# taz.de -- Beste Croissants in Paris: Aufgehende Halbmonde | |
> Außen goldbraun und knusprig, innen luftig, weich und buttrig. Unsere | |
> Autorin macht sich in Paris auf die Suche nach dem perfekten Croissant. | |
Bild: Filigran, sehr luftig und mit einer tolle Butternote: das Croissant von �… | |
Wann immer ich in Frankreich bin und den letzten Bissen eines Croissants | |
gegessen habe, würde ich am liebsten direkt in die nächste Boulangerie | |
gehen, um mir ein zweites zu kaufen. In der Regel mache ich das nicht, weil | |
es mir maßlos und dekadent erscheint. Dieses Mal habe ich eine Ausrede: Ich | |
will das beste Croissant von Paris finden. | |
Aber wo anfangen, angesichts von über 1.000 Handwerksbäckereien, die es | |
hier geben soll? Zum Aufwärmen lasse ich den Zufall entscheiden: Ich gehe | |
in die erste Bäckerei, die mir ins Auge fällt. Boulangerie Saines Saveurs | |
steht auf der Fassade. Links davon eine Boucherie, rechts eine Fromagerie – | |
willkommen in Frankreich! | |
Das Croissant kostet französisch-moderate 1,25 Euro und kommt in einer mit | |
dem Eiffelturm bedruckten Tüte. Optisch macht es einen guten Eindruck, es | |
ist golden und luftig gebacken. Ich reiße ein Stück ab. Diese Reißprobe ist | |
mein Trockentest, der mir – noch vor dem Probieren – verrät, was es | |
geschmacklich drauf hat. Womit wir bei der zentralen Frage wären: Was | |
zeichnet ein gutes Croissant aus? | |
Außen sollte es goldbraun und knusprig gebacken sein (sodass es eine nach | |
Karamell schmeckende Kruste bekommt, die beim Reinbeißen aufs T-Shirt | |
bröselt), innen luftig, weich und buttrig (als würde es im Mund schmelzen), | |
keinesfalls aber speckig. Und das Wichtigste: möglichst viele hauchdünne | |
Schichten, die so durchsichtig wie Seidenpapier und elastisch wie Kaugummi | |
sind. | |
## Dreißig durch Fett getrennte Teigschichten | |
Für diese filigrane Architektur braucht es Zeit, Geschick und einen mit | |
Hefe gedopten Blätterteig. Und natürlich: viel Butter. Genauer: eine flach | |
geklopfte Butterplatte. Wie ein Geschenk wird diese in den Teig gepackt, | |
der anschließend ausgerollt und immer wieder gefaltet wird. Das Ergebnis | |
dieser Tourage sind an die dreißig durch Fett getrennte Teigschichten. Im | |
Backofen verdampft das in der Butter enthaltene Wasser, drückt die | |
einzelnen Lagen auseinander. Das Croissant bläht sich auf. | |
Es ist diese Kombination aus Elastizität und Luftigkeit, die ein Croissant | |
ausmacht. Eine bestandene Reißprobe läuft demnach wie folgt ab: keine | |
glatte Risskante, sondern lange geschichtete Teigstränge, die sich wie ein | |
Akkordeon auseinanderziehen. Bei meinem ersten Croissant funktioniert das | |
nur bedingt. Es fehlt die Elastizität, der Schmelz. | |
Ab nun wird es strategisch: Es gilt, eine nach gewissenhafter Recherche | |
erstellte Liste abzuarbeiten. Für Nummer zwei fahre ich zu Poilâne, wo in | |
dritter Generation [1][nach alter Tradition gebacken wird]: mit Holz | |
befeuerte Steinöfen, lange Teigruhen, steingemahlenes Mehl. Heute gibt es | |
sechs Geschäfte – fünf in Paris, eines in London – und einen | |
internationalen Onlineshop. Die Rezepte aber sind, wie mir die Verkäuferin | |
versichert, unverändert: „Pur beurre!“ Keine billige Margarine, sondern | |
beste französische Butter und feinstes Mehl. | |
Auch die ungewöhnliche Form entspringt der Liebe zur Tradition. Das | |
Croissant ist kein typischer Halbmond, sondern rundlich, mit sich küssenden | |
Enden. Die originale Form, wie ich lerne, die außerdem von der „besonderen | |
Liebe zum Detail seitens des Bäckers“ zeuge. Eine schöne Geschichte, doch | |
geschmacklich kann es mich nicht überzeugen. Dafür ist es zu fest und etwas | |
blass. | |
Ganz in der Nähe liegt die Boulangerie Utopie, die schon lange auf meiner | |
kulinarischen To-do-Liste steht. Sie wurde 2014 von zwei Freunden | |
gegründet, die [2][mit ihren Hipsterbärten] für eine neue Generation von | |
Bäckern stehen. Tradition? Ja! Angst, mit ihr zu brechen? Nein! In der | |
Auslage liegen klassische Rosinen- neben mit Aktivkohle gefärbten | |
Sesamschnecken. Sieht auch verlockend aus – doch für heute bleibe bei | |
meiner Croissant-Diät. | |
Die Reißprobe ist vielversprechend: hauchdünne Schichten, die sich wie | |
Kaugummi in die Länge ziehen. Beim Reinbeißen blättert es ordentlich. Das | |
Croissant ist dunkel gebacken, am Rand keksknusprig (was mir sehr zusagt, | |
ich habe eine Schwäche für dunkel gebackene Kuchenränder). Innen ist es | |
weich und saftig. Man schmeckt die Butter – aber man schmeckt nicht, dass | |
es mehr als 20 Gramm sind (nachzulesen im ausliegenden Rezeptbuch). Ich | |
überschlage: Drei Croissants … macht rund einen Viertel Block Butter. Genug | |
für einen Tag! | |
Am nächsten Morgen ist die Butter verdaut und ich fahre zur Boulangerie | |
Sain – ein Tipp von einem Freund, der in Paris als Bäcker gearbeitet hat. | |
Hier werden alle Teige von Hand geknetet, schwärmt er. Erster Eindruck: Die | |
Tüte ist deutlich schwerer. Sain ist nicht die einzige Bäckerei, die mit | |
Biozutaten arbeitet, doch dieses hier erinnert an die Croissants, die man | |
oft in Bioläden bekommt. Sehr kompakt und gehaltvoll, als wäre es mit | |
gröberem Mehl gebacken. Es schmeckt süßer und irgendwie blumig. Zimt? | |
Vanille? Mal was anderes, aber mein Favorit wird es nicht. | |
Fünf Minuten Fußweg, dann stehe ich für ein zweites Frühstück vor Du Pain | |
et des Idées. Inhaber Christophe Vasseur verkaufte früher Seidentücher. | |
Ausgerechnet ein Quereinsteiger war es, der vor 20 Jahren die immer | |
industrieller arbeitende Bäckerszene in Frage stellte. Mit Geduld und | |
„lebendigem“ Mehl aus alten Getreidesorten hat er sich weit über Frankreich | |
hinaus einen Namen erbacken. Sein Croissant besteht aus hauchdünnen | |
Schichten, ist filigran, sehr luftig und hat eine tolle Butternote; als | |
Produktfetischist nimmt Vasseur nur das Beste vom Besten. So gut das | |
Croissant ist – vollends begeistert bin ich von der unglaublich saftigen | |
Chausson aux Pommes, die ich mir nicht verkneifen konnte. | |
Betankt mit frischen Vitaminen geht es ins 10. Arrondissement zu Christophe | |
Michalak, dem langjährigen Patisserie-Chef des legendären Plaza Athénée. | |
„Halte dich an die Berühmtheiten“, hat mir ein französischer Freund | |
geraten. Also an Chef-Patissiers aus besternten Restaurants, die in | |
Frankreich wie kleine Stars gehandelt werden und früher oder später meist | |
ihren eigenen Laden aufmachen. Jüngster Neuzugang: Michalaks Kopain, hell | |
und luftig wie ein Showroom, auf Holzbrettern die kunstvolle Ware. Der Name | |
ist eine Anspielung auf den französischen Freund (copain), der wie der | |
Kumpane vom lateinischen cum pane abstammt. Freund ist, mit wem ich mein | |
Brot teile. Oder mein Croissant. | |
## Und dann noch die Croissant-Brezel | |
„Haben wir hier leider nicht“, entgegnet der nette Verkäufer. Stattdessen, | |
„Signature du Chef“, die Croissant-Brezel. Der Teig ist flaumig, Sesam und | |
Meersalz sorgen für milde Exotik und die schneckenartige Form für schöne | |
Röstaromen. Anwärter auf das perfekte Croissant? Schwierig. Als würde man | |
die berühmten Äpfel mit Birnen vergleichen. Das Teil ist wirklich lecker. | |
Aber wenn ich Heißhunger auf ein Croissant habe, muss es doch ein | |
klassisches sein. | |
Klassischer als das Nächste geht es kaum. Die Boulangerie Carton hat | |
[3][beim diesjährigen „concours du meilleur croissant au beurre“] gewonnen. | |
Alle Jahre wieder kürt eine fachkundige Jury das beste Croissant der Stadt. | |
Bewertet werden Aussehen, Textur, Geruch und Geschmack. Was also kann das | |
diesjährige Gewinner-Croissant? Es wird auf einem Plastiktablett serviert, | |
schmeckt aber einwandfrei. Vielleicht etwas zu süß. Und, auch das ist eine | |
persönliche Vorliebe, es ist ein wenig zu weich. | |
Am nächsten Tag steuere ich eine weitere preisgekrönte Bäckerei an: | |
Frédéric Comyn bäckt das „meilleure baguette 2022“, das er nun ein Jahr | |
lang an den Élyséepalast liefern darf. Da es in französischen Bäckereien | |
laut meinem Bekannten nur um zwei Dinge geht – „Croissant und Baguette ist | |
das Einzige, was zählt!“ – liegt der Gedanke nahe, dass der Meister des | |
Baguettes auch gute Croissants macht. In diesem Fall geht die Gleichung | |
nicht ganz auf. Das Baguette ist hervorragend, das Croissant mit 1,10 Euro | |
zwar unschlagbar günstig, dafür aber auch etwas mehlig und leicht. Wurde | |
hier etwa an der Butter gespart? | |
Endspurt: Nummer neun führt mich in eine weitere Boulangerie der Kategorie: | |
jung, hip, innovativ. Eröffnet von weitgereisten Bäckersfreunden, die | |
irgendwann beschlossen, mit frischen Ideen in die Heimat zurückzukehren. | |
Allein der nicht französische Name, French Bastards, bringt manch Franzosen | |
in Rage. Anders als beim vorherigen Bäcker wurde hier nicht am Fett | |
gespart. Diese Buttrigkeit muss man mögen. Ich bevorzuge es leichter. | |
Dennoch: ein sehr gelungenes Exemplar mit feinblättriger Textur und nach | |
Karamell schmeckender, dunkler Kruste. | |
So könnte, müsste es ewig weiter gehen. Nur: Egal wie viele Croissants ich | |
koste, die Suche bleibt subjektiv und lückenhaft. Zum Abschluss fahre ich | |
ins 5. Arrondissement, wo Bruno Solques in seinem „leicht schrulligen | |
Laden“ die „besten Croissants der Stadt backt“. Sagt der französische | |
Kellner, mit dem ich am Vorabend ins Gespräch gekommen bin. Leider ist | |
heute Samstag, und am Wochenende bleiben Brunos Öfen kalt. Blöd. | |
Andererseits (Ich hätte nie gedacht, das ich das mal sage!) ist mein | |
Verlangen nach Croissants momentan eh gestillt. | |
Bis zum nächsten Tag, an dem ich auf dem Weg zum Bahnhof noch mal in der | |
Boulangerie Utopie vorbeigehe, um mir mein Siegercroissant für den Heimweg | |
zu holen. | |
15 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Verena C. Mayer | |
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