell oder der Süßigkeitenautomat stets
gefüllt sind.
Nach der Bay Area, Seattle oder Boston sowie Chat-Gruppen mit mehreren
tausend Mitgliedern gibt es seit Juni 2019 auch einen Ableger der Tech
Workers Coalition in Berlin – ins Leben gerufen von Yonatan Miller. Er holt
sein Handy raus und liest die lange Liste von Anliegen vor, die die Gruppe
schon bei ihrem ersten Treffen gesammelt hat: Arbeitsausbeutung in
Start-ups, Diskriminierung muslimischer Programmierer, befristete Verträge,
Mobbing. Mehr als 20 Punkte umfasst die Liste.
Eine anonymisierte Abfrage der Nettogehälter der Teilnehmer:innen habe
eine Bandbreite von 38.000 bis 78.000 Euro Jahreseinkommen ergeben. „Es
gibt in der Tech-Branche enorme Unterschiede, nicht nur zwischen
Programmierern und sonstigen Angestellten, sondern auch innerhalb der
IT-Arbeiter“, sagt Miller.
Mehr oder wenig sichtbare Spaltungslinien, eine multinationale und stark
fluktuierende Belegschaft, Outsourcing, Selbstausbeutung, vordergründig
flache Hierarchien: Es gibt viele Faktoren, die eine Organisation der
Arbeitnehmer:innen innerhalb der Tech-Branche erschweren. Yonatan Miller
will es trotzdem versuchen. Auf die deutschen Gewerkschaften könne er dabei
nicht warten, sagt er: „Ich weiß, dass da ganz langsam etwas in Bewegung
kommt, aber bislang gibt es kaum Berührungspunkte zwischen der Tech-Szene
und den klassischen Gewerkschaften in Deutschland.“
Für Miller ist klar, dass die Organisation von Tech-Angestellten selbst und
der Protest gegen die Auswirkungen der Unternehmen, in denen sie arbeiten,
zusammengebracht werden müssen. Als die Tech Workers Coalition Ende
November gemeinsam mit anderen Gruppen zur „1. Berliner Versammlung gegen
Tech-Kapital“ einlud, war der Veranstaltungsraum am Kottbusser Tor bis auf
den letzten Platz besetzt. Der wichtigste Tagesordnungspunkt: die Kampagne
Berlin vs Amazon.
Auch in den zahlreichen Vorhaben der Tech Workers Coalition für das Jahr
2020 nimmt die Amazon-Kampagne einen wichtigen Stellenwert ein. Miller weiß
allerdings auch von den schon erwähnten Berührungsängsten zu berichten:
„Als wir das erste Mal an einem Treffen der Amazon-Gegner teilgenommen
haben, war der Empfang ziemlich frostig“, sagt er. Junge, US-amerikanische
Software-Entwickler – das stoße bei einigen Berliner Linken offenbar erst
mal auf Skepsis.
Mittlerweile sei die Stimmung aber schon freundlicher geworden. Miller
glaubt, dass die Proteste nur gewinnen können, wenn sie Tech-Arbeiter:innen
mit einbeziehen. „Es wird zum Beispiel wichtig sein, sich anzuschauen, wo
Amazon die Angestellten rekrutiert, die in den neuen Tower ziehen sollen“,
sagt er. „Absageschreiben, die den angebotenen Job mit Verweis auf den
durch Amazon angerichteten Schaden ablehnen, könnten ein sehr effektives
Mittel sein“.
Das sieht auch Katja Schwaller so: „Zusammenschlüsse von
Basisgewerkschaften, kritischen Tech-Arbeiter:innen und
Antigentrifizierungsaktivist:innen bieten ein großes Potenzial“, sagt die
Wissenschaftlerin. Das habe etwa der Protest im New Yorker Stadtteil Queens
gezeigt, wo der Widerstand gegen das geplante Amazon-Hauptquartier so
massiv war, dass [15][der Konzern seine Pläne im Februar 2019 aufgeben
musste].
Der erfolgreiche Protest in New York ist auch Vorbild für die
Aktivist:innen in Berlin. Gerade Menschen wie Laura Wadden und Yonatan
Miller, die aus dem Ausland hergezogen sind, haben große Hoffnungen in das
hiesige Widerstandspotenzial: „Wenn es nicht in Berlin funktionieren wird,
wird es nirgendwo funktionieren“, sagt Miller. Angesichts der vielfältigen
Protestgeschichte und -szene in Berlin habe sie Hoffnungen, dass die Stadt
sich im Kampf gegen die Tech-Giganten behaupten werde, sagt Wadden. „Ich
glaube, dass Berlin ein einzigartiger Ort ist, der eine starke und populäre
Bewegung gegen diese Entwicklungen hervorbringen kann.“
Dass es ein einfacher Kampf wird, glaubt allerdings niemand: „Amazon ist
ein sehr mächtiger Gegner“, sagt Miller. Anders als Google, wo das frühere
Firmenmotto „Don’t be evil“ verdeutlichte, wie wichtig dem Konzern ein
positives Image ist – was auch den Berliner Aktivist:innen eine
Angriffsfläche bot –, sei Amazon schlechte Presse längst gewohnt.
Doch ganz egal scheint dem Konzern sein Image nicht zu sein. „Egal wo wir
tätig sind und in Zukunft tätig sein werden – unser Ziel ist immer, ein
guter Nachbar zu sein“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens auf
taz-Anfrage. Die Kritik an den Berliner Plänen nehme die Firma ernst, „wir
möchten, dass mit uns gesprochen wird anstatt über uns“. Amazon sei „ein
guter Arbeitgeber“, der in Deutschland mehr als 20.000 festangestellte
Mitarbeiter:innen beschäftige. Und diese wiederum seien gute Menschen:
„Unsere Mitarbeiter engagieren sich auf vielfältige Weise, etwa in der
Zusammenarbeit mit lokalen Tafeln und der Arche“, betont die Sprecherin.
## Berlin setzt auf die Digitalisierungsbranche
Doch die Frage ist nicht nur, inwiefern sich der Konzern selbst empfänglich
für Kritik zeigen wird. Sondern auch, inwiefern ihm die Stadt „den roten
Teppich ausrollt“, wie Katja Schwaller es nennt. Dass die Ansiedlung großer
Tech-Unternehmen von Wirtschaftsvertreter:innen begrüßt wird, ist klar. Als
Baustadtrat Florian Schmidt sich im Herbst erlaubt hatte, an der
Berlin-Kompatibilität der Pläne für den Büroturm zu zweifeln, forderte Jan
Eder, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, der Senat müsse das
Projekt zur Chefsache machen. „Investoren werden abgeschreckt statt
begrüßt. Das ist eine wirtschaftspolitische Harakiri-Strategie mit weltweit
negativer Ausstrahlung“, so Eder [16][damals in der Morgenpost].
Mit Ramona Pop hat Berlin eine grüne Wirtschaftssenatorin – doch ob diese
in einem solchen Streit der Position ihres Parteikollegen Florian Schmidt
zugeneigt ist, darf bezweifelt werden. Eine Anfrage der taz dazu, welche
Strategie die Senatsverwaltung für Wirtschaft bezüglich des Zuzugs großer
Tech-Unternehmen verfolgt, lässt diese unbeantwortet. Doch Pop hat schon
oft deutlich gemacht, dass sie in Berlin ganz besonders auf die
Digitalisierungsbranche setzt.
In einem im November erschienenen [17][Gastbeitrag für die Zeitung Die
Welt] etwa spricht die Senatorin in den höchsten Tönen von dem „Berliner
Boom“, davon, wie in Berlin der „Strukturwandel“ gelinge und sich die Sta…
insbesondere dank Tech- und Start-up-Branche über wirtschaftliches Wachstum
freuen könne. Am Ende des Textes wird zwar erwähnt, dass diese Entwicklung
auch Schattenseiten habe: „Höhere Lebenshaltungskosten gefährden einen
Standortvorteil der Stadt“, heißt es da. Wie genau die Senatorin aber
wirtschaftlich steuern möchte, um diese Entwicklungen zu verhindern, lässt
sie offen.
Die überschwänglichen Töne, in denen auch Berliner Politiker:innen die
Tech-Unternehmen begrüßen, beobachtet Wadden mit Sorge. „Das ist der
gleiche schreckliche Fehler, den die Demokraten in den USA gemacht haben“,
sagt sie. „Sie glauben, dass die Tech-Branche zu ihnen passt, weil sie
[18][die gleichen liberalen Werte] teile. Aber wenn man sich anschaut, wie
diese riesigen Konzerne funktionieren und was sie anrichten, wird klar,
dass sie zutiefst antidemokratisch sind.“
Sie betont, wie viel die Stadt zu verlieren habe: „Als ich nach Berlin zog
und den öffentlichen Nahverkehr hier sah, habe ich gedacht: Oh, diese Dinge
können also auch tatsächlich funktionieren“, sagt sie und lacht. Sie hofft,
dass Berlin einen anderen Weg einschlagen wird als Städte wie San
Francisco, wo die Mitarbeiter:innen der Tech-Unternehmen in privaten
Shuttle-Bussen zu ihren Arbeitsplätzen gefahren werden, während der
öffentliche Nahverkehr von Jahr zu Jahr mehr verfällt. Oder Seattle, wo
die Ansiedlung von Tech-Unternehmen wie Amazon die Mietpreise so
explodieren ließ, dass heute Mittelschichtsfamilien gezwungen sind, in
ihren Autos zu leben.
Wadden weiß, dass es in Deutschland [19][mehr Regulierung gibt], mehr
Mieterschutz, weniger Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge als in
den USA. Trotz dieser schützenden Faktoren hat sie Angst vor dem, was die
Ansiedlung großer Tech-Unternehmen auch in Berlin bedeuten könnte. „Deals
mit diesen Unternehmen zu schließen bedeutet, einen Pakt mit dem Teufel
einzugehen“, sagt sie. „Sie werden sich nicht um deine Stadt scheren, sie
werden sich nicht um die Allgemeinheit scheren, sie werden sich um gar
nichts scheren außer ihren eigenen Profit, egal was sie vorher
versprechen.“
Dass es nicht leicht werden wird, eine solche Entwicklung aufzuhalten,
wissen Wadden, Miller und die anderen ganz genau. Versuchen wollen sie es
umso entschlossener. Der Turm wackelt einmal, er wackelt zweimal, dann
kippt er um.
14 Jan 2020
## LINKS
[1] /Stadtentwicklung-und-Gentrifizierung/!5647537
[2] /Protest-gegen-Gentrifizierung-in-Berlin/!5531109
[3] /Multikonzern-im-oeffentlichen-Raum/!5642123
[4] /Adventsstreik-bei-Amazon/!5648424
[5] /Retouren-im-Online-Handel/!5628733
[6] /Steuerdeals-von-Apple-und-Amazon/!5452119
[7] https://www.theguardian.com/us-news/2019/jul/11/amazon-ice-protest-immigran…
[8] /Brand-in-Oakland/!5363248
[9] /Sammelband-Technopolis/!5641703
[10] /Google-Campus-gibt-in-Kreuzberg-auf/!5543348
[11] /Mietendeckel-in-Berlin/!5628554
[12] /Neue-Vermieterstrategien-in-Berlin/!5638744
[13] /Vorgehen-gegen-US-Whistleblowerin/!5596207
[14] https://techworkerscoalition.org/
[15] /Amazon-kuscht-vor-New-York/!5570946
[16] https://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain-kreuzberg/article22740400…
[17] https://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article203598882/Gastkommentar-…
[18] /Abschied-von-einem-liberalen-Traum/!5556296
[19] /Regeln-fuer-Tech-Firmen/!5645039
## AUTOREN
Malene Gürgen
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