| # taz.de -- Zeitmanagement als Gastwirt: Auch Wirte kennen Murphys Gesetz | |
| > Gastwirtschafts- und Landwirtschaftsbetriebe haben einiges gemeinsam. Und | |
| > doch gibt es Unterschiede. Etwa der, dass Tiere keine Bewertungen | |
| > abgeben. | |
| Bild: Pflanzen und Tiere schwingen im Rhythmus der Natur: Milchkuh bei Neukirch… | |
| Man darf sich keine Illusionen machen: Wer einen gastronomischen Beruf | |
| wählt, sollte sich von einem Konzept wie dem festen Feierabend | |
| verabschieden, wie auch von einer irgendwie gearteten x-Stunden-Woche, von | |
| so etwas wie Gleitzeit oder Kernarbeitszeit. All diese Arbeitszeitmodelle | |
| wurden ursprünglich in der Arbeiter- und Angestelltengesellschaft ersonnen | |
| und in der Dienstleistungsgesellschaft weiterentwickelt. Klar: Man kann es | |
| als zivilisatorische Errungenschaft ansehen, wenn das Leben zweigeteilt ist | |
| zwischen Arbeit und Freizeit, muss es aber nicht. | |
| Ich sehe es mehr und mehr so: Gastwirtschaft hat, was den Faktor | |
| Zeitmanagement angeht, viel mit Landwirtschaft zu tun. Eine Maschine lässt | |
| sich abschalten, ein Computer auch. Aber keine Pflanze auf dem Feld, kein | |
| Tier im Stall, und der Gast im Hotel erst recht nicht. Und dafür muss man | |
| sie lieben – also Pflanzen, Tiere und Gäste. | |
| Murphys Gesetz, demzufolge alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen | |
| wird, lautet beim Wirt: Setzt man sich selbst zum Essen hin, öffnet sich | |
| die Gasthaustür. Es ist dieselbe Zwangsläufigkeit wie bei der Zigarette an | |
| der Haltestelle. Der Bus kommt, bevor man aufgeraucht hat. | |
| Das war es dann aber auch mit der Regelmäßigkeit. Pflanzen und Tiere | |
| schwingen im Rhythmus der Natur, Gäste dagegen in ihrer Individualität, | |
| heißt: Es ist die totale Unvorhersagbarkeit. Genau dann, wenn man glaubt, | |
| einen Erfahrungswert zu haben, wird er widerlegt. | |
| So versuche ich seit Monaten abzuschätzen, wie viele Brötchen ich fürs | |
| Frühstück brauche: Eins pro Gast ist zu wenig, zwei sind immer zu viel. Im | |
| Durchschnitt werden 1,6 Brötchen pro Person gegessen. Aber jede Wette: Lege | |
| ich genau so viele bereit, bei 18 Gästen 29 Brötchen, sind es am Ende meist | |
| eines zu wenig oder sechs zu viel. | |
| Auch die Idee von Check-in-Zeiten ist Gästen kaum nahe zu bringen. Und das | |
| ist die nächste Parallele zur Landwirtschaft: Einen Stall muss man | |
| ausmisten, ein Hotel auch. Alle Betten zu machen, die Bäder zu putzen geht | |
| am schnellsten, wenn das Haus leer ist. Und dauert dann mit der besten | |
| Zimmerfrau der Welt ein paar Stunden. Deshalb gibt es feste An- und | |
| Abreisezeiten – und massenhaft Gäste, denen das nicht in die Planung passt. | |
| Was, wenn ein Gast erst um 11 Uhr den Schlüssel abgibt, der nächste aber um | |
| 11.30 Uhr ins selbe Zimmer will – unangekündigt und mit der Begründung: | |
| „Man will ja noch was haben vom Tag.“ Als ob sein kleiner Weekender im | |
| Kofferraum Depressionen bekommen würde. Wenn man als Wirt an dieser Stelle | |
| nicht aufpasst, macht sich bemerkbar, dass mein Metier dann doch anders ist | |
| als Landwirtschaft. Denn einen wichtigen Unterschied gibt es: Tiere wissen | |
| nicht, wie das mit den Bewertungen auf Hotelplattformen geht. | |
| 25 Sep 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörn Kabisch | |
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