# taz.de -- Feministische Außenpolitik: „Fokus auf Menschenrechte“ | |
> Die Ampelkoalition hat sich eine feministische Außenpolitik vorgenommen. | |
> Politikberaterin Kristina Lunz erklärt, was Annalena Baerbock dafür tun | |
> muss. | |
Bild: Annalena Baerbock mit ihren Amtskolleginnen Ann Linde (Schweden) und Anni… | |
taz: Frau Lunz, im Koalitionsvertrag hat die Ampel eine „feministische | |
Außenpolitik“ verabredet. Der Begriff ist vielen noch unbekannt – sind Sie | |
nun als Erklärerin viel gefragt? | |
Kristina Lunz: Es sind interessante Zeiten. Wir vom Centre for Feminist | |
Foreign Policy erklären das Thema seit Jahren und zeigen seine Facetten auf | |
– und wir machen das durchaus erfolgreich. Trotzdem wird immer noch | |
regelmäßig gefragt: Feministische Außenpolitik – braucht man das? | |
Traditionelle Think Tanks haben sich bisher kaum damit befasst. Aber in den | |
letzten zwei Wochen hatte ich viele Anfragen von Think Tanks, aus | |
Botschaften, von Stiftungen. Da tut sich gerade einiges. | |
Ist die Passage, die im Vertrag steht, Ihr Verdienst? | |
Natürlich haben wir das nicht reingeschrieben. Aber wir haben das als | |
Organisation gut vorbereitet. Es ist enorm wichtig, dass eine starke | |
Zivilgesellschaft das Thema pusht. Das politische Umfeld muss wissen, worum | |
es geht, was es bedeutet. Und dann braucht es eine oder mehrere Personen, | |
die sich dafür einsetzen, dass es etwa im Koalitionsvertrag landet. All das | |
kam zusammen. Man kennt sich, man interessiert sich für das Thema. | |
Etlichen wird das Konzept feministische Außenpolitik noch unbekannt sein. | |
Wie würden Sie es erklären? | |
Wir verstehen das holistisch. Für uns geht es um ein Infragestellen der | |
grundlegenden Paradigmen von Außen- und Sicherheitspolitik. Das sogenannte | |
realistische Paradigma muss analysiert und hinterfragt werden: Können | |
Staaten wirklich nur durch militärische Stärke, Dominanz und Unterdrückung | |
anderer überleben? Diesen patriarchalen Strukturen müssen wir einen Fokus | |
auf Menschenrechte entgegensetzen, menschliche Sicherheit und alles, was zu | |
einer gerechten Gesellschaft beiträgt. | |
Das [1][steht aber nicht im Koalitionsvertrag]. | |
Nein, dort ist kein transformatives Verständnis von feministischer | |
Außenpolitik festgehalten, sondern der Fokus auf Frauen und deren | |
Repräsentation innerhalb vorgegebener Strukturen. Wir aber wollen | |
Gesellschaft wirklich neu denken. | |
Im Vertrag steht also viel zu wenig? | |
Er hat eine Tür aufgestoßen. Aber der signifikanteste Faktor dafür, dass | |
ein Land nicht gewaltbereit sowie für innere und äußere Stabilität ist, ist | |
das Niveau von Gleichberechtigung. Also ja: wenn wir über die große | |
Transformation sprechen hin zu einer Welt, in der Menschenrechte, | |
menschliche Sicherheit und Stabilität möglich sind, ist es auf jeden Fall | |
zu wenig. | |
Braucht eine feministische Außenpolitik die erste Frau im Amt? | |
Auf jeden Fall braucht es eine Machtverschiebung innerhalb deutscher | |
Strukturen in der Außenpolitik. Auch deutsche Diplomatie ist durch die | |
Ausgrenzung von Frauen gekennzeichnet. Frauen dürfen hier erst seit 1949 | |
Diplomatinnen werden, erst seit den späten 80er Jahren gibt es mehr als ein | |
oder zwei Frauen in den jährlichen Attaché-Jahrgängen. Aber erst, wenn | |
Frauen in Entscheidungsgremien repräsentiert sind, werden auch mehr | |
Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigt. | |
Annalena Baerbocks Ernennung ist auch ein wichtiges Zeichen gegen den | |
historischen Ausschluss von Frauen aus diplomatischen Kreisen. Wichtiger | |
noch als eine Frau ist aber eine feministisch denkende Person. Dass wir das | |
nun in einem haben – eine feministische, kompetente Person und dann auch | |
noch eine Frau – das ist schon ein Glücksfall. | |
Baerbock selbst [2][hat im taz-Interview gesagt], es mache keinen | |
Unterschied, ob eine Frau Außenministerin ist oder nicht. | |
Es ist ihr gutes Recht, nicht in diesem Maß auf ihr Geschlecht reduziert | |
werden zu wollen. Ich analysiere als Außenstehende nur die Strukturen. | |
International haben bisher vor allem Frauen feministische Außenpolitik | |
gemacht. | |
In den sichtbaren Rollen ist das wohl so. Margot Wallström in Schweden | |
natürlich, in Mexiko hat es eine Staatssekretärin unter einem männlichen | |
Außenminister verkündet, in Spanien machen es zwei Frauen. Aber Kanada hat | |
Anfang des Jahres unter Justin Trudeau damit begonnen, eine umfassende | |
Strategie zu feministischer Außenpolitik zu entwickeln, auch unter | |
Einbeziehung feministischer Zivilgesellschaft, auch mit uns. Auch viele | |
Männer sind dabei. | |
Dennoch: Global gesehen ist Außenpolitik eine Männerdomäne. Jetzt kommt | |
eine Frau, die gerade mal 40 ist. Deutsche Kommentatoren betonen schon, | |
Baerbock müsse noch „viel lernen“. Da kommt was auf sie zu. | |
Jedes Mal, wenn ich über Annalena Baerbock auf Social Media poste, kommt | |
misogyne Hate Speech. Das Ausmaß ist irre, allein ihr Name ist ein | |
Triggerwort. In einer patriarchalen Gesellschaft ist oft schwer zu | |
unterscheiden, was purer Frauenhass ist – und wo es wirklich berechtigte | |
Zweifel gibt. Gegenüber Sebastian Kurz oder auch Christian Lindner, der ja | |
auch nicht viel älter ist, sehe ich diesen Ton aber nicht. Sie wird | |
sexualisiert, ihr wird viel stärker die Kompetenz abgesprochen. Dabei ist | |
sie enorm kompetent, sie hat sogar völkerrechtlichen Hintergrund. Sie ist | |
die richtige Person für das Amt. | |
Zuletzt hatte sich im Außenministerium schon unter Heiko Maas etwas in | |
Richtung feministischer Außenpolitik getan. Was hat er erreicht? | |
Ich war 2019 bis 2020 ein Jahr als Beraterin im Auswärtige Amt. Zum 150. | |
Jubiläum des Amts hat Staatsminister Niels Annen in Vertretung von Maas | |
eine Rede vor der Belegschaft gehalten und gesagt: „Wir müssen auch über | |
unsere eigene Hauskultur sprechen – und damit meine ich weniger Patriarchat | |
und mehr Feminismus“. Es gab in den letzten vier Jahren wirklich zum ersten | |
Mal einen kleinen Wandel, auch im internationalen Agieren. | |
Wo dort genau? | |
Maas hat einen Fokus auf die UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und | |
Sicherheit gelegt. Es gab zwar auch problematische Phasen – Deutschland hat | |
zum Beispiel die Resolution 2467 zu sexualisierter Gewalt in Konflikten | |
eingebracht. Die Trump-Regierung sagte damals: Wir legen Veto ein, wenn ihr | |
nicht streicht, dass Frauen auch nach Vergewaltigungen in Konflikten | |
abtreiben dürfen. Maas hat aber auf jeden Fall einen Schwerpunkt gesetzt. | |
Mit Blick auf die kommenden vier Jahre: Was muss konkret passieren, damit | |
Sie zufrieden sind? | |
Im Koalitionsvertrag stehen einige tolle Sachen: Der Fokus auf | |
Menschenrechte. Deutschlands Beobachterstatus beim Thema | |
Atomwaffenverbotsvertrag als zweiter Nato-Staat nach Norwegen und das | |
Commitment zu einem Rüstungsexportgesetz. Natürlich fehlt auch einiges. | |
Auch eine Annalena Baerbock muss mit Realitäten umgehen, die in Jahrzehnten | |
geschaffen wurden. Ich erwarte aber, dass die Grünen im Außenministerium | |
integer bleiben, für ihre Werte einstehen und sich nicht verleitet fühlen, | |
in ein patriarchales Verständnis von Außenpolitik zurückzufallen. | |
Stichwort Atomwaffenverbotsvertrag: Der steht zwar im Koalitionsvertrag, | |
Baerbock macht bisher aber nicht offensiv Werbung dafür. Ist die Passage | |
nur ein Feigenblatt? | |
Das werden wir sehen. Es war aber schon ein bold move, den Beobachterstatus | |
in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Würde man es nicht ernst meinen, | |
hätte man das sein lassen können – dann hätte sich Baerbock beim Treffen | |
mit Nato-Chef Jens Stoltenberg potentiell unangenehme Diskussionen erspart. | |
Wie gesagt: Am Ende muss man mit den Gegebenheiten umgehen, die in | |
Jahrzehnten aufgebaut wurden. Aber meine Erwartung an Integrität und | |
Aufrichtigkeit ist, dass man versucht, die Punkte aus dem Koalitionsvertrag | |
zu schaffen. Wenn das nicht geht, gibt es eine Rechenschaftspflicht | |
gegenüber Bevölkerung und Zivilgesellschaft. | |
Die neue Regierung will auch innerhalb EU und Nato weiter aufrüsten. Passt | |
das zu einer feministischen Außenpolitik? | |
Zum radikalen Verständnis feministischer Außenpolitik passt das überhaupt | |
nicht. Kernforderungen davon waren immer Abrüstung und Demilitarisierung, | |
spätestens seit 1915, als während des Ersten Weltkrieges 1.200 | |
Feministinnen zusammenkamen, um nicht nur ein Ende des Kriegs zu fordern, | |
sondern auch das Frauenwahlrecht. Aber nehmen wir mal die | |
Verteidigungsausgaben: Die Forderungen der letzten Jahre nach zwei Prozent | |
verpuffen mit einer neuen Regierung nicht. Interessant aber ist doch das | |
Vorhaben, drei Prozent für eine Mischung aus Verteidigung, Entwicklung und | |
Diplomatie auszugeben. Da kann man kreativ werden, wenn man höhere | |
Rüstungsausgaben vermeiden will. | |
Sie haben also keine Sorge, dass feministische Außenpolitik bloße Rhetorik | |
bleibt? | |
Doch, die Sorge habe ich – bei jedem einzelnen Staat, der offiziell eine | |
feministische Außenpolitik hat. Aktuell bin ich zuversichtlich, weil ich | |
wirklich viel Vertrauen in Baerbock und andere Akteure ihrer Partei habe. | |
Als Zivilgesellschaft werden wir ihnen aber kritisch auf die Finger | |
schauen, wie in Frankreich. Dort gibt es seit 2019 offiziell eine | |
feministische Diplomatie, gleichzeitig ist es einer der fünf anerkannten | |
Atomwaffenstaaten. Darüber gab es nicht mal eine Diskussion. Und dann ist | |
das Pink-Washing. | |
Noch eine Frage zu Afghanistan: Die Taliban sind nur Männer, die | |
Verhandlungen mit ihnen führen fürs Auswärtige Amt auch nur Männer. | |
Deutschland stellt als Bedingung für Zusammenarbeit aber, Frauenrechte zu | |
gewährleisten. Muss sich da was ändern? | |
Wir sollten dabei auf die feministische afghanische Zivilgesellschaft | |
hören. Die ist sehr laut und sagt nicht erst seit gestern: Es geht | |
überhaupt nicht, dass nur männliche Delegierte auf Taliban treffen, dass | |
sie selbst ausgeschlossen wird und dass sich das ändern muss. | |
Sie haben das Auswärtige Amt schon in der Vergangenheit beraten. Werden Sie | |
in den nächsten vier Jahren auch wieder für das Ministerium tätig sein? | |
Ich würde mich freuen, wenn das passiert. | |
21 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
Tobias Schulze | |
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