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# taz.de -- Feministische Außenpolitik: Mehr als Gedöns
> Noch geht es im Krieg in der Ukraine um klassische Militärfragen. Nach
> dem Krieg aber wird feministische Außenpolitik wichtiger denn je sein.
Bild: Annalena Baerbock spricht in Sarajevo mit „Mütter Srebrenica“
Mit Annalena Baerbock als erste Frau an der Spitze des Außenamts hielt ein
neuer und weitgehend unbekannter Politikansatz in Deutschland Einzug:
feministische Außenpolitik. Wie gering das Verständnis dafür hierzulande
ist, zeigte die Geste des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz [1][während der
Generaldebatte in der vergangenen Woche].
Merz griff sich theatralisch ans Herz, als Baerbock in ihrer Rede den Satz
sagte: „Es zerreißt mir das Herz.“ Sie sprach über die systematischen
Vergewaltigungen während des Jugoslawienkrieges, über ihren kürzlichen
Besuch bei Frauen in Srebrenica, die die Folgen des Völkermords im Juli
1995 dort noch immer in sich tragen. In Kriegen wird Vergewaltigung als
Waffe eingesetzt.
Feministische Außenpolitik sei „kein Gedöns“, sagte sie: „Das ist auf d…
Höhe der Zeit.“ Man kann Baerbocks Worte als pathetisch und Merz’ Geste als
zynisch empfinden. Vor allem aber ist Merz’ Reaktion ein politisches
Statement: für einen weiterhin männlichen Blick bei Kriegsfragen, ein
Ausdruck der Verachtung für einen anderen, einen weiblichen Fokus auf das
Kriegsgeschehen.
Nun ist [2][das Konzept der feministischen Außenpolitik] zugegebenermaßen
nicht leicht zu erklären – und oft leider auch wenig konkret. Grob
zusammengefasst lässt sich feministische Außenpolitik als Paradigmenwechsel
bei Sicherheitsfragen definieren: weg vom rein militärischen Denken hin zu
einem erweiterten Fokus, der – neben dem Kriegsgeschehen – die
Zivilbevölkerung berücksichtigt: Frauen, Kinder, Alte, Kranke. Eine
feministische Außenpolitik setzt unter anderem darauf, soziale,
gesundheitliche und ernährungspolitische Kriegsfolgen mitzudenken und
Frauen viel mehr als bislang an Friedensgesprächen zu beteiligen.
Dass das keine Utopie ist, zeigt Schwedens Außenpolitik seit Jahren.
[3][Die schwedische Prämisse]: Frieden und Sicherheit können nur unter
Einbeziehung von Frauen erreicht werden. Die außenpolitische Strategie des
skandinavischen Landes geht davon aus, dass Gleichstellung keine
Frauenfrage ist, sondern die gesamte Gesellschaft betrifft.
Zahlreiche Studien belegen, dass Friedensprozesse, an denen Frauen
beteiligt sind, nachhaltiger werden. Trotzdem liegt der Anteil von Frauen
an den Verhandlungstischen im einstelligen Prozentbereich. In
Bosnien-Herzegowina, wo der Genozid in Srebrenica wütete, auf den Baerbock
in ihrer Rede Bezug nahm, waren keine Frauen vertreten.
Dabei fordert die [4][UN-Resolution 1325] von Oktober 2000, Frauen
verstärkt in Friedensverhandlungen einzubeziehen und vor sexueller Gewalt
im Krieg zu schützen. Doch was nützt eine solche Vorgabe in einer Zeit, die
durch Falken bestimmt wird und nicht durch Tauben? In der also ein
Hardliner wie der russische Diktator Wladimir Putin die Ukraine mit Terror
überzieht, gnadenlos die Zivilbevölkerung bombardiert und nicht einmal vor
Luftangriffen auf Orte zurückschreckt, an denen sich insbesondere Kinder,
Schwangere und Frauen aufhalten, die gerade in den Wehen liegen?
In einer solchen Zeit mit Pazifismus zu antworten, ist selbstredend naiv
und weltfremd. Die Ukraine verteidigt sich mit Waffen sowie mit
strategischem und lokalem Wissen, das der russischen Seite teilweise fehlt.
Den ukrainischen Truppen ist es zu verdanken, dass sich Russland die
Ukraine bislang nicht einverleiben konnte. Das gelingt auch, weil
Präsident Selenski allen ukrainischen Männern zwischen 18 und 60 Jahren
verboten hat, das Land zu verlassen. Von feministischer Sicherheitspolitik
ist das weit entfernt; die andauernden Kämpfe kosten viele Menschenleben.
Wer von Selenski anderes erwartet, hat die Logik eines Krieges nicht
verstanden. Selenski agiert klar als Kriegsherr, was bleibt ihm auch
anderes übrig? Gleichzeitig bietet er immer wieder Verhandlungen an, zeigt
sich kompromissbereit, sendet Videoansprachen an die russischen Mütter.
„Schicken Sie Ihre Kinder nicht in den Krieg in einem fremden Land“,
appellierte er kürzlich an Mütter russischer Wehrpflichtiger in einem
Video. Die Mütter sollten nicht glauben, dass ihre Söhne auf „Übungen“
geschickt würden, wie der russische Präsident Putin vorgibt. „Handeln Sie,
um zu verhindern, dass er (der Sohn) getötet oder gefangen genommen wird“,
sagt Selenski.
Das ist ein neues Bild in einer kriegerischen Auseinandersetzung: Ein Mann,
der sich selbst gern mit olivgrünem T-Shirt in maskuliner Pose präsentiert,
scheut sich nicht, den Blick zu weiten und die Folgen des Krieges auch für
Frauen und Familien mitzudenken.
## Feministische Außenpolitik ist nicht pazifistisch
Wer angesichts des Ukrainekrieges an eine feministische Außen- und
Sicherheitspolitik ausschließlich eine pazifistische Messlatte anlegt,
wirkt lächerlich. Niemand, auch keine leidvolle Mutter, deren Sohn an der
Front kämpft, dürfte bestreiten, dass man [5][zur Verteidigung Waffen
braucht]. Die Akzeptanz, im Verteidigungsfall Waffen sowohl zu nutzen als
auch zu liefern, hebelt den Ansatz einer feministischen Außenpolitik nicht
aus.
Dieser Ansatz muss aber komplettiert werden durch eine Friedenspolitik nach
einem Krieg, mit Frauen an Verhandlungstischen, mit der Aufarbeitung von
Kriegsverbrechen wie Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt. Für
Außenministerin Baerbock könnte das beispielsweise heißen, die Zahl der
deutschen Botschafterinnen zu erhöhen. Von 149 Botschafter:innen sind
aktuell 29 Frauen, das sind noch nicht einmal 20 Prozent.
Nun machen mehr Frauen in den Botschaften allein noch keine feministische
Außenpolitik. Die muss sich in der Diplomatie vor Ort konkret
widerspiegeln, beispielsweise im Drängen auf Frauenrechte, der Beteiligung
von Frauen in politischen, wirtschaftlichen und militärischen
Organisationen. In der Forderung nach Schulbildung für alle Kinder, der
Unterstützung der Zivilgesellschaft und einer gerechten
Ressourcenverteilung. Das ist in der Tat alles andere als Gedöns.
2 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=IC2BMrPGraI
[2] /Feministische-Aussenpolitik/!5822730
[3] https://www.government.se/government-policy/feminist-foreign-policy/
[4] https://www.unwomen.de/informieren/frauen-und-ihre-rolle-in-friedensprozess…
[5] /Nachrichten-zum-Angriff-auf-die-Ukraine/!5837779
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Feminismus
Annalena Baerbock
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Außenpolitik
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