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# taz.de -- Frühstück auf Reisen: Noch ’n Toast, noch ’n Ei
> Mal wird es mit Liebe serviert, mal mit Alufolie. Mal luxuriös, mal
> bescheiden: Jedes Frühstück auf Reisen ist ein Unikat. Ein kulinarisches
> Tagebuch.
Bild: Sieht aus wie ein Geburtstagsfrühstück
## Erstes-Mal-Frühstück
Zehdenick, Brandenburg, 12. Juli 2020
Das ist das erste Frühstück auf der ersten Fahrradreise meines Lebens. Ich
liebe erste Male und sitze um 7 Uhr frisch geduscht und mit gepackter
Fahrradtasche als einziger Gast im Frühstücksraum der alten Pension. Das
Buffet ist bescheiden und so richte ich auch meinen Teller ein: Dinkelbrot,
Butter, Käse, Marmelade, dazu eine Kiwi und Joghurt mit Müsli. In der Küche
summt eine blondierte Frau einen Popsong mit, ihr blauer Mundschutz passt
zu ihrer karierten Schürze. Als sie meine Kaffeetasse nachfüllt, sehe ich
eine Bandage um ihr linkes Handgelenk, traue mich aber nicht, sie darauf
anzusprechen. „Sind Sie alleine unterwegs?“, fragt die Frau. „Nicht
alleine. Mit mir“, antworte ich. Sie schaut mir in die Augen und nickt.
## Blumenfrühstück
Alt Sammit, Mecklenburg-Vorpommern, 16. Juli 2020
Ich bin hungrig, als ich ein Schild sehe: „Kaffee, 200 Meter“. In einem
Vorgarten voller Blumen, Windrädchen, Zwerge und anderer Gartenfiguren
serviert mir eine kleine ältere Dame mein Frühstück auf geblümtem
Porzellangeschirr: Milchkaffee und Apfelkuchen, mit Sahne. Sie zeigt auf
den Apfelbaum vor uns. „Hausgemacht“, sagt sie. Die schwarze Katze, die an
meinen Füßen schnurrt, habe einmal eine Schlange gefressen, erzählt sie.
„Dann ist sie verrückt geworden und biss sogar den Hund.“ Roisin, so heißt
die Frau, ist ihr ganzes Leben Floristin gewesen. Sie liebe es, mit
Menschen zu reden.
## Nacktfrühstück
Glendelin, Mecklenburg-Vorpommern, 22. Juli 2020
Meine Freundinnen sind extra angereist, um meinen Geburtstag mit mir zu
feiern. Als ich früh am Morgen aus der Dusche des Wagenplatzes komme,
wartet das Geburtstagsfrühstück schon auf mich: Girlanden, Blumen und
Geschenke liegen auf dem Gartentisch aus Plastik. Es gibt Marmorkuchen und
Baklava mit Geburtstagskerzen, auch um Toast, Rührei, Kräutertee und Kaffee
haben sich die Freundinnen gekümmert. Ich fühle mich glücklich und spüre
den Impuls, meinen Bademantel auszuziehen.
## Handschuhfrühstück
Füssen, Bayern, 20. September 2020
Als ich die Einweghandschuhe auf dem Teller entdecke, muss ich an
dystopische Filme denken. Ich habe in Coronazeiten vieles gesehen –
Buffets, von denen man sich nichts nehmen darf, Lebensmittel in
Frischhaltefolie, Frühstückstüten vor der Hotelzimmertür –, das aber noch
nicht. Eine Maske trägt jedoch niemand, es wird gehustet. Durch die
schmalen Fenster im weiß erleuchteten Frühstückskeller höre ich den Regen
und wünsche mir, ich könnte nach dem Frühstück wieder ins Bett. Doch ich
muss weiter nach Süden fahren. Ich tröste mich mit Laugenbrezen mit Obazda,
süßem Senf und Kartoffelsalat. Ich könnte ein Bier vertragen.
## Recyclingbrotfrühstück
Landeck, Österreich, 23. September, 2020.
In der Familienpension sitzen alle Gäste in der Küche am gleichen
Frühstückstisch: eine Gruppe Männer in Fahrradklamotten, ein Mann, der
Kreuzworträtsel löst und ich. Das Frühstück ist okay: Kaffee, ein Ei, zwei
Käsescheiben, Butter, Erdbeermarmelade und zwei Scheiben Brot. Nur ist eine
Scheibe bei mir kleiner als die andere. Als hätte jemand ein bereits
abgebissenes Brotstück mit dem Messer weggeschnitten.
## Kruzifixfrühstück
Nauders, Österreich, 24. September, 2020.
„Zimmer frei“ steht vor dem Alpenhaus voller roten Geranien, eine
schwarz-weiße Katze schläft vor der Tür. Ich klingele, ein älteres Paar
stellt sich vor: Gerlinde und Robert. Ich kann kaum verstehen, was sie auf
Tirolerisch sagen. Überall im Haus sind Kruzifixe und ausgestopfte Tiere,
auch im Frühstückszimmer. Außerdem Spitzenvorhänge, geblümte Tischdecken
und Urkunden, die viel über Robert erzählen: dass er bei der Feuerwehr und
Tiroler Bergwacht war und dass er 50 Jahre lang einen Mercedes fuhr und
Trompete spielte. Vor mir auf dem Tisch: Kaffee und Milch, Obst, Käse,
Vollkorn- und Toastbrot, Quark, Müsliriegel und ein Ei, bedeckt von einer
gehäkelten Eierwärmer-Henne. Ich frage mich, wie ich das alles essen soll,
als Gerlinde mit Alufolie in der Hand den Raum betritt. „Sie brauchen
Energie“, sagt sie. „Sie müssen es heute nach Italien schaffen.“
## Reisfrühstück
Damsdorf, Brandenburg, 15. Mai 2021
Umgeben von blühenden Apfelbäumen sitze ich im Garten der Ferienwohnung.
Katzen liegen in der Sonne, Schmetterlinge und Bienen fliegen herum. Als
Stärkung für die 80 Kilometer, die ich mit dem Rad bis Berlin noch vor mir
habe, frühstücke ich Reis mit Bohnen und Spiegelei und teleportiere mich in
Gedanken nach Lateinamerika, wo der Tag auf Wochenmärkten mit scharfen
Eintöpfen, Fleisch und anderen kräftigen Mahlzeiten beginnt.
## Frühstück mit Wunder
Putbus, Rügen, 19. Juli 2021
In einem Heubett habe ich noch nie geschlafen. Es riecht nach Land, es
pikst durch den Schlafsack, es ist warm und gemütlich. Als Frühstück kann
man nur Brötchen vorbestellen, also gehe ich mit zwei Brötchen und einer
Banane, die ich noch hatte, in die Küche, ein Pavillon im Garten. Dort, ein
Wunder!, hat jemand Instantkaffee und Kaffeesahne zurückgelassen.
## Stockbrotfrühstück
Thesenvitz, Rügen, 23. Juli 2021
Am Abend kommt die Feuertonne nicht zum Einsatz. Wir sitzen in der
Dunkelheit vor unserem Wohnwagen und sehen im Feld ein Licht, das plötzlich
verschwindet. Wir sperren uns im Wagen ein und schreiben der
Airbnb-Gastgeberin, wer das sein könnte. „Jemand, der mit dem Hund
spaziert, vielleicht? Hier werden keine Krimis gedreht“, antwortet sie am
Morgen und wir lachen. Dann machen wir endlich das Feuer an und frühstücken
Stockbrot und schwarzen Kaffee.
## Musikerfrühstück
Köln, 24. Oktober 2021
Ein rothaariges Kind trägt ein Glas Orangensaft in jeder Hand zu seinem
Tisch. Die Farben passen zum dunklen Holz im Frühstückscafé des
traditionellen Hotels im Agnesviertel. Rosen stehen auf dem Tisch, von der
herbstlichen Sonne beleuchtet. Luftige Mini-Rosinenschnecken, knusprige
Pains au chocolat, Butterflocken schmelzen auf warmem Baguette. Alles sehr
französisch. Im Raum wird aber vor allem Englisch gesprochen. „It’s sunday.
See you at the church“, sagt jemand. Es sind Menschen mit klassischen
Instrumenten da, einige tragen Sonnenbrille und sehen aus wie verkaterte
Rockstars.
## Angespanntes Frühstück
Bremen, 24. April 2022
Hier sehen beim Frühstück alle so steif aus, dass das Ananasstück nach Sand
schmeckt, die Honigmelone nach Stein und das weichgekochte Ei nach Glas.
Die schweigenden Ehepaare sind ein Klassiker des Hotelfrühstücks, doch auch
die Familie mit den blonden Teenagern guckt nur auf die Teller und räuspert
sich. „Alles Gute zum Geburtstag, Schatz“, sagt plötzlich der Mann am
Nebentisch. Der Kellner bringt eine Sektflasche und einen Kuchen mit Kerzen
(„34“). Das Geburtstagskind pustet sie aus und küsst seinen Partner. Alle
Blicke drehen sich zu den Männern. „Herzlich willkommen und guten Appetit“,
lese ich auf meiner Serviette.
## Zugfrühstück
Athen, Griechenland, 29. Mai 2022
Es wird gerade hell und wir rennen, um die Verbindung zum Hafen von Piräus
nicht zu verpassen. Die Bäckerei am Monastirakiplatz hat zum Glück schon
geöffnet und es duftet nach frischem Gebäck. Schnell holen wir uns
Spanakopita (Spinatpastete), Cappuccino und Orangensaft (mit Eiswürfeln).
Das Frühstück genießen wir im Zug, bis uns jemand auf Englisch anspricht:
Wir dürfen die Maske nicht absetzen.
## Choreografiertes Frühstück
Paros, Griechenland, 4. Juni 2022
Nach dem Yoga ist vor dem Tanz, dazwischen das Frühstück. Die
Teilnehmer*innen des viertägigen Workshops bewegen sich mit ihren
weißen Schüsseln in der Hand um den eiförmigen Tisch, als wäre es eine
Choreografie. Sie machen kleine Schritte und stellen ihr Müsli oder
Porridge zusammen. Es gibt: griechischen Joghurt, klein gehackte
Obststücke, Nüsse, Datteln, getrockneten Pfirsich und Feigen, Müsli,
Porridge, Honig und Sirup. Die Runde dreht sich immer weiter. Das sei das
Allerbeste der Welt, hört man immer wieder, wenn jemand vor dem Joghurt
hält.
## Meerblickfrühstück
Helsingør, Dänemark, 12. Juli 2022
Das Schreiben fällt mir schwer, weil ich beide Hände brauche: Nichts darf
kalt werden, nichts darf ich verpassen. Da das Frühstück nur von 8 bis 9
Uhr serviert wird, benötigte ich noch mehr Hände, wie der indischen Gott
Ganesha. Auf einmal gehöre ich zu den Menschen, die sich verzweifelt
mehrere überfüllte Teller holen. Sind deshalb alle Gäste so lebhaft?
Herrscht deswegen keine Stille? Weil alles hier so gut schmeckt? Das Beste:
der Käsehobel und die 5-Liter-Kaffeemaschine, 24 Stunden im Einsatz. Nein,
das Beste ist, dass die Sonne mir ins Gesicht scheint und ich durchs
Fenster das Meer und das Hamlet-Schloss sehe. Ich entscheide mich, einen
Tag länger in der Jugendherberge zu bleiben, um noch einmal so ein
Frühstück erleben zu dürfen.
## Positives Frühstück
Smidstrup Strand, Dänemark, 13. Juli 2022
„Positive Mind, Positive Vibes, Positive Life“ steht auf meiner Serviette,
die Milchkanne hat einen herzförmigen Mund. Louise, die Gastgeberin,
schickt mir eine SMS: „Guten Morgen! Möchtest du Tee oder Kaffee?“ Um 8.30
Uhr kommt sie mit einem riesigen Tablett die Treppe hoch. Die Pastellfarbe
ihres Nachthemdes passt zur Küche, alles im Haus ist farbig abgestimmt. Es
riecht nach Kaffee und Brot, dazu gibt es salzige Butter, hausgemachte
Himbeermarmelade und Birne-Thymian-Konfitüre, Honig, Granola und Apfelsaft.
Alles bio und regional, auch der mit Paprika dekorierte Aufschnitt – ich
vergaß zu sagen, dass ich Vegetarierin bin. Am nächsten Morgen ist mein
Frühstück doppelt so groß. „Sorry für das Fleisch!“, steht auf einem
Kärtchen, darunter Blümchen und Smileys.
## Krimifrühstück
Frederiksvaerk, Dänemark, 16. Juli 2022
Die Countrymusik passt nicht zum Salon mit Plastikblumen und Bonsai, rotem
Teppich und Kronleuchter mit Fransen. Alle Tische sind mit Ikea-Tassen
gedeckt, blau, türkis und grün. Das Highlight: eine Sandwichmaschine. Als
ich vor ihr Schlange stehe, sehe ich durchs Fenster, wie ein Polizeiauto
vor dem Hotel parkt. Ein Polizist guckt sich auf dem leeren Spielplatz um
und klopft an die Rezeptionstheke. Er tauscht ein paar Wörter mit dem
Rezeptionisten und verschwindet wieder. Ich stelle mir einen
skandinavischen Krimi vor und durchforste die Lokalzeitungen, die auf dem
Tisch liegen.
## Lieblingsfrühstück
Berlin-Kreuzberg, 18. Juli 2022
Im Morgengrauen steige ich aus dem Flixbus und fahre mit dem Rad durch die
leere Stadt nach Hause. Ich brauche Kaffee. Den bekomme ich erst am
Südstern. Mit einem Croissant und einem frisch gepressten Orangensaft –
mein Lieblingsfrühstück überhaupt. Ich fühle mich zu Hause und doch noch
auf der Reise. Ich hole mein Notizbuch aus der Tasche und fange an zu
schreiben.
## Butterfrühstück
Leipzig, 25. September 2022
Die Bäckerei an der Ecke Könneritz-/Holbeinstraße ist geschlossen. Wir
haben gleich einen Termin und bleiben im kleinen Café nebenan, auch wenn
alle Tische im Schatten stehen. „Ich bin die Speisekarte“, sagt die Frau,
nach der (vermuten wir) der Laden benannt ist, als wir nach langem Warten
reingehen und danach fragen. Sie trägt einen Teller mit Rührei in jeder
Hand und zählt alle Frühstücksoptionen auf. Wir entscheiden uns für Kaffee
und Croissants, weil es uns am schnellsten vorkommt. Doch die Croissants
müssen noch in den Backofen, teilt sie uns mit. Mit den Croissants bekommen
wir eine Portion Butter, die wir darauf schmelzen lassen. Butter mit
Butter, aber lecker.
## Landfrühstück
Berlin-Buch, 9. Oktober 2022
Auf dem Weg nach Brandenburg. Kurz vorm Stadtrand spielen zwei Kinder an
einem Bach. Ich finde den Platz am Ufer perfekt für eine Frühstückspause,
breite eine karierte Picknickdecke aus und packe Joghurt, Käse, Birnen,
einen Apfel und eine Thermoskanne mit Tee aus meiner Fahrradtasche. Ein
roter Traktor fährt hin und her. Vögel zwitschern. „Nein“, sagt immer
wieder die Oma, wenn die Kinder irgendwas ins Wasser zu werfen versuchen.
Der Papa, ein großer Typ mit Glatze, kommt mit Hund vorbei und schaut mich
irritiert an. Ich hebe meine Tasse als Begrüßung und frühstücke weiter, er
nickt. „Hallo, Papa“, rufen die Kinder. „Schau mal. Wir sind im Paradies!…
Ich schneide mir einen Apfel und mag es, wie mein Taschenmesser in der
Sonne glänzt.
20 Nov 2022
## AUTOREN
Luciana Ferrando
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