# taz.de -- Urbane Kämpfe und Digitalisierung: Der Turmbau zu Berlin | |
> Amazon will den Berliner Standort ausbauen. Dagegen formiert sich | |
> Widerstand. Könnte es gerade in Berlin gelingen, den Tech-Riesen | |
> aufzuhalten? | |
Bild: So soll er aussehen: der Glasturm | |
Der Turm wackelt einmal, er wackelt zweimal, dann kippt er um. Der Bär und | |
die Superheldin mit Boxhandschuhen reißen die Arme zur Siegerpose in die | |
Luft. K.o. in der ersten Runde! Sie treten noch mal nach, die Bestandteile | |
des Turms fliegen über den Boden. Zwölf Pappkartons, jeder bedruckt mit dem | |
Logo eines der berühmtesten Unternehmen unserer Zeit: der zum Lächeln | |
gebogene Amazon-Pfeil – nur dass hier die Mundwinkel nach unten zeigen. | |
Was sich an diesem vorweihnachtlichen Samstag hier auf dem Mittelstreifen | |
der Warschauer Straße kurz vor der Warschauer Brücke in Friedrichshain | |
abspielt, gehört zur [1][ersten öffentlichen Protestaktion] gegen den | |
sogenannten Amazon Tower. Im Oktober wurde bekannt, dass der | |
Versandhandelsriese 28 von 35 Stockwerken in einem 140 Meter hohen Büroturm | |
beziehen will, der bis 2023 an der Warschauer Brücke entstehen wird. | |
3.400 Amazon-Angestellte sollen hier arbeiten. Der „Edge East Side“ | |
betitelte Turm bildet eine Art Finale des Investorenprojekts Mediaspree, | |
die in den 1990er Jahren erdachte Umgestaltung des Spreeufers zugunsten der | |
Ansiedlung großer Medien- und Unterhaltungskonzerne. | |
Die Simulationen, auf denen der fertige Turm zu sehen ist, wirken | |
unwirklich, wie ein abgedrehter Kleine-Jungs-Traum von Singapur in Berlin. | |
Doch während hier auf dem Mittelstreifen der Warschauer Straße die | |
Pappkartons fliegen, ragen 300 Meter weiter zwei sonnengelbe Seilbagger in | |
die Luft: Die Untergrundarbeiten für den Turmbau haben bereits begonnen. | |
Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, hatte im | |
Herbst noch versucht, einen Neustart für das Projekt zu erreichen: Die | |
eingereichten Pläne für die Gestaltung des Turms wichen deutlich von den | |
ursprünglichen Vereinbarungen ab, warf er den Bauherren vor. Doch Schmidt | |
wurde vom Senat zurückgepfiffen: Für eine nachträgliche Entziehung des | |
Baurechts fehle “die Rechtsgrundlage“. Spätestens seit dieser Ansage ist | |
klar: Der Turm kommt. | |
Bleibt die Frage, wer dort einzieht. | |
An einem Mittwochabend Ende November findet das erste öffentliche Treffen | |
der neuen Kampagne „Berlin vs Amazon“ statt, im Hinterzimmer einer Kneipe | |
auf dem RAW-Gelände drängen sich rund 50 Menschen. Eine Frau mit kurzen, | |
platinblonden Haaren stellt die Pläne für den Turm vor, ein Mann in | |
rot-weißer Trainingsjacke berichtet von Protesten gegen Amazon in New York | |
und London, es gibt einen Vortrag über das Konzept „Webtech-Urbanismus“. Am | |
Ende werden Terminkalender gezückt, Verabredungen getroffen und | |
Arbeitsgruppen gegründet. | |
Auf einem der abgewetzten Ledersofas sitzt Laura Wadden und hört aufmerksam | |
zu. Wadden, die vor sieben Jahren aus den USA nach Berlin zog, hatte schon | |
die [2][Proteste gegen den Google-Campus] in Kreuzberg 2018 verfolgt. An | |
denen gegen Amazon will sie sich selbst beteiligen. „Es gibt ungefähr eine | |
Million Gründe, warum dieses Unternehmen böse ist“, sagt die 32-Jährige. | |
In der Tat gibt es wenige Firmen, die so oft [3][in der Kritik stehen] wie | |
Amazon. Und das für eine ganze Palette von Punkten von der [4][Missachtung | |
von Arbeitsschutzgesetzen] über die [5][Vernichtung von Neuwaren] bis hin | |
zu [6][Steuervermeidung im großen Stil] oder der [7][Zusammenarbeit mit | |
Abschiebebehörden]. Für die Aktivist:innen der Kampagne Berlin vs Amazon | |
genug Gründe, den geplanten Einzug des Versandhandelskonzerns in den Turm | |
an der Warschauer Brücke verhindern zu wollen – die befürchteten | |
Aufwertungsprozesse für die angrenzenden Kieze kommen noch hinzu. | |
## Vom Silicon Valley nach Berlin | |
Ihr Vorhaben, gegen dieses Unternehmen selbst aktiv zu werden, hat Wadden | |
ein paar Woche nach dem Treffen in die Tat umgesetzt: Sie ist die Frau, die | |
als Superheldin verkleidet den Pappkarton-Turm erledigt; in der übrigen | |
Zeit des Aktionstags steht sie am Infotisch, verteilt Broschüren an | |
interessierte Passanten. | |
Für das Gespräch mit der taz schlägt Wadden, dunkle Haare, dunkler | |
Lippenstift, den Besprechungsraum der Neuköllner Co-Working-Etage vor, in | |
die sie sich eingemietet hat. „Die gute Art von Co-Working“, sagt sie bei | |
der Begrüßung schnell und lacht, wissend um den Gentrifizierer-Ruf, den | |
solche Orte in Berlin haben. | |
„Als ich von den Plänen für den Amazon Tower gelesen habe, stieg eine Art | |
Panik in mir hoch“, sagt Wadden. Bevor die 32-Jährige nach Berlin zog, | |
studierte sie an der Stanford Universität, direkt im Silicon Valley. „Ich | |
habe gesehen, was es mit einer Stadt macht, mit einer ganzen Region, wenn | |
diese Unternehmen übernehmen.“ | |
Laura Wadden wohnte damals in San Francisco in einer zum Zimmer | |
umfunktionierten ehemaligen Speisekammer in einem Hausprojekt. Dafür zahlte | |
sie 500 Dollar im Monat und wohnte damit rund 50 Prozent günstiger als die | |
meisten ihrer Freunde. „Die wenigen verbliebenen Hausprojekte gehören zu | |
den letzten Orten in San Francisco, wo Wohnen noch erschwinglich ist“, sagt | |
Wadden. | |
Während ihrer Zeit in der Stadt spitzte sich der Konflikt um die | |
[8][Verdrängungsprozesse in der Bay Area] immer weiter zu. In San Francisco | |
sei durch ihren eigenen Freundeskreis eine Linie verlaufen, mal mehr, mal | |
weniger sichtbar: „Es war immer klar, wer zu denen gehört, die in der Stadt | |
bleiben können, und wer zu denen, die über kurz oder lang wegziehen werden | |
müssen.“ | |
Dabei sei sie selbst wie auch ihr Freundeskreis noch vergleichsweise | |
privilegiert gewesen. Die Entwicklung in der Bay Area sei so absurd, dass | |
man es sich von außen kaum vorstellen könne: „San Francisco ist eine Stadt, | |
in der die Angestellten des Rathauses morgens um drei Uhr aufstehen müssen, | |
weil sie aufgrund der Mieten so weit weg wohnen, dass ihr Arbeitsweg | |
mehrere Stunden dauert.“ | |
Wadden ist selbst Software-Entwicklerin, und gerade deswegen überzeugt, | |
dass es Alternativen zu den großen Monopolisten braucht. „Im Moment ist es | |
fast unmöglich, an Amazon und Google vorbeizukommen, selbst wenn man es | |
möchte. So, wie diese Unternehmen Städte übernommen haben, haben sie auch | |
das Internet übernommen.“ | |
Mit einer Freundin hat Laura Wadden in diesem Jahr ein eigenes Unternehmen | |
gegründet: LaceWing Tech bietet technische Infrastruktur für kleine und | |
mittlere Unternehmen und Teams, die Wert auf Datensicherheit bei | |
gleichzeitiger Benutzerfreundlichkeit legen – ohne Google & Co. | |
Mit den Entwicklungen in der Bay Area, die Wadden selbst zu spüren bekam, | |
beschäftigt sich Katja Schwaller seit vielen Jahren. Die Schweizer | |
Stadtforscherin promoviert an der Stanford University, im Juni 2019 hat sie | |
unter dem Titel „Technopolis – Urbane Kämpfe in der San Francisco Bay Area… | |
[9][einen Sammelband herausgebracht], der in Deutschland bei Assoziation A | |
erschienen ist. | |
„Die Bay Area kann als warnendes Beispiel dienen“, sagt Schwaller. „Statt | |
den Tech-Giganten den roten Teppich auszurollen, gilt es, ihren Expansions- | |
und Vereinnahmungsgelüsten schnell und resolut entgegenzustehen.“ Hoffnung | |
mache ihr die wachsende internationale Vernetzung der Protestbewegung, die | |
auch Aktivist:innen in Städten wie San Francisco oder Seattle Auftrieb | |
gebe, Orte also, in denen nicht wenige den Kampf schon verloren glaubten. | |
Und: Zunehmend werde der Protest gegen das Gebaren der IT-Monopolisten von | |
Menschen außerhalb und innerhalb der Tech-Branche gemeinsam getragen: etwa | |
wenn der Kampf gegen Verdrängung und der für faire Arbeitsbedingungen | |
innerhalb der Unternehmen verbunden werden oder wenn die Angestellten | |
gemeinsam mit antirassistischen Gruppen gegen die Kooperation ihrer | |
Arbeitgeber mit der amerikanischen Immigrationspolizei ICE protestieren. | |
Genau in dieser Solidarisierung zwischen verschiedenen Gruppen – | |
spezialisierten IT-Fachkräften, den oft schlecht bezahlten übrigen | |
Angestellten, Anwohner:innen, politischen Aktivist:innen – könnten die | |
Protestbewegungen ihr größtes Potenzial entfalten, glaubt Schwaller. Auch | |
Wadden, die die Berliner Tech-Szene gut kennt, hofft auf eine Politisierung | |
dieser Branche: „Es geht nicht darum, dass Tech-Angestellte sich | |
individuell schuldig fühlen müssen, weil sie in diesen Jobs arbeiten“, sagt | |
sie. „Aber ich hoffe, dass mehr und mehr von ihnen den größeren Kontext | |
ihrer Arbeit sehen und anfangen, solidarisch zu handeln.“ | |
## Schulterschluss zwischen Tech-Arbeiter:innen und Bewegung | |
Bisher war von einem solchen Schulterschluss in Berlin allerdings wenig zu | |
sehen. So [10][erfolgreich die Proteste gegen den Google-Campus] in | |
Kreuzberg waren, gingen sie doch weitestgehend von den üblichen Kreisen der | |
Antigentrifizierungsbewegung aus – ein Brückenschlag zu den | |
Google-Mitarbeiter:innen selbst oder zur Tech-Branche insgesamt wurde nicht | |
versucht. | |
Überhaupt: Tech-Szene und Berliner Mietenbewegung – auf den ersten Blick | |
passt das nicht so recht zusammen. Das hat schon damit zu tun, dass Erstere | |
sehr viel internationaler ist als Zweitere: Obwohl unter den vielen | |
Menschen, die in den vergangenen Jahren nach Berlin gezogen sind, auch | |
viele linke Aktivist:innen sind, bleiben die Szenen oft noch merkwürdig | |
getrennt, ist die Recht-auf-Stadt-Bewegung meist mehrheitlich deutsch. Die | |
manchmal etwas unterkomplex daherkommenden Beißreflexe des | |
Antigentrifizierungsprotests gegenüber „englischsprachigen Hipstern“ mögen | |
daran ihren Anteil haben. | |
Doch es gibt auch dazu gegenläufige Entwicklungen: Die Aktivist:innen | |
gegen den [11][Immobilienkonzern Akelius] beispielsweise haben längst | |
festgestellt, dass es sich lohnen kann, die von Verdrängung bedrohten | |
Altmieter:innen der Akelius-Wohnungen mit denen zusammenzubringen, die | |
frisch aus dem Ausland nach Berlin gezogen, in einer der luxussanierten | |
Immobilien des Konzerns gelandet sind. Denn auch wenn diese Neumieter | |
vergleichsweise viel verdienen – etwa als gut bezahlte | |
Software-Entwickler:innen –, sind [12][längst nicht alle glücklich damit, | |
Mieten von 20 Euro pro Quadratmeter zu bezahlen]. Manchmal sind es auch | |
Unkenntnis und Überforderung durch den Berliner Wohnungsmarkt, die frisch | |
Zugezogene in diese Abzocke-Wohnungen treiben. | |
Und auch in der Berliner Tech-Szene bewegt sich etwas. Einer, der dafür | |
verantwortlich ist, sitzt an diesem Montag im Dezember vor einer dampfenden | |
Schale chinesischer Nudelsuppe, im Rücken die Backsteinwand des | |
Restaurants in der Brunnenstraße in Mitte. Yonatan Miller kam vor vier | |
Jahren aus New York nach Berlin, heute arbeitet der Software-Entwickler | |
gleich um die Ecke für einen Carsharing-Anbieter. | |
„Ich war schon in New York weitgehend desillusioniert, was die glänzenden | |
Versprechungen der Branche angeht“, sagt Miller, der auch schon für | |
Facebook gearbeitet hat. „Hinter den ganzen funkelnden Apps steckt eine | |
Menge Arbeit, die eintönig ist, kräftezehrend oder schlecht bezahlt.“ | |
Yonatan Miller ist 26 Jahre alt, er wirkt deutlich älter, was damit zu tun | |
hat, wie er sich ausdrückt, in wohlüberlegten, reflektierten Sätzen | |
nämlich, die er mit leiser Stimme vorbringt. Politisch aktiv sei er schon | |
lange, erzählt Miller, in den USA sei er Teil der Solidaritätsbewegung für | |
die [13][Whistleblowerin Chelsea Manning] gewesen. Weil er auch die | |
technische Seite der Geschehnisse rund um die Wikileaks-Informantin | |
verstehen wollte, lernte er programmieren. | |
Im Jahr 2014 gründeten die Cafeteria-Mitarbeiterin Rachel Mendeles und der | |
Entwickler Matt Schaefer die [14][Tech Workers Coalition] in San Francisco. | |
Schon im Namen der Organisation liegt ein Angriff auf die Ideologie des | |
Silicon Valley, die den IT-Spezialist:innen das Gefühl vermitteln soll, sie | |
seien eben keine Arbeiter, sondern nähmen an einer Art hochbezahltem | |
Kreativworkshop teil – ganz im Unterschied zu den tausenden Menschen im | |
Silicon Valley, die dafür sorgen, dass die Fitnessräume und Büros sauber, | |
die Bedienung in der Cafeteria schnell oder der Süßigkeitenautomat stets | |
gefüllt sind. | |
Nach der Bay Area, Seattle oder Boston sowie Chat-Gruppen mit mehreren | |
tausend Mitgliedern gibt es seit Juni 2019 auch einen Ableger der Tech | |
Workers Coalition in Berlin – ins Leben gerufen von Yonatan Miller. Er holt | |
sein Handy raus und liest die lange Liste von Anliegen vor, die die Gruppe | |
schon bei ihrem ersten Treffen gesammelt hat: Arbeitsausbeutung in | |
Start-ups, Diskriminierung muslimischer Programmierer, befristete Verträge, | |
Mobbing. Mehr als 20 Punkte umfasst die Liste. | |
Eine anonymisierte Abfrage der Nettogehälter der Teilnehmer:innen habe | |
eine Bandbreite von 38.000 bis 78.000 Euro Jahreseinkommen ergeben. „Es | |
gibt in der Tech-Branche enorme Unterschiede, nicht nur zwischen | |
Programmierern und sonstigen Angestellten, sondern auch innerhalb der | |
IT-Arbeiter“, sagt Miller. | |
Mehr oder wenig sichtbare Spaltungslinien, eine multinationale und stark | |
fluktuierende Belegschaft, Outsourcing, Selbstausbeutung, vordergründig | |
flache Hierarchien: Es gibt viele Faktoren, die eine Organisation der | |
Arbeitnehmer:innen innerhalb der Tech-Branche erschweren. Yonatan Miller | |
will es trotzdem versuchen. Auf die deutschen Gewerkschaften könne er dabei | |
nicht warten, sagt er: „Ich weiß, dass da ganz langsam etwas in Bewegung | |
kommt, aber bislang gibt es kaum Berührungspunkte zwischen der Tech-Szene | |
und den klassischen Gewerkschaften in Deutschland.“ | |
Für Miller ist klar, dass die Organisation von Tech-Angestellten selbst und | |
der Protest gegen die Auswirkungen der Unternehmen, in denen sie arbeiten, | |
zusammengebracht werden müssen. Als die Tech Workers Coalition Ende | |
November gemeinsam mit anderen Gruppen zur „1. Berliner Versammlung gegen | |
Tech-Kapital“ einlud, war der Veranstaltungsraum am Kottbusser Tor bis auf | |
den letzten Platz besetzt. Der wichtigste Tagesordnungspunkt: die Kampagne | |
Berlin vs Amazon. | |
Auch in den zahlreichen Vorhaben der Tech Workers Coalition für das Jahr | |
2020 nimmt die Amazon-Kampagne einen wichtigen Stellenwert ein. Miller weiß | |
allerdings auch von den schon erwähnten Berührungsängsten zu berichten: | |
„Als wir das erste Mal an einem Treffen der Amazon-Gegner teilgenommen | |
haben, war der Empfang ziemlich frostig“, sagt er. Junge, US-amerikanische | |
Software-Entwickler – das stoße bei einigen Berliner Linken offenbar erst | |
mal auf Skepsis. | |
Mittlerweile sei die Stimmung aber schon freundlicher geworden. Miller | |
glaubt, dass die Proteste nur gewinnen können, wenn sie Tech-Arbeiter:innen | |
mit einbeziehen. „Es wird zum Beispiel wichtig sein, sich anzuschauen, wo | |
Amazon die Angestellten rekrutiert, die in den neuen Tower ziehen sollen“, | |
sagt er. „Absageschreiben, die den angebotenen Job mit Verweis auf den | |
durch Amazon angerichteten Schaden ablehnen, könnten ein sehr effektives | |
Mittel sein“. | |
Das sieht auch Katja Schwaller so: „Zusammenschlüsse von | |
Basisgewerkschaften, kritischen Tech-Arbeiter:innen und | |
Antigentrifizierungsaktivist:innen bieten ein großes Potenzial“, sagt die | |
Wissenschaftlerin. Das habe etwa der Protest im New Yorker Stadtteil Queens | |
gezeigt, wo der Widerstand gegen das geplante Amazon-Hauptquartier so | |
massiv war, dass [15][der Konzern seine Pläne im Februar 2019 aufgeben | |
musste]. | |
Der erfolgreiche Protest in New York ist auch Vorbild für die | |
Aktivist:innen in Berlin. Gerade Menschen wie Laura Wadden und Yonatan | |
Miller, die aus dem Ausland hergezogen sind, haben große Hoffnungen in das | |
hiesige Widerstandspotenzial: „Wenn es nicht in Berlin funktionieren wird, | |
wird es nirgendwo funktionieren“, sagt Miller. Angesichts der vielfältigen | |
Protestgeschichte und -szene in Berlin habe sie Hoffnungen, dass die Stadt | |
sich im Kampf gegen die Tech-Giganten behaupten werde, sagt Wadden. „Ich | |
glaube, dass Berlin ein einzigartiger Ort ist, der eine starke und populäre | |
Bewegung gegen diese Entwicklungen hervorbringen kann.“ | |
Dass es ein einfacher Kampf wird, glaubt allerdings niemand: „Amazon ist | |
ein sehr mächtiger Gegner“, sagt Miller. Anders als Google, wo das frühere | |
Firmenmotto „Don’t be evil“ verdeutlichte, wie wichtig dem Konzern ein | |
positives Image ist – was auch den Berliner Aktivist:innen eine | |
Angriffsfläche bot –, sei Amazon schlechte Presse längst gewohnt. | |
Doch ganz egal scheint dem Konzern sein Image nicht zu sein. „Egal wo wir | |
tätig sind und in Zukunft tätig sein werden – unser Ziel ist immer, ein | |
guter Nachbar zu sein“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens auf | |
taz-Anfrage. Die Kritik an den Berliner Plänen nehme die Firma ernst, „wir | |
möchten, dass mit uns gesprochen wird anstatt über uns“. Amazon sei „ein | |
guter Arbeitgeber“, der in Deutschland mehr als 20.000 festangestellte | |
Mitarbeiter:innen beschäftige. Und diese wiederum seien gute Menschen: | |
„Unsere Mitarbeiter engagieren sich auf vielfältige Weise, etwa in der | |
Zusammenarbeit mit lokalen Tafeln und der Arche“, betont die Sprecherin. | |
## Berlin setzt auf die Digitalisierungsbranche | |
Doch die Frage ist nicht nur, inwiefern sich der Konzern selbst empfänglich | |
für Kritik zeigen wird. Sondern auch, inwiefern ihm die Stadt „den roten | |
Teppich ausrollt“, wie Katja Schwaller es nennt. Dass die Ansiedlung großer | |
Tech-Unternehmen von Wirtschaftsvertreter:innen begrüßt wird, ist klar. Als | |
Baustadtrat Florian Schmidt sich im Herbst erlaubt hatte, an der | |
Berlin-Kompatibilität der Pläne für den Büroturm zu zweifeln, forderte Jan | |
Eder, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, der Senat müsse das | |
Projekt zur Chefsache machen. „Investoren werden abgeschreckt statt | |
begrüßt. Das ist eine wirtschaftspolitische Harakiri-Strategie mit weltweit | |
negativer Ausstrahlung“, so Eder [16][damals in der Morgenpost]. | |
Mit Ramona Pop hat Berlin eine grüne Wirtschaftssenatorin – doch ob diese | |
in einem solchen Streit der Position ihres Parteikollegen Florian Schmidt | |
zugeneigt ist, darf bezweifelt werden. Eine Anfrage der taz dazu, welche | |
Strategie die Senatsverwaltung für Wirtschaft bezüglich des Zuzugs großer | |
Tech-Unternehmen verfolgt, lässt diese unbeantwortet. Doch Pop hat schon | |
oft deutlich gemacht, dass sie in Berlin ganz besonders auf die | |
Digitalisierungsbranche setzt. | |
In einem im November erschienenen [17][Gastbeitrag für die Zeitung Die | |
Welt] etwa spricht die Senatorin in den höchsten Tönen von dem „Berliner | |
Boom“, davon, wie in Berlin der „Strukturwandel“ gelinge und sich die Sta… | |
insbesondere dank Tech- und Start-up-Branche über wirtschaftliches Wachstum | |
freuen könne. Am Ende des Textes wird zwar erwähnt, dass diese Entwicklung | |
auch Schattenseiten habe: „Höhere Lebenshaltungskosten gefährden einen | |
Standortvorteil der Stadt“, heißt es da. Wie genau die Senatorin aber | |
wirtschaftlich steuern möchte, um diese Entwicklungen zu verhindern, lässt | |
sie offen. | |
Die überschwänglichen Töne, in denen auch Berliner Politiker:innen die | |
Tech-Unternehmen begrüßen, beobachtet Wadden mit Sorge. „Das ist der | |
gleiche schreckliche Fehler, den die Demokraten in den USA gemacht haben“, | |
sagt sie. „Sie glauben, dass die Tech-Branche zu ihnen passt, weil sie | |
[18][die gleichen liberalen Werte] teile. Aber wenn man sich anschaut, wie | |
diese riesigen Konzerne funktionieren und was sie anrichten, wird klar, | |
dass sie zutiefst antidemokratisch sind.“ | |
Sie betont, wie viel die Stadt zu verlieren habe: „Als ich nach Berlin zog | |
und den öffentlichen Nahverkehr hier sah, habe ich gedacht: Oh, diese Dinge | |
können also auch tatsächlich funktionieren“, sagt sie und lacht. Sie hofft, | |
dass Berlin einen anderen Weg einschlagen wird als Städte wie San | |
Francisco, wo die Mitarbeiter:innen der Tech-Unternehmen in privaten | |
Shuttle-Bussen zu ihren Arbeitsplätzen gefahren werden, während der | |
öffentliche Nahverkehr von Jahr zu Jahr mehr verfällt. Oder Seattle, wo | |
die Ansiedlung von Tech-Unternehmen wie Amazon die Mietpreise so | |
explodieren ließ, dass heute Mittelschichtsfamilien gezwungen sind, in | |
ihren Autos zu leben. | |
Wadden weiß, dass es in Deutschland [19][mehr Regulierung gibt], mehr | |
Mieterschutz, weniger Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge als in | |
den USA. Trotz dieser schützenden Faktoren hat sie Angst vor dem, was die | |
Ansiedlung großer Tech-Unternehmen auch in Berlin bedeuten könnte. „Deals | |
mit diesen Unternehmen zu schließen bedeutet, einen Pakt mit dem Teufel | |
einzugehen“, sagt sie. „Sie werden sich nicht um deine Stadt scheren, sie | |
werden sich nicht um die Allgemeinheit scheren, sie werden sich um gar | |
nichts scheren außer ihren eigenen Profit, egal was sie vorher | |
versprechen.“ | |
Dass es nicht leicht werden wird, eine solche Entwicklung aufzuhalten, | |
wissen Wadden, Miller und die anderen ganz genau. Versuchen wollen sie es | |
umso entschlossener. Der Turm wackelt einmal, er wackelt zweimal, dann | |
kippt er um. | |
14 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Stadtentwicklung-und-Gentrifizierung/!5647537 | |
[2] /Protest-gegen-Gentrifizierung-in-Berlin/!5531109 | |
[3] /Multikonzern-im-oeffentlichen-Raum/!5642123 | |
[4] /Adventsstreik-bei-Amazon/!5648424 | |
[5] /Retouren-im-Online-Handel/!5628733 | |
[6] /Steuerdeals-von-Apple-und-Amazon/!5452119 | |
[7] https://www.theguardian.com/us-news/2019/jul/11/amazon-ice-protest-immigran… | |
[8] /Brand-in-Oakland/!5363248 | |
[9] /Sammelband-Technopolis/!5641703 | |
[10] /Google-Campus-gibt-in-Kreuzberg-auf/!5543348 | |
[11] /Mietendeckel-in-Berlin/!5628554 | |
[12] /Neue-Vermieterstrategien-in-Berlin/!5638744 | |
[13] /Vorgehen-gegen-US-Whistleblowerin/!5596207 | |
[14] https://techworkerscoalition.org/ | |
[15] /Amazon-kuscht-vor-New-York/!5570946 | |
[16] https://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain-kreuzberg/article22740400… | |
[17] https://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article203598882/Gastkommentar-… | |
[18] /Abschied-von-einem-liberalen-Traum/!5556296 | |
[19] /Regeln-fuer-Tech-Firmen/!5645039 | |
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Malene Gürgen | |
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